Der Archipelagus

Gedicht in Hexametern von Friedrich Hölderlin
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Der Archipelagus ist ein Gedicht in Hexametern von Friedrich Hölderlin, mit 296 Verszeilen sein längstes. Es entstand in den Jahren 1800 und 1801. Mit seinem Versmaß, seinen teils epischen, teils lyrischen Partien, diese teils elegisch klagend, teils hymnisch preisend, nimmt es in Hölderlins Werk eine Sonderstellung ein. Neben der gleichzeitigen Elegie Brod und Wein ist es Hölderlins vollkommenste Darstellung seines Pantheismus. Er glaubte die göttlich gesehene “Natur“ und die menschengeschaffene Kultur in der Vergangenheit der griechischen Polis, vor allem Athens, harmonisch verbunden, erlebte „Natur“ und Menschenwerk in seiner Gegenwart schmerzhaft zerfallen und hoffte sie wieder zusammen blühend in der Zukunft.

Friedrich Hölderlin, Pastell von Franz Karl Hiemer, 1792; Schiller-Nationalmuseum in Marbach.
Die zum Archipelagus gehörende Insel Kalauria nach Richard Chandler, 1777.

Entstehung

Im Herbst 1798 hatte Hölderlin nach dem Bruch mit Jakob Friedrich Gontard-Borkenstein (1764–1843) Frankfurt fluchtartig verlassen und lebte seitdem im nahen Homburg. Am 8. Mai 1800 traf er Susette Gontard, seine Diotima, zum letzten Mal. Mitte Juni wanderte er über Nürtingen, wo die Mutter und die Schwester lebten, nach Stuttgart. Dort wohnte er bei dem befreundeten Kaufmann Christian Landauer (1769–1845). Sein Gefühl einer Heimkehr gestaltete er in dem Gedicht Die Heimath – „Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom“, seine Freundschaft mit Landauer in der Elegie Der Gang aufs Land – An Landauer – „Der Freunde Freund zu seyn, bis du geboren“. Im Januar 1801 trat er eine Hofmeisterstelle bei dem Leinenfabrikanten Anton von Gonzenbach (1748–1819) in Hauptwil in der Schweiz an. Schon Anfang April kehrte er aber nach Nürtingen zurück, wieder mit der Empfindung der Heimkehr, aus der die Elegie Heimkunft – An die Verwandten entstand – „Dort empfangen sie mich. O Stimme der Stadt, der Mutter!“. Am 10. Dezember brach er zu einer weiteren Hofmeisterstelle bei dem Weinhändler und hamburgischen Konsul Daniel Christoph Meyer (1751–1818) in Bordeaux auf. Es war eine Zeit voller Pläne, aber zugleich bedrängender Nöte. Der Plan, sich durch die Herausgabe einer Zeitschrift Iduna eine finanzielle Grundlage zu schaffen, scheiterte.

Der Mutter schrieb er am 29. Januar 1800 aus Homburg:[1] „Um meine Gesundheit dürfen Sie ja nicht bange seyn, theuerste Mutter! Ich habe schon seit guter Zeit dieses kostbare Gut ungestört genossen, und es freut mich um so mehr, weil ich immer fürchtete, daß der böse krampfhafte Zustand bleibend werden möchte.“ Ähnlich freudig an die Mutter Mitte des Jahres aus Stuttgart:[2] „Die Theilnahme und Aufmunterung treuer wohlmeinender Gemüther ist mir auf der Stelle meines Lebens, worauf ich jezt bin, ein größeres Geschenk, als irgend etwas, worauf man sonst großen Werth zu legen Ursache hat. Mein Logis und die Aufnahme in meines Freundes Hauße fand ich ganz nach meinem Wunsche. Überhaupt haben mich meine alten Bekannten so gutmüthig empfangen, daß ich wohl hoffen darf, hier eine Zeit im Frieden zu leben, und ungestörter, als bisher, mein Tagwerk thun zu können.“ Andererseits berichtet Gustav Schwab über Hölderlins Verfassung in Stuttgart:[3] „Seine Gemüthsstimmung schien gefährlich. Schon sein Aeußeres zeugte von der Aenderung, die sein Wesen in den vergangenen Jahren erlitten hatte; als er von Homburg zurückkehrte, glaubte man einen Schatten zu sehen, so sehr hatten die inneren Kämpfe und Leiden den einst blühenden Körper angegriffen. Noch auffallender war die Gereiztheit seines Seelenzustandes; ein zufälliges, unschuldiges Wort, das gar keine Beziehung auf ihn hatte, konnte ihn so sehr aufbringen, daß er die Gesellschaft, in der er sich eben befand, verließ und nie zu derselben wiederkehrte.“

In dieser labilen Lebenslage ist außer Brod und Wein und mehreren Oden, darunter Heidelberg, Der Archipelagus entstanden.

Überlieferung

Zwei Manuskripte Hölderlins mit Bruchstücken und zweí vollständige oder fast vollständige Manuskripte sind erhalten, alle heute in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Hölderlin schickte das Gedicht im Frühjahr 1801 an Johann Bernhard Vermehren in Jena mit der Bitte, es an Ludwig Tiecks Poetisches Journal zu vermitteln. Die Vermittlung blieb erfolglos, weil das Journal eingestellt wurde. Gedruckt wurde Der Archipelagus zuerst 1804, herausgegeben von Ludwig Ferdinand Huber, in den Vierteljährlichen Unterhaltungen der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung in Tübingen. Von den beiden Historisch-kritischen Ausgaben, der Stuttgarter Ausgabe von Friedrich Beißner und Adolf Beck und der Frankfurter Ausgabe von Dietrich Sattler, ist in diesem Artikel nach der Stuttgarter Ausgabe zitiert.

Inhalt

Das Wort Archipelagus, gebildet aus ἀρχή, Beginn, und πέλαγος, Meer, ist aus Antike und Mittelalter nicht belegt. Für Hölderlin ist der Archipelagus geographisch das Ägäische Meer mit seinen Inseln und Küsten, die griechische bewohnte Welt, Oikumene, in seinem Wesen aber die göttliche Natur, das göttliche All, die liebende Gemeinschaft alles Lebendigen. Die altgriechischen Meergötter Okeanos, Pontos und Poseidon sind in ihm aufgegangen. Der Eingansgteil (Vers 1–61) ist hymnischer Preis des Archipelagus; der Mittelteil (Vers 62–199) ruft die Blütezeit Athens wach; der Schlussteil (Vers 200–296) ist Bewusstwerden der Gegenwart in Trauer und Hoffnung. Eine Grundstimmung der Trauer, des Verlusts färbt aber das ganze Gedicht; schon im Eingangsteil trauert (Vers 39) und klagt (Vers 55) der Archipelagus.

Eingangsteil (Vers 1–61)

In den ersten 9 Versen ruft das „Ich“ den Archipelagus in der Freude des Frühlings mit liebend drängenden rhetorischen Fragen an.

 
Seite 1 des Manuskripts Der Archipelagus – Homburg, Vers 1–19.

0000Kehren die Kraniche wieder zu dir, und suchen zu deinen
0000Ufern wieder die Schiffe den Lauf? umathmen erwünschte
0000Lüfte dir die beruhigte Fluth, und sonnet der Delphin,
0000Aus der Tiefe gelockt, am neuen Lichte den Rüken?
0050Blüht Ionien? ists die Zeit? denn immer im Frühling,
0000Wenn den Lebenden sich das Herz erneut und die erste
0000Liebe den Menschen erwacht und goldner Zeiten Erinnrung,
0000Komm ich zu dir und grüß' in deiner Stille dich, Alter!

Von der Höhe, wo die Kraniche aus südlicheren Ländern zurückkehren und „erwünschte Lüfte“ wehen, erstreckt sich der Archipelagus bis in die Tiefe des Meeres, aus der der Delphin auftaucht. Sechs Inseln repräsentieren die horizontale Dimension.

0000Immer, Gewaltiger! lebst du noch und ruhest im Schatten
0100Deiner Berge, wie sonst; mit Jünglingsarmen umfängst du
0000Noch dein liebliches Land, und deiner Töchter, o Vater!
0000Deiner Inseln ist noch, der blühenden, keine verloren.
0000Kreta steht und Salamis grünt, umdämmert von Lorbeern,
0000Rings von Strahlen umblüht, erhebt zur Stunde des Aufgangs
0150Delos ihr begeistertes Haupt, und Tenos und Chios
0000Haben der purpurnen Früchte genug, von trunkenen Hügeln
0000Quillt der Cypriertrank, und von Kalauria fallen
0000Silberne Bäche, wie einst, in die alten Wasser des Vaters.
0000Alle leben sie noch, die Heroenmütter, die Inseln,
0200Blühend von Jahr zu Jahr, und wenn zu Zeiten, vom Abgrund
0000Losgelassen, die Flamme der Nacht, das untre Gewitter
0000Eine der holden ergriff, und die Sterbende dir in den Schoos sank,
0000Göttlicher! du, du dauertest aus, denn über den dunkeln
0000Tiefen ist manches schon dir auf und untergegangen.

Der Archipelagus, immer wieder als „du“ angesprochen, ist der „Gewaltige“, „Alte“ und doch zugleich Jüngling (Vers 10). Er ist der „Vater“ der ägäischen Inseln. Hölderlin charakterisiert sie so, wie er sie unter anderem aus Richard Chandlers Reiseberichten kannte.[4] Kreta „steht“ mit seinen über 2000 Meter hohen Gebirgen. Salamis „grünt“ wie im Hyperion. Delos, die Insel Apollons, der auch ein Lichtgott war, ist „rings von Strahlen umblüht“. Tenos, Chios und Zypern sind Weininseln. Kalauria, die Heimat Diotimas, besitzt – wie hier „silberne Bäche“ – im Hyperion Hügel mit „schäumenden Bächen“.[5] Vergänglich sind die Inseln. Vulkanismus, „die Flamme der Nacht, das untre Gewitter“ kann die „Töchter“ des Vaters zerstören, dem allein als dem göttlichen All Dauer zukommt. In seinen Preis wird der Kosmos einbezogen.

 
Seite 2 des Manuskripts, Vers 20–38.

0250Auch die Himmlischen, sie, die Kräfte der Höhe, die stillen,
0000Die den heiteren Tag und süßen Schlummer und Ahnung
0000Fernher bringen über das Haupt der fühlenden Menschen
0000Aus der Fülle der Macht, auch sie, die alten Gespielen
0000Wohnen, wie einst, mit dir, und oft am dämmernden Abend,
0300Wenn von Asiens Bergen herein das heilige Mondlicht
0000Kömmt und die Sterne sich in deiner Wooge begegnen,
0000Leuchtest du von himmlischem Glanz, und so, wie sie wandeln,
0000Wechseln die Wasser dir, es tönt die Weise der Brüder
0000Droben, ihr Nachtgesang im liebenden Busen dir wieder.
0350Wenn die allverklärende dann, die Sonne des Tages,
0000Sie, des Orients Kind, die Wunderthätige, da ist,
0000Dann die Lebenden all' im goldenen Traume beginnen,
0000Den die Dichtende stets des Morgens ihnen bereitet,
0000Dir, dem trauernden Gott, dir sendet sie froheren Zauber,
0400Und ihr eigen freundliches Licht ist selber so schön nicht
0000Denn das Liebeszeichen, der Kranz, den immer, wie vormals,
0000Deiner gedenk, doch sie um die graue Loke dir windet.
0000Und umfängt der Äther dich nicht, und kehren die Wolken,
0000Deine Boten, von ihm mit dem Göttergeschenke, dem Strale
0450Aus der Höhe dir nicht? dann sendest du über das Land sie,
0000Daß am heißen Gestad die gewittertrunkenen Wälder
0000Rauschen und wogen mit dir, daß bald, dem wandernden Sohn gleich,
0000Wenn der Vater ihn ruft, mit den tausend Bächen Mäander
0000Seinen Irren enteilt und aus der Ebne Kayster
0500Dir entgegenfrohlockt, und der Erstgeborne, der Alte,
0000Der zu lange sich barg, dein majestätischer Nil itzt
0000Hochherschreitend aus fernem Gebirg, wie im Klange der Waffen,
0000Siegreich kömmt, und die offenen Arme der Sehnende reichet.

 
Seite 3 des Manuskripts, Vers 39–40 und 43–58; Verse 41 und 42 fehlen in diesem Manuskript.

Die Himmelskörper sind die „alten Gespielen“ (Vers 28) des Archipelagus. Zwischen ihnen und dem Meer waltet kosmische Sympathie. Das „heilige Mondlicht“ und die Sterne leuchten auf der „Wooge“ in „himmlischem Glanz“ wider, die durch die Bewegung der Himmelskörper entstehende Sphärenharmonie klingt „im liebenden Busen“ des Meeres wider. Gemäß den Mondphasen „wechseln die Wasser“ in Ebbe und Flut. Die Sonne sendet dem „trauernden Gott“ Freude und als „Liebeszeichen“ ihr Spiegelbild. Das Umfangenwerden des Archipelagus vom „Äther“ (Vers 40), der All-Natur mit Betonung des Geistigen in der Natur, deutet „den innigen Zusammenhang von Natur und Geist“ an.[6] Das Miteinander von Archipelagus-Meer-Land und Äther-Geist wird entfaltet. Vom Meer verdunstet das Wasser und kondensiert sich in Wolken, den „Boten“ des Archipelagus, die blitzgeladen über das Land treiben und das Wasser regnen lassen, so dass die Flüsse schwellen und in die „offenen Arme“ des Meeres eilend den Kreis schließen. Die Nennung der Flüsse weitet die Oikumene. „Kayster“, heute Kleiner Mäander und „Mäander“, heute Großer Mäander, sind Flüsse im westlichen Kleinasien; die „Irren“ (Vers 49) des letzteren haben dem „Mäander“ der Geographie und der Ornamentik den Namen gegeben. Der Nil war der „Erstgeborne“ des Okeanos und der Titanin Thetys. Dass er „zu lange sich barg“, spielt auf die Unbekanntheit seiner Quellen im Altertum an. Warum aber trauert der Archipelagus, der Inseln entstehen und vergehen lässt und Wasser spendet und empfängt?

0000Dennoch einsam dünkest du dir; in schweigender Nacht hört
0550Deine Weheklage der Fels, und öfters entflieht dir
0000Zürnend von Sterblichen weg die geflügelte Woge zum Himmel,
0000Denn es leben mit dir die edeln Lieblinge nimmer,
0000Die dich geehrt, die einst mit den schönen Tempeln und Städten
0000Deine Gestade bekränzt, und immer suchen und missen,
0600Immer bedürfen ja, wie Heroen den Kranz, die geweihten
0000Elemente zum Ruhme das Herz der fühlenden Menschen.

Den Blick zurück vorbereitend, wird ein Defizit konstatiert: Jene Kultur „mit den schönen Tempeln und Städten“, die sich mit der alles durchdringenden Gott-Natur im Einklang, mit allem Bestehenden durch ein heiliges Band verflochten wusste, ist vergangen. Die rühmende Bejahung durch die Menschen vermisst der Archipelagus.

 
Seite 4 des Manuskripts, Vers 59–76.

Mittelteil (Vers 62–199)

0000Sage, wo ist Athen? ist über den Urnen der Meister
0000Deine Stadt, die geliebteste dir, an den heiligen Ufern,
0000Trauernder Gott! dir ganz in Asche zusammengesunken,
0650Oder ist noch ein Zeichen von ihr, daß etwa der Schiffer,
0000Wenn er vorüberkommt, sie nenn' und ihrer gedenke?
0000Stiegen dort die Säulen empor und leuchteten dort nicht
0000Sonst vom Dache der Burg herab die Göttergestalten?
0000Rauschte dort die Stimme des Volks, die stürmischbewegte,
0700Aus der Agora nicht her, und eilten aus freudigen Pforten
0000Dort die Gassen dir nicht zu geseegnetem Hafen herunter?
0000Siehe! da löste sein Schiff der fernhinsinnende Kaufmann,
0000Froh, denn es wehet' auch ihm die beflügelnde Luft und die Götter
0000Liebten so, wie den Dichter, auch ihn, dieweil er die guten
0750Gaaben der Erd' ausglich und Fernes Nahem vereinte.
0000Fern nach Cypros ziehet er hin und ferne nach Tyros,
0000Strebt nach Kolchis hinauf und hinab zum alten Aegyptos,
0000Daß er Purpur und Wein und Korn und Vließe gewinne
0000Für die eigene Stadt, und öfters über des kühnen
0800Herkules Säulen hinaus, zu neuen seeligen Inseln
0000Tragen die Hoffnungen ihn und des Schiffes Flügel, indessen
0000Anders bewegt, am Gestade der Stadt ein einsamer Jüngling
0000Weilt und die Wooge belauscht, und Großes ahndet der Ernste
0000Wenn er zu Füßen so des erderschütternden Meisters
0850Lauschet und sitzt, und nicht umsonst erzog ihn der Meergott.

Wie im Eingangsteil stehen am Anfang rhetorische Fragen. Sie konkretisieren den Verlust. Das Athen der prächtigen „Burg“ (der Akropolis), der prächtigen (auf der Mittelsilbe betonten) Agora, des zahlreichen Volks, repräsentiert durch die „Gassen“, die „zu geseegnetem Hafen herunter“ eilen – dies Athen ist nicht mehr. Mit seiner Nennung „deine Stadt“ (Vers 63) wird der Archipelagus noch einmal in der zweiten Person angeredet. Von hier bis zum Schlussteil wird in der dritten Person geschildert. Das verlorene, aber gegenwärtig gesehene Athen ist zunächst eine Handelsstadt. Ihre Beziehungen reichen, die Oikumene noch einmal ausdehnend, vom schon erwähnten Zypern mit seinem „Cypriertrank“ (Vers 17) zur phönizischen Purpurstadt Tyros an der Ostküste des Mittelmeers, von Kolchis an der Ostküste des Schwarzen Meeres, das „Vließe“, Tierfelle liefert, zur „Korn“kammer des Mittelmeerraumes „Aigyptos“. Sie reichen sogar über „des kühnen Herkules Säulen“, die Säulen des Herakles an der Straße von Gibraltar, hinaus zu den „seeligen Inseln“, von denen Herakles die Äpfel der Hesperiden holte, vielleicht den Kanarischen Inseln.

 
Seite 5 des Manuskripts, Vers 86–

0000Denn des Genius Feind, der vielgebietende Perse,
0000Jahrlang zählt' er sie schon, der Waffen Menge, der Knechte,
0000Spottend des griechischen Lands und seiner wenigen Inseln,
0000Und sie deuchten dem Herrscher ein Spiel und noch, wie ein Traum, war
0900Ihm das innige Volk, vom Göttergeiste gerüstet.
0000Leicht aus spricht er das Wort und schnell, wie der flammende Bergquell,
0000Wenn er furchtbar umher vom gärenden Ätna gegossen,
0000Städte begräbt in der purpurnen Flut und blühende Gärten,
0000Bis der brennende Strom im heiligen Meere sich kühlet,
0950So mit dem Könige nun, versengend, städteverwüstend,
0000Stürzt von Ekbatana daher sein prächtig Getümmel;
0000Weh! und Athene, die herrliche, fällt; wohl schauen und ringen
0000Vom Gebirg, wo das Wild ihr Geschrei hört, fliehende Greise
0000Nach den Wohnungen dort zurück und den rauchenden Tempeln,
1000Aber es weckt der Söhne Gebet die heilige Asche
0000Nun nicht mehr, im Tal ist der Tod, und die Wolke des Brandes
0000Schwindet am Himmel dahin, und weiter im Lande zu ernten,
0000Zieht, vom Frevel erhitzt, mit der Beute der Perse vorüber.
0000Aber an Salamis Ufern, o Tag an Salamis Ufern!
1050Harrend des Endes stehn die Athenerinnen, die Jungfraun,
0000Stehn die Mütter, wiegend im Arm das gerettete Söhnlein,
0000Aber den Horchenden schallt von Tiefen die Stimme des Meergotts
0000Heilweissagend herauf, es schaun die Götter des Himmels
0000Wägend und richtend herab, denn dort an den bebenden Ufern
1100Wankt, seit Tagesbeginn, wie langsamwandelnd Gewitter
0000Dort auf schäumenden Wassern die Schlacht und es glühet der Mittag,
0000Unbemerket im Zorn, schon über dem Haupte den Kämpfern.
0000Aber die Männer des Volks, die Heroenenkel, sie walten
0000Helleren Auges jetzt, die Götterlieblinge denken
1150Des beschiedenen Glücks, es zähmen die Kinder Athenes
0000Ihren Genius, ihn, den todverachtenden jetzt nicht;
0000Denn wie aus rauchendem Blut das Wild der Wüste noch einmal
0000Sich zuletzt verwandelt erhebt, der edleren Kraft gleich,
0000Und den Jäger erschreckt; kehrt jetzt im Glanze der Waffen,
1200Bei der Herrscher Gebot, furchtbargesammelt den Wilden,
0000Mitten im Untergang die ermattete Seele noch einmal.
0000Und entbrannter beginnts; wie Paare ringender Männer
0000Fassen die Schiffe sich an, in die Woge taumelt das Steuer,
0000Unter den Streitern bricht der Boden und Schiffer und Schiff sinkt.
1250Aber in schwindelnden Traum vom Liede des Tages gesungen
0000Rollt der König den Blick, irrlächelnd über den Ausgang
0000Droht er und fleht und frohlockt und sendet, wie Blitze, die Boten
0000Doch er sendet umsonst, es kehret keiner ihm wieder.
0000Blutige Boten, Erschlagne des Heers und berstende Schiffe,
1300Wirft die Rächerin ihm zahllos, die donnernde Woge
0000Vor den Thron, wo er sitzt am bebenden Ufer, der Arme
0000Schauend die Flucht und fort in die fliehende Menge gerissen,
0000Eilt er, ihn treibt der Gott, es treibt sein irrend Geschwader
0000Über die Fluten der Gott, der spottend sein eitel Geschmeid' ihm
1350Endlich zerschlug und den Schwachen erreicht' in der drohenden Rüstung.
0000Aber liebend zurück zum einsamharrenden Strome
0000Kommt der Athener Volk und von den Bergen der Heimat
0000Wogen, freudig gemischt, die glänzenden Scharen herunter
0000Ins verlassene Tal; ach! gleich der gealterten Mutter,
1400Wenn nach Jahren das Kind, das verlorengeachtete, wieder
0000Lebend ihr an die Brüste kehrt, ein erwachsener Jüngling,
0000Aber im Gram ist ihr die Seele gewelkt und die Freude
0000Kommt der hoffnungsmüden zu spät und mühsam vernimmt sie,
0000Was der liebende Sohn in seinem Danke geredet,
1450So erscheint den Kommenden dort der Boden der Heimat.
0000Denn es fragen umsonst nach ihren Hainen die Frommen,
0000Und die Sieger empfängt die freundliche Pforte nicht wieder,
0000Wie den Wanderer sonst sie empfing, wenn er froh von den Inseln
0000Wiederkehrt' und die selige Burg der Mutter Athene
1500Über sehnendem Haupt ihm fernherglänzend heraufging.
0000Aber wohl sind ihnen bekannt die verödeten Gassen
0000Und die trauernden Gärten umher und auf der Agora,
0000Wo des Portikus Säulen gestürzt und die göttlichen Bilder
0000Liegen, da reicht in der Seele bewegt und der Treue sich freuend
1550Jetzt das liebende Volk zum Bunde die Hände sich wieder.
0000Bald auch suchet und sieht den Ort des eigenen Hauses
0000Unter dem Schutt der Mann; ihm weint am Halse der trauten
0000Schlummerstätte gedenk, sein Weib, es fragen die Kindlein
0000Nach dem Tische, wo sonst in lieblicher Reihe sie saßen,
160}0Von den Vätern gesehn, den lächelnden Göttern des Hauses.
0000Aber Gezelte bauet das Volk, es schließen die alten
0000Nachbarn wieder sich an, und nach des Herzens Gewohnheit
0000Ordnen die luftigen Wohnungen sich umher an den Hügeln.
0000So indessen wohnen sie nun, wie die Freien, die Alten,
1650Die, der Stärke gewiß und dem kommenden Tage vertrauend,
0000Wandernden Vögeln gleich, mit Gesange von Berge zu Berg' einst
0000Zogen, die Fürsten des Forsts und des weitumirrenden Stromes.
0000Doch umfängt noch, wie sonst, die Muttererde, die treue,
0000Wieder ihr edel Volk und unter heiligem Himmel
1700Ruhen sie sanft, wenn milde, wie sonst, die Lüfte der Jugend
0000Um die Schlafenden wehn und aus Platanen Ilissus
0000Ihnen herüberrauscht und neue Tage verkündend,
0000Lockend zu neuen Taten bei Nacht die Woge des Meergotts
0000Fernher tönt und fröhliche Träume den Lieblingen sendet.
1750Schon auch sprossen und blühn die Blumen mälig, die goldnen
0000Auf zertretenem Feld, von frommen Händen gewartet,
0000Grünet der Ölbaum auf und auf Kolonos Gefilden
0000Nähren friedlich, wie sonst, die Athenischen Rosse sich wieder.
0000Aber der Muttererd' und dem Gott der Woge zu Ehren
1800Blühet die Stadt itzt auf, ein herrlich Gebild, dem Gestirn gleich
0000Sichergegründet, des Genius Werk, denn Fesseln der Liebe
0000Schafft er gerne sich so, so hält in großen Gestalten,
0000Die er selbst sich erbaut, der immerrege sich bleibend.
0000Sieh! und dem Schaffenden dienet der Wald, ihm reicht mit den andern
1850Bergen nahe zur Hand der Pentele Marmor und Erze,
0000Aber lebend, wie er, und froh und herrlich entquillt es
0000Seinen Händen und leicht, wie der Sonne, gedeiht das Geschäft ihm.
0000Brunnen steigen empor und über die Hügel in reinen
0000Bahnen gelenkt, ereilt der Quell das glänzende Becken;
1900Aber umher an ihnen erglänzt, gleich festlichen Helden
0000Am gemeinsamen Kelch, die Reihe der Wohnungen, hoch ragt
0000Der Prytanen Gemach, es stehn Gymnasien offen,
0000Göttertempel entstehn, ein heiligkühner Gedanke
0000Steigt, Unsterblichen nah, das Olympion auf in den Äther
1950Aus dem seligen Hain; noch manche der himmlischen Hallen!
0000Mutter Athene, dir auch, dir wuchs dein herrlicher Hügel
0000Stolzer aus der Trauer empor und blühte noch lange,
0000Gott der Wogen und dir und deine Lieblinge sangen
0000Frohversammelt noch oft am Vorgebirge den Dank dir.

Schlussteil (Vers 200–296)



0000O die Kinder des Glücks, die frommen! wandeln sie fern nun
0000Bei den Vätern daheim und der Schicksalstage vergessen
0000Drüben am Lethestrom und bringt kein Sehnen sie wieder,
0000Sieht mein Auge sie nie? ach! findet über den tausend
0000Pfaden der grünenden Erd', ihr göttergleichen Gestalten!
0000Euch das Suchende nie, und vernahm ich darum die Sage,
0000Darum die Sprache von euch, daß immertrauernd die Seele
0000Vor der Zeit mir hinab zu euern Schatten entfliehe?
0000Aber näher zu euch, wo eure Haine noch wachsen,
0000Wo sein einsames Haupt in Wolken der heilige Berg hüllt,
0000Zum Parnassos will ich und wenn im Dunkel der Eiche
0000Schimmernd, mir Irrenden dort Kastalias Quelle begegnet,
0000Will ich, mit Tränen gemischt, aus blütenumdufteter Schale
0000Dort, auf keimendes Grün, das Wasser gießen, damit doch,
0000O ihr Schlafenden all! ein Totenopfer euch werde.
0000Dort im schweigenden Tal, an Tempes hängenden Felsen,
0000Will ich wohnen mit euch, dort oft, ihr herrlichen Namen,
0000Her euch rufen bei Nacht, und wenn ihr zürnend erscheinet,
0000Weil der Pflug die Gräber entweiht, mit der Stimme des Herzens
0000Will ich, mit frommem Gesang euch sühnen, heilige Schatten!
0000Bis zu leben mit euch, sich ganz die Seele gewöhnet.
0000Fragen wird der Geweihtere dann euch manches, ihr Toten!
0000Euch, ihr Lebenden auch, ihr hohen Kräfte des Himmels,
0000Wenn ihr über dem Schutt mit euren Jahren vorbeigeht,
0000Ihr in der sicheren Bahn! denn oft ergreifet das Irrsal
0000Unter den Sternen mir, wie schaurige Lüfte den Busen,
0000Daß ich spähe nach Rat und lang schon reden sie nimmer
0000Trost den Bedürftigen zu, die prophetischen Haine Dodonas,
0000Stumm ist der delphische Gott und einsam liegen und öde
0000Längst die Pfade, wo einst, von Hoffnungen leise geleitet,
0000Fragend der Mann zur Stadt des redlichen Sehers heraufstieg.
0000Aber droben das Licht, es spricht noch heute zu Menschen,
0000Schöner Deutungen voll und des großen Donnerers Stimme
0000Ruft es: denket ihr mein? und die trauernde Woge des Meergotts
0000Hallt es wider: gedenkt ihr nimmer meiner, wie vormals?
0000Denn es ruhn die Himmlischen gern am fühlenden Herzen,
0000Immer, wie sonst, geleiten sie noch, die begeisternden Kräfte
0000Gerne den strebenden Mann und über Bergen der Heimat
0000Ruht und waltet und lebt allgegenwärtig der Äther,
0000Daß ein liebendes Volk in des Vaters Armen gesammelt,
0000Menschlichfreudig, wie sonst, und Ein Geist allen gemein sei.
0000Aber weh! es wandelt in Nacht, es wohnt, wie im Orkus,
0000Ohne Göttliches unser Geschlecht. Ans eigene Treiben
0000Sind sie geschmiedet allein und sich in der tosenden Werkstatt
0000Höret jeglicher nur und viel arbeiten die Wilden
0000Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und immer
0000Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Mühe der Armen.
0000Bis erwacht vom ängstigen Traum, die Seele den Menschen
0000Aufgeht, jugendlichfroh, und der Liebe segnender Othem
0000Wieder, wie vormals, oft, bei Hellas blühenden Kindern,
0000Wehet in neuer Zeit und über freierer Stirne
0000Uns der Geist der Natur, der fernherwandelnde, wieder
0000Stilleweilend der Gott in goldnen Wolken erscheinet.
0000Ach! und säumest du noch? und jene, die göttlichgebornen,
0000Wohnen immer, o Tag! noch als in Tiefen der Erde
0000Einsam unten, indes ein immerlebender Frühling
0000Unbesungen über dem Haupt den Schlafenden dämmert?
0000Aber länger nicht mehr! schon hör' ich ferne des Festtags
0000Chorgesang auf grünem Gebirg' und das Echo der Haine,
0000Wo der Jünglinge Brust sich hebt, wo die Seele des Volks sich
0000Stillvereint im freieren Lied, zur Ehre des Gottes,
0000Dem die Höhe gebührt, doch auch die Tale sind heilig;
0000Denn, wo fröhlich der Strom in wachsender Jugend hinauseilt,
0000Unter Blumen des Lands und wo auf sonnigen Ebnen
0000Edles Korn und der Obstwald reift, da kränzen am Feste
0000Gerne die Frommen sich auch und auf dem Hügel der Stadt glänzt,
0000Menschlicher Wohnung gleich, die himmlische Halle der Freude.
0000Denn voll göttlichen Sinns ist alles Leben geworden,
0000Und vollendend, wie sonst, erscheinst du wieder den Kindern
0000Überall, o Natur! und, wie vom Quellengebirg, rinnt
0000Segen von da und dort in die keimende Seele dem Volke.
0000Dann, dann, o ihr Freuden Athens! ihr Taten in Sparta!
0000Köstliche Frühlingszeit im Griechenlande! wenn unser
0000Herbst kömmt, wenn ihr gereift, ihr Geister alle der Vorwelt!
0000Wiederkehret und siehe! des Jahrs Vollendung ist nahe!
0000Dann erhalte das Fest auch euch, vergangene Tage!
0000Hin nach Hellas schaue das Volk und weinend und dankend
0000Sänftige sich in Erinnerungen der stolze Triumphtag!
0000Aber blühet indes, bis unsre Früchte beginnen,
0000Blüht, ihr Gärten Ioniens! nur und die an Athens Schutt
0000Grünen, ihr Holden! verbergt dem schauenden Tage die Trauer!
0000Kränzt mit ewigem Laub, ihr Lorbeerwälder! die Hügel
0000Eurer Toten umher, bei Marathon dort, wo die Knaben
0000Siegend starben, ach! dort auf Chäroneas Gefilden,
0000Wo mit den Waffen ins Blut die letzten Athener enteilten,
0000Fliehend vor dem Tage der Schmach, dort, dort von den Bergen
0000Klagt ins Schlachttal täglich herab, dort singet von Ötas
0000Gipfeln das Schicksalslied, ihr wandelnden Wasser, herunter!
0000Aber du, unsterblich, wenn auch der Griechengesang schon
0000Dich nicht feiert, wie sonst, aus deinen Wogen, o Meergott!
0000Töne mir in die Seele noch oft, daß über den Wassern
0000Furchtlosrege der Geist, dem Schwimmer gleich, in der Starken
0000Frischem Glücke sich üb' und die Göttersprache das Wechseln
0000Und das Werden versteh' und wenn die reißende Zeit mir
0000Zu gewaltig das Haupt ergreift und die Not und das Irrsal
0000Unter Sterblichen mir mein sterblich Leben erschüttert,
0000Laß der Stille mich dann in deiner Tiefe gedenken.


Literatur

Einzelnachweise

  1. Stuttgarter Ausgabe Band 6,1, S. 385.
  2. StuttgarterAusgabe Band 6,1, S, 395.
  3. Stuttgarter Ausgabe Band 7, 2, S. 172.
  4. Walser 1962, S. 102–105.
  5. Stuttgarter Ausgabe Band 3, S. 48.
  6. Schmidt 1992, S. 691.