Aschkenasim

Juden unter römischer Herrschaft in Mittel-, Nord- und Osteuropa und ihre Nachfahren
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Als Aschkenasim (hebräisch אַשְׁכֲּנָזִים, Plural von Aschkenas) oder aschkenasische Juden (יְהוּדֵי אַשְׁכֲּנָז), seltener auch als Aschkenasen, werden im Judentum mittel-, nord- und osteuropäische Juden sowie ihre Nachfahren in anderen Weltregionen bezeichnet.

Die Bezeichnung stammt vom biblischen Personennamen Aschkenas (Gen 10,3; 1 Chr 1,6), der als Volksname (Jer 51,27) wahrscheinlich die Skythen meinte.[1] Nach Europa ausgewanderte und vertriebene Juden übertrugen den Namen seit dem 9. Jahrhundert auf den deutschprachigen Raum, das spätere Deutschland. Sie unterschieden sich damit von den Sephardim (in Nordafrika, Portugal und Spanien lebenden Juden).[2] Die weitaus meisten Opfer des Holocaust waren, aber auch die meisten heute lebenden Juden sind Aschkenasim.

Geschichte

Herkunft

Die erste nachgewiesene jüdische Gemeinde im deutschsprachigen Raum ist die Gemeinde von Köln (seit 321). Die mittelalterlichen Judengemeinden des Rheinlands werden überwiegend auf jüdische Zuwanderer aus dem Mittelmeerraum zurückgeführt, wo sie jahrhundertelang gelebt hatten.[3] Als deren Vorfahren gelten palästinische Juden, die teils nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70) von den Römern als Sklaven nach Italien deportiert worden, teils nach der islamischen Eroberung Palästinas im 7. Jahrhundert nach Europa gezogen waren. Aschkenasische Herkunftslegenden führen die jüdische Ansiedlung im Rheinland auf eine Einladung Karls des Großen zurück.[4]

Eine andere Hypothese führt die mittel- und osteuropäischen Aschkenasim überwiegend auf Zuwanderung aus dem ehemaligen Reich der Chasaren in Südosteuropa und der Kaukasusregion zurück, die überwiegend von asiatischen Konvertiten abstammten. Für beide Herkunftshypothesen gibt es verschiedene genetische Studien mit jeweils umstrittener Methodik und Aussagekraft.[5]

SCHUM-Städte

Ludwig der Fromme erlaubte den Juden im Rheinland Handel, gab ihnen Zollerleichterungen und gerichtlichen Schutz. Dies wurde im 11. Jahrhundert zum Modell für Schutzbriefe von Reichsstädten für lokale Judengemeinschaften, die deren Aufschwung ermöglichten.[6]

Die jüdischen Gemeinden der drei Städte am Rhein Speyer, Worms und Mainz bildeten im 11. bis 13. Jahrhundert den Bund der SCHUM (hebräisch שו״ם), ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben ihrer hebräischen, auf das Latein zurückgehenden Namen: Shin (ש) für Spira, Waw (ו) für Warmaisa und Mem (ם) für Magenza. Diese drei Städte gelten wegen ihrer zentralen Bedeutung für die jüdischen Gemeinden in Zentraleuropa zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert als Geburtsstätte der aschkenasischen Kultur.

Die gemeinsame mündliche und schriftliche Sprache der dortigen Juden wurde ab etwa 1200 das Jiddische, das eine Art mittelhochdeutscher Dialekt ist, der mit vielen Hebraismen angereichert und in hebräischer Schrift geschrieben wurde. Diese Sprache breitete sich mit den Aschkenasim zunächst nach Osteuropa, später in die ganze Welt aus, trug entscheidend zu ihrer eigenen Kultur bei und ist bis heute erhalten.[7]

Kreuzzüge

Im Zuge des ersten Kreuzzuges kam es zur gezielten Verfolgung des Stadtjudentums durch marodierende Kreuzfahrertruppen. Später vor allem während der Pestepidemie von 1349 kam es im französischen und deutschen Sprachraum zu zahlreichen Übergriffen (Pogromen) gegen die jüdischen Gemeinden der Schum-Städte. Einige Überlebende flohen, vor allem nach Polen-Litauen, wo sie willkommen waren und beim Aufbau der Wirtschaft mitwirkten. In diesem Umfeld entwickelte sich Jiddisch, eine linguistisch vorwiegend auf dem Mittelhochdeutschen aufbauende Sprache mit hebräischen, aramäischen und slawischen Elementen.

Frühe Neuzeit

Ab dem 16. Jahrhundert teilte sich das aschkenasische Judentum in ein west- und ein osteuropäisches Judentum.

20. Jahrhundert bis heute

In Folge von antisemitischen Pogromen emigrierten zwischen 1881 und 1924 etwa zwei Millionen Aschkenasim aus dem Russischen Kaiserreich sowie aus Mittel- und Osteuropa vor allem in die USA, nach Südafrika und Australien. Der 2. Weltkrieg und der Holocaust lösten weitere umfangreiche Flüchtlingswellen in die USA, nach Südamerika und vor allem in das neu geschaffene Israel aus. Laut einer Studie der Hebräischen Universität von Jerusalem leben in Israel derzeit 2,8 Millionen Aschkenasim, in den USA sind geschätzte 90 Prozent der 6 Millionen dort lebenden Juden Aschkenasim. In Deutschland leben etwa 200.000 aschkenasische Juden. Das heutige Judentum besteht zu etwa 80 Prozent und entsprechend 10 Millionen Menschen aus Aschkenasim. [8] Derzeit sind New York City, London, Antwerpen, Manchester und zunehmend wieder Berlin die zahlenmäßig und kulturell bedeutendsten Metropolen aschkenasischen Wirkens.

Die kulturelle Kluft zwischen Aschkenasim und anderen jüdischen Gruppen hinsichtlich politischen Einflusses, Brauchtum, Glaubensvorstellungen, Bildung, Gewohnheiten und Sprache ist vor allem im von aschkenasischen Juden gegründeten Israel unübersehbar. In anthropologischer Hinsicht unterscheiden sich die Aschkenasim im Gegensatz zu allen anderen jüdischen Ethnien durch etwa 10 Prozent sog. hellfarbiger (blond, blauäugig) Elemente.[9]

Familiennamen

Aschkenasische Juden hatten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts meist noch keine festen Familiennamen. In aller Regel wurde der Name des Vaters als zweiter Name (Patronym) benutzt, also beispielsweise Jakob ben Nathan = Jakob, Sohn des Nathan. Grund dafür ist u. A. die Verordnung von Rabbenu Tam (Jacob ben Meir) aus dem 12. Jahrhundert, dass in einer Scheidungsurkunde nur von Juden unter Juden verwendete Namen (d. h. Eigen- und Vatersnamen) verwendet werden durften, aber nicht von Juden ausschließlich im Verkehr mit Nichtjuden verwendete Beinamen. Diese Anweisung wurde danach bei vergleichbaren Verträgen, z. B. Ehe- und Geschäftsverträgen, adäquat angewendet. Bis heute bestehen jüdische Namen aus dem Vornamen und dem Vornamen des Vaters, wobei ein ben („Sohn von“) bzw. bat („Tochter von“) dazwischengeschoben wird. Im religiösen Bereich wird der Name besonders zu rituellen Zwecken benutzt, so bei Jungen erstmals bei der Beschneidung sowie bei der Bar Mitzwa anlässlich des Aufrufs zur Toralesung. In der Regel steht dieser Name auch auf dem Grabstein eines Juden.

Es gab viele Ausnahmen von dieser Regel. Am wichtigsten war der Brauch, eine rabbinische Dynastie mit einem – meist vom Herkunftsort des Gründers abgeleiteten – Familiennamen zu bezeichnen, z. B. von Katzenelnbogen (damals in Hessen) oder Emden. Diese Nachnamen dienten teils als Familiennamen, teils sozusagen als Markennamen. Schwiegersöhne, die Rabbiner wurden, erbten oft den Namen, und Söhne, die nicht Rabbiner wurden, trugen ihn meistens nicht.

Die Sippen- oder Stammnamen Kohen und Levi (mit vielen Varianten) wurden von Vater auf Sohn weitergetragen und erschienen in fast allen jüdischen Urkunden, Grabsteinen usw., wenn ein dort erwähnter Mann (oder der Vater oder Ehemann einer Frau) dem Stamm zugehörte. In den absolutistisch regierten Staaten Mitteleuropas wurde Ende des 18. Jahrhunderts damit begonnen, jüdische Bewohner als Bedingung für erweiterte Bürgerrechte zur Annahme eines unveränderbaren Familiennamens zu zwingen. Zuerst geschah dies 1787 in den Habsburgischen Erbländern, es folgten weitere Staaten und Städte. Nach und nach führten dann alle Staaten Europas ähnliche Regelungen ein.

Die aschkenasischen Juden konnten ihre neuen Namen nicht immer frei wählen. So kam es in vereinzelten Fällen zu erniedrigenden oder beleidigenden Nachnamen (Trinker, Bettelarm, Maulwurf), die allerdings später meist wieder geändert werden durften. Aber die österreichischen und französischen Gesetze ließen keine neuen Namen zu, die den jüdischen Hintergrund des Trägers deutlich herausstellten (z. B. Namen aus dem Alten Testament oder alttestamentliche Städtenamen). Die jüdischen sollten sich von deutschen Familiennamen möglichst nicht unterscheiden, um die Integration der Juden zu fördern, die in dieser Zeit zunächst meist beschränkte und später dann auch volle Bürgerrechte erhielten.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Heinrich Krauss, Max Kuechler: Erzählungen der Bibel: Das Buch Genesis in literarischer Perspektive. Die biblische Urgeschichte. Paulusverlag, Freiburg 2003, ISBN 3722805856, S. 177
  2. Sara E. Karesh, Mitchell M. Hurvitz (Hrsg.): Encyclopedia of Judaism. Sonlight Christian -M, 2005, ISBN 0816054576, S. 32 f.
  3. Harald Haarmann: Kleines Lexikon der Völker: Von Aborigines bis Zapoteken. Beck, München 2004, ISBN 3406511004, S. 175
  4. Ivan G. Marcus: Ashkenaz (Yivo Encyclopedia of Jews in Eastern Europe)
  5. Ingo Way (Jüdische Allgemeine, 24. Januar 2013): Genetik: Rheinland oder Kaukasus?
  6. Ivan G. Marcus: Ashkenaz (Yivo Encyclopedia of Jews in Eastern Europe)
  7. Marion Aptroot, Roland Gruschka: Jiddisch: Geschichte und Kultur einer Weltsprache. Beck, München 2010, ISBN 3406527913, S. 33-35 und 173
  8. Hebrew University Genetic Resource (HUGR): Ashkenazi Jews. In: The Hebrew University of Jerusalem (Projektseite).
  9. Georg Herlitz, Bruno Krischner (Hrsg.): Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Nachdruck der 1. Auflage. Athenäum Verlag, Frankfurt/M. 1987, ISBN 3-610-00400-2 (Bd. 1: „A–C“), S. 497.