Doppelstockwagen
Ein Doppelstockwagen ist ein Eisenbahn-Wagen mit Sitzplätzen in zwei übereinanderliegenden Ebenen. Doppelstockwagen haben gegenüber einstöckigen Reisezugwagen gleicher Länge den Vorteil eines höheren Passagierfassungsvermögens. Umgekehrt lassen sich durch kürzere Züge bei unveränderter Kapazität auch Bahnsteige bedienen, deren Länge für einstöckige Züge nicht ausreichend wäre. „Dosto“ ist im Eisenbahner-Jargon die Abkürzung für Doppelstockwagen und Doppelstockzug.

Geschichte
Erste Straßenbahn- und Omnibus-Wagen wurden bereits früh als "Doppeldecker" gebaut, um mehr Personen befördern zu können.
Bei den ersten und noch mit Pferden gezogenen Personenwagen auf Eisenbahnen wurde bereits das Dach zur zusätzlichen Personenbeförderung benutzt oder »missbraucht«, auf einigen Wagen aber auch feste Sitze auf dem Dach aufgebaut. Vergleiche hierzu die Geschichte der Stockton and Darlington Railway.
Bei der französischen Bayonne-Biarritz-Bahn wurden um 1876 doppelstöckige Personenwagen benutzt, die Wagen der Lartigue-Einschienenbahn Feurs-Panissières in Frankreich von 1895 hatten offene Sitzplätze auf dem Dach, die mit Drahtkäfigen gesichert waren.
Moderne Eisenbahn-Doppelstockwagen wurden in Deutschland im Mai 1936 von der Lübeck-Büchener Eisenbahn (LBE) als Stromlinien-Schnellzüge auf der Strecke Hamburg Hauptbahnhof – Lübeck-Travemünde-Strand eingesetzt. Sie waren bereits damals als Wendezüge mit Steuerwagen, automatischen Scharfenberg-Kupplungen sowie als Zweier-Einheiten mit einem gemeinsamen Jakobsdrehgestell ausgestattet. Die geplanten acht Doppelstockwagen wurden gleichzeitig von den Firmen WUMAG in Görlitz und Linke-Hofmann in Breslau gebaut. Die fest mit dem Zug verwendete Dampflok war eine Schnellfahr-Tender-Dampflokomotive mit Stromlinienverkleidung, die vom anderen Zugende aus vom Lokführer ferngelenkt werden konnte.
Die LBE-Doppelstockwagen boten für damalige Zeiten einen großen Komfort mit gepolsterten Sitzen in der 3. Klasse. Größeres Gepäck wurde beim Einsteigen von Pagen abgenommen, im Gepäckabteil verstaut und beim Verlassen des Wagens wieder ausgeliefert.
Als die LBE am 1. Januar 1938 in der Deutschen Reichsbahn (DRG) aufging, wurden die Doppelstockwagen mit übernommen. Der Schnellverkehr zwischen Hamburg und Lübeck wurde dann nicht mehr im Wendezugbetrieb, sondern im normalen Zugdienst betrieben.
Bundesrepublik Deutschland
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Doppelstockwagen wieder auf der Stammstrecke Hamburg - Lübeck im Eilzugverkehr eingesetzt. Mit Wiedereinführung des Wendezugbetriebes ab Mai 1959 wurden die ehemaligen LBE-Doppeldecker wieder als Steuerwagen mit der vorgespannten Dieselloktype Baureihe V 200 verwendet. Nachdem vier Wagen ausgemustert wurden, wurden die restlichen vier Doppeldecker als Verstärkungswagen im Wendezugbetrieb Hamburg – Lübeck eingesetzt. Trotz ihrer geringen Stückzahl und des damit verbundenen Unterhaltungsaufwands hielten sich die Wagen wegen ihres großen Platzangebotes auf der Strecke Hamburg – Lübeck bis zum September 1977 und wurden 1978 ausgemustert.
Eine Doppeleinheit wird vom Verein Lübecker Verkehrsfreunde erhalten.
DDR
In der DDR entwickelte 1952 der VEB Waggonbau Görlitz (ex Waggon- und Maschinenbau AG (WUMAG)) für die Deutsche Reichsbahn auf den LBE-Fahrzeugen aufbauend zwei- und vierteilige Doppelstockzüge. Wie bei den LBE-Wagen lagen je zwei einzelne Wagen auf einem Jacobsdrehgestell und die Türen über den Drehgestellen. Anfangs der 1990er Jahre wurden die Doppelstockzüge ausgemustert.
Ab 1957 wurden fünfteilige Doppelstockgliederzüge entwickelt, bei denen die aneinandergekoppelten Wagen mit einem kurzen Gelenk-Zwischenstück auf Jacobsdrehgestellen saßen. Das Zwischenstück enthielt dabei die Eingangstüren. Eine Fernverkehrsvariante, bei der sich der Übergang in der oberen Etage befand, wurde ebenfalls gebaut und um doppelstöckige Buffet- und Gepäckwagen bereichert. Nach anfänglichen Einsätzen als Schnellzüge wurden die Doppelstockgliederzüge später im Nahverkehr eingesetzt. Anfangs der 1990er Jahre wurden die Doppelstockgliederzüge ausgemustert.
1974 begann der Bau gelenkloser Doppelstock-Standardsitzwagen (zwei Musterwagen wurden schon 1971 gebaut). Sie hatten den Einstieg im Untergeschoss statt wie früher im höher gelegenen Gelenkstück, was das Benutzen mit Traglasten wesentlich erleichterte. Der Übergang befindet sich im Mittelgeschoss und damit auf gleicher Höhe wie einstöckige Wagen, was auch die Zugkombination mit anderen Durchgangs-Wagen ermöglichte. Diese Wagen wurden zum Vorläufer der heutigen Doppelstockwagen mit Niederflureinstieg.
Eingesetzt wurden die Doppelstockwagen vor allem S-Bahn- und Vorortverkehr. Im Volksmund wurden sie "Wendeei" genannt.
Aktueller Stand
Deutschland
Abgesehen von der Hamburg-Lübecker Strecke der Deutschen Bundesbahn fanden Doppelstockwagen nach dem Zweiten Weltkrieg vorrangig in der Deutschen Reichsbahn in der DDR große Verbreitung. Seit Mitte der 1990er-Jahre verbreitet sich in ganz Deutschland ein neu entwickelten Wagen-Generation der Deutsche Waggonbau AG (ehemalige Wumag, inzwischen von Bombardier Transportation übernommen) in ganz Deutschland. Diese werden als Wendezüge typischerweise mit Elektrolokomotiven der BR 111, BR 143 oder in zunehmendem Maße der BR 146 eingesetzt und verdrängen immer mehr die umgebauten Silberlinge.
Die Doppelstockwagen wurden in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt: Seit Ende der 1990er Jahre gebaute Wagen sind mit Klimaanlagen für den Fahrgastraum ausgestattet. Auch wurden etwa zur gleichen Zeit Drehgestelle mit Magnetschienenbremsen konstruiert, so dass damit versehene Wagen für den schnellen Regionalverkehr mit 160 km/h zugelassen werden konnten.
Unterschiedliche Varianten gibt es bei Anordnung und Art der Türen: Zum einen gibt es den Niederflur- oder Tiefeinstieg mit Türen im Unterdeck, der an niedrigen Bahnsteigen den Vorteil des nahezu höhengleichen Zuganges ohne Stufen bietet. Ein gegebenenfalls im Unterdeck angeordneter Mehrzweckraum, für dessen Einbau auf feste Sitzplätze verzichtet werden muss, lässt sich somit für Reisende mit Rollstühlen oder Kinderwagen, Fahrrädern oder größeren Traglasten leicht erreichen. Nachteilig an dieser Variante sind die schmalen Türen und die engen, langen Treppen zum Oberdeck, was bei großen Fahrgastströmen die Haltezeiten in den Stationen verlängert.
Zum anderen gibt es den Hocheinstieg durch breite, über den Drehgestellen angeordnete Türen. Diese ermöglichen von Hochbahnsteigen einen bequemeren Einstieg, einen besseren Fahrgastfluss im Innenraum und somit kürzere Standzeiten. An dieser Variante ist hauptsächlich die mangelnde Behindertenfreundlichkeit zu bemängeln, weil Stufen überwunden werden müssen. Mittelwagen mit Tiefeinstieg sind hauptsächlich in den östlichen Bundesländern sowie in Rheinland-Pfalz und Nordbayern anzutreffen, in den übrigen Bundesländern werden Wagen mit Hocheinstieg eingesetzt. Steuerwagen verfügen grundsätzlich über Tiefeinstieg und Mehrzweckabteil im Unterdeck.
Eingesetzt werden Doppelstockwagen bevorzugt auf RegionalExpress-Linien mit hoher Fahrgastdichte und mittleren bis langen Halteabständen. Auch mehrere S-Bahnen in Ostdeutschland fahren mit Doppelstockwagen (S-Bahn Leipzig-Halle, S-Bahn Dresden, S-Bahn Rostock, S-Bahn Magdeburg), allerdings widerspricht dieser Einsatz strenggenommen der Definition der S-Bahn, da nur sehr wenige (schmale) Türen zur Verfügung stehen und das hohe Gewicht einer guten Beschleunigung hinderlich ist.
In Niedersachsen besitzt die Landesnahverkehrsgesellschaft einen landesweiten Pool von Doppelstockwagen (und Lokomotiven), die in ihrem Auftrag von der privaten Eisenbahngesellschaft metronom eingesetzt werden.
Österreich
1997 wurden von der ÖBB 120 Doppelstockwaggons für den Einsatz auf der Südbahn und auf der Franz-Josefs-Bahn beschafft. Mit dieser Maßnahme konnte kurzfristig eine Erhöhung der Kapazität und der Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs in Niederösterreich erreicht werden. Vorher wurden bereits von der Graz-Köflacher Eisenbahn Doppelstock-Wendezüge eingesetzt.
Schweiz
Im Rahmen des Projekts Bahn 2000 wurden für den Fernverkehr von den SBB 341 Doppelstockwagen mit Tiefeinstieg des Typs IC2000 beschafft, angetrieben von der SBB Re 460. Dazu kommen 342 Doppelstockwagen mit Hocheinstieg und zu den Doppelstockwagen passende Lokomotiven des Typs SBB Re 450 der S-Bahn Zürich, welche seit 1991 verkehren und in Zügen zu Lok + 2 Mittelwagen + Steuerwagen eingesetzt und wie Triebzüge z.T. in Mehrfachtraktion gefahren werden.
Ab 2006 wird ein Doppelstocktriebzug eingesetzt, die SBB RABe 514 (Siemens Desiro).
Niederlande
In Holland verkehren seit den 90er Jahren lokbespannte Doppelstockzüge ähnlich wie in Deutschland (Typ DDM, Bild hier) sowie Doppelstock-Triebzüge des Typs IRM mit dem Spitznamen "Regiorunner", Bild hier.
Finnland
Die finnische Talgo-Tochter Talgo OY entwickelte einen Doppelstockzug für die Finnischen Eisenbahnen (VR), der wegen des großen finnischen Lichtraumprofils besonders komfortabel gestaltet werden konnte.
Frankreich
In Frankreich setzt man teilweise Doppelstock-TGVs (TGV Duplex) als Hochgeschwindigkeitszüge ein. Auch die Pariser Vorort-Schnellbahn RER verkehrt mit Doppelstockwagen.
Großbritannien
Das kleine Lichtraumprofil der britischen Bahnen lässt im Prinzip keine Doppelstockwagen zu. Allerdings erforderten die im Berufsverkehr ständig überfüllten Züge im Vorortverkehr im Südosten Londons, die von einer Zeitung gar als »Sardine Special« bezeichnet wurden, größere Kapazitäten. Als 1948 das Thema sogar auf die Tagesordnung des House of Commons kam, wurde der Einsatz von Doppelstockwagen untersucht.
Lancing and Eastleigh works fertigte zwei von O. V. S. Bulleid konstruierte Prototypen, die am 1. November 1949 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Sie bestanden aus zwei Triebwagen mit je einem Führerstand, zwischen denen zwei Mittelwagen liefen. Die Sitzebenen des »Unterhauses« und des »Oberhauses« waren dabei längs im Zick-Zack ineinandergeschachtelt. Da trotzdem das Lichtraumprofil geringfügig überschritten wurde, durften sie nur auf bestimmten Strecken verkehren. Die Züge erlebten noch mehrere Werkstattaufenthalte, bis im Dezember 1950 entschieden wurde, keiner weiteren zu beschaffen und stattdessen mit längeren Zügen zu fahren. Neben längeren Haltezeiten, da mehr Fahrgäste pro Tür ein- und aussteigen mussten, war der nicht nur durch die Enge hervorgerufene mangelnde Komfort und die schlechte Belüftung ein Grund. Verschärft wurde das Platzproblem dadurch, dass die Fahrzeuge auf herkömmlichen Rahmen saßen um den Antrieb unterflur unterzubringen, weshalb dieser Bereich nicht als Fahrgastraum zur Verfügung stand.
1971/1972 wurden die beiden Züge ausgemustert. Die Bulleid Double Decker Society versucht, die zwei erhaltenen Triebwagen zu restaurieren und zu erhalten.
Spanien
Die spanische Waggonbaufirma Talgo entwickelte einen Doppelstockzug, der im Oberdeck breite Durchgänge zum nächsten Wagen hat. Die Wagenkästen sind bei diesem Zug so eingehängt, dass die Wagenkästen in den Kurven leicht zur Seite neigen (passive Neigetechnik). Unter den Ständern befinden sich die gelenkte Einzelräder. Dadurch ist eine Bauweise der Wagenkästen in Niederflurtechnik möglich.
Kanada
Im Pendelverkehr von und nach Toronto setzt GO-Transit seine charakteristischen Doppelstockzüge (grün-weißes Design mit abgesenkten Einstiegen) mit bis zu 10 Wagen in Dieseltraktion ein.
USA
In den USA werden Doppelstockwagen wegen der meist tiefliegenden Bahnsteige auch mit tiefliegendem Einstieg auf der unteren Ebene gebaut, wobei sich die Durchgänge zu den anderen Wagen im Oberstock befinden. Die Amtrak betreibt den "Superliner"-Luxuszug mit Doppelstockwagen. Die Colorado Railcar Manufacturing baut doppelstöckige Schienen-Triebwagen und Triebzüge [1].
Japan
Japan lässt den JR-E1 und JR-E4 (bis zu 1.634 Fahrgäste) als Hochgeschwindigkeitszug fahren.
Weblinks
- Geschichte der LBE-Wagen beim Verein Lübecker Verkehrsfreunde (www.vlv-luebeck.de)
- Geschichte der Görlitzer Doppelstockwagen (www.interlok.info) von einer Firma, die diese Wagen für Privatbahnen modernisiert