Als Protobulgaren bezeichnet die Ethnologie die frühen Vorfahren der Bulgaren. Bei den Protobulgaren handelte es sich um mehrere, vermutlich überwiegend turkstämmige Nomadenstämme aus Zentralasien, die im 2. Jahrhundert (also noch vor den Hunnen) in die südrussische Steppe bzw. in das Gebiet zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer gezogen waren. Dort trafen sie auf andere Steppennomaden, finno-ugrische bzw. ural-altaische Stämme und Turkvölker (z.B. die Kutriguren, Utriguren, Sabiren, Saguren, Onoguren), nahmen die Reste der Hunnen auf, wurden durch die Awaren weiter westwärts getrieben und durch Chasaren angegriffen.
Neuere Untersuchungen jedoch, vor allem der beiden bulgarischen Sprach- und Geschichtsforscher V. Beshevliev und P. Dobrev, bringen die Protobulgaren und ihre Sprache mit den antiken Pamir-Völker in Verbindung1 (siehe auch: Iranier). Dabei beziehen sie sich auf eine deutlich frühere Zeitspanne als die Zeit der Wanderung nach Europa. Kritiker werfen ihnen jedoch eine Bulgaren nicht untypische Antipathie dem Türkentum gegenüber vor.
Zwischen Awaren und Chasaren vereinte in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts Chan Kubrat all diese Völker zum Großbulgarischen Reich, welches allerdings schon in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts von den ebenfalls turkstämmigen Chasaren vernichtet wurde.
Kubrats ältester Sohn Bayan hatte sich zwar den Chasaren unterworfen, seine vier Brüder aber spalteten sich mit bedeutenden Stammensteilen ab. Die nordwärts ziehenden Protobulgaren gründeten das Reich der Wolgabulgaren (bis 1237), die westwärts bzw. südwärts ziehenden Teile unter Kubrats Sohn Asparuch ab 678 das Donaubulgarische Reich, das bis zum Einbruch der Ungarn 895 faktisch den gesamten (nichtbyzantinischen) Balkan umfaßte.
Rund 90 protobulgarische Inschriften, in griechischer Sprache in Stein gemeißelt, sind aus der Zeit des ersten Donaubulgarischen Reiches (Bulgarien) erhalten geblieben und stellen wertvolle historische Zeugnisse dar.
In Bulgarien verschmolzen die Protobulgaren vor allem mit den Anten (die teils schon auf dem Balkan siedelten, teils erst mit den Protobulgaren aus Südrussland gekommen waren) und anderen Slawenstämmen zum Volk der Bulgaren. Die relativ dünne protobulgarische Herrscherschicht ging in den vier unterworfenen Slawenstämmen rasch auf, jedoch wird erst nach der Christianisierung der Bulgaren nicht mehr nach Protobulgaren unterschieden. Die heutigen 15% Türken in Bulgarien sind keine Nachkommen der protobulgarischen Türken des 7. Jahrhunderts, sondern spätere Einwanderer und Eroberer.
Bulgarische Herkunftssagen betonen jedoch neben der protobulgarischen und slawischen Abstammung auch eine Verwandschaft mit den Thrakern, die sich ebenfalls mit slawischen Neusiedlern und turkstämmigen Herrschern vermischt hätten. Sie streben damit neben der ethnischen auch eine geographische Kontinuität an.
Literatur
- Darlatt/Iwanowa: Taschenlexikon Bulgarien. Bibliographisches Institut Leipzig 1982
Weblink
1) Anmerkung: die zwei folgenden Links behandeln die strittigen Theorien bezüglich der Herkunft der Protobulgaren