Waisenhaus

Einrichtung der Heimerziehung
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Das Waisenhaus ist eine Einrichtung der Heimerziehung, in der Kinder und Jugendliche wohnen und mit einer pädagogischen Intention betreut werden. Die Bezeichnung Waisenhaus ist heute nicht mehr gebräuchlich, da der Grund für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen außerhalb der Herkunftsfamilie in der Regel nicht die Elternlosigkeit der Kinder ist. Vielmehr erfolgt die Unterbringung, weil die Bedingungen im Elternhaus dem Kindeswohl entgegenstehen. Teilweise werden solche Kinder als Sozialwaisen bezeichnet. In der Heimerziehung herrscht heute das Bemühen vor, durch kleine Einheiten möglichst familienähnliche Bedingungen für die Kinder zu schaffen. (Die heute gängige Bezeichnung ist meist: Kinderheim.) Betreuende Jugendämter sind in der Regel auch daran interessiert, Heimkinder in Pflegefamilien zu vermitteln.

Das Franckesche Waisenhaus in Halle (Saale), erbaut 1700

Entstehung

Waren in der Antike ausgesetzte Kinder rechtlos und wurden häufig versklavt, so galten im Christentum Findelkinder und Waisen seit jeher als besonders schutzwürdig und hilfsbedürftig. Zur Versorgung von Findelkindern entstanden daher vielerorts Findelhäuser, zunächst vor allem in Italien, später auch in Deutschland, zum Beispiel 1341 in Köln, 1471 in Augsburg, 1556 in Leipzig. Die Kinder waren aber auf die Barmherzigkeit von Einzelpersonen angewiesen.[1] Auch für Waisen wurden schon im Mittelalter einzelne eigene Stuben oder Häuser eingerichtet, in denen sie auf Kosten der Bürgerschaft erzogen wurden. Waisenhäuser entwickelten sich aus diesen Findelhäusern, besonders zahlreich seit dem 17. Jahrhundert aus Stiftungen und den Gründungen der Pietisten. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618−1648) kam es vermehrt zur Gründung von Anstalten; diese sollten für eine ganze Reihe sozialer Problemfelder gleichzeitig zuständig sein. So macht das 1677 in Braunschweig gegründete „Armen-, Waysen-, Zucht- und Werkhaus“ die Absichten schon in seinem Namen deutlich. Ähnliche Anstalten wurden 1679 in Frankfurt, 1702 in Bamberg, 1716 in Waldheim oder 1736 in Ludwigsburg gegründet. Das 1702 in Berlin gegründete „Große Friedrichshospital“ war vorrangig ein Unterbringungsort für Waisen, Bettler, Invaliden, geistig Gestörte, Aussätzige und erst nachrangig Krankenanstalt.[2]

 
Das Oranienburger Waisenhaus

Chronologie

  • Das Seelhaus wurde um 1435 gegründet und bekam 1588 als Stiftung eine Umwandlung als „Armenkinder-Waisenanstalt“ in Bamberg[3]
  • Ein städtisches Waisenhaus wurde in Augsburg als Stiftung im Jahr 1572 gegründet.[6][7]
  • Das Münchner Waisenhaus wurde 1625 als Bürgerwaisenhaus ins Leben gerufen und war seit 1809 eine Waisenhausstiftung.[8] Heute wird dort eine moderne Kinder- und Jugendfürsorge mit ca. 122 Plätzen bewerkstelligt.
  • Das Waisenhaus in Varel konnte 1669 als Stiftung gegründet werden.[10]
  • Das Waisenhaus in Basel wurde als Bürgerliche Stiftung im Jahr 1669 gegründet.[11]
  • Das St.Petri Waisenhaus in Bremen konnte als Stiftung im Jahr 1692 gegründet werden.[13]
 
Das einstige Waisenhaus des ehemaligen Klosters Oetenbach in Zürich
  • Das Franckesches Waisenhaus wurde als Franckesche Stiftung im Jahr 1698 in Halle (Saale) gegründet und 1700 erbaut.[14] In den Franckeschen Stiftungen von 1698 war in Halle das Waisenhaus nur eine Abteilung. Heute gibt es dort nur noch einen Kinderhort mit ca. 150 Kindern zwischen 6 und 14 Jahren die von insgesamt 9 Erzieherinnen betreut werden. Außerdem gibt es dort 4 Schulen, ein Deutsches Jugendinstitut, die Martin-Luther-Universität und die Kulturstiftung des Bundes.
  • 1712 eröffnet das Stuttgarter Waisenhaus als „Waisen-, Zucht- und Arbeitshaus“.
  • Das Große Militär-Waisenhaus wurde als Stiftung in Potsdam, 1724 von König Friedrich Wilhelm I. von Preußen gegründet.[16] Das Große Militär-Waisenhaus hatte ab 1952 als Kinderheim 40 Jahre ausgesetzt. Heute ist es eine Bildungseinrichtung für benachteiligte Jugendliche in den Regionen Brandenburgs.
  • Das Rauhe Haus wurde als Waisenhaus Stiftung am 12. September 1833 in Hamburg gegründet.[18] Das Rauhe Haus hat heute im Großraum Hamburg etwa 100 Adressen von stationären Hilfen in Wohngemeinschaften, Wohngruppen und Einrichtungen sowie der ambulanten Hilfen für die Kinder- und Jugendhilfe.

In Preußen dienten Militärwaisenhäuser zur Aufnahme von Waisenkindern evangelischer Konfession, die während des aktiven Militärdienstes der Väter geboren waren. Den Militärwaisenhäusern wurde 1829 eine Tochteranstalt für Mädchen in Pretzsch abgezweigt. Die Römisch-katholischen Kinder wurden im Erfurter Waisenhaus erzogen.

1844 gründete Clara Fey den Orden „Schwestern vom armen Kinde Jesus“. 1872 (in diesem Jahr begann der Kulturkampf, der bis 1887 währte) lebten in 27 Niederlassungen des Ordens in Preußen rund 600 Schwestern. Dazu kamen Häuser in Österreich und Luxemburg. Die Tätigkeit der Schwestern erweiterte sich von Schulen und Internaten zu Waisenhäusern, Kindergärten, Handelsschulen, Frauenfachschulen und anderen Instituten zur Betreuung vor allem von Mädchen. 1886 eröffnete das Hyrtl’sche Waisenhaus in Mödling/Niederösterreich.

Später nannte man Waisenhäuser „Kinderheime“ oder „kinder- und jugendpädagogische Einrichtung“[19] Unter Heimerziehung versteht man Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche Tag und Nacht wohnen und pädagogisch betreut werden, um sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Früher stand der Fürsorgegedanke im Vordergrund, später das Partizipationsprinzip.

Weitere Waisenhäuser

Siehe auch

Literatur

  • Brockhaus Konversations-Lexikon. 1908.
  • Geschichte des Königlichen Potsdamschen Militärwaisenhauses von seiner Entstehung bis auf die jetzige Zeit. Ernst Siegfried Mittler, Berlin/ Posen 1824. (E-Book: Potsdam 2010, ISBN 978-3-941919-74-7)
Commons: Waisenhaus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Markus Meumann: Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord: Unversorgte Kinder in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Wissenschaftsverlag Oldenbourg 1995, ISBN 3-486-56099-9, S. 180f.
  2. Notker Hammerstein, Christa Berg: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. C. H. Beck, 2005, ISBN 3-406-32464-9, S. 430/31
  3. Geschichte zum Waisenhaus Bamberg (siehe „Waisenhaus-Stiftung“)
  4. Vaterstädtische Blätter. Nr. 14, Jahrgang 1929/30, Ausgabe vom 14. April 1929, Artikel: Das Waisenhaus zu Lübeck 1546-1929. Umgstaltung der Anstalt
  5. Verlag Gebrüder Borchers: Festschrift zum 300jährigem Bestehen der Anstalt aus dem Jahre 1847
  6. Evangelisches Waisenhaus Augsburg
  7. Geschichte der Katholischen Waisenhaus-Stiftung Augsburg
  8. Träger des Münchner Waisenhauses ist seit 1809 die Waisenhausstiftung
  9. sehenswuerdigkeiten/waisenhaus.html Oranienburger Waisenhaus Stiftung
  10. Stiftung Waisenhaus in Varel
  11. Waisenhaus Basel
  12. Stiftung Waisenhaus Frankfurt am Main
  13. St.Petri Waisenhaus in Bremen
  14. Franckeschen Stiftungen von 1698 in Halle a.d. Saale
  15. Waisenhaus St. Johann der Anne Maria Steffen Stiftung in Osnabrück
  16. Großes Militär-Waisenhaus zu Potsdam
  17. Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Stelle (Essen)
  18. Rauhe Haus Stiftung in Hamburg
  19. z.B. stadt-koeln.de