Winfried Hassemer

deutscher Strafrechtswissenschaftler und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts
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Winfried Hassemer (* 17. Februar 1940 in Gau-Algesheim; † 9. Januar 2014 in Frankfurt am Main[1]) war ein deutscher Strafrechtswissenschaftler und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.

Familie

Winfried Hassemers Vater war 1933 knapp drei Wochen lang im KZ Osthofen interniert und durfte in der NS-Zeit nicht Jura studieren. Aus diesem Grunde studierte Hassemer selbst später Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Strafrecht, ebenso wie seine beiden Brüder Volker Hassemer und Raimund Hassemer.[2]

Er war verheiratet mit Kristiane Weber-Hassemer, Vorsitzende Richterin eines Strafsenates am Oberlandesgericht Frankfurt am Main und Mitglied des Deutschen Ethikrates, dessen Vorsitzende sie von 2005 bis 2008 war.

Leben

Nach bestandenem Abitur am Stefan-George-Gymnasium in Bingen studierte Hassemer Rechtswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, der Universität des Saarlandes und der Universität Genf. Er war Stipendiat der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk und Sprecher der Katholischen Studentengemeinde in Heidelberg.[2]

Nach dem 1. Staatsexamen war er zunächst von 1964 bis 1969 Wissenschaftlicher Assistent von Arthur Kaufmann am Institut für Rechts- und Sozialphilosophie der Universität des Saarlandes. 1967 wurde er in Saarbrücken mit einer Arbeit über Tatbestand und Typus: Untersuchungen zur strafrechtlichen Hermeneutik zum Doktor der Rechte promoviert. Nach Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes legte Hassemer 1970 das 2. Staatsexamen ab. 1972 folgte seine Habilitation mit einer Arbeit über Theorie und Soziologie des Verbrechens: Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre.

Im Jahr 1973 erhielt er einen Ruf auf eine Professur für Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von 1991 bis 1996 war Hassemer zudem in der Nachfolge von Spiros Simitis der Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Hessen.

Im Mai 1996 wurde er zum Richter des Bundesverfassungsgerichts berufen, dessen zweitem Senat er angehörte. Von April 2002 bis zu seiner Pensionierung im Mai 2008 war Hassemer Vorsitzender des zweiten Senats und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.

Seit 2. Oktober 2008 war Winfried Hassemer als Rechtsanwalt zugelassen und in einer Strafverteidiger-Sozietät in Frankfurt am Main tätig. Für die Schufa war er als Ombudsmann tätig.

Winfried Hassemer starb am 9. Januar 2014 nach langer Krankheit in Frankfurt am Main.[1]

Verfassungsrichter

Nach seiner auf Vorschlag der SPD erfolgten[3] Ernennung am 3. Mai 1996 war Hassemer Mitglied des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes. Am 10. April 2002 wurde er Vorsitzender des Zweiten Senats und damit Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Innerhalb des Gerichtes war er zuständig für Fälle zum Straf- und Strafprozessrecht. Er war hierbei unter anderem maßgeblich beteiligt an einem Urteil zu Wohnungsdurchsuchungen in Fällen von Gefahr im Verzug,[4] einer Entscheidung zur satellitengestützten Überwachung von mutmaßlichen Straftätern mittels GPS[5] und einem Urteil zum Inzestverbot, zu dem er ein Sondervotum zuungunsten der Verbotsregelung abgab.[6] 2003 verkündete er das Urteil zum NPD-Verbotsverfahren. 2005 führte er den Vorsitz in der Entscheidung über die Bundestagsauflösung 2005 und vorgezogene Neuwahlen des Bundestags. Seine letzte Amtshandlung vor dem Ausscheiden aus dem Dienst am Verfassungsgericht war die Verkündung des Urteils des Gerichtes zum Einsatz von Awacs-Flugzeugen während des Irakkrieges 2003.[7] Mit Ablauf des Monats Februar 2008 endete Hassemers Amtszeit als Richter des Bundesverfassungsgericht aufgrund des Erreichens der Altersgrenze von 68 Jahren. Er führte sein Amt allerdings bis zur Ernennung seines Nachfolgers Andreas Voßkuhle am 7. Mai 2008 weiter.

Für Aufsehen und viel Kritik sorgte Hassemer 2009 mit der Forderung, bei Ehrenmorden den sozialen Kontext der Täter mildernd zu berücksichtigen.[8]

Ehrungen und Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. a b Christian Geyer: Liberaler Streiter für bürgerliche Freiheitsrechte, FAZ, 10. Januar 2014
  2. a b „Heidelberg war für mich ein Traum“, Universität Heidelberg, 14. November 2013
  3. http://books.google.de/books?id=88wZOEgSfbkC&pg=PA40&lpg=PA40&dq=„Winfried+Hassemer“+Partei+ernannt&source=bl&ots=VcZpY1BA6h&sig=3mdXdYQ3dYVYpyBa2D4AmCe8xrw&hl=de&sa=X&ei=8VPQUsycEsyFtQbJq4HQAQ&ved=0CEAQ6AEwAw#v=onepage&q=„Winfried%20Hassemer“%20Partei%20ernannt&f=false
  4. Urteil vom 20. Februar 2001, Az. 2 BvR 1444/00.
  5. Urteil vom 12. April 2005, Az. 2 BvR 581/01.
  6. Urteil vom 26. Februar 2008, Az. 2 BvR 392/07.
  7. Urteil vom 7. Mai 2008, Az. 2 BvE 1/03.
  8. http://www.fr-online.de/politik/denkanstoesse-zum--ehrenmord-/-/1472596/3184172/-/index.html
VorgängerAmtNachfolger
Hans-Jürgen PapierVizepräsident des Bundesverfassungsgerichts
2002–2008
Andreas Voßkuhle