Inge Hannemann (* 1968 in Hamburg) ist eine deutsche Bloggerin, Hartz-IV-Kritikerin (vgl. auch Arbeitslosengeld II) und seit April 2013 von der Arbeit freigestellte Mitarbeiterin eines Jobcenters im Hamburger Bezirk Altona.
Leben
Hannemann absolvierte Ausbildungen als Speditionskauffrau, Netzwerkadministratorin und Arbeitsvermittlerin.[1][2] Sie studierte Journalismus,[3] ist Mitglied von Ver.di, war 5 Jahre Mitglied bei den Jusos[4] und ist Fürsprecherin eines bedingungslosen Grundeinkommens.[5][6] Sie ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.
Kontroverse um Sanktionspraxis
Hannemann ist seit 2005 Mitarbeiterin beim Jobcenter Hamburg-Altona.[7] Presseberichten zufolge weigerte sich Hannemann über Monate hinweg, bei Regelverstößen Sanktionen zu verhängen.[8] Hannemann bestreitet diesen Vorwurf und gibt an, Sanktionen lediglich in begründeten Einzelfällen zurückgenommen zu haben.[9] Ob eine Sanktion überhaupt verhängt werden müsse, liege im Ermessen des Sachbearbeiters.[10] Zudem kritisierte Hannemann in ihrem Blog einige Umgangsweisen mit Beziehern von Arbeitslosengeld II sowie diesbezügliche Vorgaben. Aus diesen Gründen wurde sie im April 2013 durch ihren Arbeitgeber mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt und erhielt Hausverbot.[11] Dagegen klagt sie vor dem Hamburger Arbeitsgericht auf Weiterbeschäftigung.[12][13] Eine ihr angebotene Versetzung auf eine Stelle ohne Kundenkontakt im Bezirksamt Eimsbüttel lehnte Hannemann ab.[14] Der Eilantrag Hannemanns auf Weiterbeschäftigung wurde vom Arbeitsgericht am 30. Juli 2013 abgewiesen.[15] Die Klage auf Beschäftigung als Arbeitsvermittlerin wurde am 28. Februar 2014 vom Arbeitsgericht Hamburg durch Versäumnisurteil abgewiesen, da Hannemann keinen Antrag stellte, weil sie erst im Termin einen viele Seiten umfassenden Schriftsatz einreichen wollte und nicht sicher war, ob das Gericht den Vortrag als verspätet zurückweisen würde.[16] Sie hat nun die Möglichkeit, gegen das Versäumnisurteil Einspruch einzulegen, was zur Folge hätte, dass die Sache erneut vor dem Arbeitsgericht verhandelt würde. Über 16.000 Menschen forderten in einer Online-Petition das „Jobcenter Hamburg“ zur Zurücknahme arbeitsrechtlicher Sanktionen gegen Hannemann auf.[17]
Hannemann war die erste Mitarbeiterin eines deutschen Jobcenters, die sich öffentlich kritisch gegen die Arbeitsmarktpolitik der Agenda 2010 zu Wort meldete.[18] So führte sie in ihrem Altona-Blog und in diversen Vorträgen und Interviews aus, „Fordern und Fördern“, die erklärten Ziele des Hartz-Konzepts, seien längst technokratischen Vorgaben gewichen. Hartz IV verfolge nicht das Ziel, Arbeitslosen eine Perspektive für den Wiedereintritt ins Arbeitsleben zu bieten, sondern sie mittels Sanktionsdruck aus dem Leistungsbezug zu drängen. Die Bundesagentur für Arbeit erklärte noch während des laufenden arbeitsrechtlichen Verfahrens in einer Pressemitteilung, dass es die behaupteten Missstände nicht gebe und Hannemann tausende Mitarbeiter in den Jobcentern gefährde.[19] Sie habe sich nur den falschen Job ausgesucht.[20] Hannemann widersprach und gab an, sie könne ihre Kritik mit Dokumenten belegen.[21][22]
Am 20. November 2013 wurde die von Inge Hannemann am 23. Oktober 2013 eingereichte Petition "Arbeitslosengeld II – Abschaffung der Sanktionen und Leistungseinschränkungen (SGB II und SGB XII)" auf der Petitionsseite des Deutschen Bundestages zur Zeichnung zugelassen. Um das Quorum zu erreichen, werden 50.000 Unterschriften benötigt. Am 16. Dezember 2013 wurde diese Grenze erreicht.[23][24]
Auszeichnungen
Am 14. September 2013 wurde Hannemann mit dem taz-Panter-Preis 2013 für Zivilcourage ausgezeichnet.[25] Am 7. März 2014 erhielt sie den Clara-Zetkin-Frauenpreis 2014 der Partei Die Linke.[26]
Rundfunkberichte
- Rainer Schwochow: „Betriebsstörung“ – Eine Angestellte der Arbeitsagentur kämpft gegen Hartz IV in SWR2 Tandem vom 7. Oktober 2013 10:05 Uhr
- DRadio Wissen: Die Empörung einer Sachbearbeiterin Konstantin Zurawski und Sebastian Sonntag im Gespräch mit Inge Hannemann (Audiofile (MP3; 24,4 MB) ca. 51 Min.)
- Thomas Koch: „Gerechtigkeit“ - das Thema unserer Zeit mit Inge Hannemann, Whistleblowerin in der Arbeitsverwaltung auf YouTube in WDR5 Redezeit vom 27. August 2013
Weblinks
- Literatur von und über Inge Hannemann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- altonabloggt.wordpress.com
- ingehannemann.de
- NachDenkSeiten: Dichtung und Wahrheit der Bundesagentur für Arbeit – Ein „wutschnaubender“ Ausfall
- taz.die tageszeitung: Inge Hannemann nominiert für den taz Panther Preis 2013 [1]
- Susan Bonath: „Ich fürchte, daß unbezahlte Bürgerarbeit eingeführt wird“. Interview. In: junge Welt. 13. Januar 2014, S. 8 (online [abgerufen am 16. Januar 2014]).
Einzelnachweise
- ↑ Hartz IV-Kritik: Die Empörung einer Sachbearbeiterin. In: Deutschlandradio. 12. Mai 2013, abgerufen am 2. März 2014. , Minute 01:00
- ↑ Hartz IV-Kritik: Die Empörung einer Sachbearbeiterin. In: Deutschlandradio. 12. Mai 2013, abgerufen am 30. Juni 2013. , Minute 01:00
- ↑ Die Welt, 23. April 2013: Systemgegnerin – Die Hartz-IV-Rebellin im Jobcenter
- ↑ taz.de: „Mit zehn habe ich Brecht gelesen“
- ↑ YouTube.com: Was hält Inge Hannemann von einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE)? 15. Mai 2013, abgerufen am 7. August 2013.
- ↑ Daniel Bakir: Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann "Hartz IV gehört abgeschafft", Stern vom 27. Februar 2014
- ↑ Eine Frau kämpft für das Ende von Hartz IV. Auf: stern.de am 11. Juni 2013.
- ↑ Felix Horstmann: Inge Hannemann will Hartz IV kippen. In: Hamburger Morgenpost. 7. Juni 2013.
- ↑ RTL: Frühmagazin Punkt 6 vom 14. Juni 2013, ab 00:30:01.
- ↑ Hannes Lintschnig: Querulantin oder Kämpferin. „Mit zehn habe ich Brecht gelesen“. Interview. In: taz. 10. Mai 2013.
- ↑ Arbeitsagentur attackiert "Hartz-IV-Rebellin". Auf: ndr.de am 14. Juni 2013.
- ↑ Jürgen Dahlkamp:Widerstand aus Zimmer 105 in SPON vom 22. April 2013
- ↑ 15 Ga 3/13. Arbeitsgericht Hamburg verhandelt über einstweilige Verfügung einer Angestellten beim Jobcenter Hamburg – Entscheidung vertagt. Pressemitteilung. In: justiz.hamburg.de. Amtsgericht Hamburg, 6. Juni 2013.
- ↑ Jürgen Dahlkamp: Widerstand aus Zimmer 105. In: Der Spiegel. Nr. 17, 2013, S. 30–31 (online – 22. April 2013).
- ↑ 15 Ga 3/13. Arbeitsgericht Hamburg verhandelt über einstweilige Verfügung einer Angestellten beim Jobcenter Hamburg – Antrag abgewiesen. Pressemitteilung. In: justiz.hamburg.de. Amtsgericht Hamburg, 30. Juli 2013, abgerufen am 30. Juli 2013.
- ↑ Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28. Februar 2014, 13 Ca 236/13
- ↑ Klaus Schwärzel: Sofortige Rücknahme aller Sanktionen gegen die Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann. Petition. In: openPetition. 22. April 2013.
- ↑ Gina Bucher: Die sture Sachbearbeiterin. In: taz.de.
- ↑ Inge Hannemann gefährdet tausende Mitarbeiter der Jobcenter (Presse Info 035). Auf: arbeitsagentur.de am 14. Juni 2013.
- ↑ Stefan Kubon: Hartz IV – eine Gefahr für die Demokratie. Auf: publikative.org am 30. Juli 2013.
- ↑ Marian Krüger: Petition für Inge Hannemann. Auf: neues-deutschland.de am 19. Juni 2013.
- ↑ Gegendarstellung – Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit vom 14. Juni 2013. In: altonabloggt.wordpress.com. 14. Juni 2013.
- ↑ Petition 46483. In: epetitionen.bundestag.de. Deutscher Bundestag, 23. Oktober 2013.
- ↑ Reinhard Schwarz: Hartz IV prallt ab. In: neues-deutschland.de. 3. Dezember 2013.
- ↑ taz Panter Preis 2013 für Inge Hannemann, Joss Mondo, freitag.de, 16. September 2013
- ↑ Clara-Zetkin-Preis für „Women in Exile“ und Hartz IV-Rebellin Inge Hannemann
Personendaten | |
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NAME | Hannemann, Inge |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Bloggerin |
GEBURTSDATUM | 1968 |
GEBURTSORT | Hamburg |