Operation Active Fence

militärischer Einsatz der NATO
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Operation Active Fence (Operation aktiver Zaun) ist der Titel der NATO-Operation zum Schutz des NATO-Mitglieds Türkei vor Angriffen aus dem im Bürgerkrieg befindlichen Nachbarstaat Syrien. Patriot-Flugabwehrraketen (MIM-104 Patriot Phased Array Tracking Radar to Intercept On Target), ein bodengestütztes Mittelstrecken-Flugabwehrraketen-System zur Abwehr von Flugzeugen, Marschflugkörpern und taktischen ballistischen Mittelstreckenraketen sollen das türkische Grenzgebiet zu Syrien schützen. Das Mandat der Deutschen Bundeswehr war zunächst mit 400 Mann auf ein Jahr bis Januar 2014 befristet, wurde jedoch bis Ende Januar 2015[veraltet] verlängert.[1]

Türkei (rot) und Syrien (grün)

Ausgangslage

Im Laufe des Bürgerkrieges schlugen immer wieder Artillerie- oder Mörsergranaten auf der türkischen Seite der Grenze ein. Dies führte zum militärischen und politischen syrisch-türkischen Konflikt 2012. Die türkisch-syrische Grenze ist rund 900 Kilometer lang (Landgrenze). Die Türkei verfügte 2013 über keine eigene Raketenabwehr. Politisch verlangte die türkische Führung 2012 den Rücktritt des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Im Herbst 2012 wurde bekannt, dass die Türkei NATO-Hilfe, wie z.B. Patriot-Flugabwehrraketen anfordern werde.

Von politischer und militärischer Seite gab es unterschiedliche Einschätzungen zur tatsächlichen Bedrohung der Türkei durch syrische Angriffe. Fest steht, dass das System keine Artilleriegranaten abwehrt, der Beschuss türkischen Grenzgebiets also nur den Anlass, nicht aber den Stationierungsgrund geliefert hat. Stationierungsgrund ist die Befürchtung, dass eine auf immer kleinerem Raum zusammengedrängte syrische Regierung, die der Türkei ein Mitverschulden an ihrem Schicksal zumisst, einen Chemiewaffen­einsatz gegen die Türkei befehlen könnte. Während feststeht, dass Syrien über Sarin-Sprengköpfe und Trägersysteme, also die technische Möglichkeit verfügt, und der Einsatz gegen eine Großstadt je nach Windverhältnissen verheerende Folgen haben könnte, hat die syrische Regierung andererseits erklärt, dass sie diese Waffen niemals gegen Zivilisten einsetzen werde. Die Plausibilität des Bedrohungsszenarios hängt also fast vollständig von einer Bewertung handelnder Personen ab.

Nur Deutschland, die Niederlande und die USA verfügen über das modernste Modell des Patriot-Systems.

Beschluss der NATO

Die Türkei hatte die NATO im November 2012 offiziell um Beistand gebeten. Die Außenminister der 28 Nato-Staaten beschlossen im Dezember 2012 in Brüssel die Stationierung von Patriot-Raketen. Für drei grenznahe Regionen entsprach die NATO der Türkei, für die Grenzregionen Hatay und Şanlıurfa sowie für fünf weitere Provinzen in Grenznähe lehnte die NATO jedoch eine Stationierung des Systems ab. Nach Angaben von NATO-Diplomaten betonten die NATO-Außenminister in einer Erklärung, dass die Abwehrraketen ausschließlich dem Schutz und der Verteidigung des Bündnispartners Türkei dienen sollten. Sie dürften demnach nicht eingesetzt werden, um eine Flugverbotszone über Syrien zu kontrollieren.[2]

Der damalige russische Präsident Putin bezeichnete diesen Einsatz vor dem Beschluss als „falsch“ und „Provokationen“ sollten unterbleiben. Er ließ verlauten, die Türkei und Russland wollten gemeinsam an „neuen Ideen“ für die Lösung des Konflikts in Syrien arbeiten. Russland ist der wichtigste Verbündete Syriens auf der internationalen Bühne. Zudem bezweifelte der russische Präsident damals, dass Syrien wirklich eine Bedrohung für die Türkei sei: „Syrien ist nicht in der Lage, jemanden anzugreifen.“ Nach dem Beschluss zeigte sich Russlands damaliger Außenminister Sergei Lawrow überraschend milde gestimmt. Er sagte, dies sei Sache der Türkei. Dagegen habe Moskau „keine Einwände“. Allerdings sollte laut Lawrow niemand glauben, dass eine militärische Lösung des Syrien-Konflikts möglich sei.[3]

Beteiligungen

Deutsche Beteiligung

 
Patriot-System der Bundeswehr; hier ein Startgerät der 4./21 bei der Hanse Sail in Hohe Düne

Das Bundeskabinett stimmte der Entsendung zu und bat den Bundestag um Zustimmung. Am 13. Dezember 2012 stimmte der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit dem Einsatz deutscher Patriot-Flugabwehrraketen in der Türkei zu. In namentlicher Abstimmung billigten 461 Abgeordnete dieses Bundeswehrmandat, 86 lehnten es ab. Es gab acht Enthaltungen. Der Beschluss enthielt die Genehmigung zur Entsendung von bis zu 400 Soldaten Anfang 2013.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) betonte, bei dem Einsatz handele es sich um eine rein defensive Maßnahme.[4] Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte nach dem Bundestagsbeschluss: „Ich bedanke mich beim Bundestag für die schnelle Beratung und die breite Zustimmung für das Mandat.“[5] Das Mandat ist bis Januar 2014 befristet und im Antrag waren die Kosten mit 25 Millionen Euro angegeben.

US-Beteiligung

Vor dem Bundestag hatte der damalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta die Verlegung von zwei Patriot-Einheiten in die Türkei genehmigt. Der US-Sender CBS News meldete, 400 US-Soldaten sollten verlegt werden, die das Raketenabwehrsystem bedienen.

Niederländische Beteiligung

Auch die Niederlande beteiligen sich an dem Einsatz mit zwei Batterien. Nach dem deutschen Bundstagsbeschluss entschied die niederländische Regierung in Den Haag, den Einsatz von Patriot-Abwehrraketensystemen zu genehmigen. Mit den Batterien sollten mehr als 360 niederländische Soldaten ein Jahr lang an der türkisch-syrischen Grenze stationiert werden. Der genaue Ort der Stationierung sollte in Abstimmung mit allen beteiligten Ländern festgelegt werden.

Reaktionen in der Türkei

Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung sieht den Einsatz positiv. Allerdings kam es auch zu Demonstrationen gegen die deutsche Beteiligung in mehreren Städten der Türkei am 20. Januar 2013. Am 22. Januar 2013 kam es in der türkischen Hafenstadt İskenderun zu einem tätlichen Angriff auf deutsche Soldaten durch türkische Zivilisten. Die fünf Bundeswehrangehörigen wurden von etwa 40 Personen angepöbelt und bedrängt. Einem Soldaten wurde ein Sack über den Kopf gezogen, in dem sich ein weißes Pulver befand. Türkische Sicherheitskräfte griffen unmittelbar ein und verhinderten eine weitere Eskalation. Bei dem Vorfall wurde kein deutscher Soldat verletzt.[6] Der „Bund Türkischer Jugendlicher“ (TGB) bekannte sich zu dieser Aktion.[7]

Entsendung

Am 6. Januar 2013 berichtete Hürriyet, dass bereits eine US-Vorhut auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Türkei eingetroffen sei. Erstes Personal und Ausrüstung landete bereits am 3. Januar und mehrere Flugzeuge, die Angehörige der 3-2 Air Defense Artillery (ADA) an Bord hatten, zogen nach. Insgesamt 400 US-Soldaten sollen in Incirlik stationiert werden. Die Amerikaner wurden in Gaziantep, 50 Kilometer nördlich von der syrischen Grenze, stationiert. Koordiniert wird der Einsatz vom in Stuttgart ansässigen Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa.

Das dänische RoRo-Schiff Suecia Seaways nahm am Morgen des 6. Januar im Travemünder Hafen das gesamte Material für den Einsatz in der türkischen Stadt Kahramanmaraş auf. Die Flugabwehrraketengeschwader 1 und 2, die Soldaten der 6. Kompanie des Logistikbataillons 161 und des Logistikzentrums der Bundeswehr aus Wilhelmshaven waren für die Organisation der Verlegung zuständig. Die Verlegung von Fahrzeugen und Containern erfolgte mit Unterstützung der Streitkräftebasis. Zusätzlich wurden auch die Sonderfahrzeuge der ABC-Abwehrtruppe (ABC-Spürpanzer Fuchs, TEP 90) sowie des Sanitätsdienstes angeliefert und verladen. 304 Fahrzeuge und über 100 Container incl. Einsatzfahrzeuge der Feldjäger sowie Gerät des IT-Sektors aus Fürstenfeldbruck und Sonderfahrzeuge (Kranfahrzeuge, Lkw) des Logistikbataillons wurden eingeschifft. Mit 3520 Tonnen Material verließ das Schiff Travemünde in Richtung Emden, wo es weiteres Material aufnahm. Am 21. Januar erreichte das Schiff den türkischen Hafen İskenderun.

Am 20. Januar 2013 wurden 240 Bundeswehrsoldaten als Hauptkontingent von Berlin aus in die Türkei verlegt. Stationiert sind sie im südtürkischen Kahramanmaraş und betreiben die Patriot-Flugabwehrsysteme. Die Soldaten stammen überwiegend aus den Flugabwehrraketengruppen 21 (Sanitz) und 24 (Bad Sülze) in Mecklenburg-Vorpommern und gehören zum „Deutschen Einsatzmodul Operation Active Fence Turkey“. Unter ihnen sind auch Sanitäter und Soldaten der ABC-Abwehrtruppe zum Schutz gegen atomare, biologische und chemische Angriffe.

Die Niederländer sind in Adana/Incirlik stationiert, etwa 100 Kilometer westlich der syrischen Grenze.

Am 21. Januar flogen 250 Soldaten von Eindhoven ab in die Türkei.

Einsatz

Am 30. Januar 2013 waren alle Patriot-Systeme einsatzbereit.[8]

Rezeption

Die Reichweite der stationierten Patriot-Raketen ist kürzer, als die Entfernung ihrer Stationierungsorte zur türkisch-syrischen Grenze, womit die politische Einschränkung auf eine rein defensive Rolle in geographische Fakten umgesetzt wurde. In Deutschland ermöglichte dies die Zustimmung der Grünen zur Stationierung, und damit die gewünschte breite Mehrheit im Bundestag.

Ferner dauerten Verlegung und Herstellung der Einsatzbereitschaft mehrere Wochen. Das Verhältnis Reichweite-Stationierungsorte und die lange Verlegungsdauer lassen anstatt eines rein militärischem vielmehr auf einen politischen Charakter des Einsatzes schließen. Daher wird argumentiert, der Einsatz diene zur Demonstration von Bündnissolidarität mit der Türkei, zur Rückversicherung für das Land und zur weiteren strategischen Anbindung der Türkei an den Westen.[9] Hingegen bewerten Kritiker des Einsatzes wie Jan van Aken die Stationierung der Raketen als einen weiteren Schritt hin zu einer militärischen Eskalation des Konflikts.[10]

Einzelnachweise

  1. http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYuxDsIwDET_KE4mBBtVQWJFiFK2NI1SQxNHrlsWPp5k4E56wz0dPKE02Q2DFaRkZ3hA7_AwfNQQt6BetHJZ1YJu8jx5lCXTjIJv6Op19MpR8lIpPgkWBrZCrDKxzNWszMUoHKHXpm200f-Y7_58O907Y3btpblCjvH4A7hoAFI!/
  2. http://www.tagesschau.de/ausland/nato436.html
  3. http://www.krone.at/Welt/NATO_beschloss_Patriot-Raketen_fuer_die_Tuerkei-Active_Fence-Story-343169
  4. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestag-stimmt-fuer-entsendung-deutscher-patriots-in-die-tuerkei-a-872960.html/
  5. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestag-stimmt-fuer-entsendung-deutscher-patriots-in-die-tuerkei-a-872960.html
  6. Türkei: Tätlicher Angriff auf deutsche Soldaten in Iskenderun. Bundeswehr, abgerufen am 22. Januar 2013.
  7. „Es war ein symbolischer Akt“, N-TV, 25. Januar 2013
  8. NATO: Four Patriot batteries operational in Turkey. Abgerufen am 1. Februar 2013.
  9. Felix F. Seidler: As the EU Crumbles, Only NATO Can Keep Europe Together. Royal United Services Institute, abgerufen am 1. Februar 2013.
  10. Tobias Armbrüster: Interview mit Jan van Aken. Deutschlandfunk, abgerufen am 1. Februar 2013.