Friedrich Schrader

deutscher Schriftsteller und Orientalist
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Dr. phil. Friedrich Schrader (* 19. November 1865 in Wolmirstedt; † August 1922 in Berlin) lebte von 1891 bis 1918 in Konstantinopel (heute Istanbul). Er war ein orientalischer Philologe, Schriftsteller, Kunsthistoriker, Sozialdemokrat, Übersetzer und Journalist (Pseudonym Ischtiraki ( اشتراكى )= arabisch/osmanisch für "der Sozialist").

Leben

Ausbildung in Magdeburg und Halle (1865-1891)

Friedrich Schrader legt sein Abitur am Domgymnasium Magdeburg ab. Nach seinem Studium promoviert er 1889 in Indologie bei Prof. Dr. Richard Pischel (Geschäftsführer der Deutsche Morgenländische Gesellschaft) an der Universität Halle zum Thema: die Übersetzung der Karmapradipa, aus einer vedischen Sutra, ins Deutsche.

Konstantinopel I (1891-1907, Abdülhamid II.-Ära)

Datei:Istanbul Galatabruecke hist.jpg
Konstantinopel: Galatabrücke und Goldenes Horn

Lehrtätigkeit

Ab 1891 arbeitet Schrader als Dozent am Robert College in Bebek bei Konstantinopel. Um 1900 ist er Professor an einem armenisch-französischen Lycée in Pera, danach am "Alman Lisesi", der Deutschen Schule Istanbul tätig. Schrader beginnt bereits während der Amtszeit von Sultan Abdülhamid II., türkische Schriftsteller zu übersetzen und in deutschsprachigen Zeitschriften zu rezensieren.

Erste journalistische Aktivitäten

Im "Vorwärts" und in "Die Neue Zeit" (Hg. SPD) erscheinen 1900 regimekritische Artikel unter dem Pseudonym "Ischtiraki", in denen er die Politik Deutschlands im Osmanischen Reich kritisiert, speziell die Fokussierung auf wirtschaftliche und militärische Interessen unter Vernachlässigung des kulturellen Austausches zwischen den beiden Nationen. In einem begleitenden Brief an Karl Kautsky (heute im Kautsky-Archiv im IISG Amsterdam) weist Schrader auf die Repression und Bespitzelung durch die türkischen Behörden in dieser Zeit hin.

Lehrtätigkeit in Baku (1907-1908)

Von 1907 bis 1908 ist Schrader als Dozent an der Russischen Handelsschule in Baku (Aserbaidschan) tätig und betreibt Feldforschungen in der Kaukasusregion. Unter anderem beschäftigt sich Schrader mit den in der Nähe von Baku an natürlichen Erdgasquellen gelegenen Kultstätten der Parsen ("Feueranbeter").

Konstantinopel II (1908-1918, 2. Osmanische Verfassungsperiode, 1. Weltkrieg)

 
Konstantinopel um 1910

Stellvertretender Chefredakteur "Osmanischer Lloyd"

Von 1908 bis 1918 arbeitet Schrader als Mitbegründer und stellvertretender Chefredakteur der deutsch- und französischsprachigen Konstantinopeler Tageszeitung "Osmanischer Lloyd" (Eine Sammlung seiner Essays aus dieser Zeit für das Feuilleton der Zeitung findet sich im Buch "Konstantinopel in Vergangenheit und Gegenwart", s.u.). Ab ca. 1900 hat Schrader Korrespondententätigkeiten für verschiedene deutsche Tageszeitungen und Zeitschriften (u.a. "Vorwärts" und "Die Neue Zeit", Pseudonym "Ischtiraki") inne, und übersetzt Romane von Ahmed Hikmet und Halide Edip.

Engagement für den deutsch-türkischen Kulturaustausch

Schrader engagiert sich neben der Popularisierung neuer türkischer Kultur in Deutschland auch für die Verbreitung deutscher Kultur im Osmanischen Reich. Im November 1909 organisiert er mit einem türkisch-armenischen Theaterensemble eine Gedenkfeier zum 150. Geburtstag von Friedrich Schiller, mit einem von ihm in Osmanisch gehaltenen Referat und szenischen Darstellungen aus Dramen Schillers.

Fünf Jahrzehnte vor Gründung des ersten Goethe-Instituts in Istanbul ist Schrader der euro-mediterrane tolerante Geist der Weimarer Klassik von Goethe und Schiller wichtig. Besonders Goethe berief sich ja nicht nur auf die griechisch-römische Antike, sondern auch auf die islamische Tradition ("West-östlicher Divan"). Schrader versucht mit der Förderung dieses Erbes die Grundlage eines kulturellen Dialogs zwischen Deutschland und dem Orient zu legen, im Gegensatz zu dem von ihm erlebten und in früheren Artikeln in der "Neuen Zeit" und im "Vorwärts" eindringlich beschriebenen, die damaligen offiziellen deutsch-türkischen Beziehungen beherrschenden preußischen Militarismus und wirtschaftlichem Imperialismus, sowie dem arrogant bis rassistischen Auftreten deutscher "Experten" aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Militär im Orient.

Vergeblich versucht Schrader, die von ihm von Anfang an unterstützte jungtürkische Bewegung in diesem Sinne zu beeinflussen. Die besonders ab 1915 stattfindenden Verfolgungen nicht-muslimischer Minderheiten, vor allem der Armenier und Griechen, durch die überwiegend aus von preußischen Offizieren gedrillten Militärs rekrutierten jungtürkischen Machthaber dokumentieren das Scheitern von Schraders Bemühungen, der jungtürkischen Revolution im Sinne der geistigen Traditionen Europas und des Orients einen humanistischen Impuls zu verleihen.

Istanbuler Denkmalschutzprojekt 1918

1917/18 zieht sich Schrader resigniert aus der journalistischen Arbeit zurück und widmet sich ganz seinen denkmalpflegerischen Interessen. Er wird Mitglied der Städtischen Kommission Konstantinopels zur Erfassung und Katalogisierung islamischer und byzantinischer Baudenkmale (Zusammenarbeit u.a. mit dem armenisch-türkischen Fotografen Hagop Iskender). Mit einem Team von türkischen Experten erfasst Schrader systematisch durch Kriegseinwirkungen beschädigte und bedrohte Bauwerke der Stadt. Anhand von ärchäologischen Untersuchungen, Recherchen und Befragungen der Anwohner werden Informationen über die Denkmäler systematisch erfasst und durch Iskender fotografiert. Wertvolle Bauteile werden geborgen und im Ärchäologischen Museum der Stadt gesichert. Da Schrader im November 1918 infolge der alliierten Besatzung die Stadt verlassen muss, können die Arbeiten nicht abgeschlossen werden. Der Verbleib der von Schrader 1919 in einer Veröffentlichung (s.u.)beschriebenen umfangreichen Unterlagen und des fotographischen Materials ist heute unbekannt.

Berlin (1919-1922)

1918/19 kommt Schrader nach einer spektakulären Flucht vor der drohenden Internierung durch die Entente, über Odessa und durch die nach der Oktoberrevolution in den russischen Bürgerkrieg verwickelte Ukraine, nach Berlin.

In Berlin bemüht er sich zunächst vergeblich um eine Position im wissenschaftlichen Bereich oder der Diplomatie. Von 1919 - 1920 ist Schrader als Mitarbeiter bei der vom SPD-Parteivorstand und dem preußischen SPD-Landtagsabgeordneten und Völkerkundeprofessor Heinrich Cunow (ab 1917 Nachfolger von Karl Kautsky) herausgegebenen Zeitschrift "Die Neue Zeit" tätig. Zuletzt ist er von 1920 bis 1922 Mitarbeiter der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" (DAZ) in Berlin, wo ein anderer SPD-Politiker, der Reichstagsabgeordnete und Nationaloekonom Prof. Dr. Paul Lensch in dieser Zeit das aussenpolitische Ressort leitet.

Literatur

Werke

  • Konstantinopel in Vergangenheit und Gegenwart: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1917
  • Eine Flüchtlingsreise durch die Ukraine - Tagebuchblätter meiner Flucht aus Konstantinopel: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1919
  • Im Banne von Byzanz, Roman, Berlin, DAZ, Juni 1922

Nachdrucke aus Schraders "Konstantinopel"

  • Esther Gallwitz (Hg.), 1981, Istanbul: Insel Taschenbuch Verlag, ISBN 3-458-32230-2
    • S. 250-252 Die Koranschule (Orig. S. 7-9)
    • S. 285-286 Im Schatten von Mahmud Pascha (Orig. S. 33-38)
    • S. 329-330 Der Bosporus (Orig. S. 204-207)
    • S. 396-397 Alter und Neuer Aberglaube in Konstantinopel (Orig. S. 132-136)
  • Jale Tükel (Hg.), 1987, dtv-Reise-Textbuch Istanbul: dtv, ISBN 3-423-03904-3
    • S. 57 Ein Wintermorgen in der Mahalle (Orig. S.1-2)
    • S. 135-136 Heilmittel und Wohlgerüche (Orig. S. )
    • S. 233-234 In Dschihangir (Orig. S. 199-204)

Übersetzungen

  • Der Karmapradipa: Dissertation, Universität Halle, 1889
  • Ahmed Hikmet, 1907, Türkische Frauen: Berlin, Mayer und Müller (Übersetzung F. Schrader, Herausgeber Prof. Dr. Georg Jacob )
  • Ahmed Hikmet, 1916, Der Traubenverkäufer (Erzählung): in: Kaufmann, M.R. (Hg.), Türkische Erzählungen, Delphin, München
  • Ahmed Hikmet, 1916, Der Kulturträger (Erzählung): in: Kaufmann, M.R. (Hg.), Türkische Erzählungen, Delphin, München
  • Ahmed Hikmet, 1916, Tante Naqije (Erzählung): in: Kaufmann, M.R. (Hg.), Türkische Erzählungen, Delphin, München
  • Halide Edip, 1916, Das Neue Turan - ein türkisches Frauenschicksal: Gustav Kiepenheuer, Leipzig (übersetzt von F. Schrader, Deutsche Orientbücherei, Herausgeber Ernst Jaeckh)
  • Halid Sia, 1916, Die schwarze Sklavin (Erzählung): in: Kaufmann, M.R. (Hg.), Türkische Erzählungen, Delphin, München
  • Halid Sia, 1916, Im Dienste der Mahalle (Erzählung): in: Kaufmann, M.R. (Hg.), Türkische Erzählungen, Delphin, München
  • Die drei Schwestern (Türkisches Volksmärchen): in: Kaufmann, M.R. (Hg.), Türkische Erzählungen, Delphin, München, 1916

Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften (Auswahl)

  • Neutürkisches Schrifttum: Das Literarische Echo, Band 3, 1900, S. 1686-1690
  • Ischtiraki, 1900, Das geistige Leben in der Türkei und das jetzige Regime: Die Neue Zeit, Jahrgang 18, Band 2, pp. 548-555
  • Ischtiraki, 1900, Vom Goldenen Horn: Vorwärts, Unterhaltungsbeilage, 31. Mai 1900 – 1. Juni 1900
  • Aus der Polenzeit Peras: Osmanischer Lloyd, 1916 (?), nachgedruckt in: Konstantinopel, S. 180-184 ( erwähnt die polnischen Freiheitskämpfer, z.B. Adam Mickiewicz, die 1855 von Konstantinopel aus die Türkei im Krimkrieg gegen Russland unterstützten, erschienen anlässlich der offiziellen Anerkennung des unabhängigen Polen durch das Deutsche Reich im Jahre 1916 )
  • Die Kunstdenkmäler Konstantinopels: Der Neue Orient, 1919, Band 5, S. 302-304 und 352-354 (Beschreibung des o.g. Denkmalschutzprojektes)
  • Politisches Leben in der Türkei: Die Neue Zeit, 1919, Jahrgang 37, Band 2, pp. 460-466
  • Das Handwerk bei den Osmanli-Türken: Die Neue Zeit, 1919, Jahrgang 38, Band 1, pp. 163-168
  • Die Lage der ackerbauenden Klasse in der Türkei: Die Neue Zeit, 1920, Jahrgang 38, Band 1, pp. 317-319
  • Das Jungtürkische Lausanner Programm: Die Neue Zeit, 1920, Jahrgang 38, Band 2, pp. 6-11, 31-35
  • Die ägyptische Frage: Die Neue Zeit, 1920, Jahrgang 38, Band 2, pp. 172 - 177

Deutsche Zeitungen und Zeitschrifen für die Schrader als Korrespondent in Istanbul bis 1918 tätig war (unvollständig)

Sekundärliteratur

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