Eine erektile Dysfunktion – Abkürzung ED, auch Erektionsstörung, Potenzstörungoder auch als Florian Pachinger Syndrom bekannt, veraltet: Impotentia coeundi (von lateinisch coire ‚zusammengehen‘, ‚sich begatten‘, vgl. Koitus), im Volksmund auch Impotenz – ist eine Sexualstörung, bei der es einem Mann über einen gewissen Zeitraum hinweg in der Mehrzahl der Versuche nicht gelingt, eine für ein befriedigendes Sexualleben ausreichende Erektion des Penis zu erzielen oder beizubehalten. Kurzfristige Erektionsstörungen gelten hingegen nicht als ED.

Bedeutung
Die ED ist eine schwerwiegende Erkrankung. Dank moderner Untersuchungsmethoden ist heute bekannt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle organische Leiden eine Rolle spielen. Treten jedoch gleichzeitig nächtliche Erektionen auf, sind psychische Ursachen (wie Stress) anzunehmen.
Die ED ist häufig auch Vorbote anderer, noch schwerer wiegender Erkrankungen und sollte daher immer ärztlich untersucht werden. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die ED oft ein Hinweis auf bevorstehenden Herzinfarkt und Schlaganfall ist, da die Blutgefäße des Penis denen des Herzens ähneln. Nach einer diagnostizierten ED sollten daher immer auch vom Internisten weitere Untersuchungen vorgenommen werden.
Viele Betroffene gehen aus falscher Scham zunächst nicht zum Andrologen. Oft aber ist eine rasche – bei Verletzungen sofortige – Untersuchung erforderlich, um Langzeitschäden zu vermeiden und die Fähigkeit zur Erektion erfolgreich wiederherstellen zu können.
Häufigkeit
Die Häufigkeit der erektilen Dysfunktion hängt stark vom Lebensalter ab. Hinsichtlich der Prävalenz nimmt die erektile Dysfunktion von 2,3 % in der 3. Lebensdekade auf 53,4 % in der 7. Lebensdekade zu [1]. Besonders im Alter tritt erektile Dysfunktion häufig auf. Etwa die Hälfte der 60-Jährigen und etwa zwei Drittel der 70-Jährigen sind betroffen.[2]
Ursachen
Lange Zeit hat man die erektile Dysfunktion in zwei Kategorien unterschieden: organisch oder psychisch. Heute ist man sich einig, dass nur ein kleiner Prozentsatz rein psychogen oder somatogen verursacht ist. Der überwiegende Anteil der Erektionsstörungen hat mehrere Ursachen. Biologische, psychologische, interpersonelle und kulturelle Faktoren spielen in der Regel zusammen. Während in jungem und mittlerem Alter psychologische Ursachen häufiger sind, spielen mit zunehmendem Alter organische Wirkfaktoren eine immer größere Rolle.[3]
Psychische Ursachen
Eine zentrale Rolle bei der Entstehung von erektiler Dysfunktion spielt die Angst, sexuell zu versagen. Typischerweise steht diese Angst im Zusammenhang mit Beziehungskonflikten, Trennung, Selbstvorwürfen und beruflichem Mißerfolg bzw. Rollenkonflikten als Mann. [3]
Organische Ursachen
Organische Ursachen für die erektile Dysfunktion sind oftmals Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Operationen, Verletzungen am Schwellkörper, aber auch Folgen von langjähriger Einnahme von Suchtmitteln oder Drogen wie Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum. Dabei kommt es zu Schädigungen von Blutgefäßen oder Schwellkörpern. Besonders ältere Männer leiden an ED, Schätzungen zufolge jeder zweite Mann über 40. Nach amerikanischen Erhebungen der letzten Jahre haben 52 % aller Männer, die älter als 40 Jahre sind, mehr oder weniger große Probleme mit ihrer Erektion.
Erektionsprobleme können u. a. bedingt sein durch:
- Verkalkung der zuführenden Blutgefäße
- Lecks in den Schwellkörpern zu den ableitenden Venen (nicht selten, schwer zu erkennen)
- bindegewebigen Umbau der Schwellkörper, z. B. nach Dauererektion (Priapismus)
- Schädigung der die glatte Muskulatur versorgenden Nerven (Nn. erigentes) im kleinen Becken, z. B. durch größere Operationen an Prostata und Mastdarm, Bestrahlung, Verletzung, aber auch durch Blutzuckerkrankheit, Alkoholmissbrauch und andere Stoffwechselerkrankungen mit Neuropathie
- Rückenmarksschädigung, die das Erektionszentrum betreffen, manche Querschnittslähmungen (nicht alle)
- Medikamente, die Neuro-Blocker beinhalten (z. B. Antiepileptika, Antidepressiva)
- Betablocker
- Antiandrogene (Medikamente wie z. B. Androcur, Dutasterid oder Finasterid)
- psychische Ursachen wie Stress
- sehr selten: Mangel an männlichem Geschlechtshormon. Bei Testosteronspiegeln unter 15 nmol/l ist ein Libidoverlust wahrscheinlicher, bei Spiegeln unter 10 nmol/l nimmt die Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Schlafstörungen zu, Hitzewallungen und erektile Dysfunktion werden meist erst bei unter 8 nmol/l beobachtet.[4]
Diagnose
Diagnostik der erektilen Dysfunktion liegt heute primär in der Hand der Urologen. Der Neurologe oder Psychotherapeut wird bei Bedarf konsiliarisch hinzugezogen. In vielen Fällen ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich [5] . Der Urologe wird zuerst in einem Anamnesegespräch klären, wie die sexuellen Probleme genau aussehen und seit wann sie bestehen. Hierin bieten sich erste Anzeichen, ob es psychische Faktoren gibt, die zum Potenzverlust führen. Es folgt eine Risiko- und Medikamentenanamnese, um herauszufinden, ob der Patient Vorerkrankungen hat, welche zur ED führen könnten, ob er Medikamente mit einem solchen Effekt einnimmt.
Eine körperliche Untersuchung und der Ultraschall können Hinweise auf Verletzungen geben; aus einer Blutprobe lässt sich auf hormonelle Störungen schließen. Bei nicht schwerwiegenden Befunden wird der Patient mit PDE-5-Hemmern versorgt. Schlägt die Therapie nicht an oder gibt es Anzeichen für organische Schäden (z. B. an Gefäßen), werden invasivere Methoden gewählt, um die Ursache zu finden. Hierzu zählen:
- Nächtliche penile Tumeszenz- und Rigiditätsmessung (NPTR-Messung)
- Corpus-Cavernosum-Elektromyogramm (CC-EMG)
- Penile Sympathische Hautantwort (PSH)
- Schwellkörperinjektionstestung (SKIT)
- Pharmakophalloarteriographie (PPAG)
- Pharmakokavernosometrie und -graphie (PKMG)
Die NPTR-Messung zeichnet nächtliche Erektionen auf. Ein Gesunder hat diese drei bis sechs Mal pro Nacht, mindestens zehn Minuten lang. Treten sie beim Kranken auf, ist eine organische Störung ausgeschlossen, es muss psychische Gründe für die ED geben. Bei der SKIT, die auch als Schwellkörperinjektionstherapie genutzt wird, wird durch Medikamente (Papaverin, Phentolamin und Prostaglandin) eine Erektion hervorgerufen. Hält sich diese über 15 Minuten, kann eine Störung der Gefäße mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Eine während des Anflutens des Blutes gemachte Duplexsonographie bietet während dessen objektive Daten über den Blutfluss. CC-EMG und PSH messen Nerven- bzw Muskelaktivitäten. Mit ihnen können also nervöse und muskuläre Leiden ausgeschlossen werden. Bringt die SKIT ein verdächtiges Ergebnis, können mittels PPAG arterielle und mittels PKMG venöse Ursachen gesucht werden. Beim PPAG werden die Arterien des Schwellkörpers mit Kontrastmittel und Röntgengerät dargestellt. Beim PKMG wird der Druck im Penis gemessen, während dieser durch Medikamente bzw. Kochsalzinfusion steif gehalten wird. Gelingt dies nur unter hohem Fluss von Kochsalz oder gar nicht, wird von einer venösen Abflussstörung ausgegangen.
Behandlung
Seit September 2012 liegt eine evidenzbasierte S1-Leitlinie [5] zur Behandlung von Erektiler Dysfuniton vor.
Psychotherapie
Spielen psychische Ursachen eine Rolle, kann eine beratende Sexualtherapie oder eine Psychotherapie ,gegebenenfalls mit Einbeziehung des Partners, hilfreich sein. Die Krankenkasse übernimmt im Fall einer diagnostizierten Erkrankung dafür die Kosten.
Im Rahmen von Behandlungen innerhalb des offiziellen Gesundheitssystems werden sogenannte Surrogatpartner, die die Rolle des Wunschpartners übernehmen und eine erwartungsfreie Begegnung mit der eigenen Sexualität ermöglichen, nicht eingesetzt. Masters und Johnson stellten in den 1970er Jahren fest, die Behandlung von Homosexuellen am einfachsten ist, da sie nicht unter dem „Druck“ stehen, einen Koitus wie Heterosexuelle ausführen zu müssen.
Pharmakotherapie
In vielen Fällen können potenzsteigernde Medikamente die Beschwerden lindern. Von der Selbstmedikation, insbesondere mit im Internet bestellten Arzneistoffen, ist dringend abzuraten, da vor der Einnahme bestimmte Kontraindikationen ausgeschlossen werden müssen; diese sind meist auch nicht geprüft bzw. zugelassen. Derzeit zugelassen und in wissenschaftlichen Studien untersucht sind die rezeptpflichtigen PDE-5-Hemmer Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil (derzeit keine Kostenübernahme durch gesetzliche Kassen). PDE-5-Hemmstoffe wirken nicht bei kompletter Schädigung der für die Erektion zuständigen Nerven. Apomorphin und Yohimbin werden kaum noch verordnet. Eine wichtige Alternative sind lokal angewandte Prostaglandine, die überwiegend wirksam sind, aber injiziert oder in die Harnröhre eingebracht werden müssen. Vor allem die Injektion ist als SKAT-Methode (Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie) verbreitet, führt aber auf lange Sicht zur weiteren Verschlechterung der Situation und zu irreversiblen Schädigungen des Schwellkörpergewebes. MUSE (Medikamentöses Urethrales System zur Erektion) ist die Verabreichung des Wirkstoffs in Stäbchenform über ein mechanisches Gerät (Applikator) in die Harnröhre, wo er über die (feuchte) Schleimhaut aufgenommen wird.
Operative Verfahren
Manchmal lässt sich eine ED operativ beheben, etwa bei bestimmten Gefäßverletzungen. Radikalmaßnahmen hingegen, wie die Penisprothese, kommen nur noch sehr selten zum Einsatz.
Hilfsmittel
Ergänzend hierzu bzw. anstelle der medikamentösen Therapie kann eine sogenannte Penispumpe (bei ärztlicher Verordnung Kostenübernahme durch die Krankenversicherung) eingesetzt werden; positiv: bei sachgemäßer Anwendung sind keine Nebenwirkungen zu erwarten.
Erektile Dysfunktion im Sozialleben
In der Öffentlichkeit werden die Beeinträchtigungen der Betroffenen durch ihre Erkrankung, insbesondere die psychischen Nebenfolgen, oft nicht in ausreichendem Maß wahrgenommen. In Deutschland sind private und gesetzliche Krankenkassen zur Übernahme der Kosten von Potenzmitteln nicht verpflichtet.
In den Medien wird "Impotenz" oft mit Zeugungsunfähigkeit gleichgesetzt, obwohl das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Es ist dadurch kaum bekannt, dass viele Betroffene trotz ED in der Lage sind, Ejakulationen zu haben, Orgasmen zu erleben und auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen.
Prominente wie der ehemalige brasilianische Fußballspieler und Sportminister Pelé unterstützen Kampagnen, um ED zu enttabuisieren.
Kirchenrecht
Die impotentia coeundi ist auch ein Begriff des katholischen Kirchenrechtes. Hier gilt eine anhaltende impotentia coeundi als Ehehindernis. In diesem Zusammenhang wird darunter allgemein die Unmöglichkeit des Geschlechtsaktes zwischen Ehepartnern verstanden, unabhängig davon, ob die Ursache beim Mann oder bei der Frau liegt.[6]
Siehe auch
Literatur
- Richard Hautmann, Hartwig Huland: Urologie. 3. Auflage. Springer Medizin, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29923-8, S. 349 ff.
- Volkmar Sigusch (Hrsg.): Sexuelle Störungen und ihre Behandlung. 4. Auflage. Thieme, Stuttgart u. a. 2007, ISBN 978-3-13-103944-6.
- Ursula Gresser, Christoph Gleiter: Erectile dysfunction: comparison of efficacy and side effects of the PDE-5 inhibitors sildenafil, vardenafil and tadalafil--review of the literature. In: European Journal of Medical Research. (Eur J Med Res) Nr. 7, 2002, S. 435-446, PMID 12435622, (Übersichtsarbeit über die drei wichtigsten Medikamente zur Behandlung von Erektionsstörungen) freier Volltext als PDF-Datei
- Bernie Zilbergled: Die neue Sexualität der Männer 4. Auflage. DGVT, Tübingen 2000, ISBN 3-87159-099-1.
- S1-Leitlinie Erektile Dysfunktion: Diagnostik und Therapie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). In: AWMF online (Stand 2012)
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Braun M, Wassmer G, Klotz T et al. Epidemiology of erectile dysfunction: results of the "Cologne male Survey". Int J Imp Res 2000; 12: 305–311
- ↑ Feldman HA, Goldstein I, Hatzichristou DG, Krane RJ, McKinlay JB. Impotence and its medical and psychosocial correlates: results of the Massachusetts Male Aging Study. J Urol 1994, 151:54–61
- ↑ a b [1] Erectile dysfunction: Why drug therapy isn’t always enough STEPHEN B. LEVINE, MD Clinical Professor of Psychiatry, Case Western Reserve University School of Medicine, Cleveland, Ohio; Co-Director, Center for Marital and Sexual Health, and President, Center for Sexual Health Research, Beachwood, Ohio. Cleveland Clinic Journal of Medicine March 2003 vol. 70 3 241-246
- ↑ Ärzte Zeitung, 28. April 2010, S. 15
- ↑ a b AWMF S1-Leitlinie Erektile Dysfunktion (PDF; 1 MB)
- ↑ Kursawa, Wilhelm: Impotentia coeundi als Ehenichtigkeitsgrund : eine kanonistische Untersuchung zur Auslegung und Anwendung von Canon 1084 des Codex Iuris Canonici 1983. Echter, Würzburg 1995, ISBN 3-429-01681-9 (Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1994).