Augenevolution

wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den evolutionären Schritten zur stammesgeschichtlichen Entstehung des Auges und ihrer Erforschung befasst
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Die Augenevolution befasst sich mit den evolutionären Schritten zur stammesgeschichtlichen Entstehung des Wirbeltierauges. Voraussetzung für die Evolution von Augen waren lichtempfindliche Pigmentzellen in frühen ein- oder mehrzelligen Augenflecken. Darauf aufbauend evolvierten seit dem Beginn des Kambriums echte Augen. Evolutionäre Unterschiede existieren bis heute nicht nur zwischen verschiedenen Augentypen, sondern auch beim Wirbeltierauge selbst. Die Komplexität des Wirbeltierauges gab in der Vergangenheit wiederholt Anlass zu Kritik an der Evolutionstheorie. Die Unklarheiten in dieser Fage können heute als historisch und überwunden gelten. Die Evolutionsschritte von einfachen Augenflecken und Lochaugen bis zum hochentwickelten Wirbeltierauge sind heute als Progressionsreihe darstellbar. Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob das Auge einmal oder mehrmals in der Evolution entstanden ist.

Das Auge im Tierreich

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Abb. 1 Wichtige Evolutionsschritte des Wirbeltierauges

95% der Tierarten besitzen Augen. Unter den 38 Bauplänen im Tierreich sind es sechs. Unter den Tieren mit Augen sind der Stamm der Wirbeltiere mit ca. 40.000 Arten, die Mollusken mit Muscheln, Schnecken und Tintenfische ca. 100.000 Arten und die Arthropoden mit Krebstieren, Spinnen und Insekten mit mehr als eine Million Arten. Die Stämme mit Augen dominieren somit das Tierreich.[1] Diese Dominanz wird darauf zurückgeführt, dass bereits zum Beginn der kambrischen Explosion vor 540 Millionen Jahren bei Trilobiten entwickelte Augen existierten und das Auge die Evolution der Tierstämme in der kambrischen Explosion steuerte, wobei durch Sehen und Gesehen werden ausgeprägte Anpassungen in Form von Räuber-Beute-Strukturen entstanden.[2] Sehen und Gesehen werden hatte grundlegenden Einfluss auf die sexuelle Selektion im Tierreich. Die Größenentwicklung der Tiere in dieser Phase wird als notwendige Voraussetzung für die Evolution echter Augen gesehen. Eine große Linse, eine großflächige Netzhaut und ein Gehirn zur Signalverarbeitung ist nur größeren Tieren möglich, wie sie die kambrische Explosion hervorbrachte.[1]

Methoden zur Erforschung der Augenevolution

Da die Anatomie des Auges fossil nicht im Detail überliefert ist und zudem der Fossilbericht der frühesten Wirbeltiere und ihrer unmittelbaren Vorfahren faktisch unbekannt ist, basieren die im Folgenden getroffenen Aussagen über die Evolution des Auges auf

  1. vergleichend-anatomischen Studien des Aufbaus des Auges (auch auf molekularer Ebene) in den einzelnen rezenten Wirbeltiergroßgruppen
  2. molekulargenetischen Untersuchungen der Verwandtschaftsverhältnisse dieser Wirbeltiergruppen
  3. dem Einsatz der Molekularen Uhr, der es ermöglicht, die Evolutionschritte einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zuzuordnen
  4. vergleichenden Studien zur Embryonalentwicklung in den einzelnen rezenten Wirbeltiergroßgruppen

Evolution des Lichtsegments Rhodopsin

 
Abb. 2 Augentierchen. Eukaryotischer Einzeller mit Pigment-Augenfleck und Fähigkeit, sich in Lichtrichtung zu bewegen (Fototaxis). 1. Geißel, 2. Augenfleck, 3. Stärkekörnchen, 4. Chloroplasten, 5. Vakuole, 6. Zellkern

Die Voraussetzung zur Entwicklung echter Augen bilden abgewandelte Nervenzellen in Form lichtempfindlicher Sinneszellen, sogenannte Fotorezeptoren, mit dem Lichtsegment Rhodopsin, auch Sehfarbstoff genannt. Dieses Pigment besteht aus einer jeweils bestimmten Variante des Proteins Opsin und aus Retinal, einer Vitamin A Variante. Ein Sehpigment kann immer nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Lichtspektrum absorbieren, z.B. blaues Licht mit ca. 433 Nanometer oder grünes Licht mit ca. 535 Nanometer. Tiere haben für dafür spezielle Zapfen für das Farbsehen entwickelt. Für rotes Licht mit 625 Nanometern existiert in der Tierwelt kein Zapfen. Rot wird aus anderen Farben zusammengesetzt, wird also im Gehirn künstlich erzeugt. Die Opsine sind sich in ihrer Struktur weitgehend ähnlich und gehen auf einen gemeinsamen Opsivorfahren zurück. Ihre Unterschiede, die evolutionär durch Duplikation und Divergenz entstanden, ermöglichen, dass Evolutionsstammbäume der Opsine abgebildet werden.[3]

Bei der Absorption von Licht wandelt der Fotorezeptor, bzw. Retinal die Lichtenergie mittels einer räumlichen Umformung seiner Proteinstruktur (Konformationsänderung) in spezifische elektrische Signale um, die über Nervenbahnen weitergeleitet werden. Fotorezeptoren existierten in der Stammesgeschichte lange bevor die Evolution von Augen im Kambrium einsetzte. Das früheste Vorkommen von Rhodopsin und damit die frühesten Spuren von Augenkomponenten war vermutlich in Vorfahren der heutigen Algen. So besitzt die Grünalge (Volvox) einen Augenfleck mit dem Pigment Rhodopsin. Von den Algen existiert keine stammesgeschichtliche (phylogenetische) Verbindung zu den Tieren, so dass der gemeinsame Vorfahre mit Rhodopsin über die Linie dervon Chloroplasten bei den Cyanobakterien gesucht werden muss. Diese sind auch die Vorfahren der Einzeller und damit der Tiere. Einzeller (Abb. 2) wie Dinoflagellaten besitzen bereits in einer einzigen Zelle das kleinste bekannte Miniauge und verwenden Rhodopsin.[4]

Eine Bestätigung, dass Rhodopsin in der Evolution nur einmal entstand, lieferte eine Studie 2004.[5] Danach besitzt der Ringelwurm (Platynereis), beide der bekannten Typen von Rhodopsin, sowohl dasjenige in den Augen der Wirbeltiere, das zum Sehen verwendet wird, als auch dasjenige im Gehirn von Nicht-Wirbeltieren, das in Zellen vorkommt, die nicht zum Sehen verwendet werden. Vorfahren des augenlosen Ringelwurms zählen zu den gemeinsamen Vorfahren der Wirbeltiere und der Wirbellosen und haben die beiden Rhodopsintypen aus einem gemeinsamen evolviert. Es kann daher als wahrschinlich angenommen werden, dass beide Rhodopsintypen in dieser Wurmlinie ihren gemeinsamen Vorfahren haben.

Einen Hinweis darauf, dass auch die beiden Sehpigmentzelltypen (Abb. 3) aus einem gemeinsamen Vorgänger entstanden, ergab die Entdeckung von Augen beim Seeigel. Seeigel wurden bis zur Entdeckung von äußerlich nicht sichtbaren, clusterartig gebündelten Fotorezeptoren in den Füßen der Tiere als augenlos angenommen. Seeigel sind Neumünder. Bisher unterschied man Urmünder (Protostomia) mit generell mikrovillären Fotorezeptoren, das sind solche mit der Einlagerung des Sehpigments in Ausstülpungen der nach außen gerichteten Fotorezeptorzelle und Neumünder (Deuterostomia) mit generell zilliären Fotorezeptoren mit Wimpernhärchen. Die Fotorezeptoren des Seeigels sind vom mikrovillären Typ. Da die Seeigel zu den Neumündern gehören, hatte man hier den zilliären Fotorezeptortyp erwartet. Da aber, wie jetzt ersichtlich, beide Fotorezeptortypen bei den Neumündern vorkommen, muss nun entgegen früherer Sichtweise für alle Typen ein gemeinsamer Vorgänger angenommen werden[6].


Evolutionsschritte des Wirbeltierauges

Die Evolution des Wirbeltierauges lässt sich grob in sechs Phasen gliedern (Abb. 1).[7] Danach hatten in einer ersten Phase bereits vor 600 Millionen Jahren einfache bilaterale Tiere rhabdomerartige (bürstenförmige) und ziliare (mit Wimpern ausgestattete) Fotorezeptoren mit entsprechenden frühen Formen des Sehpigment-Proteins Opsin entwickelt. In diese Sehpigmente sind lichtempfindliche Farbstoffe (Chromophoren) integriert, die entscheidend für die Licht-Wahrnehmung bei Tieren (Phototaxis) sind. Die Rezeptoren können dabei in sogenannten Augenflecken (Ocelli) konzentriert gewesen sein oder sie waren über den ganzen Körper verteilt.

 
Abb. 3 Rhabdomerischer Fotorezeptor bei Wirbellosen und ziliare Fotorezeptorzelle bei Wirbeltieren

In einer zweiten Phase zwischen 580 und 550 Millionen Jahren (spätes Proterozoikum) hatten die unmittelbaren Vorfahren der ersten Wirbeltiere fortgeschrittene ziliare Fotorezeptoren mit entsprechendem Opsin-Protein entwickelt. Diese waren den Fotorezeptoren der heute lebenden engsten Verwandten der Wirbeltiere, des Lanzettfischchens (Branchiostoma) und denen der lanzettfischchenähnlichen Larven der Manteltierchen (Tunicata), vermutlich sehr ähnlich.

In Phase drei, vor etwa 550–530 Millionen Jahren (frühes Kambrium), gab es bereits einen Fotorezeptortyp mit Außenmembran und einem für eine abgestufte Signalübertragung an der Synapse geeigneten Ausgang. Das Gewebe des Nervenknotens in der Kopfregion („Gehirn“) bildete beidseitig mit Fotorezeptoren bestückte Ausstülpungen (Vesikel, Augenbläschen). Diese Augenbläschen begannen sich nachfolgend wiederum becherförmig einzustülpen, wobei die Innenseite des Bechers die früheste Form der Netzhaut (Retina) darstellt. Mit der Einstülpung des Vesikels ging zudem die Anlagerung einer Frühform des Netzhautpigmentepithels an die „Proto-Netzhaut“ einher. Zudem entstand die Linsenplakode, homolog der gleichnamigen embryonalen Linsenanlage höherer Wirbeltiere. Die Linsenplakode verhinderte aber zunächst nur die Pigmentierung der über dem Augenvesikel liegenden Außenhaut des Kopfes, sodass die Außenhaut an diesen Stellen lichtdurchlässig blieb. Dieses frühe Auge, vor etwa 530 Millionen Jahren, noch ohne die bilderzeugenden Fähigkeiten der Netzhaut, kann mit dem der rezenten Schleimaale (Myxinoidea), den ursprünglichsten rezenten Wirbeltieren, verglichen werden.

Im nächsten, vierten Abschnitt vor etwa 530-500 Millionen Jahren (mittleres Kambrium) evolvierten fünf verschiedene neuartige Fotorezeptorzellen, die Zapfen, jede mit ihrem eigenen ziliaren Opsin, sowie Bipolarzellen und neuartige retinale Ganglionzellen (sogenannte biplexiforme retinale Ganglionzellen) als Voraussetzung für die anspruchsvollere Signalweiterleitung zum Sehnerv. Bipolarzellen und Ganglionzellen sind hierbei in einer drei-lagigen Nervenstruktur innerhalb der Netzhaut organisiert. Durch Einstülpung der Linsenplakode in den Augenbecher und anschließende Abschnürung entsteht die Linse. Akkommodation und Iris (und damit die Möglichkeit einer beschränkten Größenveränderung der Pupille) kamen später hinzu, sowie, für die Augenbewegung, extra-okulare Muskeln mit Nervenanbindung. In diesem Zeitraum, vor etwa 500 Millionen Jahren, existierte somit bereits ein Auge, das dem fast aller heutigen Wirbeltiere in Grundzügen vergleichbar war. Es hatte die Bauweise einer einfachen Kamera, konnte daher Bilder sehen und war dem Auge des heutigen Neunauges (Petromyzon) am ähnlichsten.

In Phase fünf, vor 500-430 Millionen Jahren (spätes Kambrium bis spätes Silur) evolvierte Myelin, das für eine schnellere Signalweiterleitung im gesamten Nervensystem sorgt. Dazu kommt ein weiterer neuer Fotorzeptor-Typ, die Stäbchen, die das Sehen bei schwachem Licht ermöglichen. Sie Stäbchen nutzten das für Wirbeltiere charakteristische Sehpigment Rhodopsin. Die Iris wurde hoch kontraktil und konnte die Pupillengröße nunmehr optimal an die Lichtverhältnisse anpassen (Adaptation). An der Innenseite des Augapfels entstanden Muskeln für die Linse, die eine verbesserte Akkommodation ermöglichten. Dieses schon relativ hoch entwickelte Auge kennzeichnete vermutlich die heute ausgestorbenen gepanzerten kieferlosen Fische („Ostracodermi“) und wahrscheinlich war es auch jenem Auge sehr ähnlich, das bei vielen heutigen Fischen, und damit bei kiefertragenden Wirbeltieren (Gnathostomen), anzutreffen ist.

Vor weniger als 430 Millionen Jahren wurde in der letzten, sechsten Phase die Linsenoberfläche transparent, die Linse nahm später, im Zuge der Entwicklung der Landwirbeltiere (Tetrapoden) ab ca. 375 Millionen jahren (spätes Devon), eine im Querschnitt elliptische Form an. Dies war nötig, da das Licht beim Übergang von Luft in die Hornhaut stärker gebrochen wird, als beim Übergang von Wasser in die Hornhaut. Zum Schutz der Augen vor Austrocknung an der Luft entstand das Augenlid. Das Auge entwickelte nach und nach eine immer bessere Sehschärfe und Akkommodationsfähigkeit.[7]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Wirbeltierauge von den einfachsten, nur hell-dunkel unterscheidenden Vorgängerformen bis zum modernen, zum Sehen hoch aufgelöster, farbiger Bilder befähigten Linsenauge der meisten Gnathostomen einen Evolutionszeitraum von etwa 200 Millionen Jahren benötigte. Alle grundlegenden Merkmale, die auch das Auges des Menschen auszeichnen, könnten nach weiteren 50 Millionen Jahren, am Ende des Devons, bereits vorhanden gewesen sein. Mehr als 200 Millionen Jahre später reduzierte eine Reihe endothermer und damit zur nachtaktiven Lebensweise fähiger Landwirbeltiere (z. B. Eulen oder Katzen) einige dafür unnötige Fotorezeptoren wieder. Sie passten ihre Netzhaut noch anderweitig an das Nachtsehen an. Daneben treten auch in anderen Entwicklungslinien der Kiefermäuler Spezialisierungen des Auges mit entsprechender Modifikation des Gnathostomen-Grundtypus auf.

Linsenevolution

 
Abb. 5 Modell der schrittweisen Evolution eines Linsenauges.

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Die Linse ist eine evoltionäre Innovation als ein diskretes neues Element, das dem Bauplan hinzugefügt wird. Jedoch traten die Bestandteile der Linse nicht erst mit ihrem Erscheinen im Organimsus auf. Die wichtigsten Proteine, aus denen die Wirbeltierlinse besteht, die drei Kristalline vom Typ alpha, beta und gamma, mussten nicht evolutionär speziell für das Auge entwickelt werden, was die Erklärung einer schrittweisen Evolution des Auges plausibler macht. Linsenproteine sind opportunistische Proteine; sie stammen von existierenden Proteinen mit anderen Funktionen in anderen Teilen des Organismus ab, so etwa in Gehirn, Leber, Lunge, Herz. Im Verlauf der Evolution spezialisierten sie sich in der Linse und nahmen neue Funktionen an (Exaptation). Weshalb manche Kristalline Enzymcharakter haben, ist heute nicht geklärt.[1] Die Schwierigkeit, das Entstehen der Linse als von der Netzhaut unabhängige Augenkomponente evolutionär erklären zu können, kann als überwunden gelten, seit das Vorhandensein von Kristallinen in Organismen ohne Augen sowie der Induktionsmechanismus für die Induktion der Linsenplakode bekannt sind, die die schrittweise embryonale Entwicklung des Wirbeltierauges steuern. War eine erste, primitive, plane Linse vorhanden, war ihre evolutionäre Weiterentwicklung ein wiederholter Prozess von Mutation und natürlicher Selektion, in dessen Verlauf sich eine verbesserte ovale, transparente und akkommodationsfähige Linse nach und nach entwickeln konnte (Abb. 5). Ein Modell für die Evolution eines Linsenauges vom Typ Fisch (1994) berechnete 400.000 erforderliche Generationen bzw. Jahre. Dabei wurde von einer Veränderungsrate von 1% je Generation ausgegangen. Das Modell enthält keine additiven Elemente wie Iris oder Muskeln, die in den Prozessschritten parallel evolviert sein können[8] (Abb. 5)

 
Abb. 4 Tiefseegarnele mit nackten, linsenlosen Netzhaut-Augen auf dem Rücken, der frühesten Evolutionsstufe echter Augen

Die Linse kann neben der Netzhaut als einer der beiden großen Komplexe des Wirbeltierauges gesehen werden. Während die Linse zusammen mit Hornhaut und Iris das einfallende Licht bündelt und auf die dahinterliegende Netzhaut fokussiert, sorgt die Netzhaut für die Umwandlung der Lichtsignale in elektronische Signale und für deren Weiterleitung zum Gehirn, wo die Endverarbeitung der Informationen erfolgt. Heute ist anerkannt, dass selbst eine primitive Linse, die noch keine Unterstützung durch eine Hornhaut besitzt und nicht akkommodieren kann, evolutionär eine bessere Sehfähigkeit besitzt als ein Auge ohne Linse. Es verfügt bereits über eine gewisse Bildauflösungsfähigkeit. Augen ohne Linse, wie sie die Garnele Rimicaris exoculata auf ihrem Rücken besitzt, ein Tier, das in der Nähe von Schloten in tiefen Meeresgewässern lebt, ist dagegen evolutionär vorteilhafter als gar kein Auge.[1] Die Lichtempfindlichkeit ist hier maximal, die Bildauflösungsfähigkeit minimal.

Lichtabgewandte (inverse) und lichtzugewandte Lage der Fotorezeptoren

Das Wirbeltier- und Oktopusauge sind ähnliche Konstruktionen. Beide sind Kameraugen mit einer Linse vorn und einer Netzhaut hinten. Dennoch sind sie konvergente Evolutionsproukte. Die Unterschiede werden in der embryonalen Entwicklung deutlich: Das Wirbeltierauge wird als Teil des Gehirns angesehen, da seine erste Anlage aus diesem hervorgeht (Augenentwicklung (Wirbeltiere)) . Dies ist zum Beispiel beim Oktopus, der nicht zu den Wirbeltieren sondern zu den Kopffüßern zählt, nicht der Fall, bei dem das Auge evolutionär durch Einstülpung der äußeren Oberfläche entstanden ist. Der Entwicklungsvorgang beim Wirbeltier mit einer invertierten Retina hat mehrere Konsequenzen: Erstens generiert der inwendig gebündelte, zum Gehirn führende Sehnerv einen blinden Fleck, da sich an der Stelle, wo er aus dem Auge austritt, keine lichtempfindlichen Sinneszellen befinden. Zweitens liegen die Nervenfasern, Nervenzellen und Blutgefäße auf der zum Licht hin gerichteten Innenseite, sodass das Licht diese durchqueren muss, bevor es die Fotorezeptoren erreicht. Drittens sind die langen Fotorezeptorfortsätze der Zapfen und Stäbchen nach außen zum Pigmentepithel hin gerichtet – also vom Licht weg.[9][10] Das Licht muss demnach also sowohl die aufliegenden Schichten durchqueren als auch ungestreut die Fotorezeptoren selbst, bevor es auf deren lichtsensitive Außensegmente trifft (Abb. 10). Beim Oktopus gestaltet sich der Weg einfacher; bei ihm trifft das Licht unmittelbar auf die Rezeptoren (Abb. 6).

 
Abb. 6 Wirbeltierauge (links) und Oktopusauge. Netzhaut (rot), Nerven (blau

Diese Unterschiede waren immer wieder Gegenstand heftig geführter Diskussionen um die Perfektion des Auges und speziell darum, ob das Wirbeltierauge wegen der Inversionslage der Fotorezeptorzellen evolutionär unglücklich gebaut ist. In dieser Diskussion müssen die jeweiligen Vorteile der beiden Konstruktionsformen verglichen werden. Auf den ersten Blick erscheint die dargestellte Augenkonstruktion des Wirbeltiers ungünstig. Sie hat jedoch den Vorteil, dass die lichtempfindlichen Zellen direkt in das Netzhautpigmentepithel, das ihrer Stützung dient, eingebettet sind. Auf diese Weise ist eine optimale Blutversorgung der Fotorezeptorzellen möglich. Diese ist erforderllich, da die Netzhaut das energiereichste Organ im Körper ist und mehr Sauerstoff verbraucht als das Gehirn. Die scheinbar ineffiziente Anordnung der Fotorezeptorzellen auf der inversen, lichtzugewandten Seite ist demnach unter dem Gesichtspunkt der Energieversorgung hochwertig. [1]

Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Wirbeltieraugen

 
Abb. 7 Retroreflexion bei Katzenaugen durch das Tapetum lucidum auf der Netzhaut

Wirbeltieraugen müssen spezifischen Anforderungen genügen, etwa für die Wahrnehmung bei Dunkelheit (Katzen, Nachtvögel) oder ein scharfes Sehen in großer Entfernung (Greifvögel). Insbesondere Katzen, aber auch Hunde, Pferde und Rinder haben beispielsweise als Restlichtverstärker für eine erhöhte Nachtsichtfähigkeit eine retroreflektierende Schicht hinter oder inmitten der Netzhaut entwickelt, das Tapetum lucidum (Spiegelauge) (Abb. 7).[11] Bei Greifvögeln treten andere Entwicklungsunterschiede hervor. Ihre Augen sind verhältnismäßig groß, was einen hohen Lichteinfall und damit ein großes Abbild des Sehobjekts auf der Retina und im Gehirn ermöglicht. Die großflächigere Aufteilung des fixierten Objekts auf eine höhere Anzahl von Netzhautzellen führt zu einem detailreicheren Bild.

Die Augen der Greifvögel werden auf der Kopfvorderseite, also frontal ausgebildet, was die gleichzeitige Wahrnehmung eines Objekts mit beiden Augen ermöglicht. Gestattet diese Anordnung binokulares Einfachsehen, ist dies, wie beim Menschen die Voraussetzung für räumliches Sehen.

Für optimiertes Scharfsehen entwickeln Greifvögel eine hochspezialisierte, neuromuskuläre Akkommodation. Hierbei passen feine Ziliarmuskeln die Wölbung der Linse an wechselnde Objektentfernungen an. Im Weiteren entwickeln Greifvögel neben der Fovea centralis eine zweite, seitliche Sehgrube in der Retina.[12] Hier liegt, wie in der zentralen Sehgrube, eine Verdichtung von Zapfen vor. Schließlich verfügen alle Vögel über einen kammartigen Augenfächer innerhalb des Glaskörpers, den Pecten oculi.[13] Diese mit engen Kapillaren durchzogene Struktur sorgt für eine verstärkte Durchblutung und Nährstoffversorgung der Netzhaut.

 
Abb. 8 Vierauge mit geteilt wirkenden Augen für gleichzeitiges, gleich gutes Über- und Unterwassersehen

Der Mensch sieht in unterschiedlichen Entfernungen scharf, indem er den Krümmungsradius der Linse ändert und auf diese Weise den Brennpunkt verschiebt. Denselben Effekt erzielen Schlangen und Fische, indem sie den Abstand von der Linse zur Netzhaut verändern. Durch einen speziellen Muskel können Fische die Linse aus dem Ruhezustand in Richtung zur Netzhaut ziehen, Schlangen nach vorne. Schlangen besitzen kein Augenlid. Vielmehr ist die Augenoberfläche von einer transparenten Schuppe überzogen. Unterschiede herrschen ferner bei der Farbwahrnehmung. Während der Mensch drei Zapfentypen ausbildet (trichromatisches Sehen), entwickeln die meisten Säugetiere nur zwei Rezeptortypen (dichromatisches Sehen), Reptilien und die aus ihnen hervorgegangenen Vögel dagegen vier (tetrachromatisches Sehen),[14] Tauben sogar fünf. Vögel können im Gegensatz zum Menschen UV-Licht sehen. Haie, Wale, Delfine und Robben sind farbenblind und besitzen nur einen grün-empfindlichen Zapfentyp.

Einmalig bei Wirbeltieren ist die Wanderung eines der beiden Augen bei Plattfischen. Hierbei kann ein Auge während des frühen Wachstums an der Rückenflosse vorbei oder durch deren Basis hindurch auf die spätere obere Körperseite wandern. Die Wanderung kann sowohl auf die linke Seite (Steinbutt) als auch auf die rechte Seite (Scholle, Seezunge) verlaufen.[3]

 
Abb. 9 Höckerschildkröte – horizontale Zentrallinie der Augen bei Blickrichtung nach vorne
 
Abb. 10 Höckerschildkröte – horizontale Zentrallinie der Augen bei Blickrichtung nach oben (selbes Individuum wie in Abb. 9)

Einige Wasserschildkröten, darunter die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica), können ihre Augen um eine gedachte Achse drehen, die die Pupillen verbindet (Abb. 9 und Abb. 10). Die Zentrallinie der Augen bleibt dadurch meist auf den Horizont ausgerichtet, auch wenn das Tier nach oben oder unten schwimmt und dabei in Schwimmrichtung blickt. Auf der Ebene der schwarzen Zentrallinie hat die Netzhaut die höchste Rezeptorendichte, somit ist das dicht am Boden oder im Wasser lebende Tier für das Sehen entlang der Horizontalinie am besten angepasst. Koordiniert wird diese einmalige Entwicklung vermutlich durch den Gleichgewichtssinn im Gehirn (Vestibularorgan), der spezifische Augenmuskeln dafür steuert.[15] Eine große Herausforderung stellt die Anpassung an Augen der Wirbeltiere, die sowohl unter als auch über Wasser gut sehen müssen, wie etwa das Vierauge (Abb. 8). Seine Hornhaut entwickelt sich zweigeteilt: Die obere Hälfte ist stark gekrümmt für das Sehen über Wasser, die untere Hälfte nur sehr schwach gekrümmt für das Sehen unter Wasser. So wird der unterschiedlichen Brechkraft von Luft und Wasser Rechnung getragen und gleichzeitiges gutes Sehen in Luft und Wasser möglich. Auch die Netzhaut des Vierauges entwickelt sich zweigeteilt. Die für das Sehen in der Luft zuständige Seite hat doppelt so viel Zapfen wie die für das Sehen im Wasser.[3]

Chamäleons entwickeln mehrere herausragende Eigenschaften ihrer Augen. Diese sind voneinander unabhängig beweglich. Man vermutet, dass es zu einer unabhängigen und getrennten Verarbeitung der Informationen beider Augen im Gehirn kommt. Chamäleons erzielen ferner durch die kleine Augenöffnung einen zusätzlichen Lochkameraeffekt, der es ihnen erlaubt, auf einen Kilometer scharf zu stellen. Ihre Fokussiergeschwindigkeit ist etwa viermal schneller als die des Menschen.[16] Weitere Besonderheiten bei Wirbeltieraugen sind die kugelförmige, im Ruhezustand auf kurze Distanz fokussierte Linse bei Fischen, multifokale Linsen bei manchen Katzenarten, die Schrägstellung der Netzhaut zur Linse bei Pferden, was einen Gleitsichteffekt bewirkt oder die schützende Nickhaut bei Fröschen, Vögeln und Hunden, rudimentär auch im nasenseitigen Augenwinkel beim Menschen.[3] Evolution und Genetik der hier beschriebenen Augenkomponenten und -unterschiede bei Wirbeltieren sind erst wenig erforscht.

Evolution des Facettenauges

 
Abb. 11 Facettenauge einer Libelle

Das Facettenauge oder Komplexauge der Insekten und Krebstiere ist eine evolutionäre Abwandlung des Linsenauges. Beiden gemeinsam ist das Gen Pax6 für die Augeninduktion. Die Verpflanzung von Pax6 der Maus in die Taufliege führt dort zu ektopischer Augenbildung auf den Beinen oder Antennen.[17] Das Facettenauge besteht bei der Honigbiene aus 5.000 und bei Libellen aus bis zu 30.000 linsenbestückten Einzelaugen, den Ommatidien, die im Zusammenwirken ein scharfes Bild erzeugen (Abb. 11). Facettenaugen sind besonders große, kugelförmige Augen mit einer Reihe von evolutionären Vorteilen. Dazu zählen mit bis zu 300 Bildern pro Sekunde die mehr als zehnfach häufigere Einzelbilderzeugung als etwa beim Mensch mit 20 Bildern pro Sekunde, was zu einer schnelleren Reaktion führt. Das Blickfeld ist durch die kugelförmig angeordneten Facetten weiter und ermöglicht eine gute Rundumsicht. Alle Einzelaugen erreichen im Nahbereich die gleiche Auflösung, während eine scharfe Abbildung beim Wirbeltier nur in der Bildmitte erfolgt.[3] Facettenaugen haben evolutionär mehrere Spezialformen ausgebildet, darunter das Appositionsauge, das eine Abschirmung der einzelnen |konservierten Arthropoden aus Burgess-Schiefer-artigen Lagerstätten, deren Alter zwischen 520 und 500 Millionen Jahre beträgt. Die ältesten „großen“ Facettenaugen mit jeweils mehr als 3000 Ommatidien sind 515 Millionen Jahre alt und wurden auf Kangaroo Island, Australien, geborgen.[18]

Nischen für alle Augentypen bei rezenten Tieren

 
Abb. 12 Pigmentbecherauge der Napfschnecke
 
Abb. 13 Perlboot Nautilus pomilius mit Lochkamera-Auge ohne Linse

Alle Augentypen, einfach bis hochentiwickelte, kommen bie rezenten Tieren vor. Jedes Auge ist eine evolutionäre Abwägung zwischen hoher Lichtempfindlichkeit ohne Linse und hohem Auflösungsvermögen mit großer ovaler Linse, großer Netzhautoberfläche und entsprechendem Gehirn. Für jede Vorteilskombination existieren ökologische Nischen. Zu den Vertetern einfacher Flachaugen zählen Quallen und Seesterne. Strudelwürmer und Lanzettfischchen besitzen Pigmentbecheraugen (Abb. 12). Linsenlose Lochkameraaugen finden sich bei der Familie der Perlboote (Abb. 13).

Masterkontrollgene und Genregulationsnetzwerke für das Auge

1995 wurde von Gehring das Gen Pax6 entdeckt[17]. Es nahm schnell eine extreme Sonderstellung als das Masterkontrollgen für die Evolution und Entwicklung aller Augentypen ein. Ein Masterkontrollgen stößt die Expression weiterer Gene an, das können im Fall des Auges mehrere hundert sein. Ferner können nachgelagerte Induktionen folgen, die wieder mit neuen Mastergenen beginnen und eine weitere Kette von Genexpressionen nach sich ziehen oder Genregulationsnetzwerke auslösen. Bei Pax6 unterbleibt einerseits ohne die Expression eine Augenentwicklung vollständig. Anderseits lassen sich durch Pax6 bzw. sein homologes Gen Eyeless ektopische Augen auf dem Bein oder der Antenne der Taufliege (Drosophila melanogaster) anstoßen[17]. Gleiches gelang später ansatzweise beim Wirbeltier[19], unter anderem beim Hühnchen (1995)[20] oder mittels Sox3 beim Krallenfrosch (Xenopus laevis) (2000)[21]. In diesen Versuchen kam es zur Herausbildung ektopischer Linsen oder Plakoden. Dass die Versuche nicht zu so vollständigen Ergebnissen geführt haben wie bei der Fruchtfliege, lässt auf die höhere Komplexität der Wirbeltiere schließen. In jedem Fall unterbleibt die Augenentwicklung beim Wirbeltier gänzlich, wenn Pax6 unterdrückt wird. Diese Sonderstellung muss nach 20 Jahren neu beurteilt werden. Für die Besonderheit von Pax6 als Mastergen spricht erstens, dass es einerseits früh, nämlich bereits in Augenstammzellen, andererseits in vielen Geweben während der gesamten Augenentwicklung exprimiert wird, und zwar bei der Fruchtfliege, bei Mensch und Tintenfisch. Bei diesen Arten aus verschiedenen Tierstämmen wird die Augenentwicklung als unabhängig angenommen. Pax6 kann daher seit einem gemeinsamen Vorgänger als konserviert gelten. Zweitens führt die Reduzierung seiner Expression zu einer verminderten Augengröße bei Drosophila, Maus und Mensch. Drittens kann Pax6-Fehlexpression in bestimmten Geweben, z.B. im Drosophilaflügel oder -bein ekoptische Augen hervorrufen.

Gegen eine herausragende oder gar alleinige Mastergenstellung von Pax6 in der Augenenevolution sprechen die folgenden Fakten: Erstens führt die Eliminierung von Pax6 bzw. die des homologen Gens Eyeless bei Drosophila, das ebenfalls zur Pax6-Familie zählt, nicht allein zum Verlust des Auges sondern auch von weiteren Gehirnteilen, im Extremfall bei Drosophila zum totalen Kopfverlust[22]. Zweitens nehmen weitere Gene neben Pax6 Schlüsselstellungen bei der frühen Augenentwicklung ein, so etwa neben den genannten Rx1 und Sine oculis (Six)[23] auch Eyes absent (Eya)[24] oder Dachshund (Dach)[25]. Diese Gene können ebenfalls ektopische Augen induzieren. Ihr Funktionsverlust führt ebenfalls zum Verlust des Auges. Sie zeigen somit ähnliche Masterkontrollgen-Eigenschaften wie Pax6. Die stammesübergreifenden Charakteristika von Pax6 werden im Vergleich zu den Fähigkeiten anderer Mastergene heute relativiert. Es muss nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft von der evolutionären Konservierung des Regulationsnetzwerks einer ganzen Gruppe von Genen gesprochen werden[26], die verantwortlich am Beginn der Kette der Evolution des Auges stehen.

Darwins evolutionäre Erklärungsversuche des Auges

Schon Darwin stellte sich der Frage, wie das Auge evolutionär entstanden sein konnte, wenn es aus so vielen "unnachahmlichen Vorrichtungen" besteht, die scheinbar erst in ihrer rezenten Form und Funktion ein funktionierendes System ergeben können. Obgleich an dieser Sichtweise lange festgehalten wurde, hat sie sich als falsch erwiesen. Ein einfach gebautes Flachauge oder das aus ihm entstandene Grubenauge kann ebenfalls funktionieren. So besitzen Seeigel aneinander gereihte Fotorezeptoren an ihren Beinen[6]. Trotz der von Darwin selbst eingeräumten Schwierigkeiten, die Evolution eines so komplexen Organs mit seiner Theorie zu erklären, war er sicher, dass künftige Generationen Antworten auf die Frage finden würden, wie das Auge "von einem unvollkommenen und einfachen zu einem vollkommenen und zusammengesetzten Auge […] durch natürliche Zuchtwahl gebildet werden könne"[27]. Die Probleme, das Auge evolutionär zu erklären, können mit der heutigen Kenntnis seiner Entwicklung mit genetischen und gewebemäßigen Auslöseprozessen (Induktionsketten) als überwunden gelten. Das Wirbeltierauge ist ein klassisches Beispiel einer Progessionsreihe aus einfacher gebauten Zwischenstadien hervorgegangen (Abb. 5).

Kontroverse: Ein- oder mehrmalige Entstehung des Auges

Nach der noch heute verbreiteten Lehre des Evolutionstheoretikers Ernst Mayr ist das Auge in der Evolution mehr als 40 mal völlig unabhängig voneinander entstanden[28]. Dieser These zufolge hat das Wirbeltierauge eine andere evolutionäre Herkunft als etwa das Facettenauge des Insekts, das Lochauge urtümlicher Kopffüßler oder andere Augentypen. Genauer betrachtet zeigt sich heute, dass einerseits der genetische Ursprung aller Augentypen, die Genregulationsnetzwerke, auffallend gleich sind, was für eine homologe, also abgeleitete Entstehung der Augentypen spricht. Andererseits unterscheiden sich die "Konstruktionen", also die kombinierte Verwendung aller beteiligten Gene und die Reihenfolge ihrer Aktivierung und damit auch die Entwicklungspfade stark voneinander. Es entstanden unterschiedliche Gewebearten und Funktionseinheiten. Somit kann die Evolution des Auges im Sinne Mayrs zumindest in Teilaspekten durchaus auch als unabhängig oder konvergent gesehen werden.[29]

Heute werden demnach zwei unterschiedliche Standpunkte der Augenevolution diskutiert. Auf der einen Seite steht die Ansicht, dass das Auge einen gemeinsamen Vorgänger besitzt, das heißt, es hat einen monophyletischen Ursprung. Seine ähnlichen Komponenten, etwa beim Wirbeltier und Insekt, sind danach homolog vererbt. Vor allem die phänotypischen Ergebnisse gemeinsamer Genkaskaden sind nach dieser Auffassung homolog, also in Abhängigkeit von einem gemeinsamen Vorfahren entstanden. Dies ist allerdings nicht zwingend[30]. Auch wenn es naheliegt, dass zum Beispiel ähnliche Fotorezeptoren homolog entstanden sind, muss dies nicht immer der Fall sein. Die homologe Herkunft des Auges ist die Sichtweise von Gehring[31] und Kollegen. Auf der anderen Seite wird heute auch die Auffassung vertreten, das Auge habe polyphyletische Ursprünge, wobei die ähnlichen Eigenschaften (Linse, Netzhaut, Fotorezeptoren etc.) unabhängig voneinander erworben worden sind[32]. Diese Erkenntnis wurde neuerdings möglich auf Grundlage der Analyse von Würfelquallen-Augen (Tripedalia cystophora)[33][30], einem Quallentyp mit 24 Augen rund um den quadratischen Schirm (Meduse). Dieses Quallenauge besitzt Linse, Hornhaut und Netzhaut. Die Quallen stehen systematisch weit entfernt vom Wirbeltier und seinen nächsten Vorfahren. Die Würfelqualle besitzt zwar trotz ihrer kladistischen Entfernung vom Wirbeltier einen ziliaren Fotorezeptortyp, bei dem das Sehpigment in die Oberfläche eines Wimpernhärchens eingelagert ist, sowie ein zum Wirbeltier vergleichbares Übertragungssystem für die Weiterleitung von Lichtsignalen, was beides für Homologie spricht. Jedoch sind die wichtigsten Strukturproteine (Kristalline), die für die optischen Eigenschaften der Linse verantwortlich sind, auf andere Art entstanden als beim Wirbeltier, also konvergent.

Die Frage nach der ein- oder mehrmaligen Entwicklung des Auges ist letztlich abhängig von der Betrachtungsebene. Sie kann nicht in einer verallgemeinernden Aussage mit "homolog" oder "konvergent" beantwortet werden.

Commons: eye evolution – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Lane, Nick. Leben. Verblüffende Erfindungen der Evolution. Primus Verlag 2013 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Lane“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  2. Parker, Andrew. In the Blink of an Eye. Free Press 2003
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