Der Doppelbeschluss der NATO vom 12. Dezember 1979 bestand aus zwei Teilen:[1]
- Als „Nachrüstung“ und Modernisierung kündigte er die Aufstellung einer neuen Generation atomwaffenfähiger US-amerikanischer Raketen und Marschflugkörper – der Pershing II und BGM-109 Tomahawk – in Westeuropa an.
- Er bot dem Warschauer Pakt Verhandlungen über eine beidseitige Begrenzung sowjetischer und US-amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen an. Dabei waren die französischen und ein Teil der britischen Atomraketen aus dem Verhandlungsangebot ausgeschlossen.
Beide „komplementären“ Ansätze – Modernisierung und Rüstungskontrolle – sollten „parallel“ verlaufen.[2] Nach dem Scheitern einer ersten Runde von Verhandlungen wurden die Raketen ab 1983 aufgestellt. 1987 vereinbarten die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion im INF-Vertrag Rückzug, Vernichtung und Produktionsverbot aller Raketen mit mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa.
Militärstrategische Hintergründe
Die NATO ging seit ihrer Gründung 1949 immer davon aus, dass mit Angriffen aus dem Osten auf Westeuropa zu rechnen sei. Den vor allem quantitativ überlegenen konventionellen Armeen der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten konnte die NATO in ihrer Gründungsphase, besonders vor Einbeziehung Westdeutschlands in das Verteidigungsbündnis, nur relativ schwache Kräfte entgegenstellen. Deshalb verfolgte man in den 1950er Jahren das Konzept der „Massiven Vergeltung“: Auch konventionelle Angriffe auf das Territorium der NATO sollten umgehend mit einem massiven und umfassenden nuklearen Gegenschlag beantwortet werden können. Diese Strategie basierte auf der seinerzeit gegebenen klaren Überlegenheit der USA und NATO bei den Kernwaffen und Trägermitteln, die insbesondere im Strategic Air Command der USA konzentriert waren.
Die Sowjetunion dagegen sah jeden denkbaren Krieg mit den Westmächten unter dem Aspekt des Gegensatzes der beiden konkurrierenden Systeme. Sie erwartete, dass die USA das sowjetische System in jedem Fall zu zerstören beabsichtigten. Daher begründete man die eigene Aufrüstung als Abwehrmaßnahme gegen jeden denkbaren Überraschungsangriff der NATO unter Führung der USA von Westeuropa aus.
Bereits in den 1950er Jahren hatten die USA damit begonnen, neben nuklearfähigen Luftstreitkräften atomare Artillerie- und Raketensysteme in Westeuropa aufzustellen. Das Gebiet des Ostblocks lag in der Reichweite dieser Waffen. Der 1955 gegründete Warschauer Pakt rüstete seine Truppen ebenfalls mit Atomwaffen aus. 1958 entschied die NATO, westeuropäische US-Atombasen in ihr Verteidigungskonzept einzubeziehen, aber die letzte Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen den USA zu überlassen. Damit sollten diese in die Verteidigung Westeuropas eingebunden bleiben, sodass ein Angriff auf NATO-Mitgliedsstaaten als Angriff auf die USA selbst gewertet werden müsste. Die Sowjetunion sollte nicht damit rechnen, einen Krieg auf Europa begrenzen zu können.
Im Verlauf der 1960er Jahre stellte die Sowjetunion nach einer starken Aufrüstung ihrer interkontinentalen Trägersysteme für Wasserstoffbomben ein annäherndes nuklearstrategisches Gleichgewicht her. Seitdem galt im Grunde das Denkmodell des Gleichgewichts des Schreckens (Mutual assured destruction – MAD).
Im Zusammenhang mit der sowjetischen Aufrüstung bei den strategischen Waffen seit Beginn der sechziger Jahre hatte man bereits unter US-Präsident John F. Kennedy damit begonnen, über eine Anpassung der NATO-Strategie nachzudenken. Seit 1967 galt die aus diesen Überlegungen hervorgegangene Strategie der 'Flexible Response' offiziell. Im Kern ging es dabei um die Kontrollierbarkeit atomarer Kriegführung. Dies trieb das weitere Wettrüsten – gerade im Bereich der sogenannten nuklearen Gefechtsfeldwaffen (theater nuclear forces (TNF)) – enorm voran. Diese Waffen sollten als nächste Eskalationsstufe in einem mutmaßlich konventionell begonnenen Krieg auf dem „Schlachtfeld“ selbst und gegen das Hinterland eingesetzt werden
Die Entspannungspolitik der 1970er Jahre schlug sich in bilateraler Rüstungskontrolle zwischen den USA und der Sowjetunion nieder. Die ersten Rüstungskontrollverträge, SALT I (1972) und II (1979), legten die Obergrenzen bei den strategischen Atomwaffen, sowohl Trägersystemen wie deren Gefechtsköpfen, fest und sollten damit auf dieser Ebene ein stabiles Gleichgewicht herstellen. Dabei wurde der besonders für Europa zentrale Bereich der atomaren Kurz- und Mittelstreckenraketen jedoch ausgeklammert. Deshalb gingen die Rüstungsanstrengungen hier auf beiden Seiten unvermindert weiter. Es kam zu bedeutenden militärtechnologischen Neuerungen: vor allem elektronische Selbstlenkung in Bodennähe und Mehrfachsprengköpfe, die einzeln in verschiedene Ziele lenkbar waren. Sie spielten für die Atomkriegsstrategie der Flexible Response eine wesentliche Rolle.
Vorgeschichte
Die UdSSR begann seit 1976, ihre ältere gegen Westeuropa gerichtete Raketengeneration, die R-12 (SS-4 Sandal) und die R-14 (SS-5 Skean), allmählich gegen modernere Raketen vom Typ RSD-10 (SS-20 Saber) auszutauschen. Sie besaßen eine höhere Reichweite und Zielgenauigkeit und konnten mit atomaren Mehrfachsprengköpfen (MIRV) bestückt werden. Man rechtfertigte dies mit einer angeblichen eurostrategischen Überlegenheit der NATO (das britische und französische Nuklearpotential, atomar bewaffnete taktische Luft- und Landstreitkräfte).
In der auf mobilen Abschussrampen montierten SS-20 sahen die europäischen NATO-Verbündeten ihrerseits eine neue Bedrohung. Denn die SS-20 erschien geeignet, im Kriegsfall die Kommandozentralen und festlandgestützten Atombasen in Westeuropa präventiv zu zerstören. Damit würde ein Großteil ihrer Abschreckungswirkung neutralisiert. Bezüglich möglicher Gegenmaßnahmen bestand jedoch ein seit den 1950er Jahren bekanntes Problem. Helmut Schmidt sagte damals als Wehrexperte der SPD: Landgestützte Atomraketen würden das NATO-Vertragsgebiet zu einem Primärziel sowjetischer Präventivangriffe machen und damit die Sicherheit Westeuropas enorm herabsetzen. Sie könnten daher ebenso wenig im deutschen Interesse liegen wie die Verfügung der Bundeswehr über eigene Atomwaffen, die Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß damals anstrebten. Nach der Kubakrise 1962 erneuerte er diese Kritik mit den Worten:[3]
„Die Ausstattung der Bundesrepublik mit nuklearen Raketen, die Leningrad oder Moskau in Schutt und Asche legen können, müsste die Sowjetunion in der gleichen Weise provozieren, wie etwa die Ausstattung Kubas mit derartigen Raketen die USA herausfordern musste.“
Als Bundeskanzler trug Schmidt, in konsequenter Fortsetzung seiner früheren Warnungen, maßgeblich zum Zustandekommen des NATO-Doppelbeschlusses bei. Schon am 28. Oktober 1977 wies er in einer Rede vor dem International Institute for Strategic Studies in London auf die Gefahr einer unkontrollierten Aufrüstung im Bereich der Mittelstreckenraketen hin: Gelänge es nicht, diese in die Rüstungskontrollverhandlungen der Supermächte einzubeziehen, dann könne die Sowjetunion das bisherige strategische Gleichgewicht unterminieren. Ohne die SS-20 ausdrücklich zu nennen, wies Schmidt auf die gewachsene atomare Bedrohung Westeuropas hin: Solange ein sowjetischer Angriff hier letztlich nur durch interkontinentale (USA stationierte) und globale (U-Boot stationierte) atomare Vergeltung der USA abzuschrecken sei, zu der diese eventuell im Ernstfall nicht bereit wären (wegen des Risikos eines Gegenschlages auf ihr eigenes Staatsgebiet), bleibe Westeuropa erpressbar. Daher forderte Schmidt die Bereitschaft der NATO zu eigenen Gegenmaßnahmen, wobei Verhandlungsangebote Vorrang haben sollten.[4]
An der Zweitschlagsfähigkeit der NATO konnten die SS-20 freilich schon deswegen nichts ändern, weil sie die amerikanischen, britischen und französischen SSBN nicht vollständig ausschalten konnten. Deshalb sahen Rüstungsexperten in der SS-20 keine neuartige Bedrohungsqualität. Sie deuteten den Doppelbeschluss zweiseitig: Das Doppelangebot von Verhandlungen und angedrohter Aufrüstung sollte aus Sicht der europäischen NATO-Partner auch die USA zwingen, über diese Waffengattung zu verhandeln und einen Interessengegensatz zwischen USA und Westeuropäern in der NATO vermeiden.
Strategische Interkontinentalraketen waren noch als Abschreckungsmittel entwickelt und gedacht gewesen: Die neuen Mittelstreckenraketen dagegen erlaubten, Atomwaffen zielgenau gegen militärische Ziele und Führungsbunker einzusetzen, um die gegnerische Führung „enthaupten“ und so ausschalten zu können. Demgemäß passten die USA seit den 1980er Jahren ihre Militärstrategie der neuentwickelten Waffentechnologie an. Mutmaßungen gingen dahin, dass sich damit die USA vom erwarteten Kriegsschauplatz Mitteleuropa abkoppeln wollten und einen möglichen Atomkrieg auf Europa zu begrenzen suchten. Schon am 25. Juli 1980 leitete der damalige US-Präsident Jimmy Carter eine Abkehr vom herkömmlichen Gleichgewichts des Schreckens ein: Er sprach in der Presidential Directive 59 von einer „Gegenstrategie“ (countervailing strategy). Im Dezember jenes Jahres erschien zudem ein Artikel der Pentagonberater Colin S. Gray und Keith Payne mit dem Titel Victory is possible (‚Sieg ist möglich‘). Dieser beschrieb einen atomaren Überraschungsangriff der USA mit dem Ziel, die politisch-militärischen Führungskräfte der Sowjetunion auszuschalten, als notwendige „Option“ und kalkulierte dazu Millionen Todesopfer in Europa und den USA als akzeptabel ein.[5]
Ziel der US-Sicherheitspolitik schien nun, einen eventuellen Atomkrieg „führen“ und „gewinnen“ zu können. US-Präsident Ronald Reagan zeigte diesen Kurswechsel, indem er die im Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten vorgedachte Strategie offiziell übernahm und deren Erfinder zu seinen führenden Militärberatern machte. Zudem sollte mit der Strategic Defense Initiative (SDI) auch die sowjetische Zweitschlagsfähigkeit weitgehend ausgeschaltet werden. 1982 bestätigte Colin S. Gray im Air Force Magazin, dass die neuen atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen Teil der Enthauptungsstrategie seien und deshalb auf jeden Fall aufgestellt werden sollten:[6]
„Der NATO-Plan, 108 Pershing II und 464 landgestützte Cruise Missiles zu stationieren, beabsichtigt nicht, ein Gegengewicht gegen die SS-20 zu schaffen… Die NATO braucht eine gute Anzahl dieser 572 Startrampen, ob nun die Sowjetunion ihre SS-20 bis auf Null abbaut oder nicht.“
Darum deuteten europäische Kritiker den NATO-Doppelbeschluss als offensive Aufrüstungsandrohung.[7]
Am 6. Mai 1978 besuchte der Generalsekretär des ZK der KPdSU und Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR, Leonid Breschnew, die Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn wurde eine „Gemeinsame Deklaration zur Friedenssicherung, Entspannung und Abrüstung sowie Rüstungsbegrenzung“ bekanntgegeben. Darin heißt es u. a.: „Angesichts der zerstörerischen Kraft der vorhandenen und weiter zunehmenden Vorräte an Waffen aller Art sind konkrete Maßnahmen erforderlich, um das Wettrüsten einzudämmen. Dies ist nach Überzeugung beider Seiten ein Problem von erstrangiger Dringlichkeit und Wichtigkeit. Seine Bewältigung mit dem Ziel der allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle liegt im politischen und wirtschaftlichen Interesse aller Staaten und Völker der Welt, ungeachtet ihrer Größe, vor allem aber im Interesse ihrer Sicherheit … Beide Seiten betrachten es als wichtig, dass niemand militärische Überlegenheit anstrebt. Sie gehen davon aus, dass annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen. Ihrer Meinung nach würden angemessene Maßnahmen der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung im nuklearen und konventionellen Bereich, die diesem Grundsatz entsprechen, von großer Bedeutung sein.“
Beschluss
Am 12. Oktober 1977 wurde die High-Level Group (HLG) von der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) mit Vertretern aus zwölf NATO-Staaten eingerichtet, die die Grundlagen für den NATO-Doppelbeschluss schuf. Am 22. Juni 1978 billigte US-Präsident Jimmy Carter im Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten das Presidential Review Memorandum 38 (PRM), das die „politische Notwendigkeit“ neuer weitreichender Nuklearwaffen in Europa amtlich machte.[8] Auf der Konferenz von Guadeloupe im Januar 1979 mit den Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und den USA, gab US-Präsident Carter den NATO-Partnern die Absicht bekannt, neue Waffen für Europa bereitzustellen. Am 11. April 1979 wurde auf Drängen der deutschen Bundesregierung die Special Group on Arms Control (SG) (ab 1980: Special Consultative Group on Arms Control (SCG)) parallel und unabhängig von dem militärischen Gremium High-Level Group (HLG) etabliert. Die rüstungskontrollpolitische Beratergruppe berichtete dabei auch dem Nordatlantikrat.
Die Sowjetunion versuchte unterdessen diese Entwicklung zu einer Modernisierung und Nachrüstung im Vorfeld zu verhindern. Im Oktober 1979 reiste der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko nach Bonn und appellierte an die Bundesregierung, dem NATO-Beschluss nicht zuzustimmen.
In einer Sondersitzung am 12. Dezember 1979 unter dem Vorsitz von NATO-Generalsekretär Joseph Luns beschlossen die Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsstaaten (ohne Frankreich) in Brüssel die Stationierung von Mittelstreckenwaffen. Begründet wird dies durch die Entwicklung des ständig weiterwachsende Potentials von Nuklearsystemen des Warschauer Paktes: „Insbesondere hat die Sowjetunion die SS-20-Rakete disloziert, die durch größere Treffgenauigkeit, Beweglichkeit und Reichweite sowie durch die Ausrüstung mit Mehrfachsprengköpfen eine bedeutende Verbesserung gegenüber früheren Systemen darstellt, und sie hat den „Backfire-Bomber“ eingeführt, der wesentlich leistungsfähiger ist als andere sowjetische Flugzeuge, die bisher für kontinentalstrategische Aufgaben vorgesehen waren. Während die Sowjetunion in diesem Zeitraum ihre Überlegenheit bei den nuklearen Mittelstreckensystemen (Long-Range Theater Nuclear Force, LRTNF) sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgebaut hat, ist das entsprechende Potential des Westens auf demselben Stand geblieben. Darüber hinaus veralten diese westlichen Systeme, werden zunehmend verwundbarer und umfassen zudem keine landgestützten LRTNF-Raketensysteme. […] Gleichzeitig hat die Sowjetunion auch ihre Nuklearsysteme kürzerer Reichweite modernisiert und vermehrt und die Qualität ihrer konventionellen Streitkräfte insgesamt bedeutend verbessert. Diese Entwicklungen fanden vor dem Hintergrund des wachsenden Potentials der Sowjetunion im interkontinentalstrategischen Bereich und der Herstellung der Parität mit den Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet statt.“[1]
Die Minister gaben danach einer Dislozierung von US-amerikanischen bodengestützten Systemen in Europa mit 108 Abschussvorrichtungen für Pershing II, die die derzeitigen amerikanischen MGM-31 Pershing ersetzen sollten, und 464 bodengestützten Marschflugkörpern (Cruise Missiles) vom Typ BGM-109 Tomahawk (GLCM) ihre Zustimmung. Sämtliche Systeme sollten jeweils mit nur einem Gefechtskopf ausgestattet werden. Das Programm sollte die Bedeutung nuklearer Waffen für die NATO nicht erhöhen und in diesem Zusammenhang so bald wie möglich 1000 nukleare Gefechtsköpfe der USA aus Europa abgezogen werden. Weiterhin beschlossen die Minister, dass die 572 Gefechtsköpfe innerhalb dieses verminderten Bestands untergebracht werden sollten.
Zugleich bot die NATO der Regierung der UdSSR sofortige Verhandlungen an, mit dem Ziel, nuklear bestückte Mittelstreckenwaffen völlig aus Europa zu verbannen. Sollten diese Verhandlungen scheitern, würden die nuklearen Mittelstreckensysteme (LRTNF) vier Jahre später (1983) stationiert werden.
Am 25. Dezember 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein (siehe Afghanischer Bürgerkrieg und sowjetische Intervention). Damit war die Entspannungspolitik gescheitert, und die Beziehungen zwischen Ost und West erreichten einen weiteren Tiefpunkt im Kalten Krieg.
Auf der Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) in Montebello, Kanada, am 27. und 28. Oktober 1983 erklärten die Minister, dass es die Politik des Bündnisses sei, den Frieden zu bewahren und dafür Streitkräfte auf dem niedrigsten Stand zu unterhalten, der erforderlich sei, um die Bedrohung des Warschauer Pakts abzuschrecken. Am NATO-Doppelbeschluss wurde festgehalten und der Bestand an Nuklearwaffen in Europa um 1000 nukleare Gefechtsköpfe bis 1983 verringert. Darüber hinaus wurde auf der Sitzung der NPG entschieden, weitere 1400 nukleare Gefechtsköpfe in den nächsten Jahren abzuziehen. Außerdem wurde festgelegt, dass diese Reduzierung nicht durch eine eventuelle Stationierung von Mittelstreckenwaffen größerer Reichweite (Longer-Range Intermediate Nuclear Force; LRINF) berührt wird, da jeder nukleare Gefechtskopf einer Pershing II oder eines landgestützten Marschflugkörpers (GLCM) gegen einen anderen Gefechtskopf ausgetauscht wird.
Verhandlungen
Im Mai 1981 erteilte der Nordatlantikrat der High-Level Group (HLG) der NPG den Auftrag, die Bedrohung der NATO zu analysieren und die Verhandlungen über die Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) in Genf vorzubereiten.
Am 18. November 1981 unterbreitete US-Präsident Ronald Reagan der Sowjetunion den Vorschlag einer beiderseitigen Null-Lösung für landgestützte Mittelstreckenraketen, der den weltweiten Verzicht der USA auf Stationierung von Pershing-II-Raketen und landgestützten Marschflugkörpern vorsah und im Gegenzug von der Sowjetunion die Verschrottung aller SS-20-Raketen und Außerdienststellung der älteren SS-4 und SS-5 forderte.
Am 30. November 1981 begannen Abrüstungsverhandlungen in Genf, die zunächst keine Ergebnisse brachten. Zu Beginn der zweiten Runde der Abrüstungsverhandlungen in Genf gab die Sowjetunion am 25. Mai 1982 einen eigenen Vorschlag bekannt. Dieser beinhaltete einen Vertragsentwurf, der folgende beiderseitige Verpflichtungen vorsah:
- keine neuen Systeme von nuklearen Mittelstreckensystemen in Europa zu stationieren,
- alle am 1. Juni 1982 in Europa vorhandenen nuklearen Mittelstreckensysteme (Raketen und Mittelstreckenbomber) der NATO und der Staaten des Warschauer Pakts mit einer Reichweite von mehr als 1000 Kilometern auf maximal 300 Systeme für beide Seiten zu reduzieren,
- 255 britische und französische Sprengköpfe auf Seiten der USA anzurechnen,
- Marschflugkörper mit mehr als 600 Kilometern Reichweite sowie ballistischen Luft-Boden-Raketen (ASGM) weltweit zu verbieten.
Im Juli 1982 erreichte US-Unterhändler Paul Nitze in Genf einen Kompromiss zusammen mit seinem sowjetischen Verhandlungspartner Julij Kwizinski auf dem sogenannten Waldspaziergang. Dieser sah die Abrüstung sämtlicher Mittelstreckenraketen in Europa vor. Er wurde deshalb von beiden Regierungen in Moskau und Washington abgelehnt, sodass die Verhandlungen ergebnislos blieben.[9]
Am 21. Dezember 1982 gab der Generalsekretär der KPdSU Juri Andropow bekannt, dass die Sowjetunion bereit sei, die eigenen Mittelstreckenraketen auf die Anzahl der britischen und französischen Systeme, insgesamt 162 Raketen, zu reduzieren. Im Gegenzug sollten die USA auf die Nachrüstung gemäß dem NATO-Doppelbeschluss verzichten. Entsprechende SS-20-Raketen sollten aber nicht eliminiert werden, sondern würden außerhalb der Reichweite der Raketen in die östliche Sowjetunion verlagert.
Die Verhandlungen wurden jedoch ergebnislos abgebrochen. Grund hierfür war vor allem, dass die NATO die Einbeziehung der französischen und britischen Raketen strikt ablehnte. Beide Seiten setzten die Modernisierung ihrer Waffensysteme fort. Nach Angaben des deutschen Bundesministeriums der Verteidigung verfügte die Sowjetunion im September 1983 über 39 Stellungen mit 351 einsatzbereiten SS-20-Raketen mit maximal 1053 nuklearen Gefechtsköpfen, von denen 243 Raketen in den westlichen sowjetischen Militärbezirken Weißrussland, Karpaten und Ural aufgestellt waren. Zudem waren 1983 noch 248 SS-4- und SS-5-Raketen stationiert. So kam es zur Stationierung der Mittelstreckenraketen ab 1983. Das Scheitern der INF-Verhandlungen belastete ab November 1983 auch die Verhandlungen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Der Beschluss traf zudem auf starken Widerstand der Friedensbewegung. Ende Juni 1985 gab US-Vizepräsident George Bush bekannt, die Sowjetunion hätte 423 einsatzbereite SS-20-Raketen.
Gespräche zwischen der Sowjetunion und den USA wurden erst im März 1985 wieder aufgenommen, gleichzeitig begannen Verhandlungen über den START-Vertrag und über Verteidigungs- und Weltraumangelegenheiten. Es gab zwei Gipfeltreffen, eines im November 1985 in Genf und eines 1986 in Reykjavík. Anfangs wurde noch über Obergrenzen bei den Systemen verhandelt. 1986 begannen Diskussionen über eine komplette Abschaffung von Kernwaffen. Man konnte sich anfangs sogar vorstellen, dies bis zum Jahr 2000 zu verwirklichen. Am 22. Juli stimmte Gorbatschow dem Vorschlag zu, auch alle Mittelstreckenraketen ab 500 km Reichweite in den Vertrag einzubeziehen. Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten US-Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow in Washington den INF-Vertrag, der offiziell als The Treaty Between the United States of America and the Union of Soviet Socialist Republics on the Elimination of Their Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles bezeichnet wird. Der amerikanische Senat ratifizierte den Vertrag am 27. Mai 1988, am 1. Juni trat er in Kraft.
Stationierung
Die nuklearen Mittelstreckensysteme (Long Range Theater Nuclear Forces, LRTNF) der USA sollten im Rahmen der Nuklearen Teilhabe in den NATO-Staaten von 1983 bis 1987 stationiert werden:
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