Paul Schäfer (Sektengründer)
Paul Schäfer (* 4. Dezember 1921 in Troisdorf) ist der Gründer der ehemaligen Colonia Dignidad in Chile. Ihm werden in diesem Zusammenhang langjähriger Machtmissbrauch sowie zahlreiche Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen vorgeworfen.
Leben
Paul Schäfer arbeitete nach dem II. Weltkrieg in der Jugendpflege in der Evangelisch-lutherischenen Kirche Bayerns. Als sich die Gerüchte mehrten, dass Schäfer ihm anvertraute Kinder und Jugendliche misshandele und sexuell missbrauche, erfolgte um 1949/50 seine Entlassung aus dem kirchlichen Dienst. Zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren mit anschließender Verurteilung kam es allerdings nicht.
Paul Schäfer machte sich nach seiner Entlassung als Laienprediger selbständig. Sein Wirkungsfeld waren zunächst separierte christliche Kreise, die sich ihm weitgehend kritiklos öffneten. Dabei traf er auch auf Hugo Baar, der zu dieser Zeit noch Prediger einer Baptistengemeinde war. In Schäfer und dem inzwischen verstorbene Baar fanden eine starke Führungspersönlichkeit und ein rhetorisch gewandter Prediger zusammen, die bei ihren gemeinsamen Auftritten viele Menschen an sich zu binden wussten. Dabei geriet Baar, der sich in den letzten Jahren seines Lebens von Schäfer lossagte, immer stärker unter den - so Baar - "dämonischen" Einfluss des ehemaligen Jugendpflegers und wurde ihm hörig. Er wurde schließlich seines Predigeramtes enthoben und trat aus der Baptistenkirche aus.
Schäfer und Baar gaben vor, der Idee einer urchristliche Lebensweise in Gütergemeinschaft zu dienen. Mit endzeitlichen Lehren verbreiteten sie unter ihren Hörern Schreckensszenarien. Sicherheit vor den kommenden Katastrophen gäbe es nur in der Geborgenheit ihrer Gemeinschaft und unter der Leitung des von Gott eingesetzten Paul Schäfer. Zunächst erwarteten sie von ihren Anhängern nur den zehnten Teil ihres Einkommens. Später - als sich aus dem Anhängerkreis eine geschlossene Gesellschaft formierte - forderten sie das gesamte Vermögen ihrer Sektenmitglieder. Erbschaften, Lebensversicherungen und Rentenansprüche mussten auf Schäfer übertragen werden.
Das Geld investierten Schäfer und Baar in verschiedene Wohn- und Geschäftsprojekte.
Entwicklungen in Westdeutschland
In Heide baute Schäfer für seine Anhänger ein Gemeinschaftshaus. Nach außen vermittelte die Sekte den Eindruck einer glückliche Gemeinschaft zu sein. Ihr Einkommen sicherte sie sich durch den staatlich anerkannten Betrieb eines Jugendheimes. Schäfer erwies sich auch in anderen Bereichen als geschäftstüchtig. Er mietete zum Beispiel Lebensmittel- und Tabakwarengeschäfte. Seine Sektenmitgliedern verlangte er ab, hart und unentgeltlich zu arbeiten.
Schäfer forderte mit der Zeit immer eindeutiger, dass seine Anhänger ihre familiären Bindungen nach außerhalb auf das Mindeste zu beschränken hatten. Am besten sei es, diese ganz aufzugeben, denn - so Schäfer - "ein freier Christ könne Gott besser dienen". Durch Beichtzwang gelang ihm, seinen Einfluss auf den Einzelnen immer stärker geltend zu machen. Intimste Gedanken und Handlungen mussten vor ihm ausgesprochen werden. Drakonische körperliche Strafen wurden von ihm verhängt. Während Schäfer von seinen Anhängern sexuelle Askese verlangte, verging er sich sexuell an Kindern. Insbesondere kleine Jungen wurden Opfer seiner sexuellen Perversion.
Als in Siegburg 1961 zwei Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch öffentlich wurden, schritten die Bonner Kriminalpolizei sowie die Staatsanwaltschaft ein. Schäfer tauchte mit Hilfe von Freunden unter und floh nach Chile. Seine mittlerweile mehr als 200 Anhänger – die meisten kamen aus Hamburg, Gronau und Siegburg – folgten ihm in den nächsten Monaten. Schäfer lockte sie mit einem "urchristlichen Leben im gelobten Land". Zögernden und Ängstlichen drohte er mit der Behauptung, eine russische Invasion apokalyptischen Ausmaßes werde alle Lebensmöglichlkeiten in Deutschland zunichte machen.
Entwicklungen in Chile
Im Zusammenhang des folgenden Exodus wurde das Haus der Sektengemeinschaft in Heide an die Bundesregierung verkauft. Es brachte einen Erlös von 900.000 DM ein. Mit diesem Geld erwarb Schäfer eine heruntergewirtschaftete Finca größeren Ausmaßes nahe der Stadt Parral - etwa 350 Kilometer südlich von Santiago de Chile. Er nannte sie Colonia Dignidad– Kolonie der Würde.
Gegenüber den chilenischen Behörden gaben Schäfer und Baar vor, sich dort um chilenische Waisenkinder kümmern zu wollen. Damit war einseits beabsichtigt, der Colonia "familienlosen" Nachwuchs zu zuführen. Andererseits hatte Schäfer auch hier die Befriedigung seiner päderastischen Gelüste im Auge.
In der der Geschlossenheit der Colonia Dignidad die von ihm verwandten Unterdrückungsmechanismen weiter zu entwickeln. Von seinen Anhängern verlangte er totale Unterwerfung und setzte diese auch mit Gewalt durch. Der Arbeitstag in der "Kolonie der Würde" hatte 16 Stunden. Ruhetage, Gottesdienste und Gebetszeiten, die es vorher gegeben hatte, wurden als sinnlos vertane Zeit abgeschafft. Die Hörigkeit der Sektenmitglieder wurde so stark, dass jede Kraft zum Widerstand erlosch. Es gab streng getrennte Frauen-, Männer- und Kinderhäuser. Private Gespräche waren verpönt, nach und nach strikt verboten. Zuwiderhandlungen hatten harte Strafen zur Folge. Jeder musste fürchten, denunziert zu werden, jeder konnte ein Spitzel sein.
Die Kolonie wurde zu einer Art Festung ausgebaut. Palisadenzäune mit Wachtürmen und Stolperfallen sowie bewaffnete Wachposten sorgten dafür, dass eine nach außen hin hermetisch abgeriegelte Diktatur entstand.
Wirtschaftlicher Erfolg
In wenigen Jahren entstand in unermüdlicher Zwangsarbeit ein von den Medien als Mustergut bezeichneter landwirtschaftlicher Großbetrieb von rund 15.000 Hektar umzäunten Lands. Schäfers Anhänger bauten Straßen und Brücken, gruben in verschiedenen Minen Gold und Titan. Als Aushängeschild der Kolonie galt das Krankenhaus, in dem die arme Bevölkerung des Umlandes kostenlos behandelt wurde.
Chilenischen Jungen wurde im Internat der Colonia Dignidad Essen und Ausbildung geboten. Auch dieses Internat diente der Rekrutierung neuen Sektennachwuchs. Klagen der Kinder über Misshandlung und Missbrauch wurden von den Eltern nicht ernstgenommen und von den staatlichen Behörden nicht verfolgt.
Schäfer hatte inzwischen mit dem diktatorischen Pinochet - Regime Verhandlungen geführt. Ab 1973 bestand zwischen der chilenischen Diktatur und der Kolonie eine enge Kooperation, deren ganzes Ausmaß Gegenstand gegenwärtiger polizeilicher Untersuchungen ist.
Auch deutsche Politiker - darunter der ehemalige bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß - besuchte Schäfers Kolonie. Es gelang dem Sektenführer, ein positives Bild "von deutscher Schaffenskraft" im Ausland zu vermitteln. Das faschistoide System der Colonia Dignidad wurde von den Besuchern nicht durchschaut.
Schäfers Sadismus - Beispiel
Als Leiter eines christlichen Zeltlagers hatte Paul Schäfer bereits 1947 seine Neigung zu perversen Praktiken gezeigt:
- "Das Essen war eines Tages versehentlich angebrannt. Die Jungen im Lager sollten es trotzdem essen. Jede Alternative galt als Ungehorsam und wurde mit drakonischer Bestrafung bedroht. Einer hielt es nicht aus und aß ein Stück Fallobst. Er musste sich nackt ausziehen, wurde von den Lagerältesten an den Rand des Geländes geführt und musste dann unter Stockschlägen Spießruten laufen", erinnert sich 2001 der 63jährige Troisdorfer Helmut Schulte.
Die zögernde Praxis deutscher Justizbehörden - Beispiele
- Parallel zu den laufenden Prozessen in Chile begannen in Deutschland drei Ermittlungsverfahren gegen Paul Schäfer und weitere Angehörige der Colonia Dignidad. Diese Ermittlungen der deutschen Justiz führten aber noch nicht zu einem Prozess oder einen Haftbefehl gegen Schäfer.
- Nach den Aussagen des betroffenen Ehepaars Packmor vor dem Bonner Untersuchungsausschuss wurden Mitte der 1980er-Jahre Ermittlungen wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung gegen Paul Schäfer aufgenommen. "Wir müssen aufgrund von Verjährungsfristen noch genau klären, wann die Taten begangen worden sein sollen“, erläuterte Paul Iwand, der Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft die Aktenlage im ältesten der drei Verfahren.
- 1991 erstattete ein Frankfurter Rechtsanwalt Anzeige gegen Paul Schäfer wegen Beteiligung an der Tötung oppositioneller Chilenen in der Colonia Dignidad. Ein drittes Verfahren begann Ende April 1997. "Nach einem detaillierten Bericht im Kölner Stadt-Anzeiger haben wir von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren gegen Paul Schäfer wegen sexueller Misshandlungen von Jugendlichen in Chile eingeleitet", so wieder Iwand. Ob auch die von einem Tobias Müller erhobene Klage, Paul Schäfer habe ihn sexuell missbraucht, zu einem Verfahren führt, müsse erst noch geprüft werden.
Verhaftung
Am 10. März 2005 wurde Schäfer in Argentinien festgenommen, nachdem er 8 Jahre untergetaucht war. Zwei Tage später wurde er an die chilenische Staatanwaltschaft übergeben.
Literatur
- Friedrich Paul Heller: Paul Schäfers „Colonia Dignidad“: Landgut – Festung – Folterlager; Daten – Stichwörter – Personalien; ein Überblick als Hintergrund zu den aktuellen Entwicklungen. Frankfurt/M., epd, 1997 Epd-Dokumentation
- Gero Gemballa: Colonia Dignidad: ein deutsches Lager in Chile. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 1988 ISBN 3-499-12415-7
Siehe auch
Weblinks
- Geschichte der Colonia Dignidad beginnt in Siegburg (Kölner Stadt-Anzeiger)
- Teil 2: Germanen-Zucht in Schäfers Colonia Dignidad? (Kölner Stadt-Anzeiger)
- Anführer der Colonia Dignidad soll aus Chile ausgewiesen werden
- Zusammenarbeit der "Colonia Dignidad" oder ihrer Nachfolgeorganisationen in Chile mit Organisationen der extremen Rechten?
Personendaten | |
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NAME | Schäfer, Paul |
KURZBESCHREIBUNG | Sektenführer, Kinderschänder und Gründer/Herrscher der berüchtigten "Colonia Dignidad" in Chile |
GEBURTSDATUM | 4. Dezember 1921 |