Daniele Ganser

Schweizer Autor, Publizist, Verschwörungstheoretiker
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Daniele Ganser (* 29. August 1972 in Lugano) ist ein Schweizer Historiker. Er ist Energie- und Friedensforscher und Leiter des 2011 selbst gegründeten Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER)<ref[1]</ref>. Er wurde mit seiner Dissertation über „NATO-Geheimarmeen“ im Kalten Krieg und verschwörungstheoretischen Ansichten zum 11. September einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

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Daniele Ganser, 2008

Leben

Ganser studierte ab 1992 an den Universitäten Basel und Amsterdam Internationale Zeitgeschichte, Antike Geschichte, Philosophie und Anglistik. 1998 erwarb er sein Lizentiat mit einer Forschungsarbeit im Bereich Zeitgeschichte zur Rolle der Vereinten Nationen (UNO) während der Kubakrise von 1962.

Ab 1998 forschte Ganser im Rahmen seiner Doktorarbeit im Bereich Zeitgeschichte an der Universität Basel und an der London School of Economics and Political Science (LSE) in England zum Thema NATO-Geheimarmeen und inszenierter Terrorismus in Europa im Kalten Krieg. Er promovierte im September 2001 an der Universität Basel mit einer Arbeit über die Geheimarmeen der NATO.

Von 2001 bis 2003 war Ganser Senior Researcher beim Think Tank Avenir Suisse, zuständig für Wirtschaftsgeschichte und Politikgeschichte. Er leitete die Kampagne von Avenir Suisse zum Beitritt der Schweiz zur UNO.

Von 2003 bis 2006 war Ganser Senior Researcher am Center for Security Studies der ETH Zürich und forschte in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) zum Einfluss der Globalisierung auf die Menschenrechte.

Von 2007 bis 2010 leitete Ganser am Historischen Seminar der Universität Basel das Forschungsprojekt „Peak Oil“ zum globalen Kampf ums Erdöl und zur Versorgungssicherheit der Schweiz.

2011 gründete er das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER), das er seitdem leitet.

Forschungsschwerpunkte

Gansers Forschungsschwerpunkte sind gemäss eigenen Angaben die Internationale Zeitgeschichte ab 1945, verdeckte Kriegsführung und Geostrategie, Geheimdienste und Spezialeinheiten, Peak Oil und Ressourcenkriege sowie Globalisierung und Menschenrechte.

Sein erstes Buch, Reckless Gamble. The Sabotage of the United Nations in the Cuban Conflict and the Missle Crisis of 1962 (Deutsch: Die Kubakrise – UNO ohne Chance, 2006), beschäftigt sich mit der Ohnmacht der Vereinten Nationen im Falle Kubas und der Sabotage des Sicherheitsrates und der Generalversammlung durch die verdeckte Kriegsführung des amerikanischen Geheimdienstes CIA.

Im Kontext seiner Forschung zu „Peak Oil“, dem globalen Fördermaximum von Erdöl, hat Ganser wiederholt vor dem Schweizer Parlament vorgetragen. 2006 hat er die „Association for the Study of Peak Oil and Gas“ Schweiz (ASPO) mitbegründet und amtiert als ihr Präsident. Die ASPO ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern aus aller Welt, die sich mit dem Erdöl- und Gasfördermaximum beschäftigen.

Ganser schreibt in Peak Oil: Erdöl im Spannungsfeld von Krieg und Frieden: „Vieles deutet indes darauf hin, dass der Irakkrieg ein klassischer Ressourcenkrieg ist, welcher es den USA erlaubt, vor Erreichen des Peak Oil und dem globalen Förderrückgang wichtige Erdölquellen zu besetzen, um dadurch gegenüber den Konkurrenten China, Europa und Russland eine Machtposition aufzubauen. Alan Greenspan, der frühere Direktor der US Federal Reserve, meinte in diesem Kontext: ‚Ich finde es bedauerlich, dass es politisch unkorrekt ist, zuzugeben, was alle schon wissen: Beim Irakkrieg geht es um das Erdöl.‘“ [1][2]

Verschwörungstheorien

Ganser bezweifelt die ermittelten Ursachen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Er verfasst Aufsätze und hält Vorträge, in denen er Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 mit wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen auf eine Ebene stellt. Er veröffentlichte seinen Aufsatz über „Verdeckte Kriegsführung“ gemeimsam mit Vertretern des 9/11 Truth Movement wie David Ray Griffin.[3] Darin fordert er eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung der Ereignisse. Verschwörungstheoretiker wie Ken Jebsen und die „Truther-Szene“ beziehen sich positiv auf seine Publikationen[4].

Auch seine Forschung zu NATO-Geheimarmeen wird von Kritikern als Verschwörungstheorie bewertet. Im Jahr 2005 gab Ganser hierzu der islamistischen Webseite Muslim-Markt ein Interview.[5]

NATO-Geheimarmeen

2005 veröffentlichte Ganser, basierend auf seiner Doktorarbeit, ein Buch über die NATO-Geheimarmeen in Europa, die er für inszenierten Terrorismus im Kalten Krieg verantwortlich macht. Ausgehend von freigegebenen Dokumenten zur italienischen Stay-behind-OrganisationGladio“ behauptete er die Existenz von Geheimarmeen in ganz Westeuropa, die im Falle einer sowjetischen Invasion einen Guerillakrieg führen sollten. Sie seien, so Ganser, in einigen Staaten in Staatsterrorismus verwickelt gewesen. Das Buch wurde in zehn Sprachen übersetzt und erschien 2008 auch auf Deutsch. Es wurde teils positiv, teils kritisch rezensiert.[6][7]

Der Münchner Historiker Tobias Hof erkannte an, dass Ganser die verstreuten verfügbaren Informationen über geheime NATO-Einheiten akribisch zusammengetragen und zugänglich gemacht habe. Damit habe er die seit langem bekannten, aber von der NATO nie bestätigten Geheimarmeen wissenschaftlich erwiesen. Ganser spekuliere aber trotz seiner fehlenden Einsicht in relevante Aktenbestände über die Beteiligung der NATO-Einheiten an Terroranschlägen. Dabei stütze er sich unkritisch auf unzuverlässige Quellen (Presse, Zeugenaussagen, umstrittene Untersuchungsberichte). Ihm unterliefen immer wieder historische Falschangaben. Im Fall des entführten und ermordeten italienischen Politikers Aldo Moro übernehme er ausschließlich Verschwörungstheorien, die die aktuelle Forschung schon widerlegt habe. Er unterstelle eine Beteiligung von Gladio an rechtsterroristischen Bombenattentaten zwischen 1969 und 1980 in Italien, ohne den Wandel der italienischen Geheimdienstpolitik nach 1972 zu berücksichtigen. Seiner Arbeit fehle ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis. Er halte die Gliederung nach Ländern nicht ein, so dass sich Wiederholungen einschlichen. Für seine These, die Geheimarmeen seien „Quelle des Terrors“ gewesen, bedürfe es weitergehender Einzelforschung.[8]

Für Peer Henrik Hansen (Journal of Intelligence History) ist Gansers Buch Teil einer Welle neuer, seit dem 11. September 2001 üblicher Verschwörungstheorien. Für wissenschaftliche Seriosität fehle ein Kapitel über das verwendete Quellenmaterial und die Methodik. Ganser verwende hauptsächlich Presseberichte und Politikeraussagen, bei denen Desinformation nicht von ernsthafter Recherche unterscheidbar sei. Er behaupte eine Verschwörung der westlichen Regierungen und ihrer Geheimdienste, vor allem CIA und MI6, mit den NATO-Geheimarmeen, die die herangezogenen Zeugenaussagen gerade nicht bestätigten: Demnach hatten Geheimdienstvertreter in den NATO-Gremien kein Stimmrecht. Er verschweige, dass eine seiner Hauptquellen, ein US-Armeehandbuch, schon seit 1976 als Fälschung des KGB enttarnt worden sei, und dass viele Stay-Behind-Truppen aus Freiwilligenverbänden hervorgegangen und von den späteren NATO-Mitgliedsstaaten selbst gegründet worden seien. Zwar habe es zweifellos Verbrechen einzelner Geheimtruppen gegeben, aber sie könnten nicht alle als Terroristen gebrandmarkt werden, wie Ganser es tue.[9]

Auch der Historiker Gregor Schöllgen verriss das Buch, weil hier auf spärlicher Quellenbasis das tatsächliche Ausmaß der Stay-behind-Aktivitäten „grotesk überzeichnet“ würde. Während Ganser von „geheimen deutschen Nazi-Stay-behind-Armeen“ in Divisionsstärke ausgehe, sprächen andere für die 1960er Jahre von weniger als 100 hauptamtlichen BND-Mitarbeitern und etwa 500 Helfern.[10] Philipp Gessler urteilte in der taz, Ganser bewege sich mit seiner These, Gladio stecke auch hinter dem Oktoberfestattentat von 1980, auf „dünnem Eis“.[11]

Der Politologe und RAF-Forscher Wolfgang Kraushaar bezeichnete Gansers Arbeit als die bislang fundierteste historische Studie zu Gladio − sie mache allerdings deutlich, wie wenig in Deutschland an belegten Fakten zu diesem Thema vorhanden sei.[12]

Publikationen (Auswahl)

  • Reckless Gamble: The Sabotage of the United Nations in the Cuban Conflict and the Missile Crisis of 1962. University Press of the South, New Orleans 2000, ISBN 1-88943-172-9.
deutsche Ausgabe: Die Kubakrise – UNO ohne Chance. Edition Zeitgeschichte. Kai Homilius Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-89706-863-X.
  • mit Uwe Wagschal, Hans Rentsch: Der Alleingang: Die Schweiz 10 Jahre nach dem EWR-Nein. Orell Füssli, Zürich 2002, ISBN 3-280-05041-3.
  • Brauchen wir eine Ökonomie des Friedens? Eine Schweizer Perspektive auf die Verbindung der Wirtschaft mit Gewaltkonflikten. In: Die Friedens-Warte 79 (2004), S. 57–74
  • NATO-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung. Orell Füssli, Zürich 2008, ISBN 978-3-280-06106-0
  • Die dunkle Seite des Westens: Verdeckte Terroraktivitäten der NATO. Kai Homilius Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89706-206-1 (Video-DVD, 60 Minuten).
  • Europa im Erdölrausch: Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit. Orell Füssli, Zürich 2012, ISBN 978-3-280-05474-1.

Einzelnachweise

  1. Peak Oil: Erdöl im Spannungsfeld von Krieg und Frieden. (PDF; 2,3 MB) In: Phillip Rudolf von Rohr, Peter Walde, Bertram Battlog (Hrsg.): Energie. vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, Zürich 2009, Reihe Zürcher Hochschulforen, Band 45, ISBN 978-3-7281-3219-2, S. 56. (online), abgerufen am 10. November 2010.
  2. Zitat von Alan Greenspan nach Daniele Ganser in der Irish Times vom 17. September 2007.
  3. David Ray Griffin, Peter Dale Scott (Hrsg.): 9/11 and American Empire: Vol. 1: Intellectuals Speak Out. Interlink, Northampton, Massachusetts (USA) 2006
  4. Die „Truther“. Unter Verschwörern, Zeit Online, 6. Dezember 2012.
  5. Interview mit Muslim-Markt, 26. Juli 2005.
  6. Ausschnitte aus Rezensionen beim Orell Füssli Verlag
  7. Center for Security Studies der ETH Zürich: Stimmen zu Gansers Buch NATO’s Secret Armies
  8. Tobias Hof: Daniele Ganser: Nato-Geheimarmeen in Europa. In: Sehepunkte. Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaft 9 (2009), Nr. 4
  9. Peer Henrik Hansen (Roskilde, Dänemark): Rezension in The Journal of Intelligence History 5, Heft 1, Sommer 2005 (Memento vom 30. November 2009 im Internet Archive)
  10. Gregor Schöllgen: Gladiatoren im Kalten Krieg. „Stay behind“-Truppen gegen kommunistische Invasoren. In: Frankfurter Allgemeine. 25. April 2009.
  11. Philipp Gessler: Viele offene Fragen. In: taz vom 7. August 2009.
  12. Marcus Klöckner: Die RAF und die Geheimdienste. Interview mit Wolfgang Kraushaar. Telepolis, 10. November 2010.