Fusionsenergie

Nutzung von Kernfusion zur Stromerzeugung
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Ein Kernfusionsreaktor oder Fusionsreaktor ist eine technische Einrichtung, in der eine kontrollierte Kernfusion abläuft. Fusionsreaktoren befinden sich zur Zeit noch im Experimentalstadium.

Ein Deuterium- und ein Tritium-Atomkern verschmelzen zu einem Heliumkern unter Freisetzung eines schnellen Neutrons. Diese Reaktion könnte den Energiebedarf der Menschheit auf Jahrtausende hinaus decken.
Blick auf Wendelstein 7-AS, bis 2002 in Garching betriebener Forschungsreaktor nach Stellaratorkonzept
Datei:EAST比例模型.jpg
Modell des 2006 fertiggestellten Versuchsreaktor EAST in China, Beispiel eines supraleitenden Tokamak
Querschnitt durch den 2009 fertiggestellten NIF, einen Forschungsreaktor zur Laserfusion in den USA

Fusionskraftwerke hätten gegenüber den auf der Kernspaltung basierenden Kernkraftwerken die Vorteile eines fast unerschöpflichen Brennstoffvorrats,[1] höherer Anlagensicherheit[2] und der weitgehenden Vermeidung langlebiger radioaktiver Abfälle.[3]

Das Ziel, die Kernfusion zur kommerziellen Stromerzeugung zu nutzen, wird bereits seit den 1960er Jahren verfolgt, rückt jedoch wegen enorm hoher technischer Hürden und auch aufgrund unerwarteter physikalischer Phänomene nur langsam näher.[4] Während im Kern der Sonne Wasserstoff unter enormem Druck seit Milliarden von Jahren zu Helium fusioniert, arbeiten Fusionsreaktoren mit den sehr viel reaktionsfreudigeren Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium. Dennoch bedarf es 150 Millionen Grad Celsius, zehnfach höherer Temperaturen als im Kern der Sonne, um trotz niedrigen Druckes die Fusionsreaktion zu zünden.

Die fortschrittlichsten, zur Zeit im Bau befindlichen Versuchsanlagen sind ITER und Wendelstein 7-X, die nach dem Prinzip des magnetischen Einschlusses in zwei verschiedenen Varianten arbeiten.

Technisch-physikalische Grundlagen

Bei einer Kernfusion verschmelzen zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Kernreaktionen dieser Art können Energie freisetzen; die von der Sonne abgestrahlte Energie stammt aus Kernfusionsprozessen. Seit Jahrmilliarden verschmilzt Wasserstoff im Kern der Sonne in der Proton-Proton-Reaktion sowie im CNO-Zyklus unter extremem Druck bei etwa 15 Millionen Grad Celsius zu Helium. Diese Fusionsprozesse sind jedoch für eine technische Nutzung auf der Erde ungeeignet.

Damit es zwischen zwei Atomkernen zur Fusionsreaktion kommt, muss ihre gegenseitige elektrische Abstoßung überwunden werden. Die für eine technische Nutzung geeigneten Fusionsreaktionen sind aus Untersuchungen in Teilchenbeschleunigern gut bekannt. Bei solchen Experimenten wird viel mehr Energie aufgewendet als durch die Reaktion dann freigesetzt wird. Der Betrieb eines zur Stromerzeugung geeigneten Kraftwerks ist auf diese Weise nicht möglich. Ähnlich der chemischen Reaktion in einer Flamme müssen dort vielmehr die Kernreaktionen nach einem anfänglichen Aufheizen von selbst ablaufen, d. h. ohne ständige äußere Energiezufuhr. In einem Fusionsreaktor muss der im Vergleich zum Sonneninneren geringere Druck durch höhere Temperaturen von etwa 150 Millionen Grad Celsius kompensiert werden.[5] Auch sind nur bestimmte leichte Nuklide für die Fusion geeignet. Um die kettenreaktionsartig verlaufende Fusionsreaktion einzuleiten, wird zunächst ein Plasma erzeugt und durch Energiezufuhr von außen erhitzt. Bei ausreichend hoher Temperatur und Dichte „zündet“ die Reaktion von selbst. Ein Teil der bei der Verschmelzung gewonnenen Energie dient dann zur Aufrechterhaltung der Temperatur.

Chronologie

Grundlagenforschung

Erste theoretische Konzepte zur Energieerzeugung mittels Kernfusion als wurden bereits während der Entwicklungsphase der Atombombe entwickelt, unter anderem durch Edward Teller und Enrico Fermi. Eine der Ideen war, ein äußerst heißes Deuterium-Tritium-Plasma durch ein Magnetfeld einzuschließen. In England wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das erste zivile Forschungsprogramm zur Nutzung der Kernfusion gestartet. George Paget Thomson und Moses Blackman verfolgten die Idee zum ringförmigen Einschluss eines Deuterium-Plasmas mittels Magnetfeld und dem Aufheizen mittels Hochfrequenzwellen.

Erste Stellaratoren und Tokamaks

Dieses Konzept wurde in den folgenden Jahren unabhängig voneinander in zwei Varianten in den USA und der Sowjetunion weiterentwickelt. In den USA entwickelte Lyman Spitzer den Stellarator, der ab 1951 im Rahmen von Projekt Matterhorn und Projekt Sherwood, u. a. an der Universität in Princeton erforscht wurde.[6] Der Stellarator erwies sich bald als zu kompliziert, da die komplexe Geometrie seiner Magnetfeldspulen für die Forscher ein damals unüberwindliches Hindernis darstellte. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts konnten die nötigen Berechnungen dank leistungsfähiger Computer durchgeführt werden, wodurch der aktuelle Bau des Stellarators Wendelstein 7-X in Greifswald möglich wurde.

Im Jahre 1952 wurde in der Sowjetunion durch Andrej Sacharow und Igor Tamm eine andere Variante des magnetischen Einschlusses vorgestellt, der Tokamak.[7] Mit diesem Konzept, in dem ein in dem Plasma erzeugtes Magnetfeld zu dessen Einschluss beiträgt, erzielte die Sowjetunion mit 100 Mio. °C über 10 Millisekunden einen überraschenden Temperaturrekord. Nachdem dies 1968 auch im Westen bekannt geworden war[8], wurde das einfachere Tokamak-Design zur Grundlage fast aller nachfolgenden Fusionsexperimente.

Weitere Entwicklung in der EU und den USA

Die ersten Versuche zur Kernfusion hatten noch unabhängig voneinander und unter strenger Geheimhaltung stattgefunden. Im Jahre 1956 brach der Physiker Igor Wassiljewitsch Kurtschatow, der frühere Leiter des sowjetischen Atombomben-Programms, mit einem Fachvortrag im englischen Forschungszentrum Harwell die Geheimhaltung. Auf der zweiten internationalen Atomkonferenz in Genf wurden 1958 erstmals eine Offenlegung der Ergebnisse und eine stärkere internationale Zusammenarbeit beschlossen, nicht zuletzt auf Grund der großen technologischen Schwierigkeiten.

In Europa wurde 1958 der Euratom-Vertrag unterzeichnet, in dem sich zunächst sechs Länder verpflichteten, im Bereich der Kernenergie und Kernforschung zusammenzuarbeiten. Dies führte 1973 zum Baubeschluss des aktuell größten Tokamaks, des Joint European Torus (JET), der 1983 in Culham in Großbritannien in Betrieb ging. Am 9. November 1991 konnte am JET erstmals eine nennenswerte Energiemenge aus kontrollierter Kernfusion freigesetzt werden. Ein Deuterium-Tritium-Plasma lieferte zwei Sekunden lang eine Leistung von 1,8 Megawatt. 1997 wurde eine Fusionsleistung von 16 Megawatt erreicht, wobei allerdings 24 Megawatt für die Plasmaheizung erforderlich waren.[9]

Seit dem sowjetischen Temperaturrekord von 1968 bereits war an der amerikanischen Princeton University neben dem Stellaratorkonzept auch intensiv an Tokamak-Projekten gearbeitet worden. Am Tokamak Fusion Test Reactor (TFTR) konnten ähnliche Erfolge wie am konkurrierenden europäischen JET erzielt werden; 1994 wurden 10,7 Megawatt Fusionsleistung erreicht, 1995 eine Plasmatemperatur von 510 Mio. °C.[10] Der wesentlich von Harold Furth konzipierte TFTR war von 1983 bis 1997 in Betrieb, lange auch unter dessen Leitung. Seit 1999 wird am Princeton Plasma Physics Laboratory (PPPL) am Nachfolger National Spherical Torus Experiment (NSTX) geforscht.

Internationale Projekte und Ausblick

Bis zu einem ersten praxistauglichen, im Dauerbetrieb arbeitenden und wirtschaftlich rentablen Fusionsreaktor sind auf den verschiedensten Gebieten noch viel Forschungsarbeit zu leisten und noch eine Vielzahl technischer Schwierigkeiten zu überwinden. Auch wegen der enormen Kosten wird die technologische Entwicklung zur zivilen Nutzung der Fusionsenergie inzwischen in internationalen Projekten vorangetrieben. Wie schon in den vergangenen Jahren wird weltweit fast ausschließlich die magnetische Einschlussmethode verfolgt.

Eine positive Energiebilanz soll erstmals im zukünftigen internationalen Fusionsreaktor ITER verwirklicht werden, der aktuell (2012) im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache errichtet wird. Der Reaktor soll mehr Energie liefern als zur Heizung des Plasmas aufgebracht werden muss. Die Forschungsergebnisse aus ITER sollen wiederum den Weg ebnen für DEMO, das erste Fusionskraftwerk, das, frühestens ab 2030, Strom erzeugen und damit die kommerzielle Nutzbarkeit der Kernfusion nachweisen soll.[11]

Brennstoffe

Deuterium-Tritium

Energiebilanz

Am geringsten ist die elektromagnetische Abstoßung zwischen Atomkernen, die nur je eine einzige Elementarladung tragen, den Isotopen des Wasserstoffs. Die Fusionsreaktion zwischen Deuterium und Tritium

 

(siehe auch Kernfusion) zeichnet sich durch einen hohen Energiegewinn und einen ausreichenden Wirkungsquerschnitt (Reaktionswahrscheinlichkeit) bei vergleichsweise "niedrigen", technisch erreichbaren Plasmatemperaturen aus. Aus diesem Grund ist ein Gemisch aus Deuterium und Tritium, im Folgenden kurz DT, der Fusionsbrennstoff, auf dem bis heute die gesamte Fusionstechnologie beruht – die zivile ebenso wie die militärische. Die prinzipielle Möglichkeit zur Freisetzung großer Energiemengen durch die DT-Reaktion wird durch die Wasserstoffbombe bewiesen, selbstverständlich müsste diese Reaktion in einem Fusionsreaktor jedoch kontrolliert ablaufen.

Neutronenbilanz

Bei der Reaktion eines Deuterium- und eines Tritium-Kerns zu einem Helium-4-Kern entsteht ein Neutron, das den überwiegenden Teil der Fusionsenergie aufnimmt und das dazu benötigt wird, ein Tritium-Atom aus einem Lithium-6-Atom nachzuproduzieren. Diese Erbrütung von Tritium vollzieht sich gemäß folgender Kernreaktion:

 

Allerdings ist es auf diese Weise nicht möglich, mit allen erzeugten Neutronen weiteres Tritium zu erzeugen. Zudem zerfällt ein kleiner Teil des Tritiums radioaktiv, bevor es in der Fusionsreaktion verbraucht wird. Folglich stünde aus der Eigenproduktion nicht genügend Tritium zur Verfügung und ein ausschließlich mit Lithium-6 betriebener Fusionsreaktor wäre somit auf einen dauerhaften Nachschub von außen angewiesen, wozu nach dem derzeitigen Stand der Technik der Betrieb eines konventionellen Kernspaltungskraftwerks oder der energieaufwändige Betrieb einer intensiven Spallations-Neutronenquelle erforderlich wären.

Möglich ist die Produktion von Tritium auch durch die Reaktion eines Neutron mit Lithium-7. Aufgrund des Energieverbrauchs von fast 2,5 MeV kann diese Reaktion jedoch nur stattfinden, wenn hochenergetische Neutronen aus der Fusionsreaktion direkt auf Lithium-7 treffen. In früheren Reaktorkonzepten war zu diesem Zweck ein Blanket aus reinem, natürlichen Lithium vorgesehen, das zu über 90% aus Li-7 besteht:

 .

Diese Reaktion erzeugt einerseits ein Tritium-Atom und setzt zugleich ein Neutron frei, das wiederum mit Lithium-6 ein weiteres Tritium-Atom erzeugen kann. So könnten im Prinzip mit einem Teil der Neutronen je zwei Tritium-Atome erbrütet und eine Eigenversorgung des Fusionsreaktors mit Tritium sichergestellt werden.

Alternativ zur Lithium-7-Reaktion können im Blanket Beryllium oder Blei mittels ihrer (n,2n)-Kernreaktionen zur Neutronenvermehrung eingesetzt werden. Alle neueren Blanketkonzepte sehen zur Erzielung eines Tritium-Brutverhältnisses (Tritium Breeding Ratio, TBR) von mehr als 1,0 eine dieser beiden Möglichkeiten vor. Die (n,2n)-Kernreaktion an Beryllium ist

 .

Beide freigesetzten Neutronen können dann wiederum durch die Reaktion mit Lithium-6 weiteres Trtium erzeugen.

Kommerzielle Fusionsreaktoren müssen so ausgelegt werden, dass eine leichte Tritium-Überproduktion möglich ist. Über den Anreicherungsgrad des Lithiums kann dann das Tritium-Brutverhältnis auf 1,0 ein- und nachgeregelt werden.

Sonstige Brennstoffe

Bestimmte andere Fusionsreaktionen und damit -brennstoffe hätten Vorteile gegenüber DT, z. B. hinsichtlich Radioaktivität und/oder hinsichtlich leichter Nutzbarmachung der gewonnenen Reaktionsenergie. Sie stellen aber – wegen kleineren Energiegewinns pro Einzelreaktion, viel höherer nötiger Plasmatemperaturen und/oder mangelnder Verfügbarkeit auf der Erde – bis auf Weiteres nur theoretisch-utopische Möglichkeiten der Energiegewinnung dar.

Deuterium-Deuterium

In den bisherigen Versuchsanlagen wird fast ausschließlich reines Deuterium als Brennstoff verwendet, denn die meisten technischen Probleme der Herstellung und Erhaltung eines Fusionsplasmas können auch damit untersucht werden. Für die DD-Fusion ist kein Erbrüten des Brennstoffs nötig, Deuterium ist nicht radioaktiv und die Abstoßung zwischen den Reaktionspartnern ist nicht größer als bei der DT-Reaktion. Zwei Reaktionskanäle treten etwa gleich stark auf:

 
 

Für eine Kraftwerksnutzung sind die Nachteile gegenüber DT der viel kleinere Energiegewinn und der viel kleinere Wirkungsquerschnitt, was die erforderliche Einschlusszeit erhöht. Das Plasma ist durch das entstehende Tritium nicht ganz frei von Radioaktivität. Als Folgereaktion tritt daher auch im im DD-Plasma die DT-Reaktion auf und zusätzlich:

 
 
 

Deuterium–Helium-3 und Helium-3–Helium-3

Der Helium-3-Kern ähnelt dem Tritiumkern; einzig die Anzahl an Neutronen und Protonen ist vertauscht. Die D-3He-Reaktion (oben als Folgereaktion der Deuterium-Deuterium-Fusion erwähnt) liefert dementsprechend einen Helium-4-Kern und ein Proton von 15 MeV Energie. Allerdings muss die höhere Abstoßung des doppelt geladenen Helium-3-Kerns überwunden werden. Die Umsetzung der kinetischen Energie des Protons in nutzbare Form wäre einfacher als beim Neutron. Gleichzeitig würden auch Deuteriumionen untereinander zu Protonen und Tritium reagieren; das Tritium kann wieder mit Deuterium reagieren, wobei ein Neutron entsteht.

In einem allein mit 3He betriebenen Fusionsreaktor gäbe es so gut wie keine Radioaktivität. Allerdings müssten für die Reaktion

 

noch größere Abstoßungskräfte überwunden werden. Die Vorteile wären die gleichen wie bei D-3He.

Eine grundsätzliche Schwierigkeit liegt in der Verfügbarkeit von He-3, das auf der Erde nur in geringer Menge vorhanden ist. Größere Mengen He-3 sind in Mondgestein nachgewiesen worden. Für eine mögliche Gewinnung auf dem Mond und Transport zur Erde müsste die sichere technische Machbarkeit nachgewiesen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis abgewogen werden.

Weitere denkbare Brennstoffe

Der He-4-Atomkern weist im Vergleich zu seinen Nachbarnukliden eine besonders hohe Bindungsenergie pro Nukleon auf. Deshalb sind auch andere Reaktionen leichter Nuklide, soweit sie He-4 erzeugen, als Fusions-Energiequellen denkbar.[12] Jedoch sind die erforderlichen Bedingungen für diese Reaktionen noch viel schwieriger zu erreichen, weil es sich um mehrfach geladene Atomkerne mit entsprechend stärkerer Abstoßung handelt. Ein Beispiel ist die Bor-Proton-Reaktion

 ,

die ebenso wie die 3He-3He-Reaktion keine Neutronen freisetzt. Für sie muss im Vergleich zur DT-Reaktion die Temperatur 10-mal höher und die Einschlusszeit 500-mal länger sein. Selbst dann ist die Leistungsdichte nur 1/2500.

D-T-Fusionsreaktoren

Technische Erfordernisse für den Dauerbetrieb

Erbrüten von Tritium

Ein DT-Fusionsreaktor muss neben der Gewinnung und technischen Nutzbarmachung der Energie auch, ähnlich einem Brutreaktor, den Brennstoff Tritium aus Lithium erbrüten, da Tritium als natürliche Ressource nicht vorhanden ist. Dazu ist der Reaktor von einem Brutmantel, dem Blanket, umgeben. Tritium ist radioaktiv. Es emittiert allerdings nur eine Betastrahlung mit geringer Maximalenergie und ohne begleitende Gammastrahlung. Im Radioaktivitätsinventar eines Fusionsreaktors wird es nur einen relativ kleinen Beitrag darstellen (siehe auch Abschnitt Umweltaspekte und Sicherheit).

Reaktorwerkstoffe

Die Nutzenergie des DT-Reaktors tritt in Form sehr schneller Neutronen mit hoher Energie (14,1 MeV) bei großer Neutronenflussdichte auf. Dies und die thermische Belastung des Wandmaterials stellen ganz spezielle Anforderungen an die Materialien der Anlage, was sich als technische Hürde erweist. Metallische Werkstoffe werden zudem nicht nur wie bei Kernspaltungsreaktoren durch Versprödung, sondern zusätzlich durch Schwellung geschädigt (aufgrund von (n,p)- und (n,alpha)-Kernreaktionen, die im Metallgefüge gasförmigen Wasserstoff bzw. Helium erzeugen). Außerdem werden durch Aktivierung in den Materialien radioaktive Nuklide gebildet. Um möglichst wenige davon zu erzeugen, die zudem möglichst geringe Halbwertszeiten aufweisen sollten, können nur Materialien aus bestimmten Elementen verwendet werden. Das Strukturmaterial von ITER ist zwar noch ein üblicher austenitischer Chrom-Nickel-Edelstahl. Für zukünftige Kraftwerksreaktoren sind solche Stähle aber nicht brauchbar, weil aus dem Nickelanteil große Mengen des relativ langlebigen und stark gammastrahlenden Cobalt-60 entstehen würden.

Die Werkstoffentwicklung ist daher ein entscheidend wichtiger Teil der Forschung und Entwicklung. Sie konzentriert sich auf nickelfreie, ferritisch-martensitische Stähle[13], aber auch Legierungen auf Vanadiumbasis und das keramische Siliziumcarbid (SiC) werden untersucht.

Plasmaeinschluss und Lawson-Kriterium

Für eine selbsterhaltende energetische Kettenreaktion, die mehr Energie liefert, als zu ihrer Einleitung aufgewendet wurde, muss das Produkt aus Plasmadichte und Einschlussdauer gemäß dem Lawson-Kriterium einen bestimmten Mindestwert übersteigen, d. h. Dichte und Temperatur müssen für eine gewisse Zeitspanne aufrechterhalten werden.

Diese Bedingung kann auf zwei ganz verschiedene Arten erfüllt werden:

  • mit mäßig hoher Plasmadichte und dauerhaftem – mindestens minutenlangem – Einschluss des Plasmas durch Magnetfelder;
  • mit extrem hoher Plasmadichte und sehr kurz dauerndem Einschluss (Nanosekunden), der durch die Massenträgheit des Plasmas selbst bewirkt wird.

Reaktorkonzepte mit magnetischem Einschluss

 
Felder und Kräfte in einem Tokamak.

In Tokamaks und Stellaratoren schließt ein torusförmiges, verdrilltes Magnetfeld das Plasma ein. Tokamaks erzeugen die Verdrillung durch Induzieren eines elektrischen Stroms in das Plasma, Stellaratoren haben stattdessen spezielle, komplizierte Formen der Magnetfeldspulen.

Der Tokamak ist das am weitesten fortgeschrittene und international mit ITER (siehe oben) verfolgte Konzept. Er hat jedoch – in seiner ursprünglichen Betriebsweise mit rein induktiv erzeugtem Plasmastrom – den Nachteil, dass sein Betrieb nicht kontinuierlich, sondern nur gepulst, das heißt mit regelmäßigen kurzen Unterbrechungen, möglich ist. Deshalb werden

  • einerseits andere, zusätzliche Möglichkeiten zum "Treiben" des Stroms entwickelt[14]
  • und als Alternative auch die Stellarator-Entwicklungslinie mit öffentlichen Forschungsmitteln unterstützt.

Ein Netto-Energiegewinn erfordert in jedem Fall

  • relativ große Reaktorgefäße (vgl. ITER-Abbildung und Technische Daten), da nur in diesen genügend hohe Plasmatemperaturen erreicht und gehalten werden können,
  • den Einsatz supraleitender Magnetspulen, damit deren elektrischer Energieverbrauch gering bleibt.

Auch einige existierende Versuchsanlagen (LHD, Tore Supra) und die im Bau befindlichen Wendelstein 7-X und ITER verwenden bereits supraleitende Spulen.

Bemerkung zur Terminologie: Mit der Bezeichnung „Reaktor“ ist meist die Gesamtanlage gemeint, die schon bei den heutigen Versuchseinrichtungen aus vielen Teilen besteht: mindestens aus dem Plasmagefäß, der Magnetspulenanordnung mit Stromversorgung und ggf. einer kryotechnischen Anlage, Plasma-Heizeinrichtungen sowie Messeinrichtungen. Beim zukünftigen Fusionskraftwerk kommen noch das Blanket (Reaktormantel) mit Kühlkreislauf, eine Anlage zur Tritiumaufarbeitung, der/die Dampferzeuger und Turbinen-Generator-Sätze dazu.

Herstellen und Aufheizen des Plasmas, Brennstoffnachfüllung

Um den Prozess in Gang zu bringen, müssen in das viele Kubikmeter große, fast völlig evakuierte Reaktionsgefäß einige Gramm Deuterium-Tritium-Gasgemisch eingelassen und dann von außerhalb des Reaktionsgefäßes zu einem Plasma von etwa 100 Millionen Grad aufgeheizt werden. Die Teilchendichte (Zahl der Teilchen pro Volumen) entspricht dann noch immer einem Hochvakuum, aber wegen der hohen Temperatur übt das Plasma einen Druck der Größenordnung 1 Bar aus, der durch das Magnetfeld gehalten werden muss.

Die Heizleistung erhöht die Temperatur und kompensiert die Verluste durch thermische Röntgenstrahlung, welche proportional zu T4 sind und durch Verunreinigungen mit hoher Ordnungszahl stark zunehmen.

Für das Aufheizen werden verschiedene Methoden entwickelt:

  • Elektrisches Aufheizen: Plasma ist ein elektrischer Leiter und kann mittels eines induzierten elektrischen Stromes aufgeheizt werden. Dabei wirkt das Plasma wie die Sekundärspule eines Transformators. Allerdings steigt die Leitfähigkeit des Plasmas mit steigender Temperatur, so dass der dem Strom entgegengesetzte Widerstand ab etwa 20–30 Millionen Grad bzw. 10 keV nicht mehr ausreicht, das Plasma stärker zu erwärmen.
  • Neutralteilchen-Einschuss: Beim Einschießen schneller neutraler Atome in das Plasma („neutral beam injection“, kurz NBI) bewirkt die kinetische Energie der Atome – die im Plasma sofort ionisiert werden – das Aufheizen des Plasmas.
  • Ionen-Einschuss: Ionen- oder Schwerionenstrahlen werden in das Plasma geschossen. Diese lassen sich relativ leicht erzeugen und beschleunigen und tragen eine sehr hohe Energie in das Plasma.
  • Elektromagnetische Wellen: Mikrowellen können die Ionen und Elektronen im Plasma auf ihren Resonanzfrequenzen anregen und somit Energie in das Plasma übertragen. Diese Methoden des Aufheizens werden „ion cyclotron resonance heating“ (ICRH), „electron cyclotron resonance heating“ (ECRH) und „lower hybrid resonance heating“ (LHRH) genannt.
  • Magnetische Kompression: Das Plasma kann wie ein Gas durch schnelles („adiabatisches“) Zusammenpressen erwärmt werden. Ein Magnetfeld ist geeignet, das Plasma zusammenzupressen. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Methode ist, dass zugleich die Plasmadichte erhöht wird.

Mit all diesen Methoden, bis auf die letzte, kann auch die Temperatur- und damit die Stromverteilung im Plasma beeinflusst werden, was für dessen Formstabilität wichtig ist.

Mit der Temperatur und Dichte steigt die Umsatzrate der Fusionsreaktion. Die dabei gebildeten Heliumkerne geben ihre Energie – ein Fünftel der Energieausbeute der Kernreaktion (3,5 MeV) – durch Stöße an das Plasma ab. Die Leistung der Zusatzheizung kann zurückgefahren werden, sobald die Umsatzrate der Fusionsreaktion dafür ausreicht. Man sagt, das Plasma habe "gezündet".

Zum Nachfüllen von Brennstoff während der Brenndauer des Plasmas hat sich das Hineinschießen von „Pellets“ aus einem gefrorenen Deuterium-Tritium-Gemisch in das Gefäß als geeignete Technik erwiesen.[15] Solche Pellets mit einer Masse von beispielsweise 1 mg werden hierfür durch eine Zentrifuge oder pneumatisch (mit einer Art Gasgewehr) auf eine Geschwindigkeit in der Größenordnung 1000 m/s gebracht. Diese Nachfüllmethode gestattet es, durch die Wahl der Einschussstelle und der Pelletgeschwindigkeit die räumliche Dichteverteilung des Plasmas gezielt zu beeinflussen.

Entfernen von Helium und Verunreinigungen

Das Reaktionsprodukt Helium-4 sowie unvermeidlich aus dem Wandmaterial herausgeschlagene Kerne wirken als Verunreinigungen und müssen ständig aus dem Plasma entfernt werden. Alle haben höhere Ladungszahlen als die Wasserstoffisotope und werden infolgedessen magnetisch stärker abgelenkt. Zu ihrer Entfernung werden Divertoren entwickelt, die mit einem Hilfs-Magnetfeld die unerwünschten Ionen aus dem Plasma heraus auf besondere, am Rande des Torus montierte Prallplatten lenken. Dort kühlen sie ab und fangen dadurch wieder Elektronen ein, d. h. sie werden zu neutralen Atomen. Diese werden von Magnetfeldern nicht beeinflusst und können von der ständig für Hochvakuum sorgenden Absauganlage ausgeschleust werden.

Abfuhr und Nutzung der freigesetzten Energie

Von der Energieausbeute der Kernreaktion (pro Einzelreaktion 17,6 MeV) treten vier Fünftel, also 14,1 MeV, als Bewegungsenergie des erzeugten Neutrons auf. Die Neutronen werden vom Magnetfeld nicht beeinflusst, durchdringen leicht die Wand des Plasmagefäßes und gelangen damit in das Blanket, wo sie zunächst durch Stöße ihre Energie als nutzbare Wärme abgeben und danach zum Erbrüten je eines Tritiumatoms dienen sollen. Die Wärme soll – wie in anderen Kraftwerken, über Wärmetauscher Wasserdampf erzeugen, der in herkömmlicher Weise Turbinen mit angekoppelten Stromgeneratoren antreibt.

Reaktoren mit Trägheitseinschluss

In einem Trägheitseinschluss-Fusionsreaktor würden, stark vereinfacht gesagt, sehr kleine Wasserstoffbomben in einem Reaktorgefäß gezündet werden. Das Problem, die nötige Zündenergie genügend schnell (innerhalb weniger Nanosekunden) in ein Zielvolumen von weniger als einem Kubikzentimeter zu bringen, lässt sich mittels Laserstrahlen oder Ionenstrahlen aus Teilchenbeschleunigern lösen. Der dadurch extrem schnell aufgeheizte Brennstoff – beispielsweise 2,5 Milligramm DT, also rund 3×1020 Atompaare – wird durch Rückstoßeffekte zu einem Plasma sehr hoher Dichte, dessen Fusionsprozess insgesamt eine Energie von 1 GJ freisetzt. Die Reaktion läuft nur so lange ab, wie der Brennstoff durch seine Massenträgheit zusammenhält (Picosekunden), aber wegen der Dichte genügt dies für einen großen Netto-Energiegewinn. In einem Reaktor dieser Art würden pro Sekunde mehrere eingeschossene DT-„Targets“ abbrennen.

Ein Versuchsreaktor nach dem Prinzip des Trägheitseinschluss wurde in den USA errichtet (National Ignition Facility), der Bau eines europäischen Projektes (Laser Mégajoule in Frankreich) soll 2012 abgeschlossen werden.[16][17] Erklärter Zweck der Versuche ist es, die eingestellten Kernwaffentests zu ersetzen. Die zu erwartenden physikalischen Grundlagenerkenntnisse würden jedoch auch einer zivilen Reaktorentwicklung nützen. Laserstrahlen werden verwendet, weil Hochleistungslaser beispielsweise schon im Rahmen des SDI-Projektes weit entwickelt worden sind. Für Reaktorkraftwerke, also Anlagen mit Netto-Energiegewinn, sind jedoch gerade Laser wegen ihrer geringen Wirkungsgrade kaum geeignet.

Alternative Konzepte

Andrei Sacharow, einer der Urheber des Tokamak-Konzepts und auch der lasergetriebenen Trägheitsfusion, hat auch eine Art katalytische Beschleunigung der Fusions-Kettenreaktion mittels Myonen vorgeschlagen und verwendete dafür 1948 den Begriff „kalte Fusion“.[18] Das Verfahren ist physikalisch plausibel, aber eine Netto-Energiegewinnung würde voraussichtlich am hohen Energieaufwand für die Erzeugung der Myonen infolge zu geringer Wirkungsgrade von Teilchenbeschleunigern scheitern.

Eine Energiegewinnung nach den verschiedenen später als Kalte Fusion bekannt gewordenen Verfahren ist über Grundlagenversuche, deren Ergebnisse nicht überprüfbar und reproduzierbar sind, nicht hinausgekommen.[19] Deshalb schließt die Mehrheit der Wissenschaftler heute eine auf diese Weise herbeiführbare Kernreaktion mit Energiefreisetzung aus.[20]

Liste von Versuchsanlagen

Beendete Experimente Anlagen in Betrieb Anlagen im Bau
Tokamaks Joint European Torus (JET) in Culham, England ITER in Cadarache, Südfrankreich
Tokamak Fusion Test Reactor (TFTR) an der Princeton University, USA (1983-1997) National Spherical Torus Experiment (NSTX) an der Princeton University, USA (seit 1999)
ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München
TEXTOR am Institut für Plasmaphysik des Forschungszentrums Jülich
Experimental Advanced Superconducting Tokamak (EAST) in Hefei, China[21]
JT-60 in Naka, Japan[22]
Tokamak à configuration variable der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, Schweiz
Tore Supra in Cadarache, Frankreich[23]
KSTAR in Daejeon, Südkorea[24]
Stellaratoren Wendelstein 7-AS in Garching bei München (1988–2002) Wendelstein 7-X in Greifswald
National Compact Stellarator Experiment (NCSX) an der Princeton University, USA (2003–2008)
Columbia Non-Neutral Torus an der Columbia University in New York, USA
Large Helical Device in Toki (Gifu), Japan
TJ-II – CIEMAT in Madrid, Spanien[25]
Trägheitseinschluss
(Laserfusion)
National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore (Kalifornien), USA
National Laser Users' Facility (NLUF)
Laser Mégajoule in Le Barp, Südwestfrankreich
Sonstige Z-Maschine
Polywell
Dense Plasma Focus
ECRIS driven neutronless Fusion

Pro und Contra

Verfügbarkeit der Brennstoffe

Deuterium ist zu etwa 0,015 % im natürlichen Wasserstoff enthalten und kann daher etwa aus Meerwasser in praktisch unbegrenzter Menge gewonnen werden.

Tritium hingegen ist auf der Erde nur in äußerst geringen Mengen vorhanden und muss daher aus Lithium erzeugt werden (siehe nächster Abschnitt). Lithium stellt somit die begrenzende Ressource dar. Die technisch nutzbaren Lithiumvorkommen reichen jedoch – vorausgesetzt, die Brut-Technik funktioniert – rechnerisch aus, um den Energiebedarf der Menschheit für tausende Jahre zu decken. Zum Tritiumbrüten wird nur das seltene, mit einem natürlicher Anteil von 7,5 % vorkommende Isotop Lithium-6 benötigt. Eine Verknappung durch den Lithiumbedarf anderer Industriezweige, wo die Isotopenzusammensetzung keine Rolle spielt, ist daher kaum zu befürchten. Lithium ist demnach

  • langfristig vorhanden
  • leicht zu gewinnen
  • für den hier vorgesehenen Zweck ausreichend preiswert
  • weltweit verteilt (vergleiche jedoch Vorkommen von technisch nutzbarem Lithium).

Zum Start eines ersten Fusionsreaktors könnte das nötige Tritium in konventionellen Kernspaltungsreaktoren problemlos gewonnen werden. Ferner fällt Tritium auch in mit Schwerwasser moderierten Reaktoren (beispielsweise CANDU) in einer Menge von rund 1 kg pro 5 GWa erzeugter elektrischer Energie als Nebenprodukt an.

Tritiumgewinnung

Das für den Versuchsbetrieb von ITER benötigte Tritium in einer Menge von einigen Kilogramm über die vorgesehene Laufzeit könnte entweder aus Schwerwasserreaktoren stammen, in denen es als Abfallprodukt anfällt[26] oder aber in Kernspaltungsreaktoren aus Lithium-6 erbrütet werden.

Diese bisher einzigen verfügbaren Quellen könnten jedoch bei weitem nicht genügend Tritium für Fusionskraftwerke liefern. Der Jahresverbrauch eines Fusionskraftwerks mit 1000 MW elektrischer Leistung wird etwa 100 kg Deuterium und 150 kg Tritium betragen. Die wirtschaftliche Gewinnung solcher Tritiummengen wäre nur durch die Erzeugung aus Lithium gemäß den im Abschnitt Neutronenbilanz beschriebenen Reaktionen im Fusionsreaktor selbst (siehe auch Blanket) mittels der ohnehin emittierten freien Neutronen möglich.

Die technologische Entwicklung dieser Tritiumgewinnung ist eine entscheidende Aufgabe in den Fusionsprogrammen. Ob dieses Erbrüten von Tritium in der Praxis mit ausreichender Effizienz möglich ist, wird sich erst zeigen, wenn ein erster DT-Fusionsreaktor im Dauerbetrieb arbeitet. Aber nur wenn die Anlagen ihren Tritium-Eigenbedarf sebst decken können und die für den Start eines Fusionsprozesses benötigten Mengen anderweitig gewonnen werden können, ist der Aufbau einer Energieversorgung mittels Fusionsreaktoren möglich. Diese Frage wird in wissenschaftlichen Veröffentlichungen diskutiert.[27] Während einige Wissenschaftler wie Michael Dittmar vom CERN die Selbstversorgung von Fusionsreaktoren mit Tritium angesichts bisheriger experimenteller und rechnerischer Ergebnisse als unrealistisch kritisieren[28], sehen viele Fusionsforscher in diesem Punkt jedoch keine prinzipiellen Probleme.[29]

Machbarkeit und Kosten

Auf dem Weg zu einem funktionierenden Prototypkraftwerk sind noch enorme technische Probleme zu überwinden. Noch ist nicht erwiesen, dass ein Fusionsreaktor überhaupt zur kommerziellen Energieerzeugung taugt. Um wirtschaftlich zu sein, müssten Fusionskraftwerke nach dem aktuellen Stand der Forschung eine Mindestgröße zwischen 1000 und 2000 MW pro Block aufweisen, vergleichbar der neuerer Kernspaltungskraftwerke bzw. geringfügig größer. Eine Integration solcher Anlagen in die zukünftigen, voraussichtlich sehr großen Verbundstromnetze wäre möglich. Die grundsätzliche Problematik großer Blöcke bliebe jedoch weiterhin bestehen, das Erfordernis nach entsprechender Reserveleistung für den Fall von Ausfällen sowie die Angreifbarkeit der Anlagen mit folgenschweren Auswirkungen. Wie auch die Kernspaltung würde sich die Kernfusion wegen der komplexen Technologie nur für hoch entwickelte Länder eignen.

Mit ITER soll gezeigt werden, dass eine Vergrößerung des Reaktors das erhoffte bessere Verhältnis von aufgewendeter zu gewonnener Energie liefert. Die Kosten des Fusionsexperimentes ITER wurden bei Projektbeginn mit fünf Milliarden Euro angegeben. Seitdem mehren sich die Anzeichen, dass weder der Zeit- noch der Kostenplan zu halten sind. ITER soll nach offiziellen Angaben nun frühestens im Jahr 2026 voll einsatzfähig sein, zudem werden die Kosten des Projektes auf mindestens 15 Milliarden ansteigen.[30] Mit dem Nachfolgeprojekt DEMO soll schließlich die wirtschaftliche Energieerzeugung demonstriert werden, womit frühestens um das Jahr 2030 zu rechnen ist.

Das Energy research Centre of the Netherlands erforscht und bewertet die verschiedenen Arten der Energieerzeugung. Bereits 1999 wurde detailliert untersucht, welche Rolle die Fusionsenergie im Energiemarkt Europas spielen könnte unter der Annahme, dass die Technik bis 2050 ausgereift ist. Wird die Kernspaltung nicht weiter ausgebaut und sollen die CO2-Emissionen weiter verringert werden, so könnten Fusionskraftwerke zukünftig die Grundlastversorgung übernehmen. Betrachtet wurden Tokamak-Kraftwerke mit je 1 Gigawatt elektrischer Leistung.[31] Unter Berücksichtigung für technische Projekte typischer „Erfahrungslernkurven“ würden die Stromkosten der zehnten Anlage dieser Art zwischen 0,06 und 0,10 Euro pro Kilowattstunde liegen. Der Berechnung wurden folgende Annahmen zugrunde gelegt:

  • 75 % jährliche Auslastung,
  • 30 Jahre Lebensdauer,
  • 5 % jährlicher Kapitalzins.

Die Kosten teilen sich auf wie folgt:

  • 62 % aus Investition für die Anlage,
  • 30 % Austausch von Verschleißteilen (Blanketteile, Divertorplatten) während der Betriebsdauer,
  • 8 % laufender Betrieb, Wartung, Brennstoff und Entsorgung.

Die bei derartigen Großprojekten zu erwartenden Kostensteigerungen machen eine rein marktwirtschaftliche Finanzierung ohne staatliche Subventionierung unwahrscheinlich.[32][33] Eine Analyse der Citibank wurde mit den Worten überschrieben: „New Nuclear - The Economics Say No“.[34]

Umweltaspekte und Sicherheit

Fusionskraftwerke hätten

  • im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftwerken auf Basis von Kohle, Öl oder Gas
  • im Gegensatz zu Kernspaltungsreaktoren
    • keine Reaktion, die überkritisch werden, also außer Kontrolle geraten kann. Die Zündbedingungen müssen im Gegenteil mit großem Aufwand aufrechterhalten werden, die Energiefreisetzung bricht schon bei kleinen Störungen ab.[35]
    • außer der Versorgung mit dem initialen Tritium-Vorrat keine Transporte radioaktiven Brennstoffs nötig. Die Einsatzstoffe Lithium und Deuterium sind nicht radioaktiv.[36]
    • kein langlebiges radioaktives Material aus dem Brennstoff. Das im Blanket erbrütete Tritium wird schnell extrahiert und wieder verbraucht. Ein Vorrat für den Betrieb über eine Woche läge bei einer 1-GW-Anlage in der Größenordnung von wenigen Kilogramm. Bei Unfällen freigesetztes Tritium (zum Vergleich: über 600 kg Tritium gerieten durch Kernwaffentests in die Atmosphäre) zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren zum stabilen Helium-3.
  • ähnlich wie Kernspaltungsreaktoren
    • die Neutronenaktivierung von Anlagenteilen, Kühlmitteln und Strukturmaterial zur Folge. Die Aktivierung wäre mengenmäßig vor allem wegen der großen Materialmengen erheblich größer als im Spaltreaktor und würde den größten Teil des radioaktiven Inventars der Anlage ausmachen;
    • Anlagenteile, die so starker Neutronenstrahlung ausgesetzt sind, dass sie regelmäßig getauscht endgelagert werden müssen. Bei herkömmlichen Kernreaktoren werden insbesondere die Brennelementhüllen, in denen sich der Uran-Brennstoff befindet, zusammen mit dem Brennstoff getauscht, bei Fusionsreaktoren wären dies insbesondere Teile des Divertors und des Blankets.

Mit derzeitigen Strukturmaterialien wie austenitischen Chrom-Nickel-Edelstählen entstehen große Mengen des relativ langlebigen und stark gammastrahlenden Cobalt-60. Durch zur Zeit laufende Werkstoffentwicklungen soll dieser Nachteil beseitigt werden. Erst dann ist sichergestellt, dass der größte Teil der aktivierten Anlagenteile nach Ende der Nutzungsdauer für lediglich etwa 100 Jahre kontrolliert gelagert werden muss und sich die Problematik der Endlagerung entsprechend verringert. Mit dieser Vorgabe werden Materialien entwickelt, die alle Anforderungen an Stabilität, Beständigkeit unter Neutronenbestrahlung und Vakuumdichtigkeit erfüllen sollen.[35]

Bisher wird davon ausgegangen, dass die innerste Hülle periodisch ausgewechselt werden muss, da kein Material die hohen Neutronenflüsse eines kommerziellen Reaktors über Jahre aushält.[37] Wegen der Strahlung der aktivierten Teile müssten Reparaturen und Wartungsarbeiten nach Inbetriebnahme ferngesteuert ausgeführt werden. Im Regelbetrieb ließe sich die Freisetzung von Radionukliden aus der Anlage – wie auch beim Kernreaktor – weitgehend reduzieren, aus physikalischen Gründen aber niemals vollständig verhindern.

DT-Fusionsreaktoren wären demnach keineswegs frei von Radioaktivitätsproblemen. Bei guter Neutronenbilanz, falls also die allermeisten erzeugten Neutronen für die Tritium-Erzeugung verbraucht werden und nicht zur Aktivierung von anderen Materialien führen, wären sie jedoch bezüglich Sicherheit und Umweltverträglichkeit ein Fortschritt gegenüber herkömmlichen Kernreaktoren. Wahrscheinlich ist eine Prozessführung möglich, bei dem das mobile radioaktive Inventar, das als Gas, Flüssigkeit oder niedrig siedender Feststoff vorliegt, weit geringer ist als etwa das bei der Katastrophe von Tschernobyl freigesetzte. Kritiker geben zu bedenken, dass manche dieser Fragen erst in ferner Zukunft zu beantworten sind, wenn ein vollständig entwickeltes Konzept vorliegt.

Risiken hinsichtlich Kernwaffenverbreitung

Bereits ein paar Gramm eines Deuterium-Tritium-Gemischs können die Energiefreisetzung einer Atombombe und damit die Zerstörungskraft deutlich steigern. Die bei der Fusion zahlreich erzeugten Neutronen intensivieren die Kettenreaktion im Uran- oder Plutonium-Kernsprengstoff. Die Methode ist unter dem Begriff Fusions-Booster bekannt. Tritium entsteht zwar auch als radioaktives Abfallprodukt in herkömmlichen Kernreaktoren, insbesondere in Schwerwasserreaktoren, wird üblicherweise jedoch weder abgetrennt noch als Reinstoff aufkonzentiert. Die Gefahr zur Proliferation geht dabei sowohl von dem Tritium selbst aus als auch von dem Wissen um die Details seiner Herstellung.[38]

Literatur

Einzelnachweise

  1. "deuterium can be easily extracted at a very low cost", "enough [...] for 2 billion years" (S. 16), "20.000 years of inexpensive Li6 available" (S. 17) In: Jeffrey P. Freidberg: Plasma Physics And Fusion Energy. 2007.
  2. Jeffrey P. Freidberg: Plasma Physics And Fusion Energy. 2007, S. 17.
  3. Weston M. Stacey: Fusion. An Introduction to the Physics and Technology of Magnetic Confinement Fusion. 2010, S. 151–154; radioactive structural material [...] storage time required [...] 100 years. In: Jeffrey P. Freidberg: Plasma Physics And Fusion Energy. 2007, S. 17.
  4. Anhörung zur Fusionsforschung … 28. März 2001.
  5. 150 million °C. auf: iter.org, Facts & Figures
  6. Joan Lisa Bromberg: Fusion- science, politics, and the invention of a new energy source. MIT Press, Cambridge 1982, ISBN 0-262-02180-3, S. 36ff (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  7. Eckhard Rebhan: Energiehandhuch. Springer, 2002, ISBN 3-540-41259-X, S. 524ff.
  8. Robert Arnoux: Off to Russia with a thermometer. iter newsline, 2009.
  9. History & Anniversaries. auf: efda.org
  10. PPPL: Achievements of the Tokamak Fusion Test Reactor.
  11. On to DEMO. ITER, Webseite (engl.)
  12. Weston M. Stacey: Fusion. An Introduction to the Physics and Technology of Magnetic Confinement Fusion. 2010, S. 1.
  13. siehe z.B.: B. van der Schaaf et al.: The development of EUROFER reduced-activation steel, Fusion Engineering and Design Bd. 69 (2003) S. 197-203
  14. Weston M. Stacey: Fusion. An Introduction to the Physics and Technology of Magnetic Confinement Fusion. 2010, S. 77–78.
  15. S. K. Combs u. a., High-Field-Side Pellet Injection Technology. Konferenzbeitrag von 1998
  16. CEA: Le Laser Mégajoule, eingefügt 2. April 2012
  17. Facts&Arts: France banking on laser research, eingefügt 2. April 2012
  18. Karl Strauß: Kraftwerkstechnik: Zur Nutzung fossiler, nuklearer und regenerativer Energiequellen. 5. Auflage. Springer, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-540-29666-2, S. 432.
  19. Labortricksereien - Bis die Blase platzt. In: Frankfurter Allgemeine - Wissen. 23. Juli 2008.
  20. Bart Simon: Undead Science.Science Studies and the After Life of Cold Fusion. Ein soziologisches Fachbuch über das Phänomen der kalten Fusion, die von der Mehrheit der Forscher verworfen, von eine Minderheit aber weiter verfolgt wird. 2002.
  21. Xinhua: Nuke fusion reactor completes test, 24. März 2006
  22. Japan Atomic Energy Agency, Naka Fusion Institute, JT-60 Research Program
  23. Tore Supra. auf: www-fusion-magnetique.cea.fr
  24. http://www.nfri.re.kr/english/research/kstar_operation_01.php?tab=1
  25. The TJII project: Flexible Heliac. auf: www-fusion.ciemat.es
  26. A. Fiege: Tritium. Bericht KfK-5055, Kernforschungszentrum Karlsruhe, 1992. ISSN 0303-4003
  27. M. E. Sawan, M. Abdou: Physics and technology conditions for attaining tritium self-sufficiency for the DT fuel cycle. In: Fusion Engineering and Design. 81 (2006), S. 1131–1144.
  28. Michael Dittmer: The Future of Nuclear Energy: Facts and Fiction – Part IV: Energy from Breeder Reactors and from Fusion? (online)
  29. S. Hermsmeyer: Improved Helium cooled pebble Bed Blanket. Forschungszentrum Karlsruhe, Wissenschaftliche Berichte, FZKA6399
  30. Kostenexplosion bei Iter. auf: Deutschlandfunk. 28. Mai 2010. (Abgerufen am 07. März 2011.)
  31. P. Lako u. a.: Long Term Scenarios and the Role of Fusion Power. Bericht ECN-C-98-095, 1999; zitiert nach: H. S. Bosch, A. Bradshaw: Physikalische Blätter. 57 (2001) Nr. 11, S. 55–60.
  32. Energy Bulletin, 24. Juli 2009: Boiling The Frog: Nuclear Optimism Hides True Costs Till It's Too Late, eingefügt 2. April 2012
  33. The Star, 14. Juli 2009: $26B cost killed nuclear bid, eingefügt 2. April 2012
  34. CitiBank, 9. November 2009: New Nuclear - The Economics Say No, eingefügt 2. April 2012
  35. a b ITER & Safety, ITER Organization (englisch)
  36. ITER Fusion Fuels, ITER Organization (englisch)
  37. The Oil Drum: The Future of Nuclear Energy: Facts and Fiction – Part IV: Energy from Breeder Reactors and from Fusion?
  38. Martin Kalinowski: International control of tritium for nuclear nonproliferation and disarmament. CRC Press, 2004, ISBN 0-415-31615-4, S. 34.