Entstalinisierung
Der Begriff Entstalinisierung steht für eine Reihe von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen seitens der sowjetischen Staats- und Parteiführung. Ziel war es, die staatlich ausgeübte Gewalt einzuschränken, die Konsumwirtschaft zu fördern und Raum für Ambivalenzen in Partei und Kultur zu schaffen. Die Reformen begannen unmittelbar nach dem Tod Josef Stalins 1953, intensivierten sich unter Nikita Chruschtschow und wirkten teilweise bis zur Auflösung der Sowjetunion nach.
Die „stille Entstalinisierung“ 1953-1956: Vom Tode Stalins bis zur „Geheimrede“ Nikita Chruschtschows
Erste Maßnahmen der Entstalinisierung leitete der sowjetische Innenminister Lawrentij Berija drei Wochen nach Stalins Tod ein. Er verbot Misshandlungen während der Untersuchungshaft, rehabilitierte die Kreml-Ärzte, die unmittelbar vor Stalins Tod einer politischen Verschwörung bezichtigt worden waren, stärkte die nationalen Kader in den Teilrepubliken und stellte die Arbeit des Ausschusses für konterrevolutionäre Verbrechen, eines der zentralen staatlichen Repressionsorgane, ein. Am bedeutendsten war jedoch wohl die Entlassung von etwa 1,2 Mio. Lagerinsassen aus den Gulags. Allerdings galt diese Amnestie nur für Häftlinge, die eine Strafe von weniger als fünf Jahren verbüßten. Damit waren politisch Verfolgte von dieser Maßnahme ausgenommen. Im Zuge der Lockerung des Strafvollzugs kam es seit 1953 verstärkt zu Lageraufständen, die sich gegen die weiterhin schlechten Haftbedingungen richteten.[1]
Die Jahre vom Tode Stalins bis zur „Geheimrede“ Chruschtschows bezeichnet man auch als „stille Entstalinisierung“, da eine Abkehr von der bisherigen Politik zwar teilweise vollzogen, jedoch noch nicht offen proklamiert wurde. In dieser Zeit war auch die Nachfolge Stalins nicht eindeutig geregelt. Zunächst trat eine kollektive Führung an die Spitze des Staates, die Berija aus Furcht vor dem mächtigen Geheimdienstchef bald stürzte und hinrichten ließ.[2] In den folgenden Diadochenkämpfen setzte sich schließlich Chruschtschow durch geschicktes Taktieren und mit Hilfe des von ihm weitgehend kontrollierten Parteiapparats gegen seine Rivalen um die Macht durch. Zur politischen Legitimation seiner Herrschaft emanzipierte er sich gezielt von Stalin, obwohl er, wie die gesamte Führungsriege des Landes, zu Lebzeiten zu dessen engsten Vertrauten gezählt hatte und an den Verbrechen des Regimes beteiligt gewesen war.
Der Beginn der offenen Entstalinisierung: Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag 1956
Auf dem XX. Parteitag der KPdSU hielt Chruschtschow in einer geschlossenen Sitzung am 25. Februar 1956 eine Rede, in der er den „Personenkult“ um Stalin, dessen Machtmissbrauch und die staatlichen Repressionen gegen Parteifunktionäre kritisierte. Die Macht der Partei basiere nicht auf einer Person, so Chruschtschow, sondern auf dem „unverbrüchlichen Bund mit den Massen“. Außerdem forderte er eine Wiederbesinnung auf die Lehren Lenins und die damit verbundene Rückkehr zum Prinzip der kollektiven Führung: Kollektivität sei „das führende Prinzip der Leitung der Partei“. Keine Erwähnung in dieser Rede fanden hingegen der Terror gegen die breite Bevölkerung und die politischen „Säuberungen“ vor 1934.
Somit kritisierte Chruschtschow zwar Stalin persönlich, nicht jedoch grundlegende Strukturen des stalinistischen Systems. Trotz des Postulats der Geheimhaltung wurde die Rede an lokale Parteiinstanzen und kommunistische Parteien im Ausland versandt und bereits am 4. Juni 1956 in den USA veröffentlicht.[3]
Der Aufbruch in Kunst und Literatur: Das kulturelle „Tauwetter“
Das literarische Schaffen der sowjetischen Autoren während der Stalin-Ära war geprägt durch die totale Vereinnahmung der Literatur durch die Kommunistische Partei. Die Kunststilrichtung des Sozialistischen Realismus galt als Maßstab, an dem sich jeder Künstler messen lassen musste. 1954 erschien Ilja Ehrenburgs Roman „Tauwetter“. Anstatt wie bisher üblich ein durchweg positives Bild von der Sowjetunion zu zeichnen, erzählt Ehrenburg eine Geschichte über sowjetische[4] Durchschnittsmenschen und nimmt gleichzeitig eine psychologische Analyse seiner Protagonisten vor. Damit wurde der Roman zu einem Symbol der neuen künstlerischen Möglichkeiten, und sein Titel etablierte sich auch außerhalb der Literatur als Epochenbegriff: „Tauwetter“ stand fortan metaphorisch für den Prozess eines langsamen Auftauens einer durch strenge Direktiven und staatlichen Terror erstarrten Gesellschaft.
Die „Tauwetter-Literatur“ kritisierte insbesondere die so genannte „Produktions- und Kolchosenliteratur“ mit ihren stereotypen Helden, den Handlungsklischees und der konfliktfreien Atmosphäre. Sie stellten darüber hinaus die moderne Fortschrittsgläubigkeit in der Sowjetunion sowie die Verhaltensmechanismen der KPdSU infrage und forderten Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in der Literatur.[5] Allerdings gab es auch zur Zeit des „Tauwetters“ Grenzen, die von der Literatur nicht überschritten werden durften. So kam es weiterhin, wenn nun auch in eingeschränkter Form, zu Publikationsverboten und staatlichen Repressalien gegen Schriftsteller. Das berühmteste Beispiel hierfür bildet der Roman Doktor Schiwago von Boris Pasternak, der für dieses Werk 1958 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Wegen der im Roman vorgetragenen Kritik am Marxismus-Leninismus und Bolschewismus, aber auch aufgrund der politischen Instrumentalisierung des Werks durch den Westen wurde der Druck des Romans in der Sowjetunion verboten und der Autor einer Hetzkampagne in der sowjetischen Presse ausgesetzt.[6]
Die neuen Freiräume führten gleichzeitig zu einer kritischen Aufarbeitung des Stalinismus. So befürwortete Chruschtschow 1962 persönlich das Erscheinen von Alexander Issajewitsch Solschenizyns Erzählung „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“, in der Solschenizyn, selbst ehemaliger Häftling, die Grausamkeiten des sowjetischen Lagerlebens eindrucksvoll schilderte.
Für die Musik bedeutete die Entstalinisierung eine Lockerung der 1948 vom ZK der KPdSU geforderten Volksnähe der Kunst. Der unter Stalin einerseits für seinen Modernismus verfemte und andererseits aufgrund seiner internationalen Erfolge gefeierte Komponist Dmitrij Schostakowitsch erlebte eine Art inoffizielle Rehabilitierung und wurde 1957 zum Sekretär des Komponistenverbandes gewählt.
Mit dem Sturz Chruschtschows im Jahre 1964 endete auch die Politik der dosierten Freiräume für die Künstler der Sowjetunion und die „Tauwetterliteratur“ verschwand in der Breschnew-Ära.
Konsumgüter statt Schwerindustrie – die Entstalinisierung der sowjetischen Wirtschaft
Nach Stalins Tod stand insbesondere die Wirtschaft vor großen Herausforderungen, da jahrzehntelang einzig die Schwerindustrie zu Lasten von Landwirtschaft und Konsumgüterproduktion vorangetrieben worden war. Verzicht und Zurückhaltung waren der Bevölkerung immer weniger zu vermitteln, weshalb bereits 1952 die ersten Schritte zur Neuordnung der Prioritäten unternommen wurden. Da allerdings die Rüstungs- und Raumfahrtindustrie, die zeitweise bis zu 30 % der Staatsausgaben für sich beanspruchten, für das Kräftegleichgewicht mit den USA unverzichtbar waren, konnten die Investitionen nicht reduziert werden. Die Weiterentwicklung der Schwerindustrie blieb deshalb wesentlicher Bestandteil der sowjetischen Wirtschaftspolitik.[7]
Bestrebungen zur Effizienzsteigerung, die zumindest das Budget zugunsten der anderen Wirtschaftszweige entlasten sollten – wie eine massive Dezentralisierung und Regionalisierung sowie der Abbau der bürokratischen Planungsapparate – scheiterten zu guter Letzt am allgemeinen Desinteresse, grundsätzliche planwirtschaftliche Defizite zu reformieren. Die Neuerungen wurden deshalb teilweise schon von Chruschtschow, endgültig aber nach dessen Sturz wieder revidiert.[8]
Dennoch kam es im Bereich der Konsumgüterindustrie zu einer schrittweisen Steigerung des Produktionsvolumens, welches jedoch kaum mit dem seit Mitte der 1950er Jahre rasch anwachsenden Bedarf der sowjetischen Bevölkerung Schritt halten konnte. Eine wichtige Ausnahme bildete hierbei der staatliche Wohnungsbau, dem unter Chruschtschow besondere Bedeutung beigemessen wurde. Dieser führte zu einer sichtbaren Verbesserung der vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg außerordentlich angespannten Wohnungssituation in der UdSSR. Die quantitative Erhöhung des Wohnungsbestandes und der Konsumgüterproduktion ging allerdings nach wie vor mit Qualitätsmängeln einher.[9] Die Maßnahmen können daher lediglich in ihren Ansätzen als erfolgreich gewertet werden, da sie die Defizite der für eine Planwirtschaft symptomatischen Schwächen nicht überwinden konnten.
In der Landwirtschaft strebte Chruschtschow danach, die Agrarproduktion durch eine Ausweitung der Anbauflächen zu erhöhen. Die Steppen an der unteren Wolga, im nördlichen Kasachstan und im westlichen Sibirien sollten für den Ackerbau fruchtbar gemacht werden. Die staatlichen Kampagnen zur Gewinnung von Neuland unterschieden sich in ihrem Wesen kaum von der Mobilisierung der Massen unter Stalin. Während die Neuland-Kampagne zumindest vorübergehende Erfolge erzielen konnte, scheitere der Versuch des Maisanbaus vor allem aus klimatischen Gründen.
Die Rückführung der Gewalt: Reformen im Strafvollzug und partielle Öffnung der Lager
Nur wenige Monate nach der „Geheimrede“ Chruschtschows auf dem XX. Parteitag wurde der GULag als Hauptverwaltung des stalinistischen Lagersystems aufgelöst und die verbleibenden Lager verschiedenen anderen Dienststellen unterstellt. Nach offiziellen sowjetischen Angaben erfolgte daneben bis Mai 1957 die Entlassung von 70 % der Lagerinsassen von 1953 aus der Haft.[10] Die Zahl der Lager verringerte sich deutlich und auch die Haftbedingungen verbesserten sich. Dennoch blieb die Institution des Lagersystems als Strafvollzugssystem bis zum Ende der Sowjetunion bestehen.
Weiterhin verschwanden, wenngleich auch in deutlich geringerer Zahl als unter Stalin, potentielle und vermeintliche Gegner der Staatsmacht in den Lagern. Letztere dienten damit weiterhin, wenn auch in abgeschwächter Form, der Unterdrückung und Disziplinierung der Bevölkerung. Eine weitere grundlegende Funktion verlor das Lagersystem indes nahezu vollständig: Von 1929 bis 1953 sollte die Arbeitskraft der Häftlinge für die Staatswirtschaft gewinnbringend genutzt werden. Als Zwangsarbeiter wirkten die Häftlinge des GULag jahrzehntelang an der Industrialisierung der Sowjetunion mit. Nachdem diese vollzogen war, zeigte sich in den 1950er Jahren jedoch immer mehr, dass die Sowjetunion nun nicht mehr die massive Arbeitskraft schlecht ausgebildeter und nach kurzer Zeit entkräfteter Zwangsarbeiter, sondern die von qualifizierten und motivierten Facharbeitern benötigte.[11]
Auf Grund der offenkundig gewordenen ökonomischen Ineffektivität der Häftlingsarbeit im Rahmen der auf Dezentralisierung abzielenden neuen Wirtschaftspolitik unter Chruschtschow endete damit die unter Stalin aufgebaute Funktion des GULag als wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Sowjetunion. Hierin dürfte ein wesentlicher Grund für die Entlassung des Millionenheeres unfreier Lagerzwangsarbeiter nach 1953 gelegen haben.
Der XXII. Parteitag von 1961 – Der eigentliche Entstalinisierungsparteitag?
Obwohl auf dem XXII. Parteitag im Herbst 1961 die Verabschiedung des neuen Parteiprogramms im Mittelpunkt stehen sollte, setzte Chruschtschow zur Überraschung der Delegierten die Entstalinisierung erneut auf die Tagesordnung, um das Verhalten und die Machenschaften der „parteifeindlichen“ Gruppe um Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow öffentlich anzuprangern, auch wenn diese bereits 1957 entmachtet worden war. In zahlreichen Reden wurde die „parteifeindliche“ Gruppe der Beteiligung an den Verbrechen Stalins beschuldigt und deren Ausschluss aus der Partei sowie die Einleitung strafrechtlicher Verfolgungsmaßnahmen gefordert. Auf Beschluss des Parteitages wurde Stalins Name aus der sowjetischen Öffentlichkeit getilgt, was nicht nur die Umbenennung zahlreicher nach ihm benannter Städte und Straßen zur Folge hatte, sondern auch mit der Entfernung seines Leichnams aus dem Lenin-Mausoleum einherging.
Durch den erneuten Rückgriff auf die Entstalinisierung versuchte Chruschtschow seine geschwächte Machtposition gegenüber seinen innerparteilichen Gegnern wieder zu festigen.[12]
Ende der Entstalinisierung
Chruschtschow wurde 1964 aufgrund des verlorenen Rückhalts innerhalb des Zentralkomitees abgesetzt. Enttäuschte Hoffnungen in der Wirtschaftspolitik, eine Konzentration der Macht in der Hand eines Einzelnen und eine Reihe strittiger außenpolitischer Entscheidungen hatten zum Machtverlust geführt. Als Nachfolger trat Leonid Breschnew die Position des Ersten Sekretärs des ZKs der KPdSU an.
Unter der neuen Führung wurden keine weiteren Maßnahmen einer aktiven Entstalinisierungspolitik mehr ergriffen, man orientierte sich stattdessen wieder an den Prinzipien und Traditionen des Stalinismus, deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch vom so genannten Neostalinismus[13]. Als symptomatisch für die Übergangszeit von der Entstalinisierung zur Neuausrichtung kann der Fall des Historikers Alexander Nekritsch gelten. Er kritisierte 1965 in seinem Buch „22. Juni 1941“[14] Stalins Versäumnisse am Vorabend des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und befand sich damit weitgehend auf dem Boden der Kritik, die Chruschtschow bereits in seiner Geheimrede an Stalin geübt hatte. Obwohl Nekritschs Darstellung auf große Zustimmung stieß, kam das Buch 1967 auf den Index. Darüber hinaus wurde Nekritsch der Grundlage seiner wissenschaftlichen Lehr- und Forschungstätigkeit beraubt, so dass er 1971 schließlich in die USA emigrierte.
Folgen der Entstalinisierung in anderen Ländern
Ungarn
Am 1956 wurde László Rajk, Opfer eines Schauprozesses von 1949, offiziell rehabiliert, und sein Leichnam unter großer öffentlicher Anteilnahme umgebettet. Rakosi wurde im Juli 1956 durch Ernő Gerő als Generalsekretär der MDP ersetzt.
Es begann am 23. Oktober 1956 der Ungarische Volksaufstand, in dessen Verlauf Imre Nagy erneut zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Der Aufstand wurde durch die sowjetische Armee blutig niedergeschlagen. Nagy wurde im Juni 1958 in einem Geheimprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Bis 1963 wurden ca. 400 Menschen, vorwiegend Arbeiter, als Vergeltung für den Aufstand hingerichtet. Über 200.000 Ungarn verließen nach dem gescheiterten Volksaufstand das Land und emigrierten nach Westeuropa oder Nordamerika.
Polen
Nach 1945 wollten die polnischen Kommunisten auf die völlige Übernahme des sowjetischen Systems verzichten. Ab 1947/48 setzte Stalin zunehmend seine Vorstellungen durch mit dem Aufbau einer Schwerindustrie, der Übernahme des zentralen Planungssystems und einer raschen Kollektivierung der Landwirtschaft. Er befand sich im Widerspruch mit den eher nationalen Kräften in der polnischen Parteiführung unter ihrem Generalsekretär Władysław Gomułka. Im Dezember 1948 erfolgte die Vereinigung von Kommunistischer und Sozialistischer Partei zur Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVA) setzten sich aber Vertreter der stalinistischen Linie durch. Der Stalinist Bolesław Bierut entmachtete Gomułka und ließ ihn später internieren. In Partei und Gesellschaft wurden Säuberungen und Umstrukturierungen durchgeführt. Schauprozesse gegen in Ungnade gefallene kommunistische Politiker fanden aber nicht statt.
Nach dem Tode Stalins im März 1953 folgten Lockerungen im kulturellen aber auch im politischeb Bereich. 1956, während des XX. Parteitages der KPdSU rechnete der KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow mit den Verbrechen Stalins ab. Bierut, Parteichef der PVA, erlitt nach dieser Rede einen Herzanfall und starb kurz darauf. Gegen den Willen des neuen Kremlchefs wählte die PVA Edward Ochab zum Nachfolger Bieruts.
1956 streikten Tausende von Arbeitern in der westpolnischen Stadt Posen. Aus dieser Bewegung, die zunächst materielle Hintergründe hatte, wurde rasch ein politischer Aufstand; diesen ließ die Parteiführung blutig den Posener Aufstand (1956) niederschlagen.
Der Streit über das weitere Vorgehen vertiefte den Konflikt im Politbüro. Verschärft wurde die Lage durch die politische Entwicklung in Ungarn, wo sich tiefgreifende Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft abzeichneten. Während die stalinistische Fraktion in Polen - nach ihrem Treffpunkt in einem ehemaligen Potocki-Palast auch Natolin-Gruppe genannt - für eine Fortsetzung des politischen Kurses plädierte, sprachen sich die Liberalen (auch Puławy-Gruppe genannt) für eine gesellschaftliche Reformbewegung aus, die die Diktatur des Proletariats allerdings nicht antasten wollte. Letztere setzten sich durch. Der stalinistische Vorsitzender der Staatlichen Kommission für Wirtschaftsplanung Hilary Minc musste zurücktreten, der rehabilitierte ehemalige Generalsekretär Władysław Gomułka kehrte im Triumph an die Macht zurück, obwohl Moskau dem zunächst nicht zustimmen wollte, seine Truppen mobilisierte und die komplette Parteiführung zu einem unangemeldeten Blitzbesuch in Warschau eingetroffen war.
Schon in seiner ersten Rede kündigte Gomułka tiefgreifende Reformen an. Diesen Worten folgten aber zu wenige Taten; auch Gomułka ließ „Abtrünnige“ in den eigenen Reihen bekämpfen. Gomułka konnte sich bis Ende 1970 an der Macht halten; nach Arbeiterprotesten Ende 1970 wurde er vom Politbüro abgewählt und der Modernisierer Edward Gierek wurde sein Nachfolger als Erster Sekretär der Partei.
Bulgarien
{{Hauptartikel: Volksrepublik Bulgarien}} Bugarien wurde am 8. und 9. September wurde Bulgarien von der Rote Armee und der sowjetischen Schwarzmeerflotte besetzt. Zwischen 9. und 12. September 1944 wurden mehrere hundert führende Persönlichkeiten von den Kommunisten gefangen genommen, ermordet oder verschwanden für immer. Diese Tage gingen in die bulgarische Geschichte als die 'Tage des roten Terrors' ein.
Am 1. Februar 1945 wurden durch kommunistische Volksgerichte große Teile der politischen, militärischen und intellektuellen Elite des Landes, die 1944 überlebt hatten, zum Tode verurteilt. Darunter waren 67 Parlamentsabgeordnete, alle Mitglieder der Regierungen zwischen 1941 und 3. September 1944 samt Ministerpräsidenten, die Regenten des Zaren (Kyril, Bogdan Filow und Nikola Michow), neun Staats- und Regierungssekretäre, die Verleger der großen Zeitungen und Zeitschriften, Intellektuelle sowie 47 Generäle und Offiziere. Im Dezember 1944 und Januar 1945 ordnete der stellvertretende Abteilungsleiter der Abteilung Internationale Information beim Zentralkomitee der KPdSU, Georgi Dimitrow, aus Moskau eine Null-Toleranz-Politik an und verlangte, dass es keine Freisprüche geben dürfe. Die Todesurteile wurden in der Nacht zum 2. Februar vollstreckt. Das Volksgericht verurteilte insgesamt 2730 Menschen zum Tode und 1305 zu lebenslanger Haft.[15]
Nikola Petkow, ab Anfang 1945 der Vorsitzende der Bulgarischen Agrarischen Volksunion (BZNS) kämpfte um die Bewahrung der parlamentarischen Demokratie; dies wurde von den Kommunisten als konterrevolutionäre Aktivität betrachtet. Am 5. Juni 1947 wurde seine parlamentarische Immunität aufgehoben und Petkow noch im Parlament verhaftet. Nach einem Schauprozess ohne tatsächliche Verteidigungsmöglichkeit wurde er am 16. August wegen Spionage zum Tode verurteilt und am 23. September 1947 hingerichtet.[16]
Umbenennungen
stalinisiert | Land | Zeitraum | alter Name | jetziger Name | Bemerkungen, Umbenennungen |
---|---|---|---|---|---|
Qyteti Stalin | Albanien | 1951 bis 1991 | Kuçova | Kuçova | |
Sztálinváros | Ungarn | 1951 bis 1961 | Dunaújváros (Donauneustadt) |
Dunaújváros (Donauneustadt) |
|
Stalin | Bulgarien | 1949 bis 1956 | Warna | Warna | |
Stalinogród | Polen | 1953 bis 1956 | Katowice (Kattowitz) | Katowice (Kattowitz) | Name der oberschlesischen Stadt. |
Stalingrad | Sowjetunion heute Russland |
1925 bis 1961 | Zarizyn | Wolgograd | |
Stalinstadt | DDR | 1953 bis 1961 | neu aufgebaut | Eisenhüttenstadt | getilgt durch den Zusammenschluss von Stalinstadt, Fürstenberg (Oder) und Schönfließ (Niederlausitz) |
Stalinabad | Sowjetunion heute Tadschikistan |
1929 bis 1961 | Duschanbe | Duschanbe | |
Stalinsk | Sowjetunion heute Russland |
bis 1961 | neu gegründet | Nowokusnezk | |
Staliniri | Sowjetunion heute Georgien |
1934 bis 1961 | Zchinwali | Zchinwali | |
Stalino | Sowjetunion heute Ukraine |
1924 bis 1961 | Jusowka | Donezk | |
Stalingrad | Tschechoslowakei heute Tschechien |
1948 bis 1961 | Nové Město (Neustadt) | Nové Město | Stadtteil von Karviná |
Orașul Stalin | Rumänien | 1951 bis 1961 | Brașov (Kronstadt) | Brașov (Kronstadt) | |
Stalinogorsk | Sowjetunion heute Zentralrussland |
1953 bis 1961 | 1930 gegründet als Bobriki | Nowomoskowsk | |
Stalinallee | DDR (Berlin) | 1949 bis 1961 | Große Frankfurter Straße und Frankfurter Allee | seit 1961 Karl-Marx-Allee (westlicher Teil) und Frankfurter Allee (östlicher Teil) | |
Stalin-Platz | Österreich (Wien) | 1945 bis 1955 | während der Besatzungszeit Name des südlichen Teils des Schwarzenbergplatzes | ||
Stalinstraße | DDR (Rostock) | circa 1945 bis 1961 | Blutstraße, Hopfenmarkt, Kröpeliner Straße | auf ganzer Länge Kröpeliner Straße | [17][18] |
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Stephan Merl: Entstalinisierung, Reformen und Wettlauf der Systeme 1953–1964. In: Stefan Plaggenborg, Manfred Hellmann, Klaus Zernack, Gottfried Schramm (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Russlands. Band 5: 1945–1991. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Teilband 2. Hiersemann, Stuttgart 2002, ISBN 3-7772-0343-2, S. 175–203.
- ↑ Viktor Knoll, Lothar Kölm (Hrsg.): Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung. Das Plenum des ZK der KPdSU, Juli 1953. Stenographischer Bericht (= AtV 8037). 2. Auflage. Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-7466-8037-9; Michael Heller, Alexander Nekrich: Geschichte der Sowjetunion. Band 2: 1940–1980. Athenäum, Königstein/Ts. 1982, ISBN 3-7610-8183-9.
- ↑ Die Geheimrede Chruschtschows. Über den Personenkult und seine Folgen. Rede des Ersten Sekretärs des ZK der KPdSU auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, 25. Februar 1956. Dietz, Berlin 1990, ISBN 3-320-01544-3.
- ↑ Vgl.: Barbara Bode: Die Diskussion um Solschenizyn als Zentrum der Auseinandersetzungen in der Sowjetliteratur. In: Osteuropa. 10/1965, ISSN 0030-6428, S. 679–694.
- ↑ Vgl.: Wolfram Eggeling (Hrsg.): Die sowjetische Literaturpolitik zwischen 1953 und 1970. Zwischen Entdogmatisierung und Kontinuität (= Dokumente und Analysen zur russischen und sowjetischen Kultur. Bd. 3). Brockmeyer, Bochum 1994, ISBN 3-8196-0297-6.
- ↑ Vgl.: Karen Laß: Vom Tauwetter zur Perestrojka. Kulturpolitik in der Sowjetunion. (1953–1991). Böhlau, Köln u. a. 2002, ISBN 3-412-16801-7 (Zugleich: Bochum, Univ., Diss., 1999).
- ↑ Donald Filtzer: Die Chruschtschow-Ära. Entstalinisierung und die Grenzen der Reform in der UdSSR, 1953–1964 (= Internationale Einführungsreihe. Bd. 2). Decaton-Verlag, Mainz 1995, S. 70–81.
- ↑ Alec Nove: An Economic History of the USSR, 1917–1991. 3rd edition, (new and final edition). Penguin Books, London u. a. 1992, ISBN 0-14-015774-3, S. 349–377.
- ↑ Robert W. Davies: Soviet economic development from Lenin to Khrushchev (= New Studies in Economic and Social History. Vol. 34). Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1998, ISBN 0-521-62260-3, S. 69 f.
- ↑ Erklärung des Stellvertretenden Generalstaatsanwalts der Sowjetunion, P.I. Kudrjawszew. In: FAZ, vom 16. Mai 1957.
- ↑ Jacques Rossi: The GULAG Handbook. An encyclopedia dictionary of Soviet penitentiary institutions and terms related to the forced labor camps. Paragon House, New York NY 1989, ISBN 1-557-78024-2, S. 192.
- ↑ Vgl.: Thomas Schütze: „Stalinpolitik“ in der Sowjetunion. Eine politikwissenschaftliche Fallstudie über Stalin als Legitimationsfigur der sowjetischen Politik unter Chruschtschow, Breschnew und Gorbatschow. dissertation.de, Berlin 2002, ISBN 3-89825-470-4 (Zugleich: Hamburg, Univ. der Bundeswehr, Diss, 2002).
- ↑ Aus: Wolfgang Leonhard: Die Dreispaltung des Marxismus. Ursprung und Entwicklung des Sowjetmarxismus, Maoismus & Reformkommunismus. Econ-Verlag, Düsseldorf / Wien 1970, S. 251–256.
- ↑ Alexander Nekritsch, Pjotr Grigorenko: Die Rote Armee am 22. Juni 1941. Europa-Verlag, Wien / Frankfurt am Main / Zürich 1969.
- ↑ Tag des Tributs an die Opfer des Kommunismus (Bulgarisch)
- ↑ Ulrich Büchsenschütz: Minderheitenpolitik in Bulgarien, 1997, S. 17. (PDF; 1,8 MB)
- ↑ Neuer Markt 14. neuer-markt.info, abgerufen am 19. Mai 2011.
- ↑ Rostock: Stalinstraße und Kröpliner Tor. In: Ansichtskarten Lexikon. Abgerufen am 19. Mai 2011.