Die Grafen von Wassenberg waren im Hochmittelalter ein niederrheinisches Adelsgeschlecht. Zum Ursprung dieses adeligen Geschlechtes können urkundlich viele Fakten im Detail nicht belegt werden oder sind strittig. Die Vorgänger dieser Adelsfamilie kamen vermutlich aus St. Anton (Antoing) in der westflanderichen Grafschaft Hennegau. Aus einer dort ansässigen Familie, die „freie Grundherren“ waren, wurden die Brüder, Gerhard und Rutger, die den Familienname Flamenses erhielten, nach 1000 vertrieben. Für „Flamenses“ wird angenommen, dass es entweder „rothaarig“ bedeutete oder von „Vlaming“ abgeleitet wurde, da ihre Herkunft in Flandern lag.[1] Kaiser Heinrich II. vergab um 1020 an diesen beiden Flamenses Gebiete bei Wassenberg und Gebiete im Bereich von Kleve zu Lehen.[2][Anm. 1]
Nachkommen dieser beiden „Flamenses“ waren mit fast allen wichtigen Adelsdynastien im Gebiet von Maas und Niederrhein verwandt. Nachfolger von Gerhard wurden die Grafen von Wassenberg und danach die Grafen von Geldern. Die Nachkommen von Rutger waren die Grafen von Kleve. Neben diese beiden Grafschaften, die später zu Herzogtümern wurden, gab es weitere Verwandtschaften mit den Herren von Heinsberg und Falkenburg und mit den Herzogtümern Jülich und Berg.[3]
Bereits der Nachfolger des ersten Gerhard Flamenses, Sohn Dietrich hatte die Machtbasis über Wassenberg hinaus mit dem zusätzlichen Lehen der Grafschaft Maasgau ausgebaut. Unter Graf Gerhard III. von Wassenberg, der bereits auch Graf Gerhard I. von Geldern genannt wurde, begann die Verlagerung des Wohnsitzes in die Grafschaft Geldern und deren Erweiterung. Auch den nächsten Grafen gelang es das Gebiet von Geldern weiter zu vergrößern. Unter Otto II. von Geldern war bereits Mitte des 13. Jahrhunderts das Gebiet der Grafschaft Geldern mit den vier Quartieren: Veluwe, Nijmegen, Zutphen und Obergeldern, in der die Stadt Geldern lag, weitgehend abgerundet.[4]
Inzwischen hatte nach dem Tode von Gerhard II. von Geldern 1131 dessen Tochter Judith „Wassenberg“ an die Grafen von Limburg vererbt, da sie Walram III. von Limburg geheiratet hatte.[5] Die Grafschaft Wassenberg war somit keine eigenständige Grafschaft mehr, da sie nun ein Bestandteil anderer Herrschaftsgebiete war. Ab dem Spätmittelalter wurde sie deshalb zum Amt Wassenberg.
Zum Zeitpunkt der Schlacht von Worringen 1288 war der damalige Graf Rainald I. von Geldern auch kurzzeitig Herzog von Limburg. Da Rainald I. zu den Verlierern gehörte, mussten sowohl Wassenberg wie auch das Herzogtum Limburg wieder abgetreten werden. Das Amt Wassenberg wechselte danach noch häufiger die Zugehörigkeit und gehörte beispielsweise ab 1311 zu Jülich, ab 1317 zu Heinsberg und ab 1421 kurzzeitig zur Grafschaft Moers.[6]
Geschichte der Adelsfamilie Gerhard Flamenses
Der erste Edelherr von Wassenberg aus der Familie „Flamenses“ war wohl Gerhard (oder Geradus) Flamenses. Dessen Vater mit Namen Dietrich soll vermutlich ein Graf in Westflandern gewesen sein. Wie bereits angeführt mussten die Söhne Gerhard und Rudger nach 1000 Westflandern verlassen. Um 1020 erhielt Gerhard das Amt Wassenberg zum Dank für seine Dienste von Kaiser Heinrich II. zu Lehen und Gerhard wurde zum „Herrn zu Wassenberg“.[7]
Nach der Belehung gründeten die Grafen von Wassenberg in Wassenberg das Stift St. Georg als Grablege ihres Hauses. Diese veränderte sich allerdings später durch die Verlagerung des Familiensitzes nach Geldern. Unter Otto II. von Geldern wurde 1248 das Kloster der Zisterzienserinnen in Graefenthal bei Goch gegründet. Die Grablege der Grafen und der ersten Herzöge von Geldern wurde danach bis 1337 in dieses Kloster verlegt.[8]
Zur Regierungszeit und dem Todesjahr des ersten Gerhards, Herr zu Wassenberg, fehlen eindeutige urkundliche Nachweise. In der „Neuen deutschen Biographie“ wird 1057 als Todesjahr angegeben. Danach war sein Sohn Dietrich Nachfolger als Herr zu Wassenberg. Nach 1076 wurde dieser mit der Grafschaft „Maasgau“ belehnt, zu dem auch Gebiete der späteren Grafschaft Geldern gehörten. Graf Dietrich wurde 1082 ermordet.[1]
Sein Sohn war Graf Gerhard II. von Wassenberg, der von 1085 bis 1096 regierte.[Anm. 2] Sein Sohn Gerhard III. von Wassenberg benutzte ab 1096 als erster den Titel Graf Gerhard I. von Geldern. Er war mit Clementia von Poitou verheiratet. Während seiner Regierungszeit wurden die Befestigungen von Wassenberg verstärkt und 1107 das „Castrum Wassenbergha“ erweitert.[9] Weiterhin wurde der Bau der Colligiatskirche zu Wassenberg 1118 ebenfalls unter Graf Gerhard III. von Wassenberg vollendet.[10] Zu dieser Zeit gehörte Wassenberg mit Heinsberg und Sittard zu den einzigen Kirchspielen am Niederrhein, die östlich der Maas lagen und die zum Diocesanverband von Lüttich und nicht zum Erzbistum Köln gehörten. Die Kirche wurde deshalb 1118 von Bischof Otbert von Lüttich eingeweiht.[11]
Sein Sohn Gerhard wurde nach dem Tode des Vaters um 1129 als Graf Gerhard II. von Geldern Nachfolger. Er war der letzte aus der Familie, der auch den Titel eines amtierenden „Grafen von Wassenberg“ führte. Lediglich Rainald I. von Geldern war später nochmals kurzzeitig auch amtierender Graf von Wassenberg. Gerhard II. heiratete Ermgard von Zutphen (auf deutsch: Zütphen), die die Erbtochter des Grafen Otto II. von Zutphen war.[Anm. 3] Über seine Ehefrau wurde die Grafschaft Zütphen nach Ottos II. Tod Bestandteil des Herrschaftsgebietes von Geldern. Er regierte nur von 1129 bis 1131. Seine Tochter Judith (*1074 oder 1090, † 1151) heiratete Walram III. von Limburg und war die Erbin von der Grafschaft Wassenberg.[Anm. 4]
Nachfolger wurde der Sohn Heinrich, der als Graf Heinrich I. von Geldern und Zütphen bis 1182 regierte. Das Gebiet der Grafschaft Geldern umfasste zu dieser Zeit bereits viele Bereiche zwischen Roer und Maas bis zur Zuidersee und war eine der größten Grafschaften in Niederlothringen.[1]
Nach Heinrich I. folgte von 1182 bis 1207 Otto I. als Graf von Geldern und Zütphen, der 1182 von Kaiser Friedrich I. das Gebiet Veluwe zusätzlich zu Lehen erhielt. Von 1207 bis 1229 folgte Gerhard III./IV..[Anm. 5] Der nächste Graf von Geldern war von 1229 bis 1271 Otto II., auch Otto mit dem Pferdefuß genannt. Sein Sohn Rainald I., der von 1271 bis 1318 regierte, heiratete Ermengard von Limburg, die Tochter des Herzogs Walram V. von Limburg. Nach dessen Tod wurde Reinald I. von 1280 bis 1288 auch Herzog von Limburg. Da Reinald I. auf der Seite von Kurköln in der Schlacht von Worringen gegen den Herzog von Brabant kämpfte und unterlag, musste er auf das Herzogtum Limburg wieder verzichten. Der in der Schlacht verwundete und gefangene Graf Reinald I. wurde danach gemütskrank. In Geldern kam es ab 1316 unter seinem Sohn Reinald zu einem Aufstand. Ab 1318 übernahm der Sohn als Graf Rainald II. gewaltsam die Macht und sperrte seinen Vater von 1320 bis zu dessen Tod 1326 ins Gefängnis.[1]
Unter Rainald II., der von 1318 bis 1343 regierte, wurde am 13. März 1339 die Grafschaft Geldern von Kaiser Ludwig der Bayer zu einem Herzogtum erhoben. Nach seinem Tode wurde sein ältester Sohn Rainald III. Nachfolger. Nach einem Streit mit seinem jüngeren Bruder Eduard wurde Rainald 1361 in der Schlacht bei Tiel besiegt. Rainald musste zu Gunsten seines jüngeren Bruders auf sein Amt verzichten und dieser war von 1361 bis 1371 Herzog Eduard von Geldern. Nach dessen Tod 1371 wurde kurzzeitig Reinald III. für wenige Monate nochmals amtierender Herzog von Geldern, starb aber auch noch im gleichen Jahr. Da sowohl Reinald III. wie auch Eduard kinderlos waren, erlosch mit ihnen das von Gerard Flamenses gegründete Adelsgeschlecht im Mannesstamm. Für die Nachfolge im Herzogtum Geldern kam es deshalb nach 1371 zum Ersten Geldrischen Erbfolgekrieg.[1]
Stammliste
- Dietrich Flamens († ~1020), Graf von Betuwe, Maasgau und Hespengau ∞ Lutgard von Hamaland
- Gerhard I. (~985–1035), Graf von Wassenberg ∞ Bava von Hamaland, Tochter von Dietrich von Kleve
- Gerhard II. (1010–1082), Graf von Wassenberg, Graf Gerhard I. von Geldern
- Heinrich (~1028~1085), Graf von Wassenberg, Graf von Geldern
- Gerhard III. (* 1030), Graf von Wassenberg, Graf Gerhard II. von Geldern
- Heinrich (1050–1118), Graf von Krieckenbeck und Wassenberg, Graf von Geldern
- Gerhard III. (eigentlich Gerhard IV.; 1050–1129), Graf von Wassenberg, Graf Gerhard III. von Geldern ∞ Clemencia von Poitou–Gleiberg (1053-1151)
- Gerhard II., „der Lange“ (1078–1134), Graf von Geldern und Zutphen ∞ Ermgard von Zutphen, Tochter der Grafen Otto II. von Zutphen
- Heinrich I., „der Junge“ (1105–1182), Graf von Geldern und Zutphen ∞ Agnes von Arnstein, Tochter des Grafen Ludwig II. von Arnstein
- Adelheid (1125–1190)
- Margaretha (* 1133)
- Otto I. (1145–1231), Graf von Geldern und Zutphen ∞ Richardis von Scheyern-Wittelsbach (1163–1231), Tochter von Graf Otto I. von Wittelsbach
- Gerhard IV. (1185–1229), Graf von Geldern ∞ Margaretha von Brabant (1192–1231), Tochter von Heinrich I. von Brabant
- Heinrich († 1285), Bischof von Lüttich
- Margaretha (1220–1240)
- Otto II., „der Lahme“ (~1214–1271), Graf von Geldern und Zutphen
- ∞ Margaretha von Kleve (1192–1231), Tochter von Dietrich von Kleve
- Margaretha († 1281)
- Elisabeth
- ∞ Filippa von Dammartin, Tochter von Graf Simon von Dammartin
- Rainald I. (1255–1326), Graf von Geldern
- ∞ Irmgard († 1283)
- ∞ Margaretha von Flandern (1272–1331), Tochter von Guido von Flandern
- Rainard II., „der Schwarze“ (1295–1343), Herzog von Geldern und Graf von Zutphen
- ∞ Sophia Berthout, Tochter von Floris Berthout von Mechelen
- Margaretha († 1344) ∞ Wilhelm IV. von Jülich
- Mechthild († 1384) ∞ Gottfried von Loon ∞ Johann von Kleve ∞ Johann II. von Blois
- Maria († 1397) ∞ Wilhelm II. von Jülich
- Elisabeth († 1376), Äbtissin in Asperden
- ∞ Eleonora (1318–1355), Tochter von König Eduard II. von England
- Rainald III. (1333–1371), Herzog von Geldern ∞ Maria von Brabant, Tochter von Johann III. von Brabant
- Eduard (1336–1371) ∞ Katharina von Bayern (1360–1400), Tochter von Albrecht von Bayern
- Margaretha ∞ Dietrich VII./IX. von Kleve
- Guido
- Elisabeth († 1354), Äbtissin in Köln
- Filippa, Nonne in Köln
- Filippa
- Margaretha
- Richardis (~1210~1289)
- Heinrich (* 1186)
- Irmingard/Luitgard (* 1183)
- Adelheid (1187–1218)
- Mathilde (1190~1247)
- Margaretha (1192–1264)
- Otto (1195–1215), Bischof
- Ludwig (* 1188), Dompropst
- Gerhard IV. (1185–1229), Graf von Geldern ∞ Margaretha von Brabant (1192–1231), Tochter von Heinrich I. von Brabant
- Gerhard III. (1150–1182), Zweitregent von Geldern
- Alberich von Geldern (* ~1108), Bischof von Lüttich
- Salome von Geldern (* ~1110)
- Agnes von Geldern (~1112–1196)
- Heinrich I., „der Junge“ (1105–1182), Graf von Geldern und Zutphen ∞ Agnes von Arnstein, Tochter des Grafen Ludwig II. von Arnstein
- Jutta/Judith (1074–1151)
- Gerhard II., „der Lange“ (1078–1134), Graf von Geldern und Zutphen ∞ Ermgard von Zutphen, Tochter der Grafen Otto II. von Zutphen
- Yolante von Wassenberg–Kriekenbeck (1070–1131) ∞ Graf Balduin III. von Hennegau
- Dietrich I. (~1033–1082), Graf von De Veluwe und Teisterband, Zweitregent von Geldern ∞ Hedwig von Montaigu
- Amorik (* ~1036), Herr von Antoing und Epinoy
- Gerhard II. (1010–1082), Graf von Wassenberg, Graf Gerhard I. von Geldern
- Rutger von Kleve
- Gerhard I. (~985–1035), Graf von Wassenberg ∞ Bava von Hamaland, Tochter von Dietrich von Kleve
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Gaál-Grasmann, in: Neue deutsche Biographie, 1964, Band 6, S. 171. Onlinefassung
- ↑ Anton Fahne, in: Die Dynasten, Freiherren und Grafen von Bocholtz, S. [285]277. Onlinefassung
- ↑ Anton Fahne führt in: Die Dynasten, Freiherren und Grafen von Bocholtz, S. [284]276 eine Stammtafel für Heinsberg, Valkenstein, Wassenberg, Kleve und Geldern an. Onlinefassung
- ↑ Hermann Terhalle, in: Von der Territorialgrenze zur Staatsgrenze, Onlinefassung.
- ↑ Wilhelm von Mirbach-Harrf, in: Zur Territorialgeschichte des Herzogthums Jülich, 1874, S. [27]25. Onlinefassung
- ↑ Wilhelm von Mirbach-Harff, in: Zur Territorialgeschichte des Herzogthums Jülich, 1874, S. [24]22. Onlinefassung
- ↑ Wilhelm von Mirbach-Harff, in: Zur Territorialgeschichte des Herzogtums Jülich, 1874, S. [18]16. Onlinefassung
- ↑ In: Onlinefassung des Klosters Graefenthal.
- ↑ ’s-Gravenhage: Nijhoff, in: Urkundenbuch der Grafschaft Gelre en Wassenberg, 1872, S. [241]210. Onlinefassung
- ↑ Anton Fahne, in: Chroniken und Urkundenbücher hervorragender Geschlechter, Stifter und Klöster, S. [232]211. Onlinefassung
- ↑ A.J. Binterim, J.H. Mooren, in: Die Erzdiocese Köln bis zur Französischen Staatsumwälzung, 1892, S. [25]. Onlinefassung
Anmerkungen
- ↑ Lt. Fahne könnten nach den lateinischen Texten Gerhard und Rutger auch Neffe und Onkel statt Brüder gewesen sein. In: Anton Fahne: Die Dynasten, Freiherren und Grafen von Bocholtz. S. [284]276.
- ↑ Da die „Gerhards“ zuerst Grafen von Wassenberg und erst später auch Grafen von Geldern wurden, ist die Zählweise der Grafen für Wassenberg und Geldern zwangsläufig unterschiedlich, wodurch die richtige Zuordnung zu Wassenberg und Geldern in alten Urkunden und Schriften manchmal schwierig ist. Dies gilt besonders für viele Daten der Grafen bis Mitte des 12. Jahrhunderts. Für diese ersten Grafen werden von den Historikern unterschiedliche Daten angegeben. Es gibt deshalb auch die Vermutung, dass sowohl zwischen Gerhard I. von Geldern und Heinrich I. und nach letzteren vor Otto I., es jeweils noch einen weiteren „Gerhard“ als amtierende Grafen gegeben haben könnte. Teilweise bestehen auch noch Lücken, so fehlt beispielsweise bisher für Geldern von 1131 bis 1138 noch ein eindeutiger Nachweis für den regierenden Graf.
- ↑ Ob Zütphen zur dieser Zeit eine Grafschaft war ist nicht sicher. Otto II. könnte auch nur der Eigner des Gebietes um Zütphen gewesen sein.
- ↑ Nach den Angaben von Gaál und Gresmann gehörte Wassenberg im Mannesstamm nach 1118 nicht mehr dem Geschlecht Flamenses, während Fahne noch später Grafen von Wassenberg aus dem Hause Flamenses angibt. Bis auf die Jahresangabe, Gerhard II. starb erst 1131, dürfte die Aussage, dass in Wassenberg ab Anfang des 12. Jahrhunderts keiner der Familie Flamenses mehr amtierte, richtig sein.
- ↑ Dieser Gerhard wird als Graf Gerhard III. oder IV. von Geldern bezeichnet. Für die Anzahl der „Gerhards“ bestehen unterschiedliche Meinungen bei den Historikern, da die Urkunden hierfür nicht eindeutig sind.
Literatur
- Ralf G. Jahn: Die Genealogie der Vögte Grafen und Herzöge von Geldern. In: Johannes Stinner, Karl-Heinz Tekath (Hrsg.): Gelre - Geldern - Gelderland. Geschichte und Kultur des Herzogtums Geldern. Geldern 2001.