Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15. Oktober 1844 in Röcken bei Lützen; † 25. August 1900 in Weimar) war klassischer Philologe und berühmter und einflussreicher deutscher Philosoph.

Leben
Ausbildung: 1858 bis 1864 Gymnasiast in Schulpforta; anschließend Studium in Bonn und Leipzig bei Friedrich Ritschl, auf dessen Betreiben er noch vor Promotion und Habilitation zum Professor der Philologie nach Basel berufen wurde. Dort lehrte er von 1869 bis 1879 an der Universität, wo er Jacob Burckhardt als Kollegen hatte. Bis 1889 lebte er als freier Autor von seinen Krankheiten getrieben an verschiedenen Orten, vorwiegend in Schweizer und oberitalienischen Gebirgsorten und an der See (Sils im Engadin, Genua, Nizza), bis er im Januar 1889 in Turin einen geistigen Zusammenbruch erlitt, der durch progressive Paralyse, einer durch Syphilisbakterien hervorgerufenen Gehirninfektion, verursacht war. Die letzten 11 Jahre verbrachte er in geistiger Umnachtung zunächst in der Irrenanstalt Jena, bei seiner Mutter in Naumburg und zuletzt in der Villa Silberblick in Weimar, wo er nach dem Tod seiner Mutter von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche gepflegt und als Schaustück ausgestellt wurde.
In seinem Geburtsort Röcken bei Lützen befindet sich heute im dortigen Pfarrhaus eine Nietzsche-Gedenkstätte. Ebenfalls zu besichtigen sind die Gräber der Familie.
Nietzsches Denken
Nietzsches Art zu denken und zu schreiben unterscheidet sich gravierend
von der Art, in der sowohl zu seiner Zeit als auch heute Wissenschaft betrieben wird.
Er begann als Philologe, begriff sich selbst aber zunehmend als Philosoph.
Doch greift es zu kurz, sich ihm so zu nähern.
Begriffe sind nach Nietzsche Vergröberungen.
Allerdings kommt man um Begriffe nicht herum, wenn man Sprache als Medium der Kommunikation benutzt.
Will man sich Nietzsches Denken erschließen, muss man seine Bücher
als Prosagedichte lesen, seine Sprache ist performativ.
Die folgenden Schlaglichter mögen das Denken Nietzsches illustrieren:
Ressentiment: Die einen haben es nicht nötig, die anderen können es sich nicht leisten. Herren- und Sklavenmoral: Sklavenmoral als Haltung derer, die sich für gut halten, weil sie das angenommene GegenÜber als schlecht bewerten, obwohl sie sich das nicht leisten können. Dem gegenüber die Haltung dessen, der bewusst oder zutreffender unbewußt Werte setzt, statt Werte, unter dem man leidet, zu beklagen. Zu dieser Dichotomie steht eine andere in enger Beziehung: Mitleid und Mitfreude. Beide treffen in dem berühmten Satz Gott ist tot, er ist am Mitleid mit den Menschen gestorben zusammen. Es ist niemand da, zu dessen Werten man aufschauen könnte und müsste, man ist für die Werte, die man vertritt, selbst verantwortlich. Der das Leben bejammert, hat allenfalls Mitleid. Der Mitfreude empfindet, bejaht, während ersterer das irdische Leben verneint. Nietzsches Dilemma ist in diesem Zusammenhang die Wirkung solcher Worte wie Herrenmoral oder Herrenrasse, als sie sehr leicht zu mißverstehen sind und auch entsprechend mißbraucht wurden. In gewisser Weise ist er dem selber erlegen, zumindest indem er die politische Dimension unterbewertet hat.
Ewige Wiederkehr: Im Gegensatz zum Gedanken, dass Geschichte auf einen Endzustand zuläuft. In Abgrenzung zu den großen Weltreligionen, insbesondere des Christentums (Erbsünde und Sklavenmoral), Marxismus, Islam und Judentum. Bei Nietzsche selbst oft gebraucht in der Formulierung Ewige Wiederkehr des Gleichen, was in der modernen Rezeption kaum noch vorkommt. Nietzsche ging zunehmend von der Vorstellung der Endlichkeit des Raumes aus, indem er entsprechende beschränkte Auffassungen der damaligen Physik für bare Münze nahm, wo er doch sonst soviel Phantasie hatte. Aus der angenommenen räumlichen Endlichkeit leitete er bei Annahme zeitlicher Unendlichkeit die Ewige Wiederkehr des Gleichen ab. In der heutigen Rezeption wird Nietzsche überwiegend so verstanden, wie er selbst sich hätte entschiedener verstehen können: Die Haltung, den eigenen Handlungen so zu begegnen, als würde man sie (in Variationen natürlich) immer und immer wieder tun müssen, ja dürfen. Und jede Lust will tiefe, tiefe Ewigkeit. Auch hier wieder die Bejahung. Nietzsches Dilemma war in diesem Zusammenhang, dass er offenbar die Spannung zwischen dem Potenzial und der erlebten Wirklichkeit nicht aushalten konnte und sehr wohl so etwas wie ein Sendungsbewusstsein hatte. Er wollte, dass die Welt für ihn auf etwas hinauslaufen möge, siehe sein erstes Dilemma.
Gattung Mensch als gescheiterer Versuch: Den Menschen als Tierart zu sehen, die evolutionär mißglückt ist. Loslassen können vom Mitleiden mit den Ergebnissen dieses Versuchs. Das wäre im Umkehrschluss die Fähigkeit zur Freude an den Ausnahmen. Loslassen vom Verständnis des Menschen als "Krone der Schöpfung", vom humanistischen Ideal, das ihn über das Tierreich erhebt. Dies auch als eine Bejahung dies Tierischen, als einer menschlichen Wurzel. Hat man sich erstmal vom Menschen, wie er bis heute geworden ist, freigemacht, kann man vielleicht darüber hinausgehen. So nur ist das Konzept des Übermenschen zu verstehen. Nietzsches Dilemma in diesem Zusammenhang war die Rezeption des Begriffs des Übermenschen, der wie der Begriff des Herren im rassistischen Sinne missinterpretiert wurde. Besonders jedoch war sein Dilemma, dass der Mensch Nietzsche scheitern musste und später erst seine Saat aufgehen konnte, aber nicht in Gestalt von Schülern, wie er es sich unbestritten erträumt hatte.
Nietzsche ist als Künstler zu lesen und sein Leben als Kunstwerk zu begreifen. Nietzsche als gescheiterter Versuch, als Baumaterial, aus dem geschöpft werden kann, ausgehend von der Bejahung der Welt, einschließlich ihrer Irrtümer, die Störungen als Adler zu begreifen, die dem Einsiedler die Nahrung bringen, eine tiefe Bejahung des Lebens, die das Spazierengehen mit Gedanken und Freunden immer und immer wieder erleben will.
Einflüsse
Nietzsche war stark von Arthur Schopenhauer und dessen Konzept vom "Willen" beeinflusst. Eine andere wesentliche Inspiration war die Musik Wagners, die ihm u.a. durch Hans von Bülow nahegebracht wurde. Die Schriften Richard Wagner in Bayreuth (4. Unzeitgemäße Betrachtung) und vor allem die Geburt der Tragödie (letztere ohne Wagner explizit zu erwähnen) feiern dessen Musikdrama als Überwindung des Nihilismus ebenso wie eines platten Rationalismus. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 in erbitterte Gegnerschaft um; Wagners Musik wurde zum "Nervengift" erklärt, er selbst als "Schauspieler" verspottet. Nietzsche war ein Vordenker für die Expressionisten sowie ein wichtiger Wegbereiter des Existenzialismus, diente dem Post-Strukturalismus als Inspirationsquelle und beeinflusste die Postmoderne. Der deutsche Nationalsozialismus bezog sich dezidiert auf Bruchstücke aus Nietzsches Gedankengut.
Dies ist in erster Linie Nietzsches Schwester zu verdanken, die zusammen mit von ihr beauftragten Mitarbeitern den Nachlass verfälschte (so wurde u.a. das "Werk" Der Wille zur Macht kompiliert, welches später auch in der Propaganda des Nationalsozialismus eine Rolle spielte) - sie versucht, seine Philosophie im deutschnationalen und antisemitischen Sinn umzudeuten, eine Geisteshaltung, die Nietzsche immer verachtet hatte und für die er auch seine Schwester verachtete. Ihre Willkür im Umgang mit seinen Nachlassfragmenten wurde schon von Zeitgenossen, insbesondere aber von Karl Schlechta kritisiert, der erstmals einen Teil des Nachlasses nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten edierte.
Eine kritische Studienausgabe aller Schriften Nietzsches in 15 Bänden (1967ff.) besorgten Giorgio Colli und Mazzino Montinari.
Nietzsche und der Wahrheitsbegriff
Nach Nietzsches Auffassung haben die Menschen stets an eine feste Wahrheit geglaubt (z.B. Gott, Moral, Vernunft, Wissenschaft, etc.). Aufgrund dieser Illusion haben sie nicht gesehen, dass es gar keine Wahrheit gibt, dass sie quasi selber Schöpfer ihrer Überzeugungen und Götter gewesen sind. Aufgrund ihrer Wahrheiten haben die Menschen sich klein gemacht. Mit Hilfe von "Gut" und "Böse" haben sie sich schuldig gemacht. Sie haben ihre Triebe, ihren Körper, ihren Willen verleugnet. Sie sind brave Arbeitstiere und brave Lämmer geworden. Hauptschuld trägt hieran das Christentum, die Religion der Selbstverleugnung und der "Herdenmoral". Da es keinen Gott und damit keinen festgelegten Sinn der Welt, der Geschichte und des Lebens gibt, sind die Menschen aufgerufen, sich diesen Sinn selbst zu geben. (nach: Christoph Helferich, Geschichte der Philosophie)
"Wir aber wollen die werden, die wir sind - die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-Selbst-Gesetzgebenden, die Sich-Selber-Schaffenden."
(Friedrich Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, Nr. 335)
Zitate
- Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. (Zarathustras Vorrede)
- Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht. (aus: Also sprach Zarathustra)
- Die demokratischen Einrichtungen sind Quarantäneanstalten gegen tyrannenhafte Gelüste.
- Nicht fort sollt ihr euch entwickeln, sondern hinauf.
- Geschichte handelt fast nur von schlechten Menschen, die später gutgesprochen worden sind.
- Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.
- Etwas Kurz-Gesagtes kann die Frucht und Ernte von vielem Lang-Gedachten sein.
- Man verdirbt einen Jüngling am sichersten, wenn man ihn verleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten als den Andersdenkenden.
- Jedes Wort ist ein Vorurteil.
- Gott ist tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? (aus: Fröhliche Wissenschaft, Nr. 125)
Werke
- Die Geburt der Tragödie, 1872 KSA 1
- Unzeitgemässe Betrachtungen, 1876 KSA 1
- Menschliches, Allzumenschliches, 1878 KSA 2
- Die Morgenröte, 1881 KSA 3
- Die fröhliche Wissenschaft, 1882 KSA 3
- Also sprach Zarathustra, 1885 KSA 4
- Jenseits von Gut und Böse, 1886 KSA 5
- Zur Genealogie der Moral, 1887 KSA 5
- Der Fall Wagner, 1888 KSA 6
- Götzen-Dämmerung, 1889 KSA 6
- Der Antichrist, 1895 KSA 6
- Nietzsche contra Wagner, 1895 KSA 6
- Der Wille zur Macht, 1901 (eine sehr selektive Ansammlung von Notizen aus verschiedenen Notizbüchern , die von Nietzsche selbst nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren, später aber von seiner Schwester veröffentlicht wurden) Nachlassbände der KSA: 7 (1869-1874), 8 (1875-1879), 9 (1880-1882), 10 (1882-1884), 11 (1884-1885), 12 (1885-1887), 13 (1887-1889)
- Ecce Homo, 1908 KSA 6 (ein Versuch einer Autobiographie; der Titel spielt auf Pontius Pilatus Äußerung beim Zusammentreffen mit Jesus von Nazareth an)
Ausgabe
- Werke. Kritische Gesamtausgabe [Sigle: KGW], hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin und New York 1967ff.
- Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden [Sigle: KSA], hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München und New York 1980.
- Briefe. Kritische Gesamtausgabe [Sigle: KGB], hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin und New York 1975ff.
- Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe [Sigle: KSB], hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München und New York 1986.
Literatur
- Nietzsche-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, hg. von Henning Ottmann. Stuttgart und Weimar 2000. ISBN 3-476-01330-8
- Gilles Deleuze, Nietzsche und die Philosophie. München 1976. ISBN 3-434-46183-3
- Arthur C. Danto, Nietzsche als Philosoph. München 1998. ISBN 3-7705-3230-9
- Curt Paul Janz, Friedrich Nietzsche. Biographie. 3 Bände. München 1981.
- Rüdiger Safranski, Nietzsche. Biographie seines Denkens München 2000, wieder Frankfurt/M. 2002. ISBN 3-446-19938-1
Weblinks
- http://quote.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche -- Zitate bei Wikiquote
- http://www.friedrichnietzsche.de
- http://www.f-nietzsche.de
- http://www.gutenberg2000.de/autoren/nietzsch.htm -- Texte beim Projekt Gutenberg-DE
- http://www.hypernietzsche.org/nnc/docs/links.html -- kommentierte Linksammlung
- http://www.geocities.com/thenietzschechannel/ -- mehr Texte
- http://www.nietzsche.de/
- http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/NietzscheFriedrich/
- http://nietzsche.is.uni-sb.de/index.html -- Nietzsche Online (Uni Saarbrücken)