Hallenhaus

traditioneller Bauernhaus-Typ in der norddeutschen Tiefebene
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Das Niedersachsenhaus oder auch niederdeutsche Hallenhaus ist ein historischer Bauernhaustyp, der noch heute viele Dörfer prägt. Sein Vorläufer, das germanische Langhaus diente schon seit etwa der Bronzezeit Menschen und Tieren als Wohn-, Wirtschafts- und Stallgebäude unter einem gemeinsamen Dach. Typische Erkennungszeichen des Niedersachsenhauses sind das große Einfahrtstor an der Giebelseite, die Fachwerkbauweise und der Giebelschmuck im Stil des Sachsenross. Es findet sich in der norddeutschen Tiefebene von den Niederlanden bis nach Ostpreußen mit der südlichen Grenzlinie durch die Mittelgebirge. Der Name Niedersachsenhaus leitet sich vom (nieder-) sächsischen Ursprung des Hauses ab, jedoch nicht vom heutigen Bundesland Niedersachsen, in dem es aber stark vertreten ist.

Niedersachsenhaus in Ausbüttel bei Gifhorn mit Pferdeköpfen am Giebel, Baujahr: 1779, Foto: etwa 1895

Entwicklung

Baugeschichtlich lässt sich der Typ des Hallenhauses, mit dem später fortentwickelten Niedersachsenhaus, durch archäologische Ausgrabungen bis in die Steinzeit zurück verfolgen. Dieser Haustyp entstand, als die Bauern ihr Vieh nicht mehr das ganze Jahr auf der Weide ließen, sondern über Nacht oder im Winter in den Stall holten. Die Bauweise änderte sich über die Jahrhunderte hinweg und passte sich Klima, Boden und der kulturellen Entwicklung an. Bis ins Mittelalter wurden Holzpfosten in den Boden gerammt, die das Haus trugen. Im Hochmittelalter ging man dazu über, die Holzpfosten als massivere Ständer auszuführen und sie auf ein Fundament zu setzten. Das machte die Konstruktionen tragfähiger, stabiler und langlebiger. Die ältesten heute noch erhaltenen Niedersachsenhäuser stammen aus dem 16. Jahrhundert. Änderungen in der Bauweise waren beispielsweise das Ziegeldach, mit dem die leicht brennbaren Reetdächer ersetzt wurden.

Verbreitungsgebiet

Das Verbreitungsgebiet des Niedersachsenhauses erstreckt sich nicht nur auf das heutige Bundesland Niedersachsen, sondern auf den gesamten Raum der norddeutschen Küstenländer von Nord- und Ostsee. Im Westen beginnt es in den Niederlanden und reicht im Osten bis zur Danziger Bucht. Im Süden stellen die Mittelgebirge die ungefähre Grenzlinie dar. Der Haustyp wird auch als sächsisches Haus bezeichnet, weil er im ungefähren Siedlungsbereich des germanischen Stammes der Sachsen verbreitet ist. Südlich angrenzend waren Häuser des fränkischen Bautyps vertreten.

Aufbau

Charakteristisch für das Niedersachsenhaus ist die Ständerbauweise mit Fachwerk. Das Gebäude besteht anfangs aus einem Holzgerüst, dessen einzelnen Zwischenräume (Gefache) ursprünglich mit einem Holzgeflecht sowie Lehmbewurf und später mit Mauerwerk ausgefüllt wurden. Grundsätzlich werden die Bauformen des Zwei- und des Vierständerhauses unterschieden. Das Dreiständerhaus ist eine asymetrische Abweichung zwischen beiden Formen.


Zweiständerhaus

 
Zwei- und Vierständerhaus

Ursprünglich wurde das Niedersachsenhaus mit zwei Ständerreihen aufgestellt und mit Deckbalken versehen. Die Ständerreihen sind der Länge nach im Haus angeordnet und bilden die für das Niedersachsenhaus charakteristische lange und große Diele. An die Ständerreihen wurden niedrige, nichttragende Seitenwände angesetzt und das Dach aufgesetzt. Eine typische Eigenart des zweiständerbaus ist, dass der Dachboden nicht von den Außenwänden, sondern nur vom inneren Holzgerüst getragen wird.

Vierständerhaus

Diese Bauweise stellte eine komfortablere Weiterentwicklung des ursprünglichen Zweiständerhauses dar und wurde von wohlhabenderen Bauern errichtet. Die Konstruktion beruht auf vier Ständerreihen in Längsrichtung, die der Länge nach im Haus angeordnet sind. Hier haben die Außenwände als Stützwände tragende Funktion. Auf die untere Holzkonstruktion wurde eine zweite Etage aufgesetzt, so das die Häuser um ein Stockwerk höher sind. Ein weiterer Unterschied zum Zweiständerhaus ist eine stärkere Abgrenzung zwischen Wohnräumen und Stallungen.

Verzierungen

 
Gekreuzte Pferdeköpfe an der Giebelspitze

Die auggenfälligste Schmuck des Niedersachsenhauses sind die gekreuzten Pferdeköpfe an der Giebelspitze. Die Holzleisten dienen aber auch konstruktive Eigenschaften, da sie die Dachkante gegen Wind schützen. Die Verwendung von symbolischen Pferdeköpfe wird so gedeutet, dass dies auf das Sachsenross als Stammeszeichen der Sachsen zurückzuführen sind. Weitere Verzierungen finden sich regelmäßig im Hauptbalken über dem Eingangstor, der als Schnitzerei den Hausspruch sowie den Namen des Erbauers und das Baujahr trägt. Weitere bescheidene Verzierungen sind gelegentlich im Fachwerk des vorderen Giebels zu finden. Die Ziegelsteine in den Gefachen weisen geometrische Figuren, wie Windmühlen, Bäume, auf.

Aufteilung

Der auch als „Einhaus" bezeichnete Gebäudetyp erreichte im 18. Jahrhundert Ausmaße von 25 m Länge und 12 m Breite. Das Haus vereinigte alle Funktionen des bäuerlichen Lebens. Er gab dem Bauer die Möglichkeit, sein gesamtes Eigentum, die Familie und das Gesinde unter Kontrolle zu haben.

 
Generalisierter Grundriss Niedersachsenhaus

Nach dem Betreten eines Niedersachsenhauses durch das große Tor, das auch als Einfahrt diente, steht man in der geräumigen Diele (niederdeutsch: Deele) oder Halle. Daher auch der Name Hallenhaus. Die Diele ergibt sich aus dem Zwischenraum zwischen den beiden Holzständerreihen. Zu beiden Seiten der Diele liegen die offenen Stallungen für die Tiere (Kübbungen) und Kammern für Mägde und Knechte. Die Diele war der Hauptraum und Mittelpunkt des Hauses. Hier wurde die Ernte eingefahren und auf dem darüber liegenden Dachboden eingelagert. In ihr konnten wettergeschützt Tätigkeiten, wie Flachs brechen, Spinnen, ausgeübt werden. Auch diente sie zum Feiern und zum Aufbahren der Toten.

Küche

Ursprünglich wurde im hinteren Hausbereich der Diele eine offene Feuerstelle angelegt. Der Rauch entwich durch eine Dachöffnung. Das Feuer diente der Zubereitung der Speisen und heizte gleichzeitig Stall und Wohnräume des Einhauses. Außerdem wurde auf diese Weise die auf dem Dachboden gelagerte Ernte getrocknet und durch den Rauch vor Ungeziefer geschützt. Eine spätere Entwicklung war ein Kamin und noch später ein Schornstein, so dass das Haus rauchfrei wurde. Ab dem 19. Jahrhundert änderte sich die Raumaufteilung grundlegend. Die Kochstelle in der offenen Diele löste eine separate Küche im abgetrennten hinteren Bereich des Hauses ab.

Wohnen

 
Alkoven-Bettnische in einer Stube

Ursprünglich gab es nur offenen Wohnstätten im hinteren Bereich des Hauses zu beiden Seiten der Feuerstelle. Dort befanden sich Schrankbetten (Alkoven) und Tische, wobei der Kontakt zum Vieh unmittelbar war. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, als der Wohnraumbedarf stieg, wurden im hinteren Hausbereich separate "Stuben" abgetrennt. Eine weitere spätere Bauänderung war ein Keller unter den Wohnräumen und der Küche, der aber nicht tief war. Dadurch erhöhte sich dieser Hausbereich gegenüber der Diele podestartig.

Niedergang

Was einst als großer Vorteil des Haustyps galt, nämlich das enge Zusammenleben des Menschen mit den Tieren und die Nutzung ihrer Körperwärme zur Heizung im Winter, trug zu seinem Niedergang bei. Bei den gestiegenen Wohnansprüchen des 19. Jahrhunderts wurden die Gerüche der Tiere durch Ausdünstungen und Mist zunehmend als unhygienisch betrachtet. Auch die Stuben waren zu klein geworden. Seither setzte sich im Verbreitungsgebiet des Niedersachsenhauses vermehrt der Typ des fränkischen Hauses durch, dessen Charakteristikum die Trennung von Wohn- und Stallgebäuden ist.

Literatur

  • Braunschweiger Volkskunde, Richard Andree, Braunschweig, 1901