Bevölkerungspolitik

politologischer Begriff
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Eine Bevölkerungspolitik ist eine Politik, die darauf gerichtet ist, die Einwohnerzahl und die Bevölkerungsstruktur der in einem bestimmten Gebiet lebenden Bevölkerung zu beeinflussen.

Grundlagen

Die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Bevölkerungspolitik werden von der Demographie (Bevölkerungswissenschaft) geliefert. Die Ziele der Bevölkerungspolitik werden von der Regierung, den politischen Parteien und den Interessengruppen der Gesellschaft formuliert und in Familienpolitik, Sozialpolitik und Einwanderungspolitik umgesetzt und in entsprechenden Gesetzen, z.B. in einem Zuwanderungsgesetz.

Ziele

Bevölkerungspolitik kann sehr unterschiedliche Ziele verfolgen, unter anderem:

  • Begrenzung des Bevölkerungswachstums damit die begrenzten Ressourcen eines Landes für die ganze Bevölkerung ausreichen (zum Beispiel: China, Indien und andere Entwicklungsländern).
  • Erhaltung einer ausgeglichenen Altersstruktur (Alterspyramide) in Ländern mit alternder Bevölkerung, durch Geburtenförderung oder Zuwanderung junger Immigranten.
  • Schnelleres Bevölkerungswachstum nach Epidemien oder Kriegen, Besiedlung und Nutzung bisher ungenutzter Landesteile. (Dies sind ausnahmslos historische Pänomene).
  • Bevölkerungswachstum in nationalistischen oder expansionistischen Staaten aus militärischen Gründen (zum Beispiel: manche Europäische Staaten während des 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert).
  • Veränderung der Bevölkerungsstruktur

Instrumente der Bevölkerungspolitik

Die möglichen Maßnahmen der Regierungen für eine aktive Bevölkerungspolitik sind relativ begrenzt. Zu unterscheiden sind sie danach, ob Bevölkerungswachstum oder Begrenzung des Wachstums angestrebt wird.

1. Maßnahmen zur Unterstützung des Bevölkerungswachstums

  • 1.1. Förderung der Einwanderung:
Durch die Förderung von Einwanderung kann eine Regierung die Bevölkerung ihres Staates am schnellsten erhöhen. Voraussetzung ist, dass das Land den Einwanderern gute Möglichkeiten bietet, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zuächst muss die Regierung die rechtlichen Schranken für die Ansiedlung auf ihrem Staatsgebiet niedrig halten. Als notwendig kann sich auch die gezielte Werbung um Migranten erweisen. Dies hat zudem den Vorteil, dass die Regierung den Zuzug jener Menschen fördern kann, die sie glaubt, zu benötigen.
Es hat sich jedoch erwiesen, dass die Steuerung der Einwanderung nach bestimmten Berufsgruppen, dem Alter oder den Herkunftsländern nur schwer möglich ist. Ein weiteres Problem ist in der heutigen Zeit, dass die massenhafte Einwanderung bei der alteingesessenen Bevölkerung nicht selten auf Ablehnung stößt.
In Regionen, deren Bevölkerungsrückgang durch die schlechte Arbeitsmarktlage bedingt ist (z.B. Ostdeutschland), ist die Einwanderung kein geeignetes Mittel zur demographischen Stabilisierung, weil dann auch die Migranten keine Arbeit finden.


Beispiele:

    • Erfolgreiche Einwanderungspolitik haben im 19. Jahrhundert die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien betrieben. Als Schlüssel erwies sich dabei, dass es kaum gesetzliche Hürden für den Zuzug gab.
    • Brandenburg-Preußen hat seine Grenzen im 17./18. Jahrhundert gezielt für Exulanten geöffnet. Zum einen wurden Konfessionsflüchtlinge (vor allem die Hugenotten) zur Belebung des städtischen Gewerbes aufgenommen, zum anderen wurden Bauern anesiedelt, die bisher wenig genutzte Gegenden urbar machten. Entscheidende Voraussetzung für den erfolg der Bevölkerungspolitik der Hohenzollern war die konfessionelle Toleranz.
    • Weitgehend erfolglos waren die Maßnahmen der serbischen Regierung, die in den 70er und 80er Jahren die Ansieldung von Serben im Kosovo fördern sollten, womit dort das Verhältnis zwischen den Ethnien stabil gehalten werden sollte. Die wirtschaftliche Lage des Kosovo war so schlecht, dass der Wanderungssaldo auch des serbischen Bevölkerungsanteils stets negativ blieb.
    • Mit der gezielten Anwerbung von Gastarbeitern aus dem südlichen Europa hat die Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren aktive Bevölkerungspolitik betrieben, deren Resultate (dauerhafte Ansiedlung der Arbeitsmigranten und Nachzug ihrer Familien) allerdings überhaupt nicht vorausgesehen worden sind.


  • 1.2. Steigerung der Geburtenrate
Um die Geburtenrate zu steigern, setzen die Regierungen vieler westlicher Staaten auf familienpolitische Maßnahmen. Diese bestehen aus steuerlichen Anreizen für Familien, Kindergeld, erweiterten Möglichkeiten der Kinderbetreuung außer Haus, um die Vereinbarkeit von Familie zu verbessern. Allerdings ist es bisher keinem EU-Land gelungen, mit diesen Mitteln, die Geburtenrate derart zu erhöhen, dass die Reproduktion der Bevölkerung gewährleistet wäre. (Dazu wären dauerhaft 2 Kinder pro Frau notwendig.) Mit den Mitteln der Familienpolitik wird sich die Überalterung der Bevölkerung in den westlichen postindustriellen Staaten nur leicht verlangsamen lassen, denn ihrem Erfolg stehen im wesentlichen zwei Sachverhalte entgegen: zum einen die nicht mehr zu beinflussende Abnahme des Anteils der Frauen im gebärfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung, zum anderen die gewandelten Lebenseinstellungen, die mit den Möglichkeiten der Empfängnisverhütung und Abtreibung seit etwa zwei Generationen im Zusammenhang stehen. Das heißt etwa 20 Prozent der Frauen entscheiden ganz gegen Kinder und noch mehr wollen nur eines bekommen. Daraus ergibt sich, dass zur Steigerung der Geburtenrate vor allem die Beeinflussung der Lebenseinstellungen junger Menschen und das Verbot empfängnisverhütender Mittel die wirkungsvollsten Mittel wären. Ersteres ist schwierig es dauert lange und ist nicht allein durch die Regierung zu beeinflussen; das Verbot von Empfägnisverhütung und Abtreibung würde nicht auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen, ist also politisch nicht durchsetzbar, ganz zu schweigen davon, wie man ein solches Verbot in offenen demokratischen Gesellschaften denn wirksam kontrollieren sollte.

2. Maßnahmen zur Verringerung des Bevölkerungswachstums

  • 2.1. Abwanderung
Abwanderung ist im Zusammenhang mit Bevölkerungspolitik allenfalls als ein passives Instrument zu sehen. Regierungen können lediglich dafür sorgen, dass der Auswanderung keine administrativen Schranken entgegenstehen. Im Großen und Ganzen hängt der Umfang der Abwanderung aber von erfolgversprechenden Möglichkeiten ab, sich in anderen Ländern ansiedeln zu können.
In der Geschichte war Abwanderung jedoch ein gängiges Mittel zum Abbau von Überbevölkerung. In agrarischen Gesellschaften war es schlicht eine Frage des Überlebens, dass ein Teil der Bevölkerung abwanderte, wenn die Erträge der Landwirtschaft nicht mehr zur Ernährung aller ausreichten. Die so ausgelösten Wanderungsbewegungen waren jedoch nicht selten mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden. Da heute einerseits die Weltbevölkerung weiter steigt, der Umfang der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen aber zurückgeht, ist die Abwanderung von Bauern in bisher ungenutzte Gebiete kaum mehr möglich.
  • 2.2. Geburtenkontrolle
Geburtenkontrolle ist das am weitesten verbreitete Mittel zur Einschränkung des Bevölkerungswachstums. Die Regierungen erlauben einerseits die Empfängnisverhütung und sorgen dafür, dass die Bevölkerung Zugang zu den dafür notwendigen Mitteln hat. Begleitend dazu muss die Bevölkerung über die Möglichkeiten der Empfängnisverhütung informiert und aufgeklärt werden. In autoritären Staaten kann die Regierung eine hohe Kinderzahl finanziell ahnden. Das kommunistische China war mit der Ein-Kind-Politik recht erfolgreich.
  • 2.3. Bildung und Entwicklung
Es hat sich gezeigt, dass mit steigendem Wohlstand und höherem Bildungsgrad der Menschen, die Geburtenrate sinkt. Investitionen in das Bildungswesen und die wirtschaftliche Entwicklung ärmerer Länder sind daher - wenn auch indirekt - eines der wirksamsten bevölkerungspolitischen Mittel.

Negative Bevölkerungspolitik

Eine sehr technokratische und gnadenlose Ausprägung hatte die explizit so genannte negative Bevölkerungspolitik, die vorwiegend während der Zeit des Nationalsozialismus im Großdeutschen Reich betriebene wurde. Diese strebte, unter der Parole "neuer Lebensraum im Osten", vor allem im osteuropäischen ländlichen Raum eine radikale Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung mittels groß angelegter und von langer Hand geplanter Umsiedlungen, Vertreibungen, Deportationen von slavischen Bevölkerungsgruppen und einer Politik des Aushungerns der als überflüssig empfundenen "nutzlosen Esser" (u.a. durch gezielte Wegnahme (Akquirierung) von Lebensmitteln für die Wehrmacht) an. Auch im Stalinismus, während der Kulturrevolution unter Mao Zedong in der Volksrepublik China oder bei den Roten Khmer in Kambodscha fanden sich Elemente negativer Bevölkerungspolitik.

Wirksamkeit von Bevölkerungspolitik und ihre Grenzen

Bevölkerungspolitische Maßnahmen zur Begrenzung des Bevökerungswachstums in ärmeren Ländern haben sich in den letzten Jahrzehnten als durchaus wirksam erwiesen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass direkte Bevölkerungspolitik in China am erfolgreichsten war, wo sie mit den Zwangsmitteln einer Diktatur durchgesetzt wurden. Diese aus ethischen Gründen abzulehnde Form der Bevölkerungspolitik lässt sich nicht auf andere Gesellschaften übertragen. Neben China haben vor allem jene Schwellenländer einen Rückgang der Geburtenrate zu verzeichnen, die eine positive wirtschaftliche Entwicklung aufweisen. Nachhaltige Entwicklung, von der weite Teile der Bevölkerung profitieren, ist daher geeigneter zur Begrenzung des Wachstums, als direkte bevölkerungspolitische Maßnahmen.

Um der Überalterung der Bevölkerung in den postindustriellen westlichen Gesellschaften entgegenzuwirken, gibt es außer der massenhaften Zuwanderung junger Menschen, kaum wirkungsvolle Mittel.

Deutschland heute

Deutschland hat heute zwei demografische Probleme, denen die Regierungen mit bevölkerungspolitischen Maßnahmen entgegenzuwirken versucht:

  • Überalterung der Gesellschaft + geringe Geburtenrate
  • Abwanderung vor allem junger Menschen aus Ostdeutschland in den Westen.

Diese beiden Probleme schaukeln sich in Ostdeutschland gegenseitig hoch, sodass die Bevölkerung in großen Teilen Ostdeutschlands jedes Jahr um 1 bis 3 Prozent abnimmt, wobei die Abwanderungsrate in den Dörfern höher ist als in den Städten.

Literatur

  • Aufhauser, Elisabeth: Bevölkerungspolitik. Zwischen Menschenökonomie und Menschenrechten. Wien

2003

  • Überbevölkerung Unterentwicklung. Diskurs um Bevölkerungspolitik. (= Journal für Entwicklungspolitik. Jg. 17, H. 1, Aufsatzsammlung). Frankfurt & Wien 2001
  • Dumont, Gérard-François: Europa stirbt vor sich hin... Bevölkerungspolitik vor dem Bankrott. Wege aus der Krise. Aachen 1997.
  • Dienel, Christiane:Kinderzahl und Staatsräson : Empfängnisverhütung und Bevölkerungspolitik in Deutschland und Frankreich bis 1918. (=Theorie und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. 10) Münster 1995.
  • Schlebusch, Cornelia: Bevölkerungspolitik als Entwicklungsstrategie : Historisches und Aktuelles zu einem fragwürdigen Argument. Frankfurt 1994.
  • Fuhrmann, Martin: Volksvermehrung als Staatsaufgabe? Bevölkerungs- und Ehepolitik in der deutschen politischen und ökonomischen Theorie des 18. und 19. Jahrhunderts. (=Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. N.F. Bd. 101) Paderborn u.a. 2002.
  • Feucht, Ralf: Beeinflussung demographischer Tatbestände durch den Staat. Eine Analyse zur bevölkerungspolitischen Kennzeichnung ausgewählter Politikbereiche in Deutschland. Baden-Baden 1999.
  • Hummel, Diana: Der Bevölkerungsdiskurs. Demographisches Wissen und politische Macht. Opladen 2000.
  • Höhn, Charlotte (Hrsg.): Demographische Trends, Bevölkerungswissenschaft und Politikberatung. Aus der Arbeit des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), 1973 bis 1998. (=Schriftenreihe des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. 28). Opladen 1998
  • Wichterich, Christa (Hrsg.): Menschen nach Maß. Bevölkerungspolitik in Nord und Süd. Göttingen 1994.
  • Lipinsky, Astrid: Menschenrechte und Bevölkerungspolitik. Chinas erstes nationales Bevölkerungs- und Geburtenplanungsgesetz. In: Jahrbuch Menschenrechte, Bd. 7 (2005), S. 169-178.




Siehe auch: Bevölkerungsexplosion, Überbevölkerung