Transgender

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Transgender (von lat. trans, jenseitig, darüber hinaus und engl. gender, [soziales] Geschlecht) ist eine Bezeichnung für Menschen, deren Identitätsgeschlecht nicht ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen entspricht, oder deren Geschlechtsrollenpräsentation von den ihrem zugewiesenen Geschlecht offenstehenden Rollen abweicht. Eine andere häufige Definition ist:

Ein nichtoffizielles Transgender-Symbol
Menschen, die sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht falsch oder unzureichend beschrieben fühlen oder auch jede Form der Geschlechtszuweisung- bzw. -kategorisierung grundsätzlich ablehnen.

Mit Transgender wird ebenso das entsprechende Verhalten oder Empfinden bezeichnet. Transgender der Richtung Mann-zu-Frau werden häufig als Transfrauen bezeichnet, Transgender der Richtung Frau-zu-Mann als Transmänner.

Dabei ist Transgender ein Oberbegriff, der alle entsprechenden Identitäten und Verhalten einschließt. Die bekanntesten Begriffe aus dem Transgender-Spektrum sind Transsexualität und Transvestitismus. Beide stellen aber jeweils nur einen Teil dieses Spektrums dar. Ebenfalls unter Transgender fallen unter anderem Cross-Dresser, bewusst androgyne Menschen, Drag Kings und Drag Queens. Üblicherweise nicht eingeschlossen (obwohl im Einzelfall die Abgrenzung schwierig sein kann) ist transvestitischer Fetischismus, da es sich hierbei meist nicht um eine Frage der Geschlechtsidentität handelt.
Transgender können unter die herkömmlichen Definitionen eines der obengenannten Begriffe passen, müssen es jedoch nicht.

Ob und in welchem Maße Transgender medizinische geschlechtsangleichende Maßnahmen anstreben ist in jedem einzelnen Fall verschieden, dies gilt auch für die Änderung des Vornamens und gegebenenfalls des Personenstandes.

Der Begriff Transgender

Obwohl heute fast ausschließlich als Oberbegriff benutzt, beziehungsweise als (Selbst-)Bezeichnung für Menschen, die sich nicht auf eine der oben genannten engeren Kategorien festlegen wollen, wurde der Begriff Transgender in den 1970er Jahren von Virginia Price in den USA geprägt, um eine ganz bestimmte Gruppierung zu beschreiben, nämlich jene Menschen, welche zwar die soziale Geschlechtsrolle vollständig wechseln wollten, aber keine chirurgischen Eingriffe, und insbesondere keine genitalangleichenden Eingriffe anstrebten (und diese häufig auch generell ablehnten), und/oder Menschen, die sich eben nicht auf die andere Geschlechtsrolle oder Geschlechtsidentität festlegen wollten, sondern sich als weder Mann noch Frau verstanden.

Da der Begriff Transgender seit den 1980er Jahren zunehmend als Oberbegriff gebraucht wurde (gleichzeitig und zusammenhängend mit der Ablösung von women's studies (Frauenforschung) durch Gender Studies), setzte sich in den USA für die erste Gruppe der Begriff Transgenderist durch. Diese Gruppierung ist in Europa kaum bis gar nicht vertreten. Der Gebrauch als spezifisch nicht-transsexuelle Geschlechtsrollenwechsler ist noch gelegentlich anzutreffen.

Transgender versus Transsexualität

Während definitionsgemäß Transsexualität eine Form von Transgender ist, lehnen einige Transsexuelle den Begriff Transgender, und/oder jegliche Kommunikation, Zusammenarbeit oder Allianz mit nicht-transsexuellen Transgendern ab. Die betroffenen Menschen konnten sich ihre Transsexualität nicht aussuchen, und leiden darunter, weshalb sie sich von Dingen wie Transvestitismus, die mehr aus Spaß geschehen, abgrenzen möchten. Transsexuelle möchten häufig lediglich ein - mehr oder weniger - gewöhnliches Leben des Wunschgeschlechts leben. Das steht im krassen Gegensatz dazu, dass andere Transgender zum Teil durch ihr Äußeres Aufsehen erregen wollen, oder dadurch Spaß haben möchten.

Andere Transsexuelle begrüßen den Begriff, weil er nicht den in der deutschen Sprache problematischen Wortbestandteil sex enthält, da hier, anders als im Englischen mit den beiden Ausdrücken sex für das körperliche und gender für das soziale Geschlecht, nur ein einziger Begriff existiert. Dieser Umstand führt sprachbedingt im Allgemeinen zu dem Missverständnis, dass Transsexualität primär ein sexuelles Problem sei. Aus diesem Grund wird Transsexualität gelegentlich auch durch den nur in Deutschland geläufigen Begriff der Transidentität ersetzt.

Intersexuelle

In einigen Definitionen werden pauschal alle Intersexuellen, also Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht eindeutig ist, unter Transgender subsumiert. Andere Definitionen betrachten nur diejenigen Intersexuellen als Transgender, die ihre Geschlechtzuweisung in irgendeiner Form als problematisch empfinden.

Allgemeines

Berichte über Personen oder Vorfälle, die Geschlechtsrollenwechsel beschreiben, finden sich in nahezu allen Kulturen dieser Welt. Betrachtet man allerdings historische Personen oder Vorfälle, lässt sich äußerst selten eine Aussage darüber treffen, ob ein Verhalten seine Ursache darin hatte, dass eine Person transgender war, oder ob es sich lediglich um eine praktische Umgehung der Grenzen der jeweiligen Geschlechtsrolle handelte (zum Beispiel bei den relativ häufigen Fällen von Frauen, die als Männer verkleidet Soldaten wurden). Selbst wenn in einigen Fällen entsprechende Aussagen vorliegen, sind diese selbst im besten Falle von den kulturellen Gegebenheiten zu dieser Zeit geprägt, und natürlich davon, dass Begriffe wie Transgender, Transsexualität, oder auch „Homosexualität“ gar nicht existieren. Häufig sind sie allerdings auch davon geprägt, dass sie oft im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen oder religiösen Verfolgung zustande kamen, und viele Aussagen mit dem Ziel gemacht wurden, eine möglichst geringe Strafe zu erhalten.

Allerdings beruht nicht jedes Auftreten in einer anderen als der (aufgrund der eigenen Geschlechtsmerkmale) zugewiesenen Geschlechtsrolle auf einem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen Geschlecht. Dies kann auch rein praktische Ursachen haben, bekanntestes Beispiel dafür dürften Frauen sein, die sich in Situationen, in denen sie eine Vergewaltigung befürchten (zum Beispiel im Krieg) als Männer verkleiden.

Außerdem kennen viele Kulturen rituelle Geschlechtswechsel, die allerdings meist nur zeitweilig sind. In westeuropäischen Kulturen findet sich solches allerdings nur noch im Männerballett zu Karneval und Ähnlichem.

Daneben haben etliche Kulturen spezifische soziale Rollen für einige oder alle Menschen, die sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühlen, etwa die Two-Spirit vieler nordamerikanischer Indianerstämme, indische Hijras, die Khanith Omans oder thailändischen Katoys.

Reaktionen und Sanktionen

Das Abweichen von den jeweilig vorgegebenen Geschlechtsrollen (die sich nicht in jeder Kultur auf nur zwei mögliche beschränken) wird üblicherweise sozial, häufig auch strafrechtlich und/oder religiös negativ sanktioniert. So wurde Jeanne d'Arc unter anderem deswegen verbrannt, weil sie sich weigerte, einen Eid abzulegen, niemals wieder Männerkleidung anzuziehen.

Während entsprechende Gesetze in Europa in den letzten Jahren und Jahrzehnten abgeschafft wurden, oder nie bestanden, gibt es selbst in einigen Bundesstaaten der USA noch Gesetze, die das öffentliche Tragen von nicht zum eigenen Geschlecht zugehöriger Kleidung (siehe Cross-Dressing) unter Strafe stellen, allerdings werden diese mit zunehmender Liberalisierung immer seltener angewandt. Weiterhin gibt es in den meisten westlichen (Europa, Nordamerika) sowie einigen anderen Ländern (zum Beispiel Japan, Iran) mittlerweile Gesetze, welche die rechtlichen Aspekte eines Geschlechtsrollenwechsels regeln. In vielen nicht-westlichen Ländern allerdings wird entsprechendes Verhalten wesentlich härter bestraft, bis hin zur Todesstrafe (beispielsweise in vielen islamischen Ländern).

Gesellschaft

In der heutigen westlichen Gesellschaft allerdings sind sowohl rituelle als auch aus Not geborene Geschlechtsrollenwechsel äußerst selten geworden, so dass man nahezu immer davon ausgehen kann, dass wer dort Transgender-Verhalten zeigt, dies aus innerer Notwendigkeit tut. Denn eine von den üblichen Geschlechtsrollen abweichende Geschlechtsrollenpräsentation beruht üblicherweise nicht oder nur bedingt auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern sie ist eine innere Notwendigkeit, da die Präsentation in einer akzeptierten Geschlechtsrolle (Heteronormativität) für das Individuum entweder sehr belastend ist, oder sogar unmöglich. Viele Transgender bemühen sich, oft jahre- oder gar jahrzehntelang, darum, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, schaffen dies aber nie so, dass sie sich selber in dieser Rolle wohlfühlen. Viele schaffen es nicht einmal, andere Menschen von diesem Konflikt mit der, ihrem inneren Empfinden nicht entsprechenden Geschlechtsrollenpräsentation zu überzeugen. Aus diesem Konflikt entstehen häufig psychische Probleme, psychische und psychosomatische Krankheiten, Suchtprobleme und Ähnliches.

Dieser Tatsache teilweise Rechnung trägt in Deutschland seit 1980 das Transsexuellengesetz, welches zumindest die rechtlichen Notwendigkeiten eines Geschlechtsrollenwechsels von weiblich zu männlich (oder umgekehrt) regelt. Ebenfalls ist zumindest Transsexualität als unter Umständen medizinisch behandlungsbedürftiger Zustand anerkannt.

Kritisiert wird daran mittlerweile allerdings, dass dies nur für die medizinische Diagnose Transsexualität gilt, welche nur einen relativ kleinen Teil des Transgender-Spektrums umfasst, während Transgendern, welche die Kriterien für Transsexualität nicht erfüllen, die aber die juristischen oder medizinischen Maßnahmen ebenso benötigen, diese nicht oder nur unter Schwierigkeiten erhalten können.

Heteronormative Transsexuelle dagegen beharren auf der Beibehaltung des Transsexuellengesetzes und der medizinischen Diagnose, weil sie bei einer Aufweichung der Grenzen einen Verlust in ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz befürchten.

Ursachen

Über die Ursache von Transgendern ist nichts bekannt. Zwar existieren eine Vielzahl von psychologischen Theorien, und auch einige, die körperliche Ursachen annehmen; jedoch konnte keine dieser Theorien bisher empirisch belegt werden. Zu jeder einzelnen bis dato postulierten Theorie jedoch lassen sich etliche Gegenbeispiele finden, sowohl unter Transgendern, auf welche die postulierte Ursache nicht, als auch unter Cisgendern (Nicht-Transgendern), auf die sie zutrifft.

Behandlung

Keine Form von Transgender ist therapierbar oder heilbar im Sinne einer Versöhnung mit der ursprünglichen Geschlechtsrolle; wie bei der Homosexualität empfinden sich Transgender in der Regel, so sie nicht starkem Druck von Außen ausgesetzt sind, allerdings auch nicht als therapie- oder heilungsbedürftig. Der Bedarf, Transgender (wie Homosexualität) durch „Heilung“ zum Verschwinden zu bringen, entsteht üblicherweise nur bei Außenstehenden, welche ihre eigene Identität gefährdet sehen, wenn heteronormative Grundregeln ins Wanken geraten.

Transgender und Sexualität

Grundsätzlich sind Transgender unabhängig von der sexuellen Orientierung und sexuellen Vorlieben; sämtliche sexuellen Variationen, die bei Cisgendern bekannt sind, gibt es auch bei Transgendern.

Die häufige Assoziation insbesondere von Transfrauen mit Prostitution (oder anderen Arbeiten in der Sex-Industrie) rührt daher, dass in vielen Gesellschaften Prostitution die einzige Möglichkeit für Transfrauen ist, Geld zu verdienen, oder die einzige gesellschaftlich anerkannte Rolle für Transfrauen.

Die ebenfalls häufige Assoziation mit Homosexualität hat zwei Ursachen; zum einen die Tatsache, dass lesbische oder schwule Kreise häufiger sowohl Raum als auch Vorbild für Menschen mit abweichender Geschlechtsrollenpräsentation boten. Zum anderen bevorzugen auch Transgender häufig Menschen mit einem anderen Geschlecht als Partner, und zwar mit einem anderen Identitätsgeschlecht. Dies führt häufig zu Beziehungen, die für Außenstehende homosexuell erscheinen. Die betreffenden Personen betrachten solche Beziehungen allerdings meist als heterosexuell.

Zwar wird die Behandlung oder Begutachtung von Transgendern häufig von Sexualwissenschaftlern vorgenommen, jedoch (anders als häufig angenommen) haben Geschlechtsidentität und Sexualität - zumindest bei Transgendern - nur wenig miteinander zu tun. So ist nicht etwa die Mehrheit der Transgender vor einem eventuellen Geschlechtsrollenwechsel schwul oder lesbisch, um dann hinterher heterosexuell zu leben, sondern im Gegenteil sind etwa die Hälfte der Transgender nach dem Wechsel lesbisch oder schwul, oder auch bi- oder pansexuell. Auch bei jenen Transgendern, die keinen vollständigen Wechsel der Geschlechtsrolle anstreben (Cross-Dresser und andere) ist die Mehrzahl ebenso oft heterosexuell (relativ zu ihrem Ausgangsgeschlecht) veranlagt wie der Durchschnittsmensch. Zumindest wird von dieser Annahme ausgegangen, auch wenn der Sachverhalt statistisch noch nicht hinreichend belegt werden konnte.

Literatur

  • (k)ein geschlecht oder viele - Transgender in politischer Perspektive, Polymorph (Hrsg.), 2002, Berlin, ISBN 3896560840
  • Helma Katrin Alter, Gleiche Chancen für alle. Transidentität in Deutschland, 2000, Norderstedt, ISBN 3898110435
  • Kate Bornstein, My Gender Workbook : how to become a real man, a real woman, the real you, or something else entirely, 1998, Routledge, ISBN 0415916739 (englisch)
  • Judith Butler, Körper von Gewicht. Die Diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt, 1995, ISBN 3518117378
  • Patrick Califia, Sex changes. The politics of transgenderism, Cleis Press, 2003, ISBN 1573441805 (englisch)
  • Karin Hertzer, Mann oder Frau. Wenn die Grenzen fließend werden, 1999, München, ISBN 3720520633
  • Stefan Hirschauer, Die soziale Konstruktion der Transsexualität., 1993, Frankfurt, ISBN 3518286455
  • Judith Lorber, Genderparadoxien, 2002, ISBN 3810037435

Siehe auch: Liste der Transgender-Themen