Kondratjew-Zyklus
Die Kondratjew-Zyklen (ältere Transkription Kondratieff-Zyklen) beschreiben eine zyklische Wirtschaftsentwicklung, die der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew entdeckt zu haben glaubte. Die Existenz von "Kondratjew-Zyklen" ist aber nicht unumstritten.
Entwicklung
Kondratjew veröffentlichte 1926 in der Berliner Zeitschrift "Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" seinen Aufsatz "Die langen Wellen der Konjunktur". Hierin stellte er anhand empirischen Materials aus Deutschland, Frankreich, England und den USA fest, dass die kurzen Konjunkturzyklen von langen Konjunkturwellen überlagert werden. Diese 40 bis 60 Jahre dauernden langen Wellen bestehen aus einer länger andauernden Aufstiegsphase und einer etwas kürzeren Abstiegsphase. Die Talsohle wird durchschnittlich nach 52 Jahren durchschritten.
Kondratjew konnte zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb solcher langen Wellen feststellen, wobei er davon ausging, dass sich die dritte Welle Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts ihrem Ende zuneigen würde, was auch eintraf (Börsenkrach und Weltwirtschaftskrise). Ursache für diese langen Wellen sieht er in Gesetzesmäßigkeiten des Kapitalismus, während neue Techniken nicht Ursachen, sondern Folgen der langen Wellen sind.
Joseph Schumpeter
Joseph Schumpeter prägte 1939 in seinem Werk über Konjunkturzyklen für diese langen Konjukturwellen den Begriff der "Kondratjew-Zyklen" und stellte heraus, dass die Basis für diese langen Wellen grundlegende technische Innovationen seien, die zu einer Umwälzung in der Produktion und Organisation führen. Er prägte für diese Innovationen den Begriff der Basisinnovationen, wobei er offen ließ, was zu deren Entstehung und damit zu einem neuen "Kondratjew-Zyklus" führt. Für ihn war hierbei nicht die Entdeckung einer Basisinnovationen ausschlaggebend sondern deren breiter Einsatz.
Weitere
In letzter Zeit haben sich u.a. Leo Nefiodow und Erik Händeler, international Christopher Freeman und Carlota Perez mit den Kondratjew-Zyklen beschäftigt. Schwerpunkt hierbei ist oft die Herausarbeitung eines aktuellen fünften und eines zukünftigen sechsten Kondratjew. Die "internationale" Schule besteht hauptsächlich aus neo-Schumpeterianern, wenn auch nicht alle neo-Schumpeterianer Zyklentheoretiker sind.
Einteilung der ökonomischen Entwicklung in Kondratjew-Zyklen
Über den zeitlichen Ablauf der Kondratjews besteht generell Einigkeit, wenn auch mit einigen Abweichungen.
- Periode (ca. 1780-1849): Frühmechanisierung; Beginn der Industrialisierung in Deutschland; "Dampfmaschinen-Kondratieff". Es gibt Vermutungen, dass es in England schon einen früheren Zyklus gab.
- Periode (ca. 1849-1890): Zweite industrielle Revolution "Eisenbahn-Kondratieff"(Bessemerstahl und Dampfschiffe)
- Periode (ca. 1890-1940): "Elektrotechnik- und Schwermaschinen-Kondratieff" (auch Chemie)
- Periode (ca. 1940-1980): "Einzweck-Automatisierungs-Kondratieff" (Basisinnovationen: Integrierter Schaltkreis, Kernenergie, Transistor, Computer und das Automobil)
- Periode (ab 1980): "Informations- und Kommunikations-Technik-Kondratieff"
Naturgemäß umstritten ist, welche Technologie den "6. Kondratieff" dominieren wird. Nefiodow war der erste, der die Theorie der Langen Wellen zu Prognosezwecken genutzt und damit den 6. Kondratiewzyklus vorausgesagt und beschrieben hat. Mögliche Kandidaten hierfür sind:
- Biotechnologie
- Nanotechnologie
- Technologie der regenerativen Energien
- Psychosoziale Gesundheit und Kompetenz
Kritik der Kondratjew-Zyklen
Von Gegnern der Kondratjew-Zyklen wird u.a. vorgebracht, die Trennung von Trend (langfristiges Wachstum) und Zyklus (davon abweichende Entwicklungen) sei bis heute ungelöst. Je nach Wahl der Trendkomponente (z.B. durch ein Polynom) würden sich fast beliebige Wellen erzeugen lassen. Die Problematik zeige sich bereits daran, dass die populären graphischen Wellen-Darstellungen nie eine Beschriftung der y-Achse aufweisen. Das sei kein Versehen des jeweiligen Autors, sondern der Tatsache geschuldet, dass es keine langen Reihen (z.B. Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts) gebe, die unmittelbar eine derartige Wellenform aufwiesen (s. hierzu Reuter 2000, S. 33ff. - die Beschriftung der y-Achse ist in der neueren Literatur, u.a. Perez oder Freeman, jedoch grundsätzlich der Fall).
Die Kritik an den Kondratjew-Zyklen resultiert zumindest teilweise auch daraus, dass deren Existenz wesentliche Prinzipien der Standard Textbook Economics in Frage stellen, auf diesem Theoriegebäude jedoch die heute dominierende Universitätsökonomie fußt.
Literatur
- Freeman, Chris und Francisco Louçã, As Time Goes By. From the Industrial Revolution to the Information Revolution',' Oxford: Oxford University Press, 2001.
- Händeler, Erik, Die Geschichte der Zukunft, Moers: Brendow 2003.
- Händeler, Erik, Kondratieffs Welt, Moers: Brendow 2005.
- Hörz, Peter F.N., Volkskunde im sechsten Kondratieff. Versuch einer Positionsbestimmung der Europäischen Ethnologie in der Wissensgesellschaft (Bamberger Beiträge zur Volkskunde, Studienreihe Band 1). Hildburghausen 2004.
- Kondratieff, Nikolai D., "Die langen Wellen der Konjunktur", Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd. 56 (1946 [1926]), 573-609.
- Ernest Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1972.
- Ernest Mandel, Die langen Wellen im Kapitalismus - Eine marxistische Erklärung, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2. Auflage 1987.
- Nefiodow, Leo A., Der sechste Kondratieff. St.Augustin, 2001.
- Perez, Carlota, Technological Revolutions and Financial Capital: The Dynamics of Bubbles and Golden Ages, Cheltenham: Edward Elgar, 2002.
- Reuter, Norbert, Ökonomik der "Langen Frist". Zur Evolution von Wachstumsgrundlagen in Industriegesellschaften, Marburg: Metropolis, 2000.
- Schumpeter, Joseph A., Konjunkturzyklen - Eine theoretische, historische und statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses, 2 Bde., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1961.