Hans-Georg Gadamer

deutscher Philosoph
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Hans-Georg Gadamer (* 11. Februar 1900 in Marburg; † 13. März 2002 in Heidelberg) war ein deutscher Philosoph, der durch sein 1960 die philosophische Hermeneutik begründendes Werk (Wahrheit und Methode, Tübingen 1960) bekannt wurde. Gadamer war besonders beeinflusst durch Martin Heidegger, bei dem er studiert hatte.

Leben

Von 1909 bis 1918 besuchte Gadamer die Schule zum Heiligen Geist in Breslau und begann danach ein Studium an der Universität Breslau, u.a. bei Richard Hönigswald. Er promovierte 1922 bei Natorp und Nicolai Hartmann mit einer Abhandlung zu Plato. Ab 1923 besuchte Hans-Georg Gadamer Vorlesungen von Edmund Husserl und Heidegger in Freiburg im Breisgau, im Sommer bei Heidegger in dessen Hütte. Ein Jahr später begann er 1924 ein Studium der klassischen Philologie bei Paul Friedländer. 1927 absolvierte er das Staatsexamen für das höhere Lehramt.

  • 1929: Habilitation bei Heidegger und Friedländer und Privatdozent in Marburg
  • 1931: Veröffentlichung der Habilitationsschrift: Platos dialektische Ethik
  • 1933: Reise nach Paris
  • 1934: Veröffentlichung von Plato und die Dichter, das einen Durchbruch im Hinblick auf Platons Politeia darstellt, erste aber sehr deutliche Ansätze der Gadamerschen Hermeneutik zeigt und (z.B. im Motto) seine höchst kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus belegt
  • 1937: apl. Professor in Marburg
  • 1939: Berufung nach Leipzig, o. Professor und Direktor des Philosophischen Instituts der Universität Leipzig.

Nach dem Krieg wurde Hans-Georg Gadamer 1945 Dekan der Philosophischen Fakultät und später auch (bis 1947) Rektor der Universität Leipzig. Es folgte eine Berufung nach Frankfurt am Main (1947) und eine Berufung an die Heidelberg als Jaspers' Nachfolger (1949).

  • 1953: Begründung der "Philosophischen Rundschau" mit Helmut Kuhn und Rückkehr von Karl Löwith aus den USA
  • 1960: Veröffentlichung von "Wahrheit und Methode"
  • 1962: Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland, (oder 1964) Begründung der Internationalen Vereinigung zur Förderung der Hegel-Studien und deren Präsident
  • 1966: Organisierung eines Kongresses über Sprache in Heidelberg als Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie
  • 1967: bis 1971, Debatte mit Jürgen Habermas; bis 1977, Kleine Schriften, 4 Bde
  • 1968: Emeritierung. Gadamer lehrt in Heidelberg freiwillig weiter
  • 1969: bis 1972, Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; April, Reise nach den USA

Gadamers Ansatz

Hans-Georg Gadamer war einer der prominentesten deutschen Philosophen der Gegenwart. Er gilt als Begründer einer universalen Hermeneutik, die sich sowohl gegen den einseitigen Methodologismus der traditionellen Hermeneutik von Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey als auch gegen den Idealismus Georg Wilhelm Friedrich Hegels wendet.

Für Gadamer ist jegliches Verstehen, handele es sich um Texte, Kunst- und Bauwerke oder das Gegenüber in einem Gespräch, an die Sprachlichkeit des Seins vor dem Horizont der Zeit gebunden. Dies setzt beim Interpreten von Werken Offenheit, das Bewusstmachen der eigenen Vorurteilsstruktur sowie die Bereitschaft zum Gespräch bzw. zum reflexiven Auseinandersetzen voraus. Die philosophische Hermeneutik wurde von Gadamer so allgemein fundiert, dass sie auf prinzipiell alle ethisch-ästhetischen Aspekte und Fragen des Lebens Anwendung finden kann.

Das Internet und seine Inhalte bezeichnete Gadamer übrigens als "das neue Banausentum".

Einordnung in die geisteswissenschaftlichen Strömungen

Seine ersten denkerischen Gehversuche unternahm Gadamer im Marburger Neukantianismus des ausgehenden, 19. Jahrhunderts, welcher überwiegend an den mathematischen Wissenschaften und ihren Methoden orientiert war und seinen Schwerpunkt auf die „Erkenntnisart“ von Gegenständen legte. Auch die Arbeiten von Paul Natorp und Nicolai Hartmann waren diesem Ansatz anfänglich verpflichtet. Danach wandte er sich der Phänomenologie Husserls (1859-1938) zu, die auch seine Habitilationsschrift prägte. Ebenfalls zu dieser Zeit begegnete er Heidegger, von dessen Existenzphilosophie er viele Elemente übernahm. In ihm hatte er, nach eigenen Angaben, eine Gegenkraft zu Platon gesucht und gefunden und wurde zum großen Teil von ihm geprägt. Auch Hegels Geistphilosophie hat ihn fasziniert. Die Ausformulierung seines eigenen Denkens fand erst recht spät in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode (1960) statt. Er versucht die Hermeneutik nicht nur als künstliche Lehre zu verstehen, sondern das Verstehen als einen Grundzug des menschlichen Lebens zu hinterfragen. In der Debatte mit Habermas und Karl-Otto Apel kommt es zu einer Umakzentuierung seiner Haltung. Auch Jacques Derrida, Kopf der philosophischen Dekonstruktion, nahm seine Hermeneutik unter Beschuss. Etliche Züge von Gadamers Denken brachten ihm den Ruf eines Konservativisten ein. Außerdem ist sein Werk durchzogen von einer Technologieskepsis, die an die Heideggers angelehnt ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sein Hauptwerk 1960 im Rahmen einer Grundsatzdiskussion vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Neukantinismus nach dem ersten Weltkrieg entstanden ist, wobei es darum ging, die Frage zu klären, was der Philosophie angesichts der Dominanz der Naturwissenschaften noch zu tun bleibt, um sich überhaupt noch als wissenschaftliche Disziplin rechtfertigen zu können.

Ehrungen, Preise und Auszeichnungen

Hans-Georg Gadamer erhielt im Laufe seines Lebens zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Darunter waren unter anderem:

Werke

Werkausgaben

  • Kleine Schriften Tübingen, Mohr, 1967 ff.
  • Gesammelte Werke. Tübingen: Mohr, 1985-1995 (10 Bände).

Autobiografisches

  • Philosophische Lehrjahre, Frankfurt a.M., Klostermann, 1977, GW 10
  • Selbstdarstellung, 1977, GW 2.
  • Im Gespräch, mit Silvio Vietta München 2002.

Einzelveröffentlichungen (Auswahl)

  • Lob der Theorie, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1983.
  • Das Erbe Europas, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1989.
  • Über die Verborgenheit der Gesundheit, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1993.
  • Der Anfang der Philosophie, Stuttgart, Philipp Reclam, 1996.
  • Erziehung ist sich erziehen Heidelberg 2000.
  • Hermeneutische Entwürfe. Vorträge und Aufsätze Tübingen 2000.
  • Platos dialektische Ethik. Phänomenologische Interpretationen zum Philebos Hamburg 2000.

Veröffentliches Bild- und Tonmaterial (Hörbücher und Videokasetten)

  • Gadamer Hörbuch: Drei Rundfunkvorträge Berlin 2002. (MC)
  • Hans Georg Gadamer erzählt die Geschichte der Philosophie Rom/Hamburg 2000. (VHS)
  • Autobiographie und Geschichten. Zwei Vorträge und ein Gespräch. Heidelberg 1998. (MC)
  • Postmoderne und das Ende der Neuzeit ? Vortrag 1992 Heidelberg 1996. (MC)
  • Wahrheit und Bewusstsein. Heidelberg 1996. (MC)
  • Philosophie heute: Die Kunst des Verstehens. Hans-Georg Gadamer. Hamburg 1996. (VHS)
  • Die Unhintergehbarkeit der Kunst Freiburg 1996 (MC)
  • Vorträge Heidelberg 1996 (MC)

Literatur

  • Udo Tietz: Hans-Georg Gadamer zur Einführung. 3. Aufl. Hamburg: Junius, 2005. ISBN 3-88506-612-2
  • Ram Adhar Mall: Hans-Georg Gadamers Hermeneutik interkulturell gelesen. Nordhausen: Bautz, 2005. ISBN 3-88309-180-4
  • Hofer, Michael; Wischke, Mirko (Hrsg.) (2003): Gadamer verstehen – understanding Gadamer; Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Darmstadt
  • Hammermeister, Kai (1999): Hans-Georg Gadamer; C.H. Beck Verlag, München
  • Jean Grondin: Hans-Georg Gadamer: Eine Biographie, Tübingen, Mohr, 1999. ISBN 3-16-146855-4.
    • Die Grondinsche Biographie ist erfolgreich und populär, wurde von Gadamer selbst aber abgelehnt und ist, besonders wegen des fehlenden Erfassens der Kontexte, von der Interpretation her nur begrenzt hilfreich.
  • Teresa Orozco: Platonische Gewalt, Gadamers politische Hermeneutik der NS-Zeit, Vorwort von Wolfgang F. Haug, Hamburg, Argument 2004 ISBN 3-88619-240-7
    • Orozco setzt sich hermeneutisch, aber dennoch kritisch mit Gadamers Schriften während der NS-Zeit auseinander. Das Buch gilt allgemein als Schmähkritik und wird auch in der seriösen Gadamer-kritischen Literatur nicht verwendet, zumal da es zeitgenössische Akten und Publikationen nicht in ausreichendem Maße heranzieht.