Jehan de Mandeville auch (engl.) John Mandeville, nennt sich der unbekannte Verfasser einer zwischen 1357 und 1371 zusammengestellten französischsprachigen Schilderung einer Reise ins Heilige Land und den Fernen Osten. Die romanhafte Reiseschilderung in Ich-Form trägt keinen originalen Titel und verbreitete sich daher unter Bezeichnungen wie Livre (Buch) oder Reisen des Jehan de Mandeville.
Inwieweit die Angaben der Reisen über die Person ihres Verfassers der Realität entsprechen, ist nicht klar. Möglicherweise gehören auch die Abstammung Mandevilles aus einem englischen Rittergeschlecht, die Geburt in St. Albans und der Aufbruch aus England 1322 zur literarischen Fiktion.
Text der „Reisen“
Hauptquellen für die offenbar nicht empirisch gewonnene, sondern rein literarische Kompilation des Berichts waren die Reiseberichte des Wilhelm von Boldensele und des Odoricus da Pordenone. Ergänzend zog Mandeville die einschlägigen Enzyklopädien, Erzählungen und Kreuzzugsberichte des Vinzenz von Beauvais, Jacobus von Vitry, Jacobus a Voragine, Haiton, Petrus Comestor und Wilhelm von Tripoli zu Rate.
Der Reisebericht gliedert sich in zwei Teile. Den ersten bildet eine im realen Erfahrungshorizont des europäischen Spätmittelalters angesiedelte Schilderung der Pilgerwege nach Jerusalem und dem Nahen Osten (besonders zu den Heiligen Stätten und Kairo); den zweiten dagegen ein auf das Phantastische, Wunderbare und Monströse ausgerichteter geographischer Bericht über eine fiktive Entdeckungsreise in Gebiete Afrikas, den Mittleren Osten, die indische Inselwelt, China und das Reich des mythischen Priesters Johannes.
In beiden Feldern deckte der Text einen breiten Vorrat bekannter „Historien“ ab mit Berichten der ikonographisch vertrauten Wundertiere, wie des Phönix, mit Berichten aus der Heilsgeschichte und der Geschichte der Märtyrer, mit Informationen seit der antike bekannter geographischer Wunder.
Rezeptionsgeschichte
Mandevilles Reisebericht fand schnell weite Verbreitung und wurde ins Latein sowie alle geläufigen europäischen Sprachen übersetzt. Über 250 Handschriften und Frühdrucken, die Folgeauflagen über die nächsten Jahrhunderte hinweg fanden, belegen die europaweite Wirkung. Über den Status des Textes zwischen Reisebericht und Roman kann im Blick auf die Überlieferung nur mit Vorsicht geurteilt werden. Die Frühdrucke brachte den Titel in das Marktsegment, das heute unter Begriffen wie „Chap-Books“, „Volksbücher“ von der Forschung erfaßt wird. Die Ausgaben blieben in diesem niederen Marktsegment auf einem antiquierten Sprachstand, Fraktur lief hier etwa im Englischen bis in das ausgehende 17. Jahrhundert hinein fort (während moderne Antiqua längst den Markt beherrschte), die Illustrationen blieben grob, die Leser rekrutierten sich deutlich aus der einfachen Kundenschicht, die den Text als bekannten wegen der erbaulichen Historien und seiner Ausflüge in die Welt der Bibel und der sie begleitenden ikonographischen Überlieferung schätzten. Man fand hier die Erklärung zu vielem, was gotische Altäre abbildeten. Leser mit Geschmack lasen von diesem Markt losgekoppelt längst seriöse Reiseberichte in Ausgaben mit wissenschaftlichen Vorworten, in denen sich Berichte von Menschen, die in Äthiopien leben, nur einen großen Fuß haben, auf dem sie geschwinde rennen und den sie bei Sonne und Regen zum Schutz über sich recken – strikt verboten. Mit dem 17. Jahrhundert setzten unter Autoren des gehobenen Marktes eine kritische Diskussion des Wahrheitsgehalts der 'Reisen' ein. Das einfache Publikum scheint sie als „wundernswürdige“ davon unberührt geschätzt zu haben. Als Ende des 19. Jahrhunderts die enzyklopädische Arbeitsweise Mandevilles mit moderner Textkritik eingehender erforscht wurde, unterzog die Literaturwissenschaft das Werk einer vernichtender Kritik und bezichtigte den Autor des durchgehenden Plagiats. Texte wie dieser gaben in der neuen Lektüre einen Einblick in die Geisteswelt des Mittelalters, in das Bewußstein von Menschen, die zu keinem kritischeren Urteil fähig waren und sich mit einer alte Texte ungeprüft kompilierenden Wissenschaft zufrieden gaben. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts gelang eine Umorientierung der Bewertung. Jetzt begriff man die Reisen als einen der ersten fiktionalen Reiseromane, eine Einordnung, die allerdings an der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lektürepraxis vorbeigeht. Vom Text gingen zum Zeitpunkt seiner größten Popularität im 15. Jahrhundert (so wenig wie im 18. Jahrhundert für sein zu diesem Zeitpunkt sehr spezielles Publikum) Signale der Fiktionalität aus. Der Bericht wollte als authentizitischer gelesen sein, und mußte als solcher gelesen werden, sollte er seine Wirkung – ein Staunen über die Wunder der Schöpfung und der Heilsgeschichte – entfalten.
Literatur
Primärliteratur
- The Travels of Sir John Mandeville (1371) (englische Übersetzung ohne Quellenangabe)
- Jean de Mandeville, Reisen herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Ernst Bremer und Klaus Ridder [=Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken. Reihe A, 21] (Hildesheim: Olms, 1991) ISBN 3487094304
- John Mandeville, Reisen des Ritters John Mandeville vom Heiligen Land ins ferne Asien: 1322-1356, aus dem Mittelhochdt. übers. und hrsg. von Christian Buggisch (Lenningen: Ed. Erdmann, 2004). ISBN 3-86503-010-6
Sekundärliteratur
- Ernst Bremer, Artikel in: Verfasserlexikon Bd. 5, Sp. 1201-1214.
- Christiane Deluz, Le livre de Jehan de Mandeville. Une "Géographie" au XIV. siècle (Louvain-La-Neuve: Institut d'Etudes Médiévales, 1988).
- Rosemary Tzanaki, Mandeville’s Medieval Audiences. A Study on the Reception of the Book of Sir John Mandeville. 1371-1550 (Burlington/ Aldershot, 2003).
Weblinks
- Vorlage:PND
- Jean de Mandeville. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).