Natürliche Theologie

theologische Richtung
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 1. Februar 2006 um 13:57 Uhr durch Drifty (Diskussion | Beiträge) (Begründung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die theologia naturalis, also die natürliche Theologie (die auch philosophische Theologie bzw. Gotteslehre genannt wird), ist die Lehre von Gott, die aus natürlichen und geschichtlichen Quellen schöpft. Sie wird zur Offenbarungstheologie abgegrenzt, die sich auf die übernatürliche Selbstoffenbarung Gottes bezieht. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zur mittleren Stoa; vertieft wurde sie dann vor allem in der Scholastik und wirkt bis heute weiter, insbesondere in der Neuscholastik.

Innerhalb der natürlichen Theologie basieren sämtliche Erkenntnisse primär auf der Vernunft des Menschen. Obwohl von Gott geredet wird, handelt es sich dem Anspruch nach nicht um Glauben und Religion, sondern um die denkerische Durchdringung des Weltzusammenhangs mit wissenschaftlich verantworteter und nachvollziehbarer Methodik; monotheistische Ansätze gibt es unabhängig von Judentum, Christentum und Islam. Die philosophische Denkrichtung fand jedoch innerhalb der monotheistischen Religionen Anklang.


Begründung

Die natürliche Theologie setzt die grundsätzliche Möglichkeit objektiver Erkenntnis voraus sowie die durchgängige Gültigkeit des metaphysischen Kausalprinzips bzw. des Satzes vom zureichenden Grund. Dagegen richtet sich der Fideismus, nach dem Aussagen über Gott ausschließlich durch den Glauben, Offenbarung und mit Hilfe der besonderen Gnade Gottes möglich seien. Diese Kritik stellt sich als widersprüchlich heraus, da es unmöglich ist, die genannte gnadentheologische Aussage des Fideismus über den der Vernunft angeblich völlig unzugänglichen Inhalt mit den Mitteln eben dieser Vernunft zu beweisen. In diesem Zusammenhang ist (u.a. mit Blick auf Kant) auch anzumerken, dass es den Glauben nicht schmälert, wenn man philosophische Erkenntnisse über Gott gewinnt.

Während es philosophisch unmöglich ist, dass das Endliche das Unendliche (vollständig) erfasst, ist es sehr wohl möglich, auf dessen Sein zu schließen. Aus der Mangelhaftigkeit des ontologischen Gottesbeweises folgt nicht notwendig eine Unmöglichkeit von Gottesbeweisen überhaupt, wie dies etwa von Kant (vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 620 ff.) behauptet wird.

Insbesondere auf Thomas von Aquin stützt sich die folgende Argumentation, die in diesem Rahmen jedoch nur die Hauptargumente nennen kann. Man kann die fünf Wege den vier aristotelischen Ursachen zuweisen oder sie nach Ordnungs-, Wirkungs- und Seinszusammenhängen gliedern. Letztlich gibt es aber nur einen Gottesbeweis, nämlich den Kontingenzbeweis. Die verschiedenen Wege beleuchten die Kontingenz jeweils nur aus einem anderen Blickwinkel, einem anderen Seinsmodus des Kontingenten. Der Beweis aus der Bewegung beginnt bei der Möglichkeit, bewegt oder allgemeiner gesprochen verändert zu werden; der Beweis aus der Wirkursache setzt beim Gewirktsein an; der Stufenbeweis betrachtet die Tatsache, dass einigem mehr Wahrheit, Gutheit und Einheit zukommt als anderem, und der teleologische Beweis schließlich betont die Hinordnung und das Gelenktwerden des Seienden auf ein Ziel (griechisch telos).

Kontingenzbeweis des Seins Gottes

Allem zugrunde liegt der Kontingenzbeweis. Die Kontingenz ist die Indifferenz dem Sein gegenüber, also die Möglichkeit zu sein oder genausogut nicht zu sein. Befürworter der Natürlichen Theologie betrachten mit dem kontingenten Sein und dem Kausalprinzip den Gottesbeweis schon als gegeben. Er bestehe sozusagen im zu Ende gedachten metaphysischen Kausalprinzip. Ausformuliert lautet die Kurzform dieses Beweises: Das Kontingente setzt das Absolute voraus. Anders ausgedrückt: Wenn und weil das Bedingte ist, muss das Unbedingte sein. Es kann nicht nur kontingent Seiendes geben. Da das Seiende nur Sein-Habendes ist, verweist es notwendig auf anderes. Dies ist entweder selbst wieder nur Seiendes oder das absolute Sein selbst. Ein unendlicher Regress von Seiendem zu Seiendem ist unmöglich, da diese jeweils nur potentiell, aber eben nicht notwendig sind. Gebe es das reine, subsistierende Sein, das "ens a se" nicht, gebe es gar nichts. Weil Gott das "ens a se", das heißt das Sein aus sich, ist, spricht man auch von seiner Aseität.

Wenn es verursachtes, gewirktes Sein gibt, muss es das unverursachte Sein geben, die "prima causa" also die erste Ursache, ohne die auch keine folgenden und damit auch nicht die jetzigen Ursachen und Wirkungen wären. Teleologisch betrachtet sei aus der Ordnung der Natur auf einen weisen Ordner und Lenker zu schließen. Auf die Bewegung bezogen müsse es den unbewegten Beweger, auf Wahrheit, Gutheit, Einheit bezogen die Wahrheit, Güte und Einheit geben. Da die Nominaldefinition dem Menschen bei der Wahl der Begriffe eine gewisse Freiheit lässt, gibt es eine Reihe von Namen für das Absolute. Zum bekanntesten Namen heißt es bei Thomas von Aquin: "quam omnes Deum nominant" (Summe der Theologie I, q. 2, 3) also, dass dies(er) von allen Gott genannt wird.

Vom "Wesen" Gottes

Ursprünglich ist es Ziel der Gottesbeweise zu zeigen, dass Gott ist. Auf der Basis der fünf thomistischen Beweise, meinen Befürworter zeigen zu können, dass von Gott Folgendes gesagt werden kann: Er sei unbewegter Beweger, erste Wirkursache, notwendiges, absolutes Sein, höchstes, wahrstes Sein, mit Vernunft und Willen. Dass das Ende der fünf Beweisketten ein persönlicher Gott ist und nicht ein blindes Prinzip, bedarf jedoch weiterer Annahmen, die z.B. Thomas von Aquin in "Summe der Theologie" (Summa theologica) oder "Summe gegen die Heiden" (Summa contra gentiles) ausführt. Die Gotteslehre wird dabei im Anschluss an die Gottesbeweise überwiegend im analytisch-deduktiven Verfahren entwickelt. Besonderer Wert wird zudem auf das Herausheben, die Analogie und die Verneinung gelegt: Je mehr "Negationen" feststünden, desto mehr verliere die menschliche Erkenntnis an Dunkelheit (vgl. Negative Theologie). Dass dem Menschen jedoch immer sehr viel mehr von Gott verborgen bleiben muss, als sich ihm erschließen kann, zeige sich u.a. daran, dass die natürliche Theologie einer Vielzahl von Beweisen und Begriffen bedarf, obwohl Gott wesensmäßig in absoluter Weise Einheit sei.

Vertreter der natürlichen Theologie beschreiben deren Argumentation zum Wesen Gottes wie folgt:

Aus der Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit wird Gottes Ewigkeit gefolgert. Weil Gott demnach erste Ursache und notwendig ist, was alles Nichtseinkönnen ausschließt, ist er frei von jeglicher Potenz, also reiner Akt (actus purus). Damit ist er frei von jeder Zusammensetzung, ohne Materie und auch nicht von seiner Wesenheit zu unterscheiden. Da Gottes Wesen mit seinem Sein zusammenfällt, er das erste Sein, die oberste Ursache und reiner Akt ist, bleibt ihm jeder Mangel fern, ist er also vollkommen. Von der Vollkommenheit wird dann auch die All-Güte, die Einheit, die Allmacht und die Allwissenheit sowie die Tatsache, dass Gott schlechthin unendlich ist, geschlossen. Das Erkennen und Lenken aller Dinge setzt einen Willen voraus, und da dieser in absoluter und vollkommener Weise wirkt, folgt ebenfalls Gottes unendliche Liebe. Die vollkommene, intelligente Ursache allen Lebens und aller Personen ist nicht nur das Leben selbst, sondern auch Person. In seiner höchsten Vollendung ist Gott zudem nicht nur glücklich, sondern das Glück selbst, wie Thomas es als die Krönung der natürlichen Theologie ansieht.

Natürliche Theologie als relationale Ontologie

Eine originelle Variante natürlicher Theologie ist der "Geschöpflichkeitsbeweis" im Rahmen einer relationalen Ontologie bei Peter Knauer SJ: Die einzig verantwortbare Weise, heute von Gott zu sprechen, besteht darin, die Welt als einen Hinweis auf Gott zu erkennen. Da Gott in sich unbegreiflich ist, können wir nur das von ihm Verschiedene begreifen, das auf ihn verweist, also die Welt in ihrer Geschöpflichkeit. Geschöpflichkeit bedeutet dabei "restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...". Das nicht unter Begriffe fallende Woraufhin dieser einzigartigen Beziehung, die als solche die Welt konstituiert, nennen wir "Gott". Gott ist "ohne wen nichts ist" und daher in allem mächtig (aktuale Allmacht im Gegensatz zu einer bloß potentiellen Allmacht).

Der Begriff der Geschöpflichkeit antwortet auf die Erklärungsbedürftigkeit der Welt: Die Welt und alles in ihr stellt ein problematisches Zugleich einander ausschließender Gegensätze wie Sein und Nichtsein, Identität und Differenz, Notwendigkeit und Kontingenz dar. Will man dies anders als logisch widersprüchlich und damit falsch beschreiben, muss man nach zwei verschiedenen Hinsichten suchen, die das Ganze umfassen und sich nicht wieder ausschließen. Diese Hinsichten findet man nur im Geschöpflichkeitsbegriff: Sein als restloses Bezogensein auf ... / Nichtsein als restloses Verschiedensein von ... usf. Aufgrund der Restlosigkeit des Bezogenseins des Geschaffenen auf Gott ist die Beziehung der Welt auf Gott einseitig. Gott ist nicht Bestandteil eines übergreifenden Systems, d.h. er ist kein Teil der Wirklichkeit im Ganzen, sondern die ganze Wirklichkeit und alles in ihr kann ohne ihn nicht sein, ist also seine Schöpfung.

Wenn die Beziehung der Welt zu Gott aufgrund ihrer Restlosigkeit eine einseitige ist, entsteht das gewöhnlich verdrängte Verstehensproblem, wie dann noch von "Gemeinschaft mit Gott" oder von "Offenbarung" gesprochen werden kann. Faktisch kann nur die christliche Botschaft mit ihrem trinitarisch-inkarnatorisch-pneumatologischen Gottesverständnis auf dieses alle Religionen betreffende Problem antworten (und erst hier beginnt der christliche Glaube): Gott ist der Welt mit einer Liebe zugewandt, die im Voraus dazu die Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn als der Heilige Geist ist, und die an nichts Geschöpflichem, also auch nicht etwa an unserer moralischen oder "religiösen" Leistung ihr Maß oder ihre Grenze findet. Diese Liebe ist ewig und unbedingt. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, um uns diese Liebe im Wort Gottes zu verkünden: An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet, auf sein Wort hin sich und die ganze Welt von Gott um mit ihm und nach seinem Maß geliebt zu wissen. Nur dieser Glaube entmachtet die in unserer Todesverfallenheit und Verwundbarkeit wurzelnde Angst um uns selbst, die sonst immer wieder der letzte Grund für alle Unmenschlichkeit ist.

Evolution der Gottesvorstellung

Als Ergänzung ist eine theologische Relativität denkbar. Dies meint die sich entwickelnde Lehre von einem Gott, der im Rahmen der 'Evolution' durch die Variation und Auslese der theologischen Theorien allmählich, aber nie vollständig, begreifbar wird, da er a priori unveränderlich ist und das unendliche Glück und die unendliche Liebe schon immer beinhaltet. Modellhaft sei er so als Same (männlich) und/oder Eizelle (weiblich) des Universums denkbar. Im Rahmen dieser Modellvorstellung beinhalten "Offenbarungen" neben ihrem allgemeinen Charakter auch persönliche Offenbarungen, die durch persönliche Elemente geprägt sein können.

Beispielhaft für eine Relativität kann folgende Variation sein:

"Poem: (Variations of Genesis)

Apologie der Eva
Als Eva von dem verbotenen Baum gegessen hatte erkannte sie Gott, Adam und das Universum. Ihre Liebe zu Adam war größer als die Angst vor der Vertreibung. Sie gab Adam von ihrer Frucht und verließ das Paradies um das Universum zu entdecken. Die übrigen Früchte hat sie am Baum der Erkenntnis für Gott und das Paradies gelassen. Adam hat ebenso die übrigen Früchte am Baum gelassen und ist Eva und der gemeinsamen Frucht gefolgt. Ihre Schicksale sind den Schriften nur teilweise bekannt. Gott hat sie nicht vergessen und auf ihren Wegen stets begleitet."

Die Variation versucht die theologische Relativität an einem Beispiel auszudrücken. "Gott" bleibt hierbei der Absolute und damit unveränderlich Gute, während sich die Evolution und die Relativität lediglich auf das Gottesverständnis beziehen.

Anwendungsbeispiele der natürlichen Theologie

Als "Anwendungbeispiele" der natürlichen Theologie können etwa verschiedene Formen der Ethik genannt werden. Da diese auf dem Menschenbild und jene wiederum auch auf dem Gottesbild aufbaut, ergeben sich mittelbare Folgen. Weil jede Ethik auf Prämissen beruht, sollten diese möglichst gut reflektiert sein. Dies ist bei der natürlichen Theologie - im Gegensatz zu vielen rein diesseitigen und häufig empiristischen Modellen - ausdrücklich der Fall, da sie bis zur 'causa prima' zurückgeht. Je nach Verständnis dieser Ursprünge ist die natürliche Theologie dazu verwendet worden, sowohl ethisch fragwürdige Theorien wie Rassenlehren (z.B. bei Paul Althaus) und Homophobie zu untermauern als auch für die Würde eines jeden Menschen zu argumentieren. Viele Anhänger der natürlichen Theologie in der heutigen Zeit argumentieren darüber hinaus, dass eine rassistische Auslegung der natürlichen Theologie die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott nicht adäquat berücksichtige und schon deshalb falsch sei (so auch im heutigen Weltkatechismus).

Das Konzept von "Vollkommenheit" bzw. "Unvollkommenheit" kommt auch im exegetischen Bereich vor, etwa bei Paulus, im ersten Kapitel des Römerbriefs. Die natürliche Theologie setzt die Schöpfung mit der Vollkommenheit und die Sünde mit der Unvollkommenheit gleich. Problematisch dabei ist, dass nur die Schöpfung in ihrem gegenwärtigen Zustand zu beobachten ist, und nicht etwa die ursprünglich vollkommene Schöpfung vor dem Sündenfall. Karl Barth, der der Schule der Offenbarungstheologie zuzurechnen ist, vertritt deshalb in seinem Kommentar zum Römerbrief den Standpunkt, dass es ein Irrtum sei, "die geschaffene Welt als heilig und verehrungswürdig" zu behandeln "an Stelle des Schöpfers" (so Paulus in Vers 25) und argumentiert, dass post lapsum die "ungebrochene Natürlichkeit" nicht rein sei (Römerbrief, S. 30).

Literatur

  • Walter Brugger: Philosophisches Wörterbuch, 21. Auflage, Freiburg 1992. ISBN 3-451-20410-X
  • Walter Brugger: Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979. ISBN 3-87056-022-3
  • Cramer, Wolfgang: Gottesbeweise und ihre Kritik - Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt am Main 1967. ISBN 3-465-00070-6
  • Bernhard Kälin: Lehrbuch der Philosophie. Band I: Logik, Ontologie, Kosmologie, Psychologie, Kriteriologie und Theodizee, Sarnen 1957
  • Peter Knauer: Unseren Glauben verstehen, Würzburg 2001 (6. Auflage), 20-33.
  • Alfons Lehmen: Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage; Band III: Theodizee, fünfte, verbesserte Auflage, Freiburg im Breisgau 1923
  • Hans Seidl (Hrsg. und Übersetzer): Die Gottesbeweise in der "Summe gegen die Heiden" und der "Summe der Theologie", zweite Auflage, Hamburg 1986. ISBN 3-7873-1192-0
  • Thomas von Aquin: Summe der Theologie (Summa theologica), deutsch-lateinische Ausgabe, hrsg. vom kath. Akademikerverband, Salzburg 1934
  • Thomas von Aquin: Summe gegen die Heiden (Summa contra gentiles) Lateinisch Deutsch, hrsg. und übersetzt von Karl Albert und Paulus Engelhardt unter Mitarbeit von Leo Dümpelmann, Sonderausgabe, Darmstadt 2001. ISBN 3-534-00378-0
  • Josef de Vries: Denken und Sein, Ein Aufbau der Erkenntnistheorie, Freiburg 1937
  • Béla Weissmahr: Philosophische Gotteslehre, Stuttgart u.a. 1994 (2.Auflage)
  • Arthur Ernest Wilder-Smith: Wer denkt, muss glauben. 2. Auflage, Stuttgart 1983. ISBN 3-7751-0519-0

Siehe auch

Theologie, Gottesbeweis, Apologetik, Agnostiker, Theodizee, Christliche Apologie, Kreationismus