Der Coburger Fabrikant Andreas Flocken entwickelte 1888 „vermutlich das erste Elektroauto der Welt“. [1] Als Bertha Benz ihre historische Pionierfahrt mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 3 von Mannheim nach Pforzheim unternahm, soll Flocken bereits seinen ersten Elektrowagen gebaut haben. Nach Familienerzählungen soll Andreas Flocken mit seinem Elektrowagen u.a. von Coburg bis nach Redwitz gefahren sein (ca. 30 km). [2]
Flocken® | |
---|---|
![]() | |
Elektrowagen 1888 | |
Produktionszeitraum: | 1888 |
Klasse: | Fz.z.Pers.bef.b. 8 Spl. (M1) |
Karosserieversionen: | Kabrio-Limousine (AE) |
Motoren: | Elektromotor ca. 1 PS,
Akkus ca. 2 kWh |
Länge: | |
Breite: | |
Höhe: | |
Radstand: | |
Leergewicht: | incl. Batterien ca. 450 kg
|
Nachfolgemodell | ? |

Der 1888 Flocken Elektrowagen
Der 1888 Flocken Elektrowagen wurde von der Maschinenfabrik A. Flocken in Coburg entwickelt und gebaut. Flockens Fahrzeug zählt als das erste (bekanntgewordene) Elektroauto, das in Deutschland hergestellt wurde.[3]
Bei dem Flockenwagen von 1888 handelte es sich ursprünglich, ähnlich der Motorkutsche von Gottlieb Daimler, um einen hochrädrigen Kutschwagen, der aber dieses mal mit einem Elektromotor versehen wurde und dessen Kraft per Lederriemen auf die Hinterachse des Drehschemel-Viersitzers übertragen wurde.[4] Auch die Coburger Zeitung vom 28. September 1888 erwähnt dieses Fahrzeug:
„In der Werkstätte für landwirtschaftliche Maschinen des Herrn Flocken hier steht eine ‚Dampf-Chaise‘ in Arbeit. Dieselbe hat dieselbe Spurweite wie jedes andere Gefährt, ist einfacher und practisch construirt und dürfte nach Fertigstellung großes Interesse aller Geschirrbesitzer hervorrufen.“[5]
Hinweis: Kraftwagen wurden zu dieser Zeit unabhängig von der Antriebsart als "Dampf-Chaisen" bezeichnet. Die Bezeichnung Auto war in Deutschland noch unbekannt.[6]
Die Rekonstruktion
Franz Haag, Inhaber der Marke Flocken[7], hatte es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Meilenstein der Automobilentwicklung wieder aufzubauen und auf die Strasse zu bringen. Er möchte mit dem Flocken Elektrowagen von 1888 daran erinnern, dass die sogenannte "Zweite automobile Revolution", die Fahrzeuge umweltgerechter machen soll, da sie alternative Antriebe und leichtere Karosserien propagiert, schon 1888 in Deutschland ihren Anfang nahm. Franz Haag rekonstruierte diesen Flocken Elektrowagen in privater Eigeninitiative anhand der Beschreibung von Halwart Schrader und weiterem Informationsmaterial vom Deutschen Museum in München. Diese Rekonstruktion wurde am 10. März 2011 bei der Eröffnung der „Retro Classics“ in Stuttgart erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt[8] und nahm am 10. September 2011 als Führungsfahrzeug an der ersten "Bertha Benz Challenge" teil[9], die nur alternativ angetriebenen Fahrzeugen offen steht. Es ist der weltweit einzige Nachbau dieses Modells. Das Original gilt als verschollen. Der Flocken Elektrowagen befindet sich zur Zeit im Deutschen Museum, Verkehrszentrum, München im Rahmen der Sonderausstellung: .Aufgeladen! Elektromobilität zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
Der 1900 Flocken Elektrowagen
Der Urenkel von Andreas Flocken, Hans Roth, besitzt Originalfotos von weiteren Flocken Elektrowagen, die vermutlich um die Jahrhundertwende gebaut wurden.
Diese Fotos wurden 2008 in einem Bericht der "Neuen Presse Coburg" erwähnt:
„... Flocken entwickelte nicht nur das vermutlich erste Elektroauto der Welt. Um die Jahrhundertwende ertüftelte Flocken weitere Elektrowagen. Davon existieren noch zwei Fotos. Das erste zeigt Flocken auf einem im Jahr 1900 gebauten Auto im Hofgarten. Auf dem Bild sind zwei Hebel erkennbar, mit denen Fahrer wie Beifahrer lenken konnten. Die Hebel sind mit einer Spurstange verbunden. Roths Großmutter erzählte, Flocken habe diese Spurstange erfunden und das Patent an Henry Ford in die USA verkauft. Roth: ‚Ob das stimmt, weiß ich nicht.‘ ...“
Im Gegensatz zum ersten Flockenwagen sind bei diesem Fahrzeug auch Bleiakkus vorne angeordnet. Die verstärkte Vorderachs besitzt Schraubenfedern. Dieses Fahrzeug verfügt über vier gleich große eisenbereifte Räder, Völlig neu ist das Lenksystem. Entgegen der bisher üblichen Drehschemellenkung mit starrer Vorderachse hat A. Flocken eine Achsschenkellenkung entwickelt. Ein Novum ist die elektrische Beleuchtung.
Hinweis: Die Achsschenkellenkung wurde schon 1816 von Georg Lankensperger erfunden.
Der 1903 Flocken Elektrowagen
„... Ein weiteres Bild aus dem Jahr 1903 zeigt Flocken mit seiner Frau in einem modernen Fahrzeug mit Gummireifen. Die Spurstange ist hier bereits nach unten verlegt und hat einen Steuergriff. ‚Ein Novum dürften auch die elektrischen Scheinwerfer des kompakten Zweisitzers gewesen sein‘, heißt es in ‚Deutsche Autos‘.“[10]
1903 wurde ein völlig neues Modell des Elektrowagens vorgestellt. Es hat nun luftbereifte, gleich große Speichenräder mit Kugellagern.
Die Akkumulatoren für die Flocken Elektrowagen
Es wird vermutet, dass der Elektromotor des Flockenwagens von Bleiakkumulatoren nach der Konstruktion von Henri Tudor gespeist wurde. Denn die Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller OHG (heute bekannt als VARTA) stellte 1888 als einzige Firma in Deutschland Bleiakkumulatoren industriell her.
Der Bleiakkumulator wurde 1859 von Gaston Planté entwickelt. Henri Tudor hat dessen Leistung verbessert und ihn verwendbar gemacht. Er ersetzte die spiralförmigen Blei-Elektroden mit flachen Elektroden, deren Oberfläche gerillt ist. Diese Elektroden haben eine aktive Fläche, die 7- bis 9-mal höher ist als die von Planté. Sie sind auch dicker, wodurch die Leitfähigkeit erhöht wird, verformen sich nicht mehr und sind mit Bleioxyden bestrichen. Der Tudor-Akkumulator ist im Vergleich zu den anderen wesentlich effizienter und zuverlässiger: die Ladezeit ist stark reduziert und die Lebensdauer extrem lang. Sie kann bis zu 25 Jahre erreichen. Die ersten Tudor-Akkumulatoren funktionierten ununterbrochen 16 Jahre! Die Akkus erreichten um 1890 schon eine Energiedichte von 27 Wh/kg[11]. Die Akkus des Flocken Elektrowagens hatten somit nur ein Gewicht von ca. 100 kg.
die elektrische Energie für die Flocken Elektrowagen
Andreas Flocken baute nicht nur die ersten Elektroautos, sondern lieferte auch die regenerative Energie dazu. 1890 trat er als Mitpächter der städtischen Schleifmühle auf. Diese befand sich in der Nähe seiner Fabrik. Flocken betrieb darin eine Dynamomaschine, die er aber auch selber herstellte. Die Ur-Ur-Enkel von Andreas Flocken entwickeln und bauen heute noch Wasserkraftwerke und erhielten dafür am 6. Juli 2011 in Stuttgart den „Umwelttechnikpreis Baden-Württemberg“ für hervorragende und innovative Produkte in der Umwelttechnik.[12]
Der 2013 Flocken Urbano
Zum Themenjahr „125 Jahre Elektromobilität in Deutschland“ ist die Entwicklung eines aktuellen Nachfolgers der Flocken Elektrowagen geplant. Der Flocken Urbano orientiert sich nicht am herkommlichen Auto, sodern als evolutionäre Weiterentwicklung der Flocken Elektrowagen an den Bedürfnissen des städtischen Nahverkehrs. Er gehört zu den Leichtelektromobilen, der weltweit erfolgreichsten Klasse von mehrspurigen Elektrofahrzeugen mit über 500.000 Fahrzeugen auf den Strassen. Unter Leitung von Prof. Dr. Kampker, RWTH Aachen wurde ein Projektteam gegründet, das in Zusammenarbeit mit dem Inhaber der Marke Flocken, Franz Haag die Entwicklung dieses Fahrzeuges vorantreibt.
- ... 125 Jahre nach dem Bau des ersten Elektroautos in Deutschland ist es an der Zeit, dem 1888 Flocken Elektrowagen einen würdigen Nachfolger aus der Neuzeit zur Seite zu stellen. ...[13]
Die Aussichten für die Zukunft
Aktuelle Verkaufszahlen und Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Fahrzeugklasse der "Short Distance Vehicle (SDV)" bzw. Low Speed Vehicle (LSV), wie sie damals A. Flocken baute, den Markt von vierrädrigen Elektrofahrzeugen auch zukünftig beherrschen werden.
Literatur
- Harald Linz und Halwart Schrader: Die Internationale Automobil-Enzyklopädie, United Soft Media Verlag GmbH, München 2008, ISBN 978-3-8032-9876-8
- Halwart Schrader: Deutsche Autos 1885–1920, Motorbuch Verlag, Stuttgart, ISBN 3-613-02211-7
Weblinks
- FLOCKEN ®
- Wer erfand das Elektro-Auto?
- Elektroauto in Coburg erfunden, AGA-Forum Coburg, 11 Januar 2008
- Als Coburg Automobilgeschichte schrieb, Digitales Stadtgedächnis Coburg, 23. Februar 2012
- Als Coburg Automobilgeschichte schrieb, Coburg live, 7. Februar 2009
- RetroClassicCultur e. V.
- Website der "Bertha Benz Challenge" für alternativ angetriebene Fahrzeuge
Einzelnachweise
- ↑ Friedrich Rauer in Neue Presse Coburg, 12. Januar 2008: np-coburg.de Elektroauto in Coburg erfunden (abgerufen am 19. Mai 2013)
- ↑ Simone Basian, Coburger Tageblatt Verlag & Medien GmbH & Co. KG
- ↑ Deutsches Museum Verkehrszentrum, München
- ↑ Halwart Schrader: Flocken. In: Deutsche Autos 1885 - 1920. Band 1, Erste Auflage 2002, S. 182.
- ↑ Unbekannt: Aus Stadt und Land, aus Franken und Thüringen. In: Coburger Zeitung. 28. September 1888.
- ↑ Unbekannt: Grossvater Wipko plaudert mit seinem Enkel Jakob. In: «Käferberg» 1966 Nr. 8.
- ↑ FLOCKEN ®
- ↑ Pressebox
- ↑ YouTube-Video der Bertha Benz Challenge 2011 mit fahrendem Flocken Elektrowagen
- ↑ Friedrich Rauer: Elektroauto in Coburg erfunden. In: Neue Presse. Coburg, 12. Januar 2008.
- ↑ Prof. Ing. Gijs Mom (Eindhoven University of Technology), Vortrag "Avantgarde - Elektroautos um 1900", 17.Mai 2011.
- ↑ HYDRO-ENERGIE ROTH GMBH
- ↑ FLOCKEN ®