Der Appell gegen Prostitution ist eine im Herbst 2013 von Alice Schwarzer initiierte Kampagne gegen Prostitution, der sich primär an die deutsche Bundespolitik richtet. Sie wurde im Zuge der Veröffentlichung von Schwarzers Buch Prostitution - Ein deutscher Skandal: Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden? veröffentlicht. Gegner werfen Schwarzer vor, den Appell als Marketingkampagne gestartet zu haben, mit falschen Zahlen und Fakten zu arbeiten und Prostitution mit Zwangsprostitution zu vermengen.
Appell gegen Prostitution 2007
2007 initiierte Schwarzer in der Jubiläumsausgabe zum 30jährigen Bestehen ihrer Zeitschrift Emma zum ersten Mal einen Appell gegen Prostitution[1]. Schon damals wurde seitens der Prostituierten und in der Presse Kritik laut[2][3][4][5]Die Texte, die damals in der Jubiläumsausgabe erschienen, wurden 2013 wiederaufgelegt und als Buch herausgegeben.
Appell gegen Prostitution 2011
2011 startete Schwarzer erneut einen Appell gegen Prostitution in welcher sie Texte von 2007 zusammen mit aktuellen Artikeln nochmals in einer Emma-Ausgabe veröffentlichte[6][7]. Dieser Appell wurde in dem Medien kaum aufgenommen.
Appell gegen Prostitution 2013
2013 startete Schwarzer einen dritten Anlauf und initiierte wieder einen neuen Appell. Den sandte sie zuerst Prominenten und bekannten Organisationen mit der Bitte zur Unterzeichnung zu, setzte die Fotos der Unterschreiber, nach dem Prinzip der Kampagne Wir haben abgetrieben!, auf den Titel der Ausgabe November/Dezember 2013 und ließ dann, parallel zu einer Tour zusammen mit Emma-Redakteurin Chantal Louis durch Talkshows und Pressekonferenzen, eine Unterschriftenaktion im Internet laufen. Derzeit ist der Stand (laut Eigenangabe) bei über 9500 Unterschriften (Stand: 13. Dezember 2013)[8]. Neben der Initiatorin, Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer gehören zu den 90 Erstunterzeichnern:
- die sechs Bundessprecherinnen der kommunalen Frauenbüros und Gleichstellungsstellen
- die Frauen Union von CDU und CSU
- Landesfrauenrat Baden-Württemberg[9]
- die Initiative Femen Deutschland
sowie folgende Einzelpersonen:[10]
In einem Interview mit einem der Vorstände des Berufsverbandes erotischer und sexueller Dienstleistungen, Undine de Riviere, relativierte jedoch Maria von Welser, die abolitionistische Haltung und räumte ein, durchaus Selbstbestimmtheit in der Prostitution zu unterstützen und nur die Zwangsprostitution abzulehnen[11]. Hans-Peter Uhl spricht sich auf seiner Homepage ebenfalls für eine Ablehnung von Zwangsprostitution und Menschenhandel und eine Reform des ProstG aus, ein grundsätzliches Verbot der Prostitution wird nicht gefordert[12].
Inhalt des Appells
Der Appell gegen Prostitution fordert eine Rücknahme des Prostitutionsgesetzes von 2002, das die Prostitution zivilrechtlich als reguläres Gewerbe kodifiziert und ihre Ausübung damit liberalisiert hatte und ruft unter anderem dazu auf, Aufkleber mit der Aufschrift „Frauenkauf geht gar nicht!“ auf Türen von Bordellen und anderen Orten zu kleben, die Prostitution beherbergen. Zusätzlich soll zum Beispiel das Ordnungsamt angerufen werden, wenn Bordelle mit ihren sexuellen Dienstleistungen werben und männliche Freunde in Örtlichkeiten der Prostitution geschickt werden um nach den Tarifen zu fragen. In den Zeitungen und im Internet sollen nach Bordellen und der Arbeitsumstände der Frauen recherchiert werden. All diese Informationen sollen der Emma geschickt werden. Das Blatt ruft dazu auf, dass sich alle mit ihm vernetzen. Eine Unterscheidung zwischen Prostitution und Zwangsprostitution wird nicht vorgenommen.
Gegenappell des Bundes für erotische und sexuelle Dienstleisungen
Von Seiten von Prostituiertenverbänden wie Hydra und Doña Carmen sowie des Online-Magazins menschenhandel heute[13] wurde der Appell abgelehnt.[14] Der kurz vorher gegründete Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen wehrte sich vehement gegen die Angriffe und initiierte als Reaktion einen Gegenappell, Appell FÜR Prostitution. Unter den dort verzeichneten, bislang knapp 1700 Unterzeichnern sind neben Sexarbeiterinnen, Sexarbeitern und anderen Bürgern auch bekannte Persönlichkeiten, Beratungsstellen für Prostituierte, Parteien und Opfer von Menschenhandel, die sich von dem Emma-Appell nicht angesprochen fühlten. Prominente Stimmen darunter widersprachen in offiziellen Stellungnahmen, Talkshows und Pressemitteilungen den Thesen und Vorwürfen Schwarzers, was wiederum auf den Seiten der Emma und der Website von Schwarzer negativ kommentiert wurde.[15]
Rezeption
Echo in der Presse
Der Appell bekam, anders als der Appell 2007, durch die Beteiligung der vielen Prominenten erheblich mehr Echo in der Presse und löste eine Flut von Publikationen unterschiedlicher Positionen aus, die teilweise schon das Format von schriftlichen Duellen aufwiesen. Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp stellt im Zusammenhang mit der Debatte fünf Thesen zur Prostitution auf, die sie ausschließlich auf die freiwillige Prostitution, nicht auf Zwangsprostitution und Menschenhandel, bezieht.[16] In einem Interview mit der FAZ spricht sich die Philosophin und Feministin Elisabeth Badinter gegen ein Verbot der Prostitution aus. Es müsse zwischen dem Kampf gegen mafiöse Zuhälter-Ringe und der Prostitution unterschieden werden. Frauen hätten das Recht, mit ihrem Körper zu machen, was sie wollen. „Ein Prostitutionsverbot würde die Lage der Prostituierten verschlimmern, weil sie dann im Verborgenen arbeiten müssten.“[17] Der Journalist Harald Martenstein forderte Schwarzer launig auf ihn zu verhaften, denn er […] glaube, die Sehnsucht nach Sexualität ist kein krimineller Wunsch, sowohl bei Männern als auch bei Frauen[…].[18] Es wurden aber auch andere Töne laut, so stellte nach Ansicht des Missy Magazine Volker Zastrow Prostituierten das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper in Abrede, indem er dafür die Fernsehserie Deadwood als Vergleich heranzog und Prostitution mit illegalem Organhandel gleichsetzte.[19] Der Kommentar wurde vom Missy Magazine mit einem Artikel beantwortet, der die Serie Firefly – Der Aufbruch der Serenity zum Thema machte, in welcher Sexarbeiter anerkannte und gewertschätzte Personen einer zukünftigen Gesellschaft sind.[20]
Debatte über Prostitution auf politischer Ebene
Die Veröffentlichung des Buches und die Kampagne liefen parallel zu Diskussionen über Freierbestrafung in Frankreich und Koalitionsverhandlungen des Kabinetts Merkel III, so dass das Thema Prostitution nochmal eine ganz eigene Dynamik bekam und Diskussionen über die Grundsätzlichkeit von Prostitution laut wurden. So forderte in einer Pressemitteilung zu den Koalitionsverhandlungen über Menschenhandel und Prostitution der Deutsche Frauenrat einen besseren Schutz von Opfern des Menschenhandels sowie eine Stärkung der Rechte und Sicherheiten von Prostituierten. „Populistische Kampagnen, die auf unredliche Weise Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit Prostitution in eins setzten, seien hingegen nicht hilfreich, um die komplexen Probleme zu lösen“.[21]
Auch in anderen europäischen Staaten, wie etwa in Österreich und der Schweiz, wurden dadurch Diskussionen über Prostitution und deren Verbot angeregt.[22][23][24][25] Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen unterzeichnet den Appell zwar nicht, gab aber an, sich für Änderungen des Prostitutionsgesetzes einsetzen zu wollen. Gregor Gysi von Die Linke äußerte Bedenken, die Freier zu bestrafen, Menschenhandel und Zwangsprostitution müssten aber verschärft strafrechtlich verfolgt werden[26].
Terre des Femmes
Der Verein Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau, deren Vorstandvorsitzende (seit 2009) Irmingard Schewe-Gerigk das Gesetz von 2002 als Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen mitinitiiert hatte, unterzeichnete den Appell nicht, vertritt jedoch keine einheitliche Position. Vorstandsmitglied Juliane Löffler kritisierte, das Emma die Stimmen aus dem Gewerbe ignoriere.[27] Die Terre-des-Femmes-Städtegruppe Rhein-Main unterstützt hingegen den Appell, da sich die Forderungen großteils mit denen von Terre des Femmes deckten.[28][29] Nach dem Auftritt von Schewe-Gerigk bei der Sendung Menschen bei Maischberger am 22. November 2013 zum Thema Kann man Prostitution verbieten?[30] veröffentlichte Terre des Femmes eine Stellungnahme, wonach der Vorstand sich aufgrund der im Verein kontrovers geführten Debatte nicht im Namen des gesamten Vereins für die im Appell gegen Prostitution geforderten Freierbestrafung aussprechen wollte. Das langfristige Ziel des Vereins sei jedoch weiterhin eine Gesellschaft ohne Prostitution.[31] Schwarzer warf Schewe-Gerigk am Ende der Sendung vor, es sei ihr unverständlich, wie sie Vorstand von Terre de Femmes sein könne. Als Reaktion wurde von einer Redakteurin per Twitter dazu aufgerufen, aus Terre des Femmes auszutreten, eine Aktion, die in einem Positionspapier der Anti-Sexismus-Aktivistengruppe Pinksstinks aufs Schärfste verurteilt wurde[32].
Einzelnachweise
- ↑ http://www.emma.de/artikel/das-system-prostitution-die-ware-frau-263499
- ↑ http://www.fair-paysex.de/emma-paula.htm
- ↑ http://www.taz.de/!7600/
- ↑ http://www.spiegel.de/politik/deutschland/alice-schwarzer-ueber-prostitution-die-freiwilligkeit-ist-ein-mythos-a-513846.html
- ↑ http://www.spiegel.de/politik/deutschland/entgegnung-auf-alice-schwarzer-prostitution-ist-realitaet-a-514774.html
- ↑ http://www.emma.de/artikel/prostitution-die-ware-frau-265429
- ↑ http://meedia.de/print/emma-redakteurin-berichtet-aus-dem-pascha/2012/12/05.html
- ↑ Der Appell gegen Prostitution. Sonderseite. In: emma.de. Abgerufen am 15. November 2013.
- ↑ EMMA – Appell gegen Prostitution, Landesfrauenrat Baden-Württemberg
- ↑ Die ErstunterzeichnerInnen auf emma.de
- ↑ http://www.mopo.de/nachrichten/feministin-und-prostituierte-im-streitgespraech--sind-alle-huren-sex-sklavinnen--,5067140,25100192.html
- ↑ https://www.uhl-csu.de/bundestag/pressemitteilungen?entryid=125&template=detail
- ↑ Sonja Dolinsek: Warum ich den Appell gegen Prostitution der EMMA und von Alice Schwarzer ablehne.
- ↑ Schwarzers „Appell gegen Prostitution“ – Eine Entgegnung von Doña Carmen e. V.
- ↑ http://www.aliceschwarzer.de/artikel/editorial-312913
- ↑ Antje Schrupp: Fünf Thesen zu Prostitution
- ↑ Elisabeth Badinter im Gespräch. FAZ, 25. November 2013, abgerufen am 26. November 2013.
- ↑ http://www.zeit.de/2013/49/harald-martenstein-prostitution
- ↑ http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/prostitution-deadwood-12667895.html
- ↑ http://missy-magazine.de/2013/11/19/firefly/
- ↑ Komplexe Probleme erfordern differenzierte Lösungen, Pressemitteilung vom 11. November 2013.
- ↑ Sexarbeiterinnen wollen kein Verbot. ORF.at, 10. Oktober 2013
- ↑ Alice Schwarzer: „Kämpfe für Prostitutions-Verbot“, Kurier, 17. November 2013
- ↑ „Frauen können mit ihrem Körper machen, was sie wollen“, dieStandard.at, 26. November 2013
- ↑ Schwarzer kritisiert Zürcher Strichplatz scharf, 20 Minuten Schweiz, 7. November 2013
- ↑ http://www.taz.de/!127100/
- ↑ Juliane Löffler: Deutungshoheit gepachtet, der Freitag, 29. Oktober 2013
- ↑ Appell gegen Prostitution | Petition von EMMA, Terre des Femmes, Städtegruppe Rhein-Main, 26. November 2013
- ↑ Positionspapier zu Prostitution in Deutschland, von Terre des Femmes (Stand September 2011)
- ↑ Annett Otto: „Menschen bei Maischberger“ zu Prostitution. „Haben sich jetzt alle einmal angeschrien?“, Berliner Zeitung, 27. November 2013
- ↑ Debatte zur Prostitution bei TERRE DES FEMMES
- ↑ http://pinkstinks.de/prostitution/
Weblinks
- Der Appell gegen Prostitution, Sonderseite auf emma.de
- Prostitution - Ein deutscher Skandal
- Appel FÜR Prostitution, Sonderseite auf sexwork-deutschland.de
Literatur
- Prostitution - Ein deutscher Skandal, Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden? Alice Schwarzer (Herausgeberin), Kiepenheuer & Witsch, 2013, ISBN: 978-3-462-04578-9