Kritische Theorie

von Hegel, Marx und Freud inspirierte Gesellschaftstheorie
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Kritische Theorie wird die von der Frankfurter Schule entwickelte und vertretene Sozialphilosophie genannt.

Adorno (vorne rechts), Horkheimer (vorne links) und Habermas (hinten rechts, Hand im Haar)

Zum Begriff

Die Kritische Theorie will sich insbesondere gegen die so genannte traditionelle Theorie abgrenzen, die der Ordnung von Tatsachen im Bewusstsein, der Sammlung von Kenntnissen über die Welt diene. Diese befasse sich mit dem Vorgefundenen und werde damit letztlich zur Verfestigung der bestehenden Zustände genutzt. Auf der Basis der traditionellen Theoriebildung forsche die Wissenschaft als Teilstruktur gesellschaftlicher Arbeitsteilung wertfrei und überantworte ihre Ergebnisse den herrschenden Interessen. Die Kritische Theorie indes zielt nach Vorstellung ihrer Begründer darauf ab, die vorgefundene gesellschaftliche Totalität und ihre Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Auch richtet sie ein stärkeres Augenmerk auf die Spannung zwischen dem Bestehenden und dem Möglichen. Ihr wohnt ein starkes Streben nach Gestaltung und Veränderung der Wirklichkeit inne.

Einordnung

Ausgangspunkt der Kritischen Theorie war das Werk von Karl Marx. Dessen Rezeption durch die Arbeiterbewegung und deren verschiedene politische Parteien oder Bewegungen wurde als verzerrt oder verkürzt angesehen, weshalb es einer Neuinterpretation unterzogen wurde (siehe auch Neomarxismus). Die Vertreter der Kritischen Theorie sehen in Marx' Theorie vor allem eine Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und kein wirtschaftswissenschaftliches Lehrgebäude, keine Geschichtsphilosophie oder Weltanschauung. Weiterhin zog man auch Kategorien aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds bei der Theoriebildung ein. Methodologische Grundlage ist die Verwendung einer an Hegel orientierten Dialektik.

Scharf grenzten sich die Vertreter der Frankfurter Schule gegen den "Positivismus" ab. Unter diesem weit gefassten Begriff wurden "anti-metaphysische" Strömungen der Philosophe des 20. Jahrhunderts (neben Positivismus und Neopositivismus, Analytischer Philosophie auch der Kritische Rationalismus) zusammengefasst. Die Auseinandersetzung wurde ab 1961 öffentlich im so genannten Positivismusstreit ausgetragen, verlor allerdings für die "Jüngere Kritische Theorie" (vgl. Abschnitt Geschichte) an Bedeutung, bei der eine Hinwendung zur analytischen Sprachphilosophie zu beobachten ist.

Geschichte

Die Entstehung der Kritischen Theorie beginnt nach Übernahme der Leitung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main durch Max Horkheimer im Jahr 1931. Der Name ist dem Titel eines programmatischen Aufsatzes von Horkheimer aus dem Jahre 1937 entnommen: Traditionelle und kritische Theorie. Als Hauptwerk der Kritischen Theorie gilt die von Horkheimer und Theodor W. Adorno von 1944 bis 1947 gemeinsam verfasste Essay-Sammlung Dialektik der Aufklärung.

Im amerikanischen Exil arbeiteten Horkheimer und Adorno an einer Studie zum autoritären Charakter mit und legten damit eine wichtige Arbeit zur Erklärung totalitärer Regime vor. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Arbeiten des Kreises um Horkheimer und Adorno als Frankfurter Schule bezeichnet. Durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus erlebte die Kritische Theorie einen neuen Aufschwung. Viele von Adornos Studenten wollten rationale Erklärungen für die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945, die ihnen die Kritische Theorie lieferte. Ihre Blütezeit erlebte die Kritische Theorie in den weltweiten 68er-Bewegungen. Die Kritische Theorie von Horkheimer, Adorno et.al. wird gelegentlich auch als "Ältere Kritische Theorie" bezeichnet, im Gegensatz zu der "Jüngeren Kritischen Theorie", deren Hauptvertreter Jürgen Habermas ist.

Hauptaussagen

Die drei Hauptbeobachtungsfelder der Kritischen Theorie sind die Ökonomie, die Entwicklung des Individuums, sowie die Kultur. In einer Kombination marxistischer und psychoanalytischer Perspektiven wird insbesondere die „Gesellschaft“ kritisch betrachtet. Sie wird nicht nur als eine Gesamtheit von Menschen in einer bestimmten Zeit aufgefasst, sondern vielmehr als "Verhältnisse", die dem Einzelnen übermächtig gegenüberstehen und Charakter und Handlungsmöglichkeiten der Menschen in weitaus stärkerem Maße formen, als diese zur Bildung der Gesellschaft beitragen können. Eine besondere Mittlerrolle komme dabei der familiären Sozialisation (Familie als „psychosoziale Agentur“) wie auch den Massenmedien und der Massenkultur zu.

Im Gegenzug trete in der kapitalistischen Gesellschaft durch zunehmende Technisierung, wissenschaftlichen Fortschritt und auch daraus resultierender Bürokratie eine Entfremdung ein und die Bedeutung des Individuums gehe verloren. Die aufklärerische Vernunft habe das Erlangen von wahren Erkenntnissen über die Welt zwar als das Wesen des Menschen angesehen, so habe sich die Vernunft aber zu einer instrumentellen und zweckbestimmten gewandelt. Die instrumentelle Vernunft betrachte die Welt und auch die Menschen einzig unter dem Aspekt des Nutzens. Die Beziehungen zwischen den Individuen würden unter Auflösung tradierter Bindungen weitgehend versachlicht und objektiviert und reduzierten sich zunehmend auf bloße Tauschverhältnisse.

Am Ende stehe eine „total verwaltete Welt“, die gegenüber dem Einzelnen umfassende soziale Kontrolle ausübe und Idealismus, Nonkonformismus, Unkonventionalität oder Kreativität als mit ihrem Charakter entgegenlaufend konsequent unterdrücke. Die Kritische Theorie fordert, dass die Philosophie in der Gesellschaft eine praktische und zentrale Bedeutung haben müsse; mit dem Ausblick auf bessere Verhältnisse in einer zukünftigen Gesellschaft.

Siehe auch

Literatur

  • Roger Behrens: Kritische Theorie, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002, ISBN 3-434-46114-0
  • Helmut Dubiel: Kritische Theorie der Gesellschaft. Eine einführende Rekonstruktion von den Anfängen im Horkheimer-Kreis bis Habermas. 2. Auflage, Juventa, Weinheim - München 2001, ISBN 3779903865
  • Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte, Theoretische Entwicklung, Politische Bedeutung. DTV, München 1988, ISBN 3423301740
  • Dirk Hülst: Gesellschaftstheorie/Kritische Theorie. In: Franz Neumann (Hrsg.): Handbuch Politische Theorien und Ideologien. Band 2, S. 292ff, UTB, Stuttgart 1996, ISBN 3825218546
  • Willem van Reijen: Philosophie als Kritik. Einführung in die Kritische Theorie, 1984, ISBN 3-7610-1514-3