Abraham Tokazier

finnischer Sprinter
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Abraham Tokazier (* 29. September 1909 in Helsinki; † 7. April 1976 in Stockholm)[1] war ein finnischer Sprinter.

Zielfoto des Rennens von 1938, mit Abraham Tokazier als Sieger (vorne)

Sportliche Laufbahn

Abraham Tokazier startete für den jüdischen Sportclub Makkabi Helsinki. 1934 nahm er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder an einer Hachschara (in Lettland oder Litauen) teil, um anschließend nach Palästina auszuwandern. Doch schon nach kurzer Zeit kehrte er nach Finnland zurück, weil er in Palästina einen Autounfall erlitten hatte.

Tokazier wurde einer der besten Sprinter Finnlands. Seine damalige Bestzeit lag bei handgestoppten 10,6 Sekunden über 100 Meter. Er war finnischer Vize-Meister und mehrfach für Länderkämpfe nominiert worden.[2]

Am 21. Juni 1938 startete Abraham Tokazier bei einem Sportfest im Olympiastadion Helsinki zur Eröffnung der neugebauten Sportstätte. Der Stadionsprecher Sulo Kolkaa verkündete über die Lautsprecher Tokaziers Sieg, den auch die Zuschauer gesehen hatten. Das Wettkampfgericht entschied jedoch, dass er den vierten Platz hinter drei anderen finnischen Läufern, alle zeitgleich mit 11 Sekunden im Ziel, belegt habe. Am nächsten Tag erschien in der auch heute noch größten Tageszeitung Helsingin Sanomat ein Zielfoto dieses Laufs, auf dem klar ersichtlich war, dass Tokazier der Sieger war.

Aufgrund dieses Vorfalls beendete Tokazier seine sportliche Laufbahn, die ursprünglich von einer Teilnahme an den für 1940 geplanten Olympischen Spielen in Helsinki hatte gekrönt werden sollen. Entschuldigungen von finnischen Sportfunktionären schlug er aus.[2] Später zog er nach Stockholm.

Hintergründe und Rehabilitierung

Bei dem Sportfest im Jahre 1938 waren hohe Ehrengäste aus NS-Deutschland vor Ort gewesen. Deren Anwesenheit gab Sporthistorikern Anlass zu der Vermutung, dass den finnischen Zielrichtern kein Irrtum unterlaufen sei, als sie Tokazier den Sieg absprachen, sondern dass es sich um Absicht gehandelt habe: „Daher muss angenommen werden, dass sich das kleine Land [...] der rassistischen Fernwirkung einer antijüdischen Sportpolitik im NS-Deutschland nicht entzogen hatte.“ Bis zu diesem Zeitpunkt habe es in Finnland niemals eine Benachteiligung jüdischer Sportler gegeben.[2] Die Historiker Simo Muir und Malte Gasche mutmaßten in ihrem 2013 erschienenen Buch Finland's Holocaust, Urho Kekkonen, damaliger Innenminister und Präsident des finnischen Sportverbandes Suomen Urheiluliitto (SUL) sowie späterer Staatspräsident, könnte seinen Einfluss auf die Kampfrichter geltend gemacht haben. Der Verband habe es nicht für opportun gehalten, dass jüdische Sportler sich auf vorderen Plätzen platzieren und damit eine Chance zur Aufnahme in Finnlands Olympiamannschaft von 1940 vor heimischem Publikum haben könnten.[3]

Jahre später bezeichnete der ehemalige Stadionsprecher Kolkaa die Entscheidung des Wettkampfgerichts als „die größte Ungerechtigkeit im finnischen Sportleben“.[2]

2013 veröffentlichte der finnische Autor Kjell Westö das Buch Hägring 38, in dem er den Vorfall um Tokazier ausführlich schilderte. In der Folge entschuldigte sich die SUL bei der Familie von Tokazier und gestand ihm 75 Jahre nach dem Rennen und 37 Jahre nach seinem Tod den Sieg des Rennens im Jahr 1938 zu, indem eine korrigierte Siegerliste veröffentlicht wurde. Das offizielle Resultat kann allerdings nach den Regeln der International Association of Athletics Federations nicht mehr nachträglich korrigiert werden.[4]

Leo-Dan Bensky, Ehrenvorsitzender von Makkabi Helsinki, begrüßte diesen „ersten Schritt“, vermisste aber das klare Eingeständnis, dass hier aus politischen und rassistischen Gründen manipuliert worden war.[3]

Einzelnachweise

  1. Meliza's Genealogy. Meliza's Genealogy, abgerufen am 6. März 2014.
  2. a b c d Boris Salomon/Giselher Spitzer: Warum wurde dem finnischen Makkabi-Sprinter Abraham Tokazier 1938 der Sieg aberkannt? In: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports. Meyer & Meyer, Aachen November 1999, S. 24 ff.
  3. a b Reinhard Wolff: Ein Verstorbener wird Erster. taz, 10. Oktober 2013, abgerufen am 6. März 2014.
  4. SUL pyytää anteeksi 75 vuotta vanhaa tuomarointivirhettä. Yle Urheilu, 18. September 2013, abgerufen am 6. März 2014 (finnisch).