Soziologie

Wissenschaft der empirischen und theoretischen Erforschung sozialen Verhaltens und gesellschaftlichen Wandels
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Die Soziologie (Kunstwort aus dem lateinischen socius "Gefährte" und dem griechischen λóγος, lógos "Wort") beschreibt und untersucht die Struktur-, Funktions- und Entwicklungszusammenhänge der Gesellschaft.

Sie ist eine Sozialwissenschaft, die sich nicht auf spezifische Themengebiete (wie etwa die Politikwissenschaft oder die Wirtschaftswissenschaften) festgelegt hat, sondern den Anspruch erhebt, mit einer Reihe von soziologischen Methoden das soziale Zusammenleben in Gemeinschaften und Gesellschaften grundsätzlich zu erforschen und zu beschreiben. Dazu fragt die Soziologie nach dem Sinn und den Strukturen des sozialen Handelns sowie nach den damit verbundenen Normen. Sie untersucht zum einen die Gesellschaft als Ganzes, zum anderen ihre Teilbereiche: Soziale Systeme, Institutionen, Gruppen oder Organisationen. Zugleich wirft sie ihren Blick auf den sozialen Wandel, dem diese unterliegen.

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Le Bal au Moulin de la Galette (1876) von Pierre-Auguste Renoir

Der wissenschaftliche Anspruch der Soziologie kommt in Max Webers Definition einer verstehenden und zugleich erklärenden Soziologie (§ 1, Wirtschaft und Gesellschaft) zum Ausdruck. Demnach ist Soziologie "eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will". Eine hochkomplexe Aufgabe - man verstehe und erkläre nur einmal die abgebildete Wiedergabe sozialer Handlungen auf dem Gemälde Renoirs (rechts) - ganz abgesehen von den Fragen, was über das soziale Zusammenleben die Tatsache verrät, dass es gemalt, ausgestellt und bewundert wurde.

Konkrete Themen, mit denen sich die Soziologie beschäftigt, sind beispielsweise Sozialstruktur, Arbeit, Migration, Geschlecht, soziale Netzwerke, Medien, Sexualität, Alltag und Lebenswelt. Für viele dieser Themen haben sich spezielle Soziologien etabliert (s.u.), andere -- wie etwa die allgemeine Frage nach den Wechselwirkungen von Handeln und Struktur -- sind Thema der allgemeinen Soziologie. Auch überschneiden sich die soziologischen Fragestellungen hier oft mit denen der Sozialpsychologie, mit anderen Sozialwissenschaften und der Philosophie.

Geschichte der Soziologie

Für eine ausführlichere Darstellung siehe Geschichte der Soziologie.

Als eine eigenständige Wissenschaft gibt es die "Soziologie" erst seit Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Entstehungsgeschichte ist eng mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft im Europa des 19. Jahrhunderts sowie mit der fortschreitenden Industrialisierung verbunden.

Als Begründer der Soziologie als eigenständige Wissenschaft gilt Auguste Comte. Die Soziologie im heutigen Sinne wird jedoch insbesondere auf Max Weber und Émile Durkheim zurück geführt.

Vorläufer der Soziologie sind in der Geschichtswissenschaft, der Nationalökonomie, aber auch im Journalismus und in den Policeywissenschaften zu sehen. Unmittelbare Vorläufer der Soziologie wie Karl Marx werden heute ebenfalls als soziologische Klassiker verstanden.

Doch hatten auch schon ältere Autoren Werke stark soziologischen Charakters geschrieben, etwa Xenophón, Polýbios, Ibn Khaldun, Giambattista Vico und Adolph Freiherr Knigge.

Gliederungen der Soziologie

Soziologische Theorien

Soziologie ist nie eine Wissenschaft mit nur einem Paradigma gewesen. So lassen sich in der heutigen (2005) deutschsprachigen Soziologie mehrere große Ansätze unterscheiden.

  • Der Rational Choice-Ansatz (bekannter Vertreter dieser Richtung: Hartmut Esser), auch als methodologischer Individualismus bezeichnet, führt Aggregatphänomene auf die Entscheidungen und das dementsprechende Handeln einzelner Individuen zurück und geht davon aus, dass hier rationale Wahlen auffindbar sind. Zwischen RC-Ansatz, quantitativer Methodologie und ökonomischer Theorie herrschen gewisse Affinitäten vor.
  • Weiterhin einflussreich ist die Kritische Theorie, die inzwischen durch eine Nähe zum (französischen) Poststrukturalismus gekennzeichnet ist.
  • Als eine dritte große und insbesondere im deutschsprachigen Raum einflussreiche Schule lässt sich die soziologische Systemtheorie im Gefolge von Talcott Parsons (vgl. zu ihm Strukturfunktionalismus) und Niklas Luhmann nennen. Soziologie moderner Gesellschaften wird hier nicht als eine Wissenschaft verstanden, die individuelles Handeln betrachtet. Gesellschaft wird vielmehr auf Kommunikationen und Nicht-Kommunikationen in sozialen Teilsystemen zugeschnitten.
  • Die Prozesssoziologie ist als Gesellschaftstheorie durch Norbert Elias wiederbelebt worden. Sie ist bei ihm nicht bloß eine Zivilisationstheorie, sondern sie bildet ein Gegenkonzept zur Systemtheorie: Sie richtet ihre Wahrnehmung auf soziale Prozesse ("Figurationen"). Sie nahm damit ältere Ansätze neuartig auf, die sich bereits - mit anderen Ableitungen - auf den sozialen Wandel konzentriert hatten (Karl Marx, Ludwig Gumplovicz, Ralf Dahrendorf).
  • Zu nennen ist schließlich eine Vielzahl von Arbeiten, die sich grob einem interpretativen und qualitativ-rekonstruktiven Paradigma zuordnen lassen. Ausgehend von Phänomenologie und Pragmatismus stehen hierbei subjektive Sinnqualitäten und die Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen, Verläufe und Konsequenzen sozialer Praktiken im Vordergrund.

Gliederung nach der Ebene sozialer Phänomene

Eine häufig vorzufindende Unterteilung der Soziologie unterscheidet zwischen dem Blick auf Gesellschaften (Makrosoziologie) und dem Blick auf das individuelle Handeln (Mikrosoziologie). Daneben wird teilweise eine Mesosoziologie als Soziologie einer intermediären Ebene, in der Handeln und soziale Systeme zusammentreffen, angeführt.

Mikrosoziologie (Individuum, Interaktion, Handeln)

Mesosoziologie

Makrosoziologie (Kollektiv, Gesellschaft, System, Struktur)

Soziologische Methoden

Um eine der Soziologie angemessene Methodik wurde seit den Anfängen der Disziplin im so genannten Methodenstreit gerungen. Das methodische Instrumentarium der Soziologie lässt sich wie folgt gliedern:

Allgemeine und spezielle Soziologien

Schließlich lassen sich Themenbereiche der Soziologie auch danach unterscheiden, ob sie der allgemeinen Soziologie zuzurechnen sind, also generelle Gültigkeit beanspruchen, oder ob es sich dabei um Themen einer speziellen Soziologie handelt.

Allgemeine Soziologie

Der Allgemeinen Soziologie werden die für das Fach wichtigen theoretischen Ansätze und auch Sachgebiete wie das Verhältnis von Akteur und Gesellschaft bzw. Person und sozialem System, sowie die Struktur und der Wandel von Gesellschaften/sozialen Systemen zugerechnet. Themen der Allgemeinen Soziologie sind u.a. soziales Handeln, soziale Interaktion, sozialer Tausch, sozialer Wandel, soziale Mobilität, Sozialstruktur , soziale Ungleichheit, Macht, Herrschaft, Elite, Gruppen, soziale Rollen, Klasse, Sozialisation, Methoden der empirischen Forschung.

Spezielle Soziologien

Spezielle Soziologien - informell auch Bindestrichsoziologien genannt - befassen sich mit den Strukturen und Prozessen gesellschaftlicher Teilsysteme oder institutioneller Bereiche der Gesellschaft. Zu den wichtigsten speziellen Soziologien gehören Arbeitssoziologie, Familiensoziologie, Politische Soziologie. Durch die zunehmende Differenzierung auch der Soziologie selbst bilden sich laufend weitere spezielle Soziologien wie die musikalische Soziologie.

Eine ausführliche Auflistung gibt die Liste spezieller Soziologien.

Angewandte Soziologie

Der Erfolg einer soziologischen Theorierichtung ist nicht nur von ihrer intellektuellen Tüchtigkeit und wissenschaftlichen Bedeutung abhängig, sondern -- wissenschaftssoziologisch gesehen -- durchaus auch von der Nachfrage nach soziologischer Beratung durch den Markt beziehungsweise durch die Politik, selten auch durch soziale Bewegungen.

Hier wird in der Soziologie am meisten in den Bereichen der Markt- und Wahlforschung verdient, was die Entwicklung der quantitativen Methoden (Statistik) und der an die Naturwissenschaften angelehnten Theorieansätze relativ begünstigt - die Fragen sind meist eingeschränkt und auf die allernächste Zukunft bezogen. Hier kam es (zuerst in den USA, seit den späten 1940er Jahren auch in Deutschland) zur Gründung von Umfragefirmen und Meinungsforschungsinstituten.

Mit den Auswirkungen gesellschaftlicher Prozesse auf die Raumstruktur befasst sich die Stadtsoziologie (vgl. auch Sozialer Raum). (Dabei wird häufig auch mit Methoden der Geographie gearbeitet.)

Einige spezielle Soziologien (Militär-, Medizin-, Sport- und Katastrophensoziologie) sind einigermaßen auf Beratung eingestellt, nicht aber mehr die Industriesoziologie, seit ab den 1970er Jahren das Fach aus den "Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen" Fakultäten (Fachbereichen) in die Philosophischen hinüber gewandert ist.

Diktaturen haben vor allem vor einer die Mentalität der Bevölkerung berücksichtigenden und darüber Auskunft gebenden Soziologie Angst; bei besonderem (dann oft geheimem) Beratungsbedarf erlauben sie gelegentlich soziologische Fragestellungen (sehr typisch in der DDR im Bereich der Stadt- und Jugendsoziologie).

Einführende Bücher in die Soziologie

  • Günter Endruweit/Trommsdorff, Gisela (Hgg.), Wörterbuch der Soziologie; 2. Aufl., Stuttgart 2002, Lucius & Lucius - Eine kundige und zur Zeit (2004) auch die neueste Übersicht im Handbuchcharakter mit zahlreichen Mitarbeiter/inne/n. Doch bleiben auch die anderen erhältlichen soziologischen Wörterbücher empfehlenswert.
  • Wolfgang Eßbach, Studium Soziologie UTB, 1996 - Überblick über die Entstehungsgeschichte der Soziologie, ihre heutigen Anwendungsfelder, das Soziologiestudium und wichtige Grundbegriffe.
  • Anthony Giddens, Soziologie; 2. überarb. Auflage; aus dem englischen (Sociology), 1997, Nausner& Nausner, ISBN 3-901402-22-5 - Standardwerk im englischsprachigem Raum.
  • Dirk Kaesler (Hg.), Klassiker der Soziologie; 4. Aufl., München 2003, C.H. Beck Verlag, ISBN 3-406-420885-6 und ISBN 3-406-42089-3 - In zwei Bänden zeigt eine jüngere Generation von Soziologen im Rahmen von jeweils 20 Seiten, wer cum grano salis die Klassiker sind. 31 von ihnen werden erstens in ihrem Leben und dem zeitgenössischen Kontext, zweitens in ihrem Werk und deren wichtigsten Begriffen und drittens in ihrer Wirkung auf das zeitgenössisches soziologisches Denken und auf die gegenwärtige internationale Soziologie dargestellt. Diese beiden Bände helfen, die Klassiker kurz zu rekapitulieren und in eine Geschichte zu verorten.
  • Dirk Kaesler (Hg.), Aktuelle Theorien der Soziologie; München 2005; C.H. Beck Verlag, ISBN 3-406-52822-8 - Fundierter Überblick über die aktuelle Entwicklung soziologischer Theorien.
  • Annette Treibel, Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart; 6. Aufl. Wiesbaden 2004, VS Verlag - Teil des Einführungskurses in die Soziologie in vier Bänden. In diesem Band werden die soziologischen Theorien in ihrer Struktur aufgearbeitet und vorgestellt.Gleichzeitig zieht die Autorin Verbindungslinien, um das Geflecht der unterschiedlichen Ansätze transparenter zu machen.

Siehe auch