Dimitar Peschew

bulgarischer Politiker
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. Januar 2006 um 20:47 Uhr durch Heied (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Dimitar Peschev

(* 1894 Kjustendil, + 22.03.1973 Sofia, Bulgarien)

Dimitar Josifov Peschev war von Beruf Rechtsanwalt. Später zog er als Abgeordneter in das bulgarische Parlament ein. Er verhinderte in seiner Eigenschaft als stellvertretender bulgarischer Parlamentspräsident durch seine Intervention im Parlament und gegenüber dem bulgarischen König Boris III. 1943 den Abtransport der zur Deportation in die Vernichtungslager (Auschwitz) auf mehreren Bahnhöfen schon zusammengefaßten 48.000 bulgarischen Juden.


Manifest zur Beendigung antisemitischer Maßnahmen

Er arbeitete, nach dem ihm über die unmittelbar bevorstehenden Deportationen der ungarischen Juden aus seinem Heimatswahlkreis Kjustendil berichtet wurde, ein Manifest zur Beendigung antisemitischer Maßnahmen aus, das von ihm und 42 weiteren Abgeordneten unterzeichnet wurde. Dieses Manifest überreichte er am 17.3.1943 persönlich dem Leiter der Staatskanzlei. Damit war der entscheidende Schritt getan: Der bislang weitestgehend im geheimen mit Unterstützung durch deutsche Emissäre fähren vorangetriebene Plan zur Deportation auch der bulgarischen Juden war öffentlich geworden.


Bulgarische orthodoxe Kirche

Schließlich intervenierte am 24.05.1943 auch die bulgarische orthodoxe Kirche: Der in der bulgarischen Öffentlichkeit sehr angesehene Metropolit Stefan wandte sich - ganz im Gegensatz zum Schweigen von Papst Pius XII. -, nachdem er noch eine Delegation aus Vertretern der jüdischen Gemeinde empfangen hatte, unmittelbar an König Boris III. und forderte ihn auf, die Deportationen unverzüglich auszusetzen, da diese in fundamentalem Gegensatz zur traditionellen Toleranz der Bulgaren stünden. Im übrigen würde auch Gott ihn für seine Taten zur Rechenschaft ziehen. Noch am selben Tag zelebrierte Metropolit Stefan auf dem Alexander Newski-Platz ein Tedeum und nahm die Juden öffentlich in Schutz.


Aussetzung der antijüdischen Maßnahmen

Aufgrund der nunmehr projüdischen Stimmung in der gesamten bulgarischen Gesellschaft sah sich auch Boris III. gezwungen war, eine die Deportationen ablehnende Position zu beziehen, was er im Hinblick auf die Bündnispolitik mit Nazideutschland bislang vermieden hatte. Zwar lavierten König Boris III. und die bulgarische Führung wegen einer drohenden deutschen Besetzung Bulgariens in der Deportationsfrage gegenüber Nazideutschland, das immer wieder den Vollzug der vorbereiteten Deportationen von der bulgarische Regierung forderte, noch einige Zeit, aber der entscheidende Schritt mit dem notwendigen Aufschub der Maßnahmen war getan.

Der Druck auf die jüdische Bevölkerung ließ nach den Ereignissen vom 24.05.1943 sofort nach. Am 31.08.1944 wurde dann das Gesetz zum Schutz der Nation mit allen antijüdischen Regelungen außer Kraft gesetzt. Damit konnten die bulgarischen Juden dank der politischen Initiative des Abgeordneten Peschevs wieder in ihre Heimatswohnorte zurückkehren, entfiel das obligatorische Tragen des gelben Judensterns und durften sie sich auch wieder ihrer bulgarischen Namensendungen bedienen. Etwa zur gleichen Zeit (zwischen dem 5.5. und dem 07.06.1944) wurden noch 300.000 ungarischen Juden in die Vernichtungslager deportiert. Dagegen konnten nach dem Kriegsende die bulgarischen Juden mit staatlicher Zustimmung nach Israel ausreisen, was der weitaus größte Teil der jüdischen Bevölkerung auch ausnutzte (45.000).


Nachkriegszeit

Am Ende des Zweiten Weltkrieg hielt Peschev sofort entschiedene Distanz zu der mit sowjetischer Unterstützung an die Macht gelangten kommunistischen Machthaber. Daraufhin wurde er - offiziell für seine Aktivitäten im Rahmen der extrem rechtsgerichteten Politik des bulgarischen Parlaments (u.a Verabschiedung von Rassegesetzen) - ungeachtet seiner nicht zu überschätzenden Verdienste bei der Rettung der bulgarischen Juden vor ihrer unmittelbar bevorstehenden Vernichtung vor Gericht gestellt und am 1.2.1945 zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Er kam jedoch bereits nach anderthalb Jahren aufgrund einer Begnadigung aus der Haft frei. Nur aufgrund des Einflusses eines alten Schulfreundes entging Peschev dann Anfang 1948 auf Beschluß des Zentralkomitees der Bulgarischen Kommunistischen Partei eingerichteten Umerziehungslagern, in die die sogenannten asozialen Elemente (Arbeitsscheue, Trinker, Rowdies usw.) aber auch politische Gegner eingeliefert wurden.


Würdigung Peschevs Verdienste

Seine Verdienste wurden zu seinen Lebzeiten weder in Bulgarien, noch international, auch nicht von jüdischer oder israelischer Seite gewürdigt. Die bulgarischen Regierungen hatten stets eine Publizierung der tatsächlichen Vorgänge vom März 1943 verhindert, um nicht zuletzt auch die Rolle der bulgarischen Kommunisten im Zusammenhang mit der vorgesehenen Deportation der jüdischen Bevölkerung ins Licht der Öffentlichkeit rücken lassen, da diese durchaus nicht so engagiert und tatkräftig war, wie das von offizieller Seite stets dargestellt worden war.

Darüber hinaus schrieb eine oberflächliche Geschichtsschreibung den entscheidenden Anteil an der Rettung der bulgarischen Juden König Boris III. zu, der letztlich zwar die exekutiven Maßnahmen zur Aussetzung der Deportationen eingeleitet hatte, jedoch ohne die Zivilcourage Peschevs trotz persönlicher Kenntnis von den geplanten Judendeportationen wohl kaum aktiv geworden wäre.

So starb Dimitar Peschev am 20.2.1973 in seiner kleinen Sofioter Wohnung völlig verarmt und vergessen - auch von jenen, die ihm das Leben verdankten. Erst durch die Ermittlungen des italienischen Essayisten Gabriele Nissim - die Ergebnisse veröffentlichte er in in dem 1998 erschienenen Buch L'uomo che fermo Hitler. La storia di Dimitar Peshev che salvò gli ebrei di una nazione intera (Mondadori, Milano), dessen Übersetzung 2000 auch in Deutschland erschienen (siehe: Literaturangaben) - erfuhr die Öffentlichkeit in größerem Umfang von seinem persönlichen Mut und seiner politischen Unerschrockenheit, die so vielen Menschen das Leben rettete.


Literatur

  • Nissim, Gabriele: Der Mann, der Hitler stoppte. Dimitar Pesev und die Rettung der bulgarischen Juden, Siedler Verlag, Berlin 2000, ISBN 3886806944


Dimitar Peshev Thierse präsentierte Buch über Dimitar Pesev und die Rettung bulgarischer Juden