Gastarbeiter

Arbeitsmigranten in Deutschland, die in den 1950er bis 1970er-Jahren einwanderten
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Der Begriff Gastarbeiter wurde in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland für die in großer Zahl ins Land strebenden Arbeitsmigranten geprägt. In der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und der sog. Vollbeschäftigung mangelte es an Arbeitnehmern für gering qualifizierte Tätigkeiten, vor allem in der Montan- und Automobilindustrie, Stadt- und Gebäudereinigung und für andere arbeitsintensive Tätigkeiten. Für diese wurden im europäischen Ausland seit 1955 mit Hilfe von Anwerbebüros und begleitet von bilateralen Anwerbeabkommen vor allem männliche Arbeitsmigranten angeworben. Die ersten Menschen, die als Gastarbeiter in dieser Zeit angeworben wurden, kamen aus Italien, Spanien, Portugal und Jugoslawien, später auch aus Griechenland und insbesondere aus der Türkei. 1964 wurde in der Bundesrepublik der offiziell einmillionste Gastarbeiter begrüßt (Er bekam zur Begrüßung ein Moped geschenkt).

Verständnis des Begriffs

Der Begriff Gastarbeiter wurde für den aus nationalsozialistischen Zeiten belasteten Begriff Fremdarbeiter für die Arbeitsmigranten eingebürgert. Der gewählte Begriff des Gastes sprach für sich, da man im Gastland Deutschland einen vorübergehenden Aufenthalt zur Leistung von Arbeit vorsah. Auf der anderen Seite verbietet es die Gastfreundschaft, seinen Gast arbeiten zu lassen. Anders als bei der Anwerbung von Arbeitern für Zechen während der Industrialisierung im Ruhrgebiet (Ruhrpolen) bestand weder die Absicht, den Menschen eine neue Heimat zu geben, noch hatten die Migraten die Absicht, sich dauerhaft eine neue Heimat in Deutschland zu suchen.

Entwicklung

Bereits Anfang der 1950er Jahre wurde in einigen Branchen in der Bundesrepublik ein Arbeitskräftemangel spürbar. Die hohe Zahl der Kriegstoten und -gefangenen schränkte das Arbeitskräftepotenzial ein. Vor allem der Bergbau litt darunter, dass viele neu eingestellte Arbeitnehmer bei der ersten Gelegenheit in Branchen mit weniger harten Arbeitsbedingungen wechselten. Zunächst wurden die Bergbauunternehmen selbst aktiv und warben in Österreich unter den Flüchtlingen aus Siebenbürgen neue Kumpel an. Allerdings blieb die Zahl der so gewonnenen Arbeitnehmer gering. Bereits in dieser Zeit gab es im Bundeswirtschaftsministerium erste Überlegungen, italienische Arbeiter anzuwerben, was jedoch zunächst auf die Ablehnung der Unternehmer stieß. Unter anderem rechneten sie mit einer geringen Arbeitsleistung sowie der Verbreitung kommunistischer Ideen.

Im Herbst 1953 warb die italienische Regierung in der Bundesrepublik für italienische Gastarbeiter. Auf diesem Weg sollte das Handelsbilanzdefizit der Bundesrepublik gegenüber ausgeglichen werden. Zunächst reagierte die Bundesregierung zurückhaltend auf das Angebot. Vor allem Arbeitsminister Anton Storch wollte zunächst deutsche Arbeitslose aus strukturschwachen Gebieten in Arbeit bringen. Die Gegenposition vertrat Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. 1954 begann er eine gezielte Pressekampagne, um eine öffentliche Diskussion über die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften auszulösen. Zeitgleich setzte die italienische Regierung doch Gespräche über Rahmenbedingungen für die Anwerbung von Arbeitskräften durch. In diesen Verhandlungen wurden das Auswahlverfahren durch die deutsche Arbeitsverwaltung, Lohntransfer und der Familiennachzug geregelt.

Im Sommer 1955 änderte die Bundesregierung auch offiziell ihre Haltung, auch weil der Aufbau der Bundeswehr und die geplante Wehrpflicht weitere Arbeitskräfte binden sollte und weil in Frankreich und der Schweiz ebenfalls über die Anwerbung italienischer Arbeiter diskutiert wurde. Eine erste Hochrechnung sah für 1956 einen Anwerbebedarf von 800.000 Arbeitskräften vor. Am 20. Dezember 1955 wurde das deutsch-italienische Anwerbeabkommen unterzeichnet.

Bis 1961 wurden jährlich rund 20.000 Gastarbeiter nach Deutschland vermittelt. Nach dem Mauerbau verlor die Bundesrepublik eine wichtige Quelle für Arbeitskräfte, zugleich wuchs die Wirtschaft weiter, so dass die Anwerbung verstärkt und auf weitere Länder ausgedehnt wurde.

Zunächst lebten die Arbeiter unter schlechten Bedingungen in Baracken. Allerdings begann bereits in den 1960er Jahren der Familiennachzug. 1973 gab es bereits rund vier Millionen Gastarbeiter und Angehörige in der Bundesrepublik.

Lage in der DDR

In der DDR gab keine "Gastarbeiter" im genannten Sinn. Auszubildende aus Vietnam (Textilindustrie), Kuba, Angola und Mocambique sollten den Facharbeiterabschluß erlangen und die an Arbeitskräftemangel leidende DDR-Wirtschaft unterstützen, bis sie nach Ende ihrer Delegierung wieder in ihren Entsendeländern höher qualifiziert arbeiten konnten. Diese Arbeiter hießen Vertragsarbeiter. Das strenge Rotationssystem erlaubte keinen Familiennachzug. Die familienfeindliche Ausländerpolitik drohte im Falle einer Schwangerschaft mit Abtreibung oder Abschiebung. Ähnlich wie in Westdeutschland lebten die Migranten in abgeschotteten Baracken. Kontakte zu Einheimischen waren von den zuständigen Behörden zu genehmigen und berichtspflichtig.

Folgen

Der Begriff Gastarbeiter fiel 1964 mit dem Fall des Rotationsprinzips. Die ehemaligen Immigranten werden heute als Migranten der ersten Generation bezeichnet.

Bereits Anfang der 1970er Jahre zeigte sich, dass die ursprüngliche Annahme eines befristeten Aufenthaltes in Deutschland verfehlt war. Das ursprünglich angestrebte Rotationsmodell fiel unter Druck der Arbeitgeber, welche sich die Kosten des erneuten Anlernens ersparen wollten. Durch Gesetze wurde der Nachzug von Familienangehörigen geregelt und auch von vielen der Migranten genutzt. 1973 erfolgte ein Anwerbestopp von Gastarbeitern. Dadurch wurde die Bundesrepublik Deutschland de facto zu einem Einwanderungsland, wenngleich dies bis Ende der 1990er Jahre von allen bundesdeutschen Regierungen wenn nicht bestritten, so doch zumindest ignoriert wurde und eine aktive Integrationspolitik nicht gewünscht war. Der Anwerbestop fiel mit der Green-Card Offensive.

Ein Teil der deutschen Bevölkerung befürchtet eine Abschottung islamisch geprägter Mitbürger mit Migrationshintergrund in so genannte Parallelgesellschaften befürchtet.

Zitate

  • "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." (Max Frisch kritisiert die deutsche Praxis)

Siehe auch

Literatur

  • Karin Hunn: „Nächstes Jahr kehren wir zurück...“. Die Geschichte der türkischen „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik, Wallstein Verlag : Göttingen 2005, 598 S., ISBN 3-89244-945-7
  • Die Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie hat ein Schwerpunktheft zum Älterwerden von MigrantInnen in der BRD herausgegeben. ZfGG Band 38(2005), Nummer 6. ISSN 0948-6704 . ISSN: 1435-1269 (Online) Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, Darmstadt:
    • V. Gerling: Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation älterer Migranten/innen dargestellt am Beispiel eines Modellprojektes im Kreis Unna. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Band 38, Nummer 6, Seiten 407 - 416. ISSN 0948-6704 . DOI: 10.1007/s00391-005-0347-1 .
    • M. Dietzel-Papakyriakou: Potentiale älterer Migranten und Migrantinnen. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Band 38, Nummer 6, Seiten 396 - 406. ISSN 0948-6704 . DOI: 10.1007/s00391-005-0346-2.
    • C. Schopf, G. Naegele: Alter und Migration—ein Überblick. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Band 38, Nummer 6, Seiten 384 - 395. ISSN 0948-6704 . DOI: 10.1007/s00391-005-0345-3.