Massaker im Arnsberger Wald
Das Massaker im Arnsberger Wald war ein Endphasenverbrechen kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Zwischen dem 20. und dem 23. März 1945 wurden in mehreren Tötungsaktionen an Tatorten im Raum Warstein und bei Eversberg über 200 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von Angehörigen einer aus Waffen-SS und Wehrmacht zusammengesetzten Abteilung, die unter dem Kommando des SS-Obergruppenführer und Generals der Waffen-SS Hans Kammler stand, getötet. 1957/58 fand vor dem Arnsberger Landgericht ein Prozess gegen sechs der Mittäterschaft beschuldigte Angeklagte statt. Der Prozess fand eine große Resonanz in der Öffentlichkeit. Über ihn wurden von der überregionalen Presse breit berichtet. Die insgesamt milden Urteile wurden von den Berichterstattern und der Politik durchweg kritisiert.
Vorgeschichte
Der „Endkampf“ den NSDAP Mitglieder, die Waffen-SS und Teile der Wehrmacht zu führen gedachten, war verbunden mit der Tötung „unerwünschter Elemente.“ Dazu zählten insbesondere die sowjetischen Kriegsgefangenen, KZ-Insassen und Zwangsarbeiter. Bis kurz vor der Eroberung kam es überall an Rhein und Ruhr zu Massenerschießungen. Dabei folgte das Vorgehen der Praxis dem der Einsatzkommandos in den Ostgebieten. [1]
In diesem Zusammenhang gehört auch die Mordaktion im Sauerland. Die Region liegt an der Peripherie des östlichen Ruhrgebiets. Seit dem Sommer 1944 gab es im rheinisch-westfälischen Industriegebiet drei Gruppen von Zwangsarbeitern. Die größte Gruppe waren die nach wie vor in Lagern festgehaltenen und zur Arbeit gezwungenen Personen. Daneben gab es zahlreiche Zwangsarbeiter, deren Lager durch Bombenangriffe zerstört waren und die sich in den Ruinen der Städte bis zu ihrer Befreiung verbargen. Eine dritte Gruppe hatte auf eigene Faust die Städte verlassen und versuchte in der ländlichen Gegenden der Umgebung etwa im Münsterland, im Bergischen Land oder im Sauerland bis zum Kriegsende zu überleben.
Ende 1944 begannen die deutschen Behörden selbst solche Zwangsarbeiter, die durch die Bombenangriffe ihre Arbeitsplätze und ihre Unterkunft verloren hatten, ostwärts zu verlagern. Die Zwangsarbeiter wurden in Gruppen eingeteilt und bewacht. Jedoch setzten sich die Wachen häufig nach ein paar Tagen ab und die Arbeiter strandeten im Sauerland und wurden von der Gestapo und anderen Sicherheitskräften als Marodeure verfolgt. Die Zahl der aus dem Ruhrgebiet heraus geführten Zwangsarbeiter nahm Anfang 1945 stark zu und das Regierungspräsidium in Arnsberg arbeitete einen Plan für einen ordentlichen Verlauf der Evakuierungen mit bestimmten Routen, Rast- und Übernachtungsstellen aus.
Anfang März 1945 durchliefen etwa 1000 Personen pro Tag die Stationen auf der Marschroute. Weil der Weitermarsch auf Schwierigkeiten stieß, stauten sich die Menschen in der Gegend um Meschede und wurden von dort zunächst auf verschiedene Dörfer und Städte verteilt. Dabei waren die Unterbringungsmöglichkeiten bald erschöpft und es mangelte an Nahrung. Es kann nicht verwundern, dass viele Zwangsarbeiter in die Wälder flüchteten, um sich dort bis zur Ankunft der nahen Amerikaner durch zuschlagen. Zum Überleben stahlen sie Hühner von den Höfen oder begingen Felddiebstähle. Neben diesen kleineren Diebstählen, kam es in dieser Zeit zu keinen Raubüberfällen oder gewaltsamen Übergriffen.[2]
Mordauftrag
In Suttrop lag der Stab der Division z.V. Der Name kommt vom nationalsozialistischen Propagandabegriff Vergeltungswaffe. Diese bezeichneten den V 1-Marschflugkörper und die V 2-Rakete für die die Truppe zuständig war. Kommandiert wurde die Einheit nicht von einem Wehrmachtsoffizier, sondern von dem hohen SS-Offizier Hans Kammler. Auf einer Fahrt nach Warstein wurde er auf die große Zahl der auf den Straßen marschierenden Zwangsarbeiter aufmerksam. Als sein Auto wegen einer solchen Gruppe halten musste, äußerte er zu seinen Begleitern, man müsste dieses Gesindel eliminieren. Einige Tage später stieß der General im Wald auf eine Gruppe von kampierenden Zwangsarbeiter, die gerade dabei waren, gestohlene Hühner zu rupfen. Kammler rief seinen Stab zusammen. Er bezeichnete die Zwangsarbeiter als großes Sicherheitsrisiko gegen das Maßnahmen ergriffen werden müssten. Die Gefahr könne nur durch die Dezimierung der Ostarbeiter verringert werden. Er berichte über bereits vorgekommene angebliche oder tatsächliche Ausschreitungen von Zwangsarbeitern im Reichsgebiet. Zwar sei es „in dieser Gegend noch nicht gekommen (sei), diese seinen aber unbedingt zu erwarten, und dem müsse vorgebeugt werden.“ Im Übrigen sei auch die Nahrungsmittelversorgung kritisch und die Vorräte für die Deutschen würden durch die Fremdarbeiter noch verringert. Daher sei es nötig die „Fremdarbeiter zu dezimieren.“[3]
Die Umsetzung überließ Kammler seinen Untergebenen, die dabei weitgehend selbständig handelten. In der Warsteiner Schützenhalle und in der Schule im benachbarten Suttrop bestanden, behelfsmäßige Lager, wo die Zwangsarbeiter vorübergehend untergebracht und dürftig verpflegt wurden. Aus diesen Unterkünften wurden die Opfer geholt. [4]
Tatorte Suttrop und Warstein
Eine Aktion richtete sich gegen die in der benachbarten Schule untergebrachten Personen. Unklar ist, wer das Tötungskommando aus Unteroffizieren und Mannschaften des Stabes zusammen stellte und die Aktion kommandierte. Zeuge der Tat war der damaligen SS-Untersturmführer Heinz Zeuner. Den in der Schule in Suttrop untergebrachten Zwangsarbeitern aus 35 Männern, 21 Frauen und einem Kind wurde befohlen sich zum Abtransport bereit zu machen.[5]
Daneben wurden auch erste Opfer unter den Zwangsarbeitern in Warstein ausgesucht. Zusammen mit Klönne und SS-Sturmführer Bernhard Anhalt ließ Wetzling durch einen Dolmetscher den 800-1000 in der Schützenhalle zusammengepferchten Zwangsarbeitern verkünden, dass er Freiwillige suche, die in ein anderes besseres Lager gebracht werden würden. Daraufhin meldeten sich 14 Männer und 56 Frauen. Von diesen hatte eine ein einjähriges Kind bei sich. Auch diese Gruppe wurde ermordet.[6][7]
Den Exekutionsplatz im Langenbachtal hatten der SS-Oberfeldrichter Wolfgang Wetzling und Ernst-Moritz Klönne am 20. März ausgesucht. Klönne war Sohn eines Dortmunder Unternehmers, der auch eine Villa in Warstein hatte. Er unterstand nicht Kammler und hat sich freiwillig an dem Unternehmen beteiligt. Für die Tötungsaktion hatten die Soldaten am Stein zwischen Suttrop und Körtlinghausen ein Massengrab vorbereitet. Die Menschen mussten sich am Grubenrand aufstellen und wurden per Kopfschuss hingerichtet. Aus der letzten Gruppe konnte sich ein Mann lösen und lief auf den SS-Mann Zeuner zu, der ihn mit mehreren Schüssen tötete. Ein Großteil des Mordkommandos hatte Skrupel, dass einzige Kind der Gruppe zu töten. Ein SS-Mann hat sich dazu bereit erklärt und den Kopf des Kindes an einem Baumstamm zerschmettert. Angesichts der großen Anzahl von Frauen kamen Zeuner offenbar Zweifel, ob es sich tatsächlich um Plünderer handeln konnte. Er sagte zu Kammler am nächsten morgen: "Es waren viele Frauen und Kinder dabei." Dieser antwortete, "Man kann von diesem Zeug nicht genug umlegen." Der Oberfeldrichter Wetzlig sagte später in dem Prozess gegen ihn aus, dass er sich über die große Zahl von Frauen Gedanken gemacht hätte. "Ich habe dann auch sehr darauf geachtet, dass bei der nächsten Exekution nur Männer erschossen wurden, damit die Parität wieder hergestellt war..."[8][9]
Tatort Eversberg
In der Nacht vom 22. auf den 23. März 1945 wurden weitere 80 Männer aus dem Lager in der Warsteiner Schützenhalle ermordet. Diese Tat fand bei Eversberg, etwa dort wo heute die Straße nach Eversberg von der B55 abzweigt, statt. Nach Aussage des späteren Angeklagten Helmut Gaedt, wurde wurde er zum Ia der Division Johann Miesel befohlen. Dieser sagte, es seien Russen beim Plündern erwischt worden. Diese seien zu erschießen. Auf die Frage, was er als Waffenoffizier damit zu tun hätte, antwortete Miesel, sie sind Offizier wie jeder andere auch. Weiter Anweisungen erhielt er von Oberfeldrichter Wetzling. Der bestätigte den Befehl. Ein offizielles Standgerichtsurteil wegen Plünderns gab es nicht, vielmehr sollten pauschal 80-100 Zwangsarbeiter hingerichtet werden.
Gaedt wurde befohlen einen Exekutionsplatz vorzubereiten. Abends würden ihm dann die Delinquenten übergeben. Zur Vorbereitung des Exekutionsplatzes forderte er zwanzig Zwangsarbeiter an und ließ unter Zuhilfenahme von Sprengstoff ein Massengrab ausheben. Zusammen mit einem Unteroffizier plante Gaedt das weitere Vorgehen. Die Einheit sollte gegen 22 Uhr 30 abrücken, weil die Warsteiner nach den Spätnachrichten ins Bett gingen. So hoffte man kein Aufsehen zu erregen. Gegen 22 Uhr meldete sich der Unteroffizier mit seinen Untergebenen. Ein Teil der Truppe ging zum Exekutionsplatz während andere zur Unterkunft der Zwangsarbeiter ging.[10]
Die Opfer wurden dem Kommando unter Gaedt übergeben. Ein Teil von ihnen mussten Lastwagen besteigen, während die Übrigen zu Fuß nach kamen. Nach der Ankunft an der Exekutionsstätte musste jeder Soldat einen Russen auf eine Wiese begleiten. Dort mussten die Zwangsarbeiter Gepäck und Kleidung ablegen. Dies löste zwar eine gewisse Unruhe, aber keine sonstigen Vorkommnisse aus. Die Opfer wurden an die Grube geführt und aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Gaedt ging danach mit einer Taschenlampe in die Grube um zu kontrollieren, ob auch alle tot waren. Damit die nächste Gruppe der Opfer nichts merkte, wurde etwas Erde über die Leichen geschaufelt.
In der Folge wurden immer Gruppen von 15 Zwangsarbeitern ermordet. Die Aktion dauerte von 23 Uhr bis 6 Uhr morgens. Gaedt sagte in dem Prozess aus: "Wir hatten die ganze Nacht schwer gearbeitet und waren innerlich ganz zerrissen. Ich ließ Zigaretten und Alkohol austeilen. Den Alkohol lehnten die meisten Soldaten ab." Er berichtete weiter, dass sich ein Soldat aus religiösen Gründen geweigert hätte, aktiv an der Exekution teil zu nehmen. Gaedt gab vor Gericht an, Achtung vor dieser Haltung gehabt zu haben, aber den Soldaten mit Blick auf die Disziplin "zusammengestaucht" zu haben. Letztlich brauchte der Soldat nicht zu schießen. "Anschließend haben wir dann die Sachen der Russen verbrannt. Es ging alles sehr ordentlich zu: Keiner hat sich an den Sachen vergriffen. Dann haben wir Schuhe und Schanzzeug gesäubert und sind in die Unterkunft gefahren. Ich konnte nicht schlafen, so aufgeregt war ich..." Am nächsten Morgen hatte Gaedt bei Miesel telefonisch Bericht erstattet. Auf die Frage wie viele getötet worden seien, antwortete Gaedt achtzig. "Miesel fragte sehr erregt zurück: Warum den achtzig und nicht hundert? Ich sagte, ich hätte nur achtzig empfangen. Miesel sagte: Na - egal, es wird sowieso noch mehr von diesem Pack erschossen..."[11][12] [13]
Nach der Tat
Obwohl die Täter versucht hatten, die Aktion geheim zu halten, gab es in der Bevölkerung von Warstein Gerüchte, dass im Wald „irgendwas Schreckliches“ geschehen sein musste. Nach der Besetzung durch die Amerikaner zu Beginn des April 1945 wurden die Massengräber entdeckt. Die Leichen wurden exhumiert. Dazu wurden ehemalige Mitglieder der NSDAP herangezogen. Die Amerikaner veranlassten die gesamte Warsteiner Bevölkerung an den Leichen vorbeiziehen. Anschließend wurden die Opfer durch die NSDAP-Mitglieder würdig in Einzelgräbern bestattet. Im Jahr 1964 wurden die sterblichen Überreste auf die Kriegsgräberstätte in Meschede überführt.[14]
Das bei Eversberg gelegene Massengrab wurde einige Wochen später von dem Grundstückseigentümer entdeckt, aber aus Angst vor den noch in der Gegend befindlichen Zwangsarbeitern den alliierten Miliärbehörden nicht gemeldet. Die ermordeten Zwangsarbeitern wurden im Jahr 1947 unter Aufsicht von Kreismedizinalrat Dr. Petrasch exhumiert. Die Leichen wurden zu zwei in Särge gelegt und auf dem Franzosenfriedhof bestattet.[15]
Arnsberger Prozess
Nach anonymen Anzeigen wurde 1955 ein Ermittlungsverfahren aufgenommen. Im Jahr 1957 wurden die ersten drei Beschuldigte festgenommen. Der Hauptverantwortliche Hans Kammler konnte nicht mehr belangt werden, weil er 1945 Selbstmord begangen hatte. In dem Prozess vor dem Arnsberger Landgericht musste sich schließlich sechs Angeklagte verantworten.[16] Der Prozess fand nicht im Landgericht, sondern im Rathaussaal statt. Das Verfahren wurde von Landgerichtsdirektor Kurt Niclas geleitet. Die Anklage wurde von Oberstaatsanwalt Büchner und Staatsanwalt Kiehler vertreten. Der Prozess umfasste 21 Verhandlungstage und dauerte mehrere Monate.
Hauptangeklagter war Wolfgang Wetzling ehemals SS-Obersturmbannführer und SS-Oberfeldrichter. Zu Prozessbeginn war er Justiziar. Weiter angeklagt war der ehemalige Wehrmachtshauptmann und spätere Fabrikant Ernst Moritz Klönne. Angeklagt waren des weiteren Johann Miesel (ehemals Obersturmbannführer und später Regierungsassessor, Bernhard Anhalt (ehemals SS-Sturmführer, später kaufmännischer Angestellter, Helmut Gaedt (ehemals Wehrmachtsoffizier, später Gewerbeoberlehnrer sowie Heinz Zeuner (ehemals SS-Sturmführer, später Vermessungstechniker).[17]
Die Staatsanwaltschaft hatte für Wetzling lebenslänglich Zuchthaus wegen Mordes, für Anhalt, Gaedt, Miesel und Klönne je fünf Jahre Zuchthaus und für Zeuner die Einstellung des Verfahrens beantragt.
Zur Urteilsverkündung waren Berichterstatter des Fernsehens, des WDR, verschiedener Nachrichtenagenturen und verschiedener Zeitungen anwesend. Das Gericht stellte fest, dass er im Gegensatz zu vergleichbaren Verfahren überhaupt kein Schuldvorwurf gegen die Opfer vorgelegen hätte. Sie hätten weder geraubt, noch geplündert. Der vorsitzende Richter: "Sie hatten Hunger und wollten essen". Es sei ein "ungeheuerlicher Weg und ein unmenschliches Mittel gewesen, sich dieser Fremdarbeiter durch massenweise Tötung zu entledigen". Das Gericht war zu der Überzeugung gelangt, dass die Erschießung weder im Interesse der Kriegsführung noch zum Schutz der Bevölkerung geschah. Zu erklären sei das Verbrechen aus der nationalsozialistischen Ideologie. Die Tötungen seien "unter Ausnutzung und Missbrauchs des militärischen Befehlsverhältnisses, wie in den Konzentrationslagern der damaligen Zeit, erzwungen worden." Die Offiziere hätten zwar die Unrechtmäßigkeit der Befehle erkannt, haben diese aber aus Angst vor den Befehlen einer Befehlsverweigerung befolgt. "Auch müsse man die damaligen Zeiten mit anderen Maßstäben messen, ganz davon abgesehen, dass das Beweisergebnis auch dadurch eingeengt wurde, dass eigentlich nur Tatzeugen, also Mittäter, vernommen werden konnten, deren Aussagen allesamt persönlich gefärbt erschienen und deshalb an Gewicht verlören."[18]
Die Folge dieser Einschätzung waren milde Urteile. Der Hauptangeklagte Wolfgang Wetzling wurde schließlich zu fünf Jahren Gefängnis wegen Totschlags in 151 Fällen verurteilt. Klönne bekam ein Jahr und sechs Monate Zuchthaus wegen Beihilfe zum Totschlag in 71 Fällen. Gegen Miesel wurde das Verfahren auf Basis der Amnestie von 1954 eingestellt, weil keine höhere Strafe als drei Jahren Gefängnis zu erwarten war. Anhalt, Gaedt und Zeuner wurden wegen Befehlsnotstandes freigesprochen. [19][20]
Prozessreaktionen
Die frühen 1950er Jahre waren eine Zeit, in der sich die Öffentlichkeit kaum für die Verbrechen während des Dritten Reiches interessierte. Dies begann sich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu ändern. Nach der politischen Ruhe in den ersten Jahren der Bundesrepublik begann sich die Gesellschaft allmählich zu politisieren. Eine mögliche Atombewaffnung der Bundeswehr löste eine breite Debatte aus. Vor diesem Hintergrund veränderte sich auch der Umgang mit den Kriegsverbrechen.[21]
Obwohl die Anzahl von Kriegsverbrecherprozessen stark nachgelassen hatte, fanden diese vermehrt Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Zu diesen gehörte auch der Prozess vor dem Arnsberger Landgericht 1957/58. Es berichtete nicht nur die regionale und deutschlandweite Tagespresse sondern in teilweise sehr umfangreicher Form auch Magazine und Wochenzeitungen. Der Stern brachten einen großen bebilderten fünf seitigen Bericht unter dem Titel "Denn sie mussten wissen, was sie tun." Die Revue und Der Spiegel überschrieben ihre Berichte mit: "Die Mörder sind unter uns." Heinz D. Stuckmann berichtete in drei ausführlichen Artikeln für Die Zeit über den Prozess. Darin stellte er die Biographien der Angeklagten vor, schilderte die Taten, den Prozessverlauf und das Urteil.[22]
Für Prozessbeobachter erschreckend war die Erkenntnis, dass es sich bei den Tätern nicht um fanatische Nationalsozialisten handelte, sondern um "normale Männer."[23] Immer wieder waren die Berichterstatter erstaunt über die Diskrepanzen zwischen den Taten und der Rolle als angesehene, beruflich erfolgreiche, fürsorgliche Familienväter zur Zeit des Prozesses.[24]
Das Urteil stieß bei dem Berichterstatter Stuckmann auf Unverständnis, vor allem weil die Richter nicht wie die Staatsanwaltschaft forderte auf Mord, sondern nur auf Totschlag erkannten. Ähnlich kritisch urteilten auch andere Beobachter. Herbert Hausen sprach in einem Kommentar für den Sender Freies Berlin von einem bestürzend und beschämenden Prozessausgang. Er warnte aber vor einer pauschalen Verurteilung der Justiz. [25]
Auch in der Politik fand der Prozess eine große Beachtung. Der sozialdemokratische Rechtsexperte Adolf Arndt sprach im Rechtsausschuss des Bundestages von einem "Mord am Recht." Das Urteile würde die Bundesrepublik entehren und "alle Massenmörder von Katyn bis Tunis" ermutigen. Auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses Matthias Hoogen (CDU) empfand das Strafmaß in einer Stellungnahme für den den Stern als "für die Öffentlichkeit völlig unverständlich." Es könne nicht sein, dass die Schutzbestimmungen für Weinfälscher höher bewertet würden als die für Menschenleben.[26] Ebenfalls für den Stern äußerte Arndt, dass ein "ungeheuerliches Missverhältnis" zwischen Taten und Strafen klaffe. Mit der Amnestie von 1954 (Straffreiheitsgesetz vom 17. Juli 1954) sei der Bundestag schon sehr weit gegangen. Aber wo die Voraussetzungen nicht erfüllt seien, müssten angemessene Strafen erfolgen. Für ihn war es beunruhigend, dass die Tötung von über 100 Menschen nur mit maximal wenigen Jahren Gefängnis geahndet würde, während für normale Totschläger ein Strafmaß von nicht unter zehn Jahren üblich sei.[27] Im Landtag von Nordrhein-Westfalen meinte Gerhard Koch (SPD), dass das Urteil "in weitesten Kreisen großes Befremden ausgelöst" hätte. Das Urteil erinnere an die "Aufweichung der Justiz" hinsichtlich politisch motivierter Verbrechen zur Zeit der Weimarer Republik. Joseph Bolling (CDU) stimmte Koch in dieser Kritik zu.[28]
Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof übergab das Verfahren dem Schwurgericht in Hagen. Dort wurde der Prozess noch einmal aufgerollt.[29] Diesmal wurde Wetzling zu lebenslänglich verurteilt.[30] Klönne erhielt drei Jahre Haft.[31]
Einzelnachweise
- ↑ Ralf Blank: Nerobefehl. Online-Version
- ↑ Ulrich Herbert: Hitler's Foreign Workers. Enforced Foreign Labor in Germany under the Third Reich. Cambridge, 1997 S.374f.
- ↑ Ulrich Herbert: Hitler's Foreign Workers. Enforced Foreign Labor in Germany under the Third Reich. Cambridge, 1997 S.376. Ders.: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. München, 2001 S.181
- ↑ Die Mörder sind unter uns. In: Der Spiegel 50/1957 Online-Version
- ↑ Die Mörder sind unter uns. In: Der Spiegel 50/1957 Online-Version
- ↑ Die Mörder sind unter uns. In: Der Spiegel 50/1957 Online-Version
- ↑ Jürgen Funke: Erinnerung an ein barbarisches Kriegsverbrechen im Sauerland. In: Sauerland S.43
- ↑ Die Mörder sind unter uns. In: Der Spiegel 50/1957 Online-Version
- ↑ Jürgen Funke: Erinnerung an ein barbarisches Kriegsverbrechen im Sauerland. In: Sauerland 2/1995 S.43
- ↑ Heinz Struckmann: Die „Basis“ für den Massenmord. Noch einmal: Die Taten im Warstein-Prozeß, und wie zwei Angeklagte sie sehen. In: Die Zeit 2. Januar 1958 Onlineversion
- ↑ Heinz Struckmann: Die „Basis“ für den Massenmord. Noch einmal: Die Taten im Warstein-Prozeß, und wie zwei Angeklagte sie sehen. In: Die Zeit 2. Januar 1958 Onlineversion
- ↑ Die Mörder sind unter uns. In: Der Spiegel 50/1957 Online-Version
- ↑ Stadtarchiv Meschede: Kriegsende - Stunde Null. S.24f. Pdf-Datei
- ↑ Jürgen Funke: Erinnerung an ein barbarisches Kriegsverbrechen im Sauerland. In: Sauerland 2/1995 S.44
- ↑ Stadtarchiv Meschede: Kriegsende - Stunde Null. S.24f. Pdf-Datei
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.175
- ↑ Heinz Stuckmann: Pro Mord zwölf Tage. Das seltsame Urteil von Arnsberg. In: Die Zeit 20. Februar 1958 Onlineversion
- ↑ Detlev Schlüchtermann: Milde Strafen für grausame Hinrichtungen. In: Der Westen 18. März 2008
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.175f.
- ↑ Heinz Stuckmann: Pro Mord zwölf Tage. Das seltsame Urteil von Arnsberg. In: Die Zeit 20. Februar 1958 Onlineversion
- ↑ Andreas Eichmüller: Die strafrechtliche Verfolgung von NS_Verbrechen und die Öffentlichkeit in der frühen Bundesrepublik Deutschland 1949-1958. In: Jörg Osterloh, Clemens Vollnhals (Hrsg.): NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungzeit, frühe Bundesrepublik und DDR. Göttingen, 2011 S.70
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.175
- ↑ NS-Prozesse S.70
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.175
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.176
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.176
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.176f.
- ↑ Andreas Eichmüller Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012 S.177
- ↑ „Kräftig dezimieren“ In: Die Zeit 16. Oktober 1959
- ↑ Justiz und NS-Verbrechen Band XVI (Onlineversion)
- ↑ Justiz und NS-Verbrechen Band XVIII (Onlineversion)
Literatur
Presseberichte
- Die Mörder sind unter uns. In: Der Spiegel 50/1957 Online-Version
- Heinz Struckmann: Die „Basis“ für den Massenmord. Noch einmal: Die Taten im Warstein-Prozeß, und wie zwei Angeklagte sie sehen. In: Die Zeit 2. Januar 1958 Onlineversion
- Heinz Stuckmann: Pro Mord zwölf Tage. Das seltsame Urteil von Arnsberg. In: Die Zeit 20. Februar 1958 Onlineversion
- Heinz Stuckmann: Vor zwölf Jahren: Am Ende von zwölf Jahren. In: Die Zeit 12. Dezember 1957 Onlineversion
Sekundärliteratur
- Andreas Eichmüller: Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik. München, 2012
- Ulrich Herbert: Hitler's Foreign Workers. Enforced Foreign Labor in Germany under the Third Reich. Cambridge, 1997 S.376
- Jürgen Funke: Erinnerung an ein barbarisches Kriegsverbrechen im Sauerland. In: Sauerland 2/1995 S.43f.
- Stadtarchiv Meschede: Kriegsende - Stunde Null. S.24f. Pdf-Datei