West-Syndrom

Form der Epilepsie
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Das West-Syndrom ist eine vergleichsweise seltene und recht schwer erfolgreich zu behandelnde Form generalisierter malinger Epilepsie. Sie ist altersgebunden, tritt bei Säuglingen in der Regel in der Zeit zwischen dem dritten und zwölften Monat nach der Geburt auf und erreicht den Manifestationsgipfel durchschnittlich im 5. Monat. Die Ursachen können vielfältig sein (Polyätiologie); häufig liegt dem Syndrom eine tief greifende hirnorganische Störung zugrunde, die entweder vorgeburtlich (pränatal), während der Geburt (perinatal) oder nachgeburtlich (postnatal) entstanden ist.

Als Synonyme für den Ausdruck West-Syndrom werden die Begriffe maligne Säuglingsepilepsie, infantile Spasmen, Propulsiv-Petit-mal und im deutschsprachigen Raum BNS-Epilepsie als Abkürzung für Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie verwendet.

Geschichte

Das West-Syndrom wurde nach dem englischen Arzt und Chirurgen William James West (1793-1848) benannt, der in Tonbridge (England) lebte. Er beobachtet diese besondere Form der Epilepsie im Jahre 1841 bei seinem eigenen damals etwa vier Monate alten Sohn und beschrieb sie aufgrund dessen auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Er bezeichnete sie damals als Salaam-Tic.

Auftretenshäufigkeit

Die allgemeine Auftrittswahrscheinlichkeit liegt bei etwa 1:4.000 bis 1:6000, statistisch gesehen sind Jungen im Verhältnis von etwa 3:2 häufiger vom West-Syndrom betroffen als Mädchen. Bei etwa 45 von 50 betroffenen Kindern treten die Anfälle erstmals in der Zeitspanne vom dritten bis zum zwölften Monat nach der Geburt auf. In vergleichsweise seltenen Fällen setzen die Anfälle in den ersten beiden Monaten oder im Verlauf des zweiten bis vierten Lebensjahres ein.

Ursachen

Welche biochemischen Mechanismen zum Auftreten eines West-Syndroms führen, ist bislang nicht bekannt. Vermutet wird eine Störung der Neurotransmitterfunktion, genauer gesagt eine Störung der Regulation des GABA-Stoffwechsels. Eine andere Möglichkeit, die erforscht wird, ist ein Übermaß des Corticotropin-Releasing-Hormons. Beide Hypothesen (denkbar wäre auch ein entsprechend multifaktorielles Zusammenspiel) werden gestützt durch die Wirkungsweise verschiedener Medikamente, die zur Behandlung des West-Syndroms eingesetzt werden (s.u.).

Die Ursachen des West-Syndroms müssen im Einzelfall erörtert und betrachtet werden, da es keine einheitliche Ursache gibt:

Lässt sich eine solche oder eine ähnliche Ursache nachweisen, spricht man von einem symptomatischen West-Syndrom, da die Anfälle als Begleiterscheinung oder Merkmal (Symptom) einer anderen Besonderheit auftreten.

Wird ein symptomatisches West-Syndrom vermutet, ohne das der eindeutige Nachweis bisher gelang, spricht man von einem kryptogenen West-Syndrom. Bei etwa 20% der betroffenen Kinder lässt sich keine Ursache für die Krämpfe finden. Wichtige Diagnosekriterien sind: eine bis zum Auftreten der Anfälle bzw. vor Beginn der Therapie regelgerechte Entwicklung mit unauffälligen neurologischen und neuroradiologischen Befunden, kein Nachweis einer auslösenden Ursache für die Krämpfe.

In etwa 15% treten innerhalb einer Familie mehrere Fälle von West-Syndrom auf. In diesem Fall spricht man von einem idiopathischen West-Syndrom, bei dem genetische und mitunter erbliche Einflüsse eine Rolle spielen: Es sind Fälle bekannt, in denen das West-Syndrom in aufeinander folgenden Generationen bei Jungen auftrat; es handelt sich dabei um einen X-chromosomalen Erbgang (Genort Xp22.13 / ARX, aristaless, Homeobos-Gen).

Erscheinungsbild

Die epileptischen Anfälle, die bei Säuglingen mit West-Syndrom beobachtet werden können, lassen sich in drei Anfallsformen gliedern, die der Besonderheit das Synonym BNS-Epilepsie eingebracht haben.

Meist gleichzeitig, zum Teil jedoch auch unabhängig voneinander tritt beim West-Syndrom in typischer Form folgende Trias von Anfallstypen auf:

  • Blitz-Anfälle (B)
    • Plötzlich (blitzartig) auftretende heftige myoklonische Zuckungen des gesamten Körpers oder einzelner Körperteile in Sekundenbruchteilen, wobei in der Regel insbesondere die Beugung der Beine auffällig ist (Beugemuster sind hier generell häufiger als Streckmuster),
  • Nick-Anfälle (N)
    • Zuckungen der Nacken- und Halsmuskulatur, wobei das Kinn ruckartig in Richtung Brust gebeugt oder der Kopf eingezogen wird (nicken),
  • Salaam-Anfälle (S)
    • schnelle Beugung des Kopfes und des Rumpfes nach vorne und gleichzeitiges Hochwerfen und Beugen der Arme mit teilweisem Zusammenführung der Hände vor der Brust und / oder Ruderbewegungen. Würde man sich diesen Vorgang verlangsamt vorstellen, ähneln die Bewegungen dem morgenländisch-orientalischen Friedensgruß (Salaam), was diesem Anfallstyp den Namen eingebracht hat.

Die Anfälle treten unbeeinflusst von äußeren Reizen auf und können häufig kurz nach dem Aufwachen oder kurz vor dem Einschlafen bei den betroffenen Kindern beobachtet werden. Sie können jedoch durchaus auch zu anderen Zeiten auftreten und z.B. auch im Schlaf beginnen und zum Aufwachen führen. Manchmal treten sie anfangs vereinzelt, später dann in Serien (Clustern) von bis zu 150 Anfällen auf, wobei die Intervalle zwischen den Krämpfen jeweils weniger als 60 Sekunden betragen.

Obgleich die Anfälle nicht mit Schmerzen verbunden sind und das Bewusstsein vermutlich erhalten bleibt, weinen die betroffenen Kinder sehr häufig während den Anfällen oder oft auch danach, da sie sehr anstrengend sind. Da diese Form der Epilepsie eher selten und daher wenig bekannt ist, werden die BNS-Anfälle von vielen Eltern zunächst als Schreckreaktion, als Moro-Reflex (Umklammerungs-Reflex) oder als Blähungen und Bauchschmerzen gedeutet; letzteres insbesondere auch aufgrund des Weinens der Kinder. Oft holen sie erst dann ärztlichen Rat ein, wenn die Anfälle ihres Kindes in Serien auftreten und das unübliche Bewegungsmuster dadurch deutlich wird.

Sonstige Merkmale, die auffallend häufig bei Kindern mit West-Syndrom beobachtet werden können (oft auch schon bevor die Anfälle einsetzen!) sind z.B.:

  • bei 45 von 50 Kindern: allgemeine psychomotorische Entwicklungsverzögerung (ggf. Rückschritte oder Stillstände in der bereits erfolgten Entwicklung)
  • gestörte Kontaktaufnahmefähigkeit, oft mit gestörtem Blickkontakt, Verlernen des (sozialen) Lachens
  • Augenbewegungen (häufig: Abweichung des Augapfels / Bulbusdeviation und Augenzittern / Nystagmus)
  • Schwerhörigkeit (keine üblichen Reaktionen auf Geräusche und Ansprache)
  • Muskelhypotonie (Verringerung der Muskelspannung, meist gut erkennbar daran, dass die Kinder ihren Kopf nicht altersentsprechend halten können)
  • Grimassieren (teils mit unüblichem Schmatzen oder Gähnen)
  • Stimmungsschwankungen, Nachlassen der Vigilanz bis hier zur Apathie einerseits und zeitweise besondere Unruhe andererseits
  • weiße Flecken auf der Haut.

Nicht alle Merkmale kommen bei allen betroffenen Kindern vor bzw. sind in gleich starke Ausprägung nachweisbar.

Manchmal sind abgeschwächte Anfallstypen zu beobachten, die (zunächst) nicht dem klassischen Bild eines BNS-Anfalls entsprechen (z.B. gesondertes Augenverdrehen, Kopfdrehungen, -einseitige- Extremitätenbewegungen) und / oder mit anderen Anfallsformen (z.B. Grand-Mal-Anfällen) einhergehen. Die Krämpfe beim West-Syndrom können individuell sehr variabel in Intensität und Länge sein: Das Spektrum reicht von unscheinbaren Zuckungen bis hin zu ausladenden Bewegungsfolgen, die den gesamten Körper betreffen. Der Zeitrahmen liegt zwischen einzelnen Zuckungen in Sekunden und minutenlangen Krampfserien; manchmal entwickelt sich sogar ein Status epilepticus. Bei einem Kind können Intensität und Zeitrahmen wechseln bzw. in Wechseln auftreten. Beim klassischen Verlauf zeigen sich zunächst meist wenige schwache Verkrampfungen von kurzer Dauer, die sich nach und nach zu Serien häufen.

Etwa 15 von 50 Kindern mit West-Syndrom haben eine zusätzliche konstitutionelle Anfallsbereitschaft.

Auswirkungen

Obwohl die Anfälle aufgrund ihrer relativen Kürze und den oftmals recht unscheinbaren Krämpfen für Laien eher harmlos erscheinen mögen, führen sie unbehandelt in jedem Fall zu schweren, zum Teil dauerhaft bestehenden Störungen der kognitiven und körperlichen Entwicklung des Kindes:

Bleiben die Anfälle über längere Zeit hinweg unbemerkt bzw. unbehandelt (auch im Sinne einer Therapieresistenz), stellt sich bei den betroffenen Kindern über kurz oder lang eine Verlangsamung oder sogar ein weitgehender Stillstand der körperlich-motorischen und psychisch-kognitiven Entwicklung ein. Es treten durch die dauernde epileptische Spannung im Gehirn Konzentrationsdefizite auf, die Kinder lernen nicht mehr, bereits erworbene Fähigkeiten wie z.B. der lautsprachliche Ausdruck und das soziale Lachen werden nicht selten wieder verlernt, die Muskelspannung verringert sich (Muskelhypotonie), was eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit mit sich bringt. Es kann häufig ein gestörtes Spielverhalten beobachtet werden, das Auftreten autistischer Züge ist möglich.

Zum Teil ist insbesondere allgemeinmedizinisch orientierten KinderärztInnen das West-Syndrom bzw. die entsprechende Symptomatik nicht oder nicht hinreichend bekannt; häufig wird z.B. der Moro-Reflex (Umklammerungs-Reflex), Bauchschmerzen oder Blähungen diagnostiziert. In jedem Fall sollte ein Kind, bei dem der Verdacht auf das West-Syndrom besteht, einem Kinderneurologen (Neuropädiater) vorgestellt werden. Mittlerweile wird auch immer häufiger darauf aufmerksam gemacht, dass Kinderärzte Säuglinge und Kleinkinder mit unklaren Entwicklungsstörungen gezielt auf das West-Syndrom sowie auf das Lennox-Gastaut-Syndrom hin untersuchen (lassen) sollten.

Diagnose

Kinder mit West-Syndrom fallen häufig bereits vor dem erstmaligen Auftreten der Anfälle durch eine nicht altersentsprechende Entwicklung auf.

Das West-Syndrom als Epilepsie mit generalisierten Anfällen fokal und multifokal gelagerter Entstehungsregion manifestiert sich mit einer sogenannten Hypsarrythmie: Diagnostische Relevanz hat das entsprechende EEG-Muster, bei dem sich die epileptische Aktivität (multifokal) in Form generalisierter, amplitudenhoher / steiler rhythmischer Deltawellen (langsam) mit unregelmäßig (desynchron) auftretenden Spikepotentialen und sharp waves zeigt. Dauer und Lokalisation (fokal / multifokal) sind unsymmetrisch, Variationen sind die Regel: "Die Hypsarrythmie tritt nie als rhythmisches und gut organisiertes Muster auf" (Gibbs & Gibbs, 1952), Bild 1, Bild 2, Bild 3. Auch das Bild einer sogenannten "modifizierten Hypsarrythmie" mit einzelnen beidseitig einheitlichen Entladungen ist beschrieben worden, sowie die Variante der "Hemihypsarrythmie", die auf eine einseitige Hirnschädigung zurückzuführen ist. Zwischen den Anfällen und manchmal auch nur im Schlaf zeigt sich ein Bild langsamer Wellen und beidseits hoher Spitzen (Spikes).

Neben der Diagnose durch die Messung der elektrischen Aktivität im Gehirn des Kindes wird in der Regel empfohlen, eine Analyse des Blutes und des Urins vornehmen zu lassen, um das Vorliegen von Chromosomenbesonderheiten, Erbkrankheiten, Stoffwechselkrankheiten (z.B. Phenylketonurie) und Infektionskrankheiten zu überprüfen, um hier ggf. behandelnd eingreifen zu können und um die Ursache der epileptischen Anfälle zu klassifizieren bzw. einzugrenzen.

Die Überprüfung des Vorliegens einer hirnorganischen Besonderheit, mit Blick auf Struktur- und Entwicklung, ist durch eine bildgebende Untersuchung des Gehirns möglich. Gängige Verfahren sind:

Treten die Bewegungsmuster der Anfälle seitenbetont auf, lässt dies z.B. eine Hirnschädigung der entsprechenden Seite vermuten, der nachgegangen werden sollte. Häufig finden sich z.B. Erweiterungen der Hirnventrikel (Hirnwasserräume), narbenartige Verdichtungen, Verkalkungen oder knotige Besonderheiten des Hirngewebes, Besonderheiten der Hirnfurchung oder eine nicht altersentsprechende Hirnreifung.

Differentialdiagnostisch ist das West-Syndrom abzugrenzen vom rhythmischen oder arhythmischen Schlaf- oder Wachmyoklonus, dem benignen (gutartigen) Myoklonus des Säuglingsalters, dem Ohtahara-Syndrom, vom Lennox-Gastaut-Syndrom, von der myoklonischen Frühenzehalopathie, von der benignen und von der schweren myoklonischen Epilepsie des Säuglings- und Kleinkindalters, sowie von Störungen, die von den Bewegungsabläufen ein den BNS-Krämpfen ähnliches Bild zeigen können.

Therapie

Das West-Syndrom ist eine vergleichsweise schwer erfolgreich behandelbare Form von Epilepsie. Eine möglichst frühzeitige Diagnose und ein umgehender Behandlungsbeginn ist ausgesprochen wichtig, kann jedoch einen Therapieerfolg nicht garantieren. Es ist noch nicht hinreichend erforscht, ob die Form der Behandlung Einfluss auf die Langzeitprognose nehmen kann. Die Prognose ist zwar nach heutigem Wissensstand überwiegend bestimmt durch die Ursache der Anfälle, allgemein kann jedoch festgestellt werden, dass ein schlechtes Ansprechen auf die Therapie (und damit einhergehend die weiterhin bestehende epileptische Hyperaktivität im Gehirn) eine schlechte Prognose (mit)bedingt. Die Behandlung erfolgt stets individuell und richtet sich insbesondere nach der Ursache des West-Syndroms (ätiologische Klassifikation) und der Gehirnentwicklung (Zeitpunkt der Hirnschädigung):

Ist eine behandelbare hirnorganische Besonderheit Ursache der Anfälle, ist in einigen Fällen nach gründlicher Abwägung der Vor- und Nachteile eine operative Korrektur durch Epilepsie-Chirurgie möglich, und durch die Beseitigung der Ursache verschwinden die Anfälle. In den meisten Fällen von West-Syndrom basiert die Therapie jedoch auf der Gabe von Medikamenten, wobei zunächst oft versucht wird, die Anfälle durch die hochdosierte Gabe von Gammaglobulin (anfallsfrei werden etwa 2 von 10 Kindern) oder des Vitamins B6 (Pyridoxin (anfallsfrei werden etwa 3 von 10 Kindern) in den Griff zu bekommen, da in eher seltenen Fällen ein entsprechender Mangel oder eine Verwertungsstörung für die Epilepsie verantwortlich ist.

Gelingt dies nicht, wird mit der Gabe von Medikamenten aus der Antikonvulsivum-Gruppe begonnen. Es wird hierbei meist versucht, zunächst mit möglichst gut verträglichen, mit wenig Nebenwirkungen einhergehenden Präparaten bzw. Dosierungen zu beginnen und die Medikation ggf. zu steigern bzw. zu verändern, wenn nach einem entsprechenden Kontrollzeitraum die Anfälle nicht weniger werden oder aufhören. Nicht selten zeigen sich zudem insbesondere bei der Notfallmedikation paradoxe Reaktion auf die Wirkstoffe (z.B. aufputschende Wirkung statt beruhigende), was manchmal sogar anfallsfördernd sein kann. Eine Umstellung sollte dann in Betracht gezogen werden. Auch unabhängig davon sind mehrmalige Medikamentenumstellungen bei der Behandlung des West-Syndroms keine Seltenheit: Je nach dem wie sich die Anfälle entwickeln, ist teils ist eine Anpassung der Dosis ausreichend, teils müssen Medikamente jedoch nach einiger Zeit wieder komplett abgesetzt werden, damit dann mit der Gabe neuer Präparate begonnen werden kann.

Gängige Medikamente, die zur Behandlung des West-Syndroms eingesetzt werden sind z.B.:

  • Valproat (Ergenyl, Orfiril): anfallsfrei werden bis zu 8 von 10 Kindern, die Rückfallquote liegt bei bis zu etwa 30%, Nebenwirkungen sind z.B. Ernährungsprobleme und Sedierung, seltener Hepatopathie (Leberschädigung)
  • Vigabatrin (Sabril): oft eingesetzt beim ansonsten therapieresistenten West-Syndrom und als Mittel der ersten Wahl häufig bei solchen Kindern angewandt, bei denen das West-Syndrom symptomatisch bei Tuberöser Sklerose auftritt, weil es sich hier als besonders wirksam erwiesen hat
  • Topiramat (Topamax)
  • Sultiam (Ospolot)
  • Felbamat (Taloxa): oft eingesetzt beim ansonsten therapieresistenten West-Syndrom
  • Benzodiazepine
  • ACTH (Synacten): anfallsfrei werden nach kurzer bis mittellanger Therapie bis zu 8 von 10 Kindern (offenbar deutlich geringere Wirksamkeit bei frühgeborenen Kindern; vermutlich aufgrund des Entwicklungsstandes des Gehirns bzw. der perivaskulären weißen Substanz), die Rückfallquote liegt bei bis zu etwa 65%. Behandlung ist mit hohen Risiken durch mitunter massive Nebenwirkungen belastet, die von Dauer und Dosis abhängen (u.a. Leukozytose, Schwächung des Immunsystems, Hyperglykämie, Bluthochdruck, Erbrechen, Magenblutungen, Herzversagen, Cushing-Syndrom)
  • Glukokortikoide (Nebennierenhormone): Dexamethason und Prednison (Prednisolon) als Alternativmedikamente zu ACTH


Als Notfallmedikation bei häufigen BNS-Anfällen wird oft Chloralhydrat (Chloraldurat), Lorazepam (Tavor), Phenobarbital (Luminal) oder Diazepam verschrieben, um Cluster von mehreren Minuten Länge zu unterbrechen und einer neuen Anfallsserie vorzubeugen.

Teils sind die Nebenwirkungen der Medikamente sehr belastend für den kindlichen Organismus, sodass die Kinder sich wie in einem Dämmerzustand befinden. Auch bei der Medikamentenauswahl sind die Risiken durch Nebenwirkungen und mögliche Abhängigkeit mit den gesundheitlichen Risiken durch die Anfälle abzuwägen. Z.B. machen viele Medikamente vergleichsweise schnell abhängig, sodass bei Medikamentenumstellungen oder nach dem Absetzen eines entsprechenden Präparates behandlungsbedürftige Entzugserscheinungen auftreten können.

Die Kontrolle und Dokumentation des Behandlungs-/ Entwicklungsverlaufes erfolgt insbesondere durch regelmäßige Überprüfung des EEG-Bildes und bei medikamentöser Einstellung durch Blutuntersuchungen zur Überprüfung des Medikamentenspiegels.

Um der Verzögerung der körperlichen und kognitiven Entwicklung des Kindes entgegen zu wirken bzw. einem Entwicklungsrückschritten und -stillständen möglichst vorzubeugen, werden Maßnahmen wie z.B. Frühförderung, Motopädie, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie durchgeführt. Eine individuelle, intensive und kontinuierliche Betreuung ist hierbei wichtig.

Prognose

Allgemeine Entwicklungsprognosen sind aufgrund der angesprochenen Variabilität der Ursachen und der Ausprägung der Symptomatik und Ätiologie nicht pauschal möglich, sondern es muss stets der Einzelfall betrachtet werden.

Bei Kindern mit kryptogenem West-Syndrom sind die Prognosen meist günstiger als bei solchen mit der idiopathischen und symptomatischen Form: Sie zeigen seltener bereits vor dem Auftreten der Anfälle Entwicklungsstörungen und neurologische Auffälligkeiten, die Anfälle lassen sich oft schneller und effektiver behandeln, die Rückfallrate ist niedriger. Die Kinder entwickeln im Anschluss an das West-Syndrom seltener andere Formen der Epilepsie und bei durchschnittlich etwa 40% zeigt sich im weiteren Verlauf eine altersgerechte Entwicklung.

Ansonsten ist die Behandlung des West-Syndroms jedoch vergleichsweise schwierig und der Therapieerfolg oftmals unbefriedigend, sodass davon ausgegangen werden muss, dass Kinder mit symptomatischem und idiopathischem West-Syndrom eine eher ungünstige Prognose haben (insbesondere bei Theapieresistenzen):

Statistisch gesehen überleben 5 von 100 Kindern mit West-Syndrom die ersten fünf Jahre ihres Lebens nicht (teils durch die ätiologische Ursache des Syndroms, teils durch medikamentenbedingte Mortalität), und nur bei weniger als der Hälfte der Kinder gelingt die Herstellung von Anfallsfreiheit durch medikamentöse Behandlung: Statistisch gesehen können etwa 30 von 100 befriedigend behandelt werden, wobei sich durchschnittlich lediglich 4 von 100 Kindern kognitiv und motorisch weitgehend regelgerecht entwickeln.

Ein großer Teil (bis zu 90%) der Kinder ist auch nach erfolgreicher Einstellung der Anfälle körperlich und kognitiv deutlich beeinträchtigt. Dies ist meist jedoch nicht in erster Linie auf die epileptischen Anfälle sondern auf deren Ursache (hirnorganische Besonderheit bzw. dessen Lokalisation und Schweregrad) zurückzuführen, wobei durch schwere und häufige Anfälle das Gehirn (zusätzlich) Schaden nehmen kann.

Bleibende Schädigungen, die in der Literatur mit dem West-Syndrom in Zusammenhang gebracht werden, sind neben kognitiver Behinderung, Lernstörungen und Verhaltensauffälligkeiten eine Cerebralparese (bei bis zu 5 von 10 Kindern), psychische Störungen, häufig Autismus (bei etwa 3 von 10 Kindern). Auch hier muss jedoch stets die individuelle Ätiologie des West-Syndroms in die Erörterung des jeweiligen Ursache-Wirkung-Komplexes einbezogen werden. Bis zu 6 von 10 Kinder mit West-Syndrom bekommen im Laufe ihres Lebens eine Nachfolgeepilepsie: Teils geht das West-Symdrom in eine fokale oder generalisierte Epilepsie über und etwa die Hälfte der Kinder bekommt das Lennox-Gastaut-Syndrom.

West-Syndrom bei Säuglingen mit Down-Syndrom

Bei durchschnittlich 1 bis 5 von 100 Kindern mit Down-Syndrom (Trisomie 21) tritt im Säuglingsalter das West-Syndrom auf. Während diese Epilepsieform bei den meisten Kindern ohne die dem Syndrom zugrundeliegende Chromosomenbesonderheit vergleichsweise schwer erfolgreich zu behandeln ist, kann bei Kindern mit Down-Syndrom vielfach ein deutlich milderer Verlauf und eine bessere Ansprechbarkeit auf Medikamente beobachtet werden: Bei ihnen besteht häufig "die Besonderheit ... also darin, dass es sich um eine relativ gutartige Form einer sonst schweren Epilepsie handelt" (LmDS, Nr. 43, Mai 2003). EEG-Aufzeichnungen zeigen bei ihnen häufig mehr Symmetrie und weniger Auffälligkeiten und obgleich nicht alle Kinder durch medizinische Behandlung Anfallsfreiheit erlangen, entwickeln Kinder mit Down-Syndrom im Anschluss an das West-Syndrom seltener das Lennox-Gastaut-Syndrom oder andere Formen von Epilepsie als Kinder ohne zusätzliches Erbmaterial des 21. Chromosoms.

West-Syndrom bei Säuglingen mit anderen Syndromen

Neben Kindern mit Down-Syndrom (Trisomie 21) haben auch Kinder mit Bloch-Sulzberger-Syndrom, Bourneville-Pringle-Syndrom, Foix-Chavany-Marie-Syndrom und Strunge-Weber-Syndrom ebenfalls ein in unterschiedlichem Maße überdurchschnittlich hohes Risiko, das West-Syndrom zu entwickeln.

Literatur

  • Möglichkeit zur Bestellung einer ca. 25seitigen Informationsmappe zum West-Syndrom (mit Literatur aus Fachbüchern, Fachzeitschriften, Zeitungen, Lexika usw. / ca. 6,00 Euro zzgl. Porto)
  • Altrup, Ulrisch & Elger Christian: Epilepsie – Informationen in Texten und Bildern (2000)
  • Borusiak, Peter: Untersuchung der finanziellen Belastung bei Kindern mit West-Syndrom und Evaluation der ACTH-Therapie auf die Langzeittherapie (Universität Gießen, Dissertation, 1997)
  • Krämer, Günter: Diagnose Epilepsie (2003)
  • Puckhaber, Haiko: Epilepsie im Kindesalter (2000)
  • Schneble, Hansjörg: Epilepsie bei Kindern - Wie Ihre Familie damit leben lernt (1999 / mit Erfahrungsberichten)
  • Schropp, Christian: Myelinisierungsverzögerung bei Kindern mit West-Syndrom in der Magnetresonanztherapie (Technische Universität München, Dissertation, 1997)
  • Blattner, Regine: Systematische Verhaltensanalyse bei Kindern mit West-Syndrom (Universität Tübingen, Dissertation, 1996)
  • Gehring, Klaus: Hämatologische Nebeneffekte einer ACTH-Therapie bei Kindern mit BNS-Krämpfen (Universität Ulm, Dissertation, 1995)
  • Rübenstrunk, Friederike: Der Stellenwert von Valporinsäure in de Therapie des West-Syndroms (Technische Hochschule Aachen, Dissertation, 1995)
  • Kruse, Bernd: West-Syndrom und Nephrocalcinose (Universität Göttingen, Dissertation, 1992)



Siehe auch