Aleviten

Mitglieder einer vorwiegend in der Türkei beheimateten Glaubensrichtung
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Die Aleviten bilden in der Türkei nach den sunnitischen Muslimen die größte Religionsgruppe, mit 15 bis 20 % der Bevölkerung.

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Türkische Provinzen mit signifikantem Aleviten-Anteil

Der Glaube der Aleviten

Aleviten werden fälschlicher Weise als Schiiten bezeichnet. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Aleviten und den Schiiten ist die Verehrung von Ali ibn Abi Talib (Schwiegersohn und Vertrauter des Propheten Mohammed). Schiiten sind diejenigen, die die Auffassung vertreten, dass allein dem Kalif Ali die Nachfolge des Propheten, also das Kalifat rechtmäßig zustünde. Aleviten aber haben ihren vorislamischen Glauben und ihre Wurzeln in Anatolien nicht aufgegeben. Sie brauchten einen Schutzschild, um in einer islamisch dominierten Umgebung überleben zu können. Daher haben sie nach Außen hin den Eindruck erweckt, sie seien Moslems. Sie gaben sich als Anhänger Alis aus und taten so, als ob sie den Islam nur anders interpretieren würden. Das sollte sie nur davor schützen, nicht als Ungläubige gebrandmarkt zum Abschuss freigegeben zu werden. Sie haben sich mit dem Schicksal Alis und dessen Familie identifiziert, weil Ali und seine Nachkommen im der Folge des Nachfolgestreits nach dem Tod des Propheten Mohammed umgebracht worden sind. Sie sind daher nicht die schiitische Minderheit der Türkei. Alevitentum ist eine eigenständige synkretistische Religion, die verschiedene Elemente aus den verschiedensten vorislamischen Religionen Mesopotamiens in sich aufgenommen hat. Der alevitische Glaube ist besonders durch die Massaker, die an den Aleviten verübt worden sind geprägt..

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Ali, der Löwe Gottes. S. Bildbeschreibungsseite

Unter den meisten Türken gilt die Religionsgruppe als muslimische Glaubensrichtung und ist deshalb in den 99,8% Muslimen der Bevölkerung der Türkei enthalten. Sie gehen mit religiösen Vorschriften, die viele Muslime für verbindlich halten, liberal um; für Aleviten haben die sogenannten Fünf Säulen des Islams keinen hohen Stellenwert, sie verrichten nicht das Ritualgebet (Saum), und brauchen zum Beten keinen besonderen Raum und keine spezielle Zeit. Jede Alevitin und jeder Alevit betet dann und dort, wo sie oder er will, auf eine Art, wie es ihr oder ihm entspricht.

Der Koran ist für Aleviten, im Gegensatz zum Schari'a-Islam, kein Gesetzbuch, sondern die Niederschrift von Offenbarungen, die kritisch gelesen werden dürfen (siehe dazu: Buyruk). Sie sehen in ihm kein verbalinspiriertes Buch, sondern interpretieren ihn mystisch. Sie lehnen auch die Schari'a, das islamische Gesetz, ab. Daher kann die Philosophie des Alevitentums dem Pantheismus zugeordnet werden, denn sie glauben, dass jedem Menschen die Wahrheit (das Göttliche) innewohnt.

Der heutige Glaube der Aleviten ist stark vom Humanismus und Universalismus bestimmt. Im Zentrum ihres Glaubens steht daher der Mensch als eigenverantwortliches Wesen. Wichtig ist ihnen das Verhältnis zum Mitmenschen. Die Frage nach dem Tod und den Jenseitsvorstellungen ist demgegenüber für sie nebensächlich. In der alevitischen Lehre ist die Seele eines jeden Menschen unsterblich, sie strebt durch die Erleuchtung die Vollkommenheit mit Gott an. Der Sufismus ist dem Alevitentum sehr ähnlich und verehrt auch Imam Ali und seine Gefolgschaft, jedoch werden die 5 Säulen des Islams strikt eingehalten.

Diese liberalen Auffassungen, vor allem die Ablehnung der Schari'a, unterscheidet Aleviten von anderen Muslimen, besonders von den Sunniten. Darum haben viele Sunniten, vor allem die meisten islamischen Gelehrten, Vorurteile gegenüber Aleviten und betrachten sie meist nicht als Muslime.

Die Grundsäulen des Alevitentums liegen zum Teil auch in der Lehre des Zarathustra. Die Völker in Anatolien stammen aus Persien oder aus den benachbarten zentralasiatischen Ländern ab, die heute noch die zarathustrische Lehre unter dem Deckmantel des Islams ausüben. Es ist ein aus islamischer Lehre und schamanistischen Elementen und zarathustrischen Lehre zu Stande gekommener Glaube. Der Anteil der zarathustrischen Lehre macht ca. 20% des Alevitischen Glaubens aus. Rechtes Handeln, rechtes Denken, rechtes Sprechen, dies sind Worte von Zarathustra. Die vier Heiligen Elemente bei den Aleviten in Dersim Feuer, Wasser, Erde, Luft, entstammen aus der Lehre Zarathustras. Zarathustra betrieb zu seinen Lebzeiten Astrologie, die Kenntnisse hat er in Form von mystischen Tänzen (Mevlana) weitergegeben. Die Hauptquelle des Alevitentums ist nicht allein der "Große Buyruk" von Imam Cafer-es Sadik wie häufig angenommen, sondern auch die unzähligen religösen Gedichte und Lieder (Deyis). Aleviten waren aufgrund ihrer Verfolgung und Unterdrückung gezwungen ihre Glaubensinhalte mündlich durch Lieder und Gedichte weiterzugeben. Dies ist in unzähligen mündlichen Überlieferungen, Liedern bzw. Gedichten über die alevitische Kultur belegbar. Dieser Mix aus verschiedensten religiösen und mystischen Strömungen macht daher verständlich, dass die Aleviten zwar im Islam ihren Ursprung sehen, sie jedoch nicht den allseits anerkannten islamischen Gruppierungen zugerechnet werden.

Aleviten bekennen sich zu Humanität, Demokratie und den allgemeinen Menschenrechten. Diesen Werten fühlen sie sich auf eine undogmatische Weise verpflichtet. Sie bejahen besonders die Meinungs- und Religionsfreiheit. Sie gestehen jedem Menschen ausdrücklich das freie Selbstbestimmungsrecht und damit das Recht auf einen eigenen Glauben zu. Jeder kann nach ihrer Auffassung beliebige Rituale pflegen oder darf sogar Atheist sein, sofern er seine eigenen Ansichten nicht anderen aufzwingen will. Darum haben Aleviten zu anderen Religionen, Glaubensbekenntnissen und Ideologien ein sehr offenes Verhältnis. So sagt ein alevitisches Gedicht: Nachdem Hz.Ali im Gebet getötet wurde, haben sich die Aleviten nicht getraut zu beten.

Adımız miskindir bizim
Düşmanımız kindir bizim
Biz kimseye kin tutmayız
Kamu alem birdir bizim.
Sie nennen uns Ergebende,
Unser Feind ist der Hass
Wir hassen niemanden
Alle sehen wir gleich und eins.
geschrieben von Yunus Emre

Der Alevitische Glaubensdienst: "Cem"

Die Aleviten beten nicht in einer Moschee, sondern treffen sich zu Kulthandlungen, genannt Cem, in einem Cemevi (Versammlungshaus) zur Rezitation von Gedichten und zum rituellen Tanz (Semah). Dieser wird von Frauen und Männern gleichzeitig ausgeführt und dabei vom Dede (»Großvater«) oder von der Ana (»Großmutter«) beaufsichtigt. Dedes und Anas sind Personen, die sich mit den alevitischen Ritualen und Traditionen sehr gut auskennen, und daher hohes Ansehen unter den Aleviten genießen. Während der Cem in den dörflichen alevitischen Gemeinschaften vor der zunehmenden Abwanderung weiter Teile der alevitischen Bevölkerung Ostanatoliens unregelmäßig stattfand, nämlich immer dann, wenn ein Dede ins Dorf kam, erlebte das alevitische Kongregationsritual im Zuge der zunehmenden Urbanisierung des Alevitentums, die sich seit mehreren Jahrzehnten beschleunigt vollzieht, eine gewisse Umgestaltung, die von manchen Beobachtern zum Teil auch mit einer Sunnitisierung des Alevitentums in Verbindung gebracht wird: Der Cem wird nun in von alevitischen Vereinigungen und Kulturvereinen zur Verfügung gestellten Versammlungshäusern in regelmäßigen, oftmals wöchentlichen Zyklen abgehalten; aus den Dörfern mitgebrachte heterogene Ritualelemente werden dabei vereinheitlicht. Auf diesem Wege ist der Cem in den letzten Jahren zu einem prominenten Mittel der bewussten Neubestimmung der alevitischen Identität in der Türkei geworden, die sich seit dem Militärputsch von 1980, in dessen Folgezeit ein gewisses Wiedererstarken sunnitischer politisch-religiöser Kräfte verzeichnet werden konnte, in einem konstanten Prozess der kulturellen, religiösen und geschichtlichen Wiederentdeckung und Neuverortung befindet.

Der Semah symbolisiert das Universum (Evren) mit den Planeten des Sonnensystems und der Galaxie. Er wird daher im Kreis getanzt, wobei die Semah-Tänzer sich wie Planeten sowohl um sich selbst, als auch um die Kreismitte drehen. Seit dem 12. Jahrhundert, eventuell auch schon früher, diente dieser heilige Tanz zur geistigen Annäherung an Allah. Darum sollte er nach alevitischer Auffassung nicht öffentlich vorgeführt werden.

Die Verschleierung der Frau ist bei Aleviten nicht vorgeschrieben. In ihrer Lehre sind Frauen und Männer absolut gleichgestellt, in der Praxis zeigt sich dies jedoch nicht überall. Dies hat aber weniger mit der alevitischen Religion als vielmehr mit den gesellschaftlichen Wertvorstellungen von Aleviten und Türken bzw. Türkischstämmigen insgesamt zu tun, die tendenziell in einer traditionell patriarchalen Gesellschaft aufwachsen.

Aleviten und Alawiten

Die Aleviten werden oft mit den Alawiten verwechselt, die nach ihrem Gründer auch Nusairier genannt werden. Erstere leben hauptsächlich in der Türkei, Letztere dagegen hauptsächlich in der ehemaligen Republik Hatay (heutige türkische Provinz Hatay), Syrien oder im Libanon. Ihre Kultur, Sprache, Traditionen und Ansichten zum Islam sind verschieden, aber vergleichbar.

Gemeinsam ist ihnen die besondere Verehrung von Ali ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn Muhammeds. Dieser Gemeinsamkeit verdanken sie auch die ähnlichen Namen. Ali wird im Alevitentum mit dem Löwen assoziert. Ein Sprichwort lautet: »Ali ist der Löwe Gottes«. Er ist das Symbol für Gerechtigkeit und Güte, also Eigenschaften Gottes, denen ein Alevit besonders nacheifert.

Vorschriften

Die Alevitische Glaubenslehre basiert auf der Entscheidungs- und Glaubensfreiheit des Menschen. Niemand hat eine Verpflichtung, etwas tun oder glauben zu müssen.

Die Grundpfeiler der alevitischen Vorschriften sind in diesem einen Satz eline beline diline öfkene ve nefsine sahip ol vereint. Er besagt Folgendes:

  • eline sahip ol: Beherrsche deine Hände. Das steht für »gute Taten«, also: Stehle nicht, tue nichts Falsches…
  • beline sahip ol: Beherrsche deine Lende. Das steht für starke Persönlichkeit, also: Habe Rückgrat, beuge dich nicht vor Ungerechtigkeit…
  • diline sahip ol: Beherrsche deine Zunge. Das heißt: Lüge nicht, führe niemanden in Versuchung, auf den Irrweg…

Das Verbot des Tötens, des Diebstahls, der Verleumdung und des Ehebruchs gelten für Aleviten gegenüber allen Menschen. Damit wollen sie die Menschlichkeit und das Zusammenleben aller Menschen fördern. Hinzu kommen alltägliche Vorschriften der Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und weitere. Jede Alevitin und jeder Alevit sollte diese Vorschriften anwenden.

Vier Tore, Vierzig Pforten

Das erste Tor ist die Annahme der Gesetze und Pflichten der Gemeinschaft, in der man lebt. Das zweite Tor ist die Kenntnis der individuellen "Rechte" und Ansprüche, die man selber hat und stellt; D.h. was "will" ich, was "gehört" mir. Das dritte Tor ist die Erkenntnis über den "anderen"; D.h. was "will" der andere, was "gehört" dem anderen. Das Erreichen des vierten Tores setzt die Beschäftigung mit den Rechten und Pflichten der "Gemeinschaft" voraus. Ab diesem Tor hat das jeweilige Individuum das Recht und die Möglichkeit, die Pflichten und Rechte der Gemeinschaft aus "Tor 1" mitzugestalten; Was die weitere Entwicklung und Modernisierung des ersten Tores sichert.

Geschichte

Das Alevitentum entstand im 13. Jahrhundert aus der Verschmelzung der Schia in Gestalt der Verehrung von Ali ibn Abi Talib mit dem alttürkischen Kam (entspricht grob dem sibirischen Schamanismus), der altpersischen und altkurdischen Religion Zoroastrianismus (Zarathustra), sowie der mystischen Interpretation des Koran. Diese Entwicklung wird vor allem auf Haci Bektas-i Veli und weitere Geistliche zurückgeführt. Auffällig sind auch Gemeinsamkeiten der Glaubenslehre mit den sozialen und religiösen Vorstellungen der Paulikianer, die bis Ende des 9. Jahrhunderts das Christentum in Zentralanatolien geprägt hatten. Haci Bektas-i Veli ist der Lehrmeister von Schemsi Tebris, welcher wiederrum der Lehrmeister des Mevlana Rumi, begründer des modernen Sufismus ist.

An manchen Stellen des Alevitischen Glaubensdienstes, dem Cem, kann man Elemente des christlichen Abendmahls wiederentdecken. Aleviten entwickelten auch ein Modell der Trinität in Gestalt von Allah, Muhammed und Ali.

Unter den Osmanen wurden die Aleviten aus Unkenntnis über ihren Glauben als Häretiker verfolgt. Im 16. Jahrhundert führte der aus dem Yemen stammenden Dichter Pir Sultan Abdal alevitische Aufstände für Gerechtigkeit und Glaubensfreiheit gegen die Osmanen an. Diese schlugen die Aufstände blutig nieder. Pir Sultan Abdal wurde gehängt, doch sein Mut und seine Tapferkeit werden bis heute gerühmt und Aleviten eifern ihm darin nach.

Wegen der Unterdrückung und bedrohten Lage der Aleviten unter anderen Muslimen kam es im Laufe der Zeit immer wieder zu blutigen Aufständen. Erst seit der Gründung der modernen Türkei genießen sie eine teilweise Glaubensfreiheit. Doch auch vom türkischen Staat sind sie bis heute nicht als religiöse Minderheit anerkannt (da sie ja wie oben erwähnt als Muslime zählen, siehe "Aktuelle Lage"). Gegenwärtig haben sie sich aber in den Mittelschichten etabliert.


Politische Haltung

Aleviten stehen grundsätzlich loyal zur türkischen Republik. Sie wählen größtenteils die Republikanische Volkspartei und keine islamischen Parteien. Diese Loyalität ist historisch darin begründet, dass Aleviten erst seit der Gründung der Türkei ihren Glauben relativ ungestört vom Staat ausüben durften. Bis dahin wurden sie stets verfolgt. Überdurchschnittlich viele Aleviten sind jedoch auch dem politisch linken Spektrum zuzuordnen.

Die aktuelle Lage der Aleviten in der Türkei

Die Situation der Aleviten ist auch gegenwärtig von starken Spannungen mit den viel konservativeren Sunniten bestimmt. Zwar dürfen die traditionellen alevitischen Feste inzwischen in der Türkei offen gefeiert werden, allerdings offiziell nicht als religiöse, sondern lediglich als Folkloreveranstaltungen. Dies ist in der recht speziellen Form der Trennung von Staat und Kirche in der kemalistischen Türkei begründet.

Diese Herabsetzung von Ritualen wie dem „Cem“, die für den alevitischen Glauben zentral sind, wird von Aleviten als Diskriminierung empfunden. Denn trotz der staatlichen Religionsfreiheit in der Türkei gab und gibt es dort starken Druck auf ihre Anhänger, sich dem sunnitischen Islam zuzuwenden oder ihren Glauben zumindest nicht offen auszuleben. So kam es zum Beispiel 1978 in den Städten Çorum und Kahramanmaraş zu anti-alevitischen Pogromen. 1993 wurden nach einem alevitischen Kulturfestival in Sivas 37 Aleviten durch einen Brandanschlag auf ihr Hotel ermordet. Das Hauptziel des Anschlages war Aziz Nesin. Diese Massenmorde und Massaker an Aleviten geschahen mit Duldung der staatlichen Organe. Sie haben ein gewolltes Klima geschaffen, in dem Aleviten sich gezwungen sehen könnten, das Alevitentum zu verheimlichen oder dem sunnitischen Islam zu folgen.

Hinzu kommt eine erzwungene „Sunnitisierung“ von traditionell alevitischen Siedlungsgebieten. Selbst in mehrheitlich alevitischen Dörfern wurden auf Kosten der dortigen alevitischen Steuerzahler sunnitische Moscheen gebaut. Dies zeigt, dass die Aleviten bis heute von anderen Muslimen nicht als eigenständige und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft anerkannt werden.

Die Europäische Kommission hat die Diskriminierung der Aleviten in der Türkei im Rahmen von deren Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union mehrfach kritisiert: zuletzt in der „Empfehlung zu den Fortschritten der Türkei auf dem Weg zum Beitritt“ vom 4. Oktober 2004. Ein Beitritt der Türkei zur EU ohne Anerkennung der Aleviten als muslimische Minderheit ist aufgrund der alle EU-Staaten verpflichtenden Religionsfreiheit daher undenkbar.

Aleviten in Deutschland

Der prozentuale Anteil der Aleviten an den aus der Türkei stammenden Menschen in Deutschland ist höher als der Anteil der Aleviten an der türkischen Bevölkerung. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass türkische Einwanderer zu einem großen Anteil aus Gebieten in der Türkei kamen, die hauptsächlich von Aleviten bewohnt waren. Andererseits erfolgte in den 80er Jahren eine verstärkte Einwanderung als Asylsuchende, da die meisten Aleviten vor dem Militärputsch auf der Seite der Opposition standen.

Obwohl die Aleviten in Deutschland eine recht homogene Gruppe bilden, kann man doch zumindest drei "Richtungen" erkennen. Die Gruppe der "modernen Aleviten" (die größte Gruppe) sieht das Alevitentum als eigenständige Religion. Dieser Gruppe ist bewusst, dass das Alevitentum nicht so wie vor mehreren Jahrzehnten in türkischen Dörfern praktiziert werden kann. Statt einer Isolierung vertreten diese Aleviten die Öffnung hin zur Gesellschaft, beispielsweise durch die Forderung, die alevitische Religion gesetzlich anzuerkennen und eigenen Religionsunterricht erteilen zu dürfen. Nach dieser Ansicht ist das Alevitentum eine Religion unter vielen in einer multireligiösen Gesellschaft und es ist deswegen auch selbstverständlich, dass Menschen dem Alevitentum beitreten können.

Eine kleinere Gruppe von Aleviten sieht sich in erster Linie als Muslime und nicht als Aleviten. Sie versuchen deswegen auch eine Annäherung an die Sunniten zu erreichen, in dem sie z.B. neben dem Cem-Gottesdienst auch das sunnitische Gebet in einer Moschee verrichten. Gleichzeitig will diese Gruppe aber das ursprüngliche Alevitentum bewahren, und lehnt jede "Modernisierung" ab.

Eine dritte, die kleinste Gruppe, beharrt wie die erste Gruppe auf den Unterschieden zwischen Sunniten und Aleviten. Sie lehnen allerdings jegliche Veränderung ab, und wollen das Alevitentum auf dem Stand von vor einem halben Jahrhundert bewahren. So lehnen sie einen Beitritt zur sunnitischen Gemeinschaft ab und wollen das Alevitentum nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen, sondern weiter als eine Art "Geheimlehre" praktizieren. Erklären lässt sich dies durch die Erfahrung der Unterdrückung und Verfolgung durch Sunniten.

Allerdings stimmen diese Gruppen in den wesentlichen Punkten überein, so dass eine Spaltung der Aleviten sehr unwahrscheinlich ist. Vielmehr ist zu erkennen, dass zumindest die dritte Gruppe langfristig nicht weiter existieren wird, da deren Ansicht fast nur von älteren Aleviten vertreten wird. Alevitische Jugendliche in Deutschland haben normalerweise keine Unterdrückung durch Sunniten erleben müssen, so dass sie das Alevitentum selbstbewusst und offensiv nach außen im Sinne der ersten Gruppe vertreten.

Es ist festzustellen, dass die Aleviten in Deutschland einen für Aleviten (und Moslems) sehr hohen Grad an Organisierung (z.B. durch Gründung von Verbänden und Gemeinden) erlangt haben. So wurde z.B. das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten im Jahr 2002 durch den Berliner Senat als Religionsgemeinschaft anerkannt und erhielt dadurch die Möglichkeit, alevitischen Religionsunterricht in den Berliner Grundschulen zu erteilen. Ziel der AABF (der Vereinigung der Aleviten in Deutschland) ist es, alevitischen Religionsunterricht auf Deutsch(!) in weiteren Bundesländern abhalten zu dürfen.

Die Bedeutung der Musik im Alevitentum

Die Musik hat eine hohe Bedeutung bei den Aleviten. Sie gibt Lebensfreude und spendet Trost in Zeiten der Not. Mit der Musik wird das Leid im Leben erträglicher. Vor allem melancholische Lieder bringen die Menschen zum Nachdenken und nehmen gar die Form einer Muse an, um der Kreativität auf die Sprünge zu helfen.

Mit der Musik kann auch Althergebrachtes kritisiert und provoziert werden. Anatolische Volksmusik ist identitätsstiftend für den einzelnen Aleviten, und stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander.

Die Musik hat im Alevitentum eine überaus wichtige Funktion. Eine Cem-Zeremonie ohne Musik ist heute unvorstellbar und ist für die Ausübung der religiösen Pflichten unverzichtbar, z.B. der Semah-Tanz. Für viele Aleviten ist das Instrument „Saz“ wie eine göttliche Offenbarung. Ohne dieses Instrument hätte das Alevitentum womöglich eine fundamental andere Entwicklung eingeschlagen.

Mit der Musik wird das Individuum mit der göttlichen Kraft eins. Nicht nur die „Dedes“ (alevitische Geistliche) inspirieren ihre Gemeinde, sondern ebenso der „Asik“ (auch Zakir genannt) und „Ozan“ (Volksmusiker). Mit ihren teils religiösen Textinhalten und Klängen über Ali, Schah Ismail, Pir Sultan Abdal etc. drücken sie ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt aus, teilen mit anderen das Leid, die durch die Unterdrückung und Benachteiligung durch die Staatsmacht erleiden mussten und müssen, und konnten den alevitischen Glauben an die nächste Generation weiter vermitteln.

Viele dieser Lieder scheinen die Sorgen der Aleviten wider zu spiegeln. In dem Augenblick des Zuhörens vereinen sich Mensch und Musik. Gerne hören sich ältere Aleviten im geselligen Kreis die traurigsten und herzschmerzenden Lieder an, während die Tränen an der Wange entlang kullern. Dieses kollektive Trauern ist eine typisch alevitische Bewältigung ihrer Situation.

Der „Asik“ (Liebesliedersänger) von heute singt und spielt mit seinem Instrument „Saz“ nicht mehr wie früher auf dem Dorfplatz, sondern ist vielmehr in Musikcafes anzutreffen. Es ist die alevitische Musik, die die Gemeinschaft im groben zusammen hält, ihr ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt und dem Individuum bei der Identitätsbildung stützt. Die Musik verleiht dem Alevitentum das gewisse Mystische, in der viele Aleviten ihre Kraft schöpfen.

Persönlichkeiten

Die hier aufgelisteten Personen vertreten den Alevitischen Glauben. Nicht alle wurden aber Aleviten genannt. Denn obwohl das Alevitentum genauso alt ist wie das Sunnitentum, wurde erst ab dem 13. Jahrhundert diese Benennung eingeführt.

Alevitische Heilige, Geistliche und Führer

Ein Dede oder Baba ist ein geistlicher Ältester, beides sind Vorbilder für die gesamte Gemeinschaft.

weitere angesehene, politische Persönlichkeiten:

Alevitische Dichter und Musiker

Das Wort 'Aşık' bedeutet übersetzt 'Liebender' (Verliebter), es zeigt das diese Person verliebt ist in Gott, seine Religion, die Menschen und seine Musik. Musik der Aleviten**Deyisler

  • Aşık Ali Izzet Özkan (1902 - 1981) - über 500 Gedichte, viele davon veröffentlicht in Büchern
  • Aşıki (1763- 1821/1824) - echter Name Ahmet, über 73 Gedichte
  • Aşık Ali Nurşani (geb. 2/2/1959) - 500 Gedichte, davon 120 in Lieder umgesetzt
  • Aşık Ömer (17. Jhdt.) - einer der bedeutendsten Namen dieser Zeit

Siehe auch

Alawiten, Drusen, Buyruk

Literatur

  • John Kingsley Birge: The Bektashi order of dervishes, London and Hartford, 1937 (out of print)
  • Irène Mélikoff, Hadji Bektach: Un mythe et ses avatars. Genèse et évolution du soufisme populaire en Turquie., Leiden, 1998 [Islamic History and Civilization, Studies and Texts, volume 20], ISBN 9004109544
  • Karin Vorhoff: Zwischen Glaube, Nation und neuer Gemeinschaft: Alevitische Identität in der Türkei der Gegenwart, Berlin, 1995
  • John Shindeldecker: Türkische Aleviten Heute, Verlag: Şahkulu Sultan Külliyesi Vakfi, 2001, ISBN 9759444119