Zum Inhalt springen

Hospitalismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. Dezember 2005 um 16:05 Uhr durch Fullhouse (Diskussion | Beiträge) (revert). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Unter dem Hospitalismus versteht man insbesondere alle negativen Begleitfolgen eines längeren Krankenhaus- oder Heimaufenthalts. Es gibt zwei Arten des Hospitalismus.

Infektiöser Hospitalismus

Unter den Bedingungen, die die moderne Medizin schafft, können sich in "geeigneter Umgebung" Keime entwickeln, die gegen nahezu sämtliche Antibiotika resistent sind.

Unter der "geeigneten Umgebung" kann man die Intensivstationen einordnen, aber auch die Operationssäle. In diesen Bereichen werden laufend alle möglichen Infektionen mit Antibiotika behandelt. Die diese Infektionen verursachenden Keime werden einem Selektionsdruck ausgesetzt, der eine ausgedehnte, breite Resistenz gegen sämtliche eingesetzten Antibiotika begünstigt. Zudem kann es noch zu Kreuzresistenzen kommen, wenn Resistenzgene von einer Bakterienart auf eine andere übertragen werden. Das kann soweit reichen, daß in selbst unserer Zeit manche Infektionen nicht mehr zu beherrschen sind und bei schweren Fällen, wie in der Zeit vor 1945, amputiert werden muss.

Symptome

  • erhöhte Sterblichkeit bei Langzeitpatienten in Krankenhäusern und Altenheimen,
  • Blasen- und Nierenentzündung infolge Dauerkatheter,
  • Infektionen und Todesfälle bei Operationen

nicht-infektiöser Hospitalismus

Unter Hospitalismus kann man auch verschiedene, nicht mit bakteriellen Ursachen in Verbindung stehende schwerwiegende Probleme bei der Krankenpflege einordnen.

  • Verabreichung von falschen Medikamenten , falsche Dosierung von Medikamenten,
  • offen herumliegende oder falsch verpackte Tabletten und daraus entstehende Gefahren
  • Dekubitus (Durchliegegeschwür) bei bettlägrigen Patienten, als dirktes Zeichen einer schlechten Krankenpflege
  • schlechte Ernährung in Heimen und Krankenhäusern (eintöniger Speiseplan, kaltes Essen, zu wenig Obst und Gemüse)
  • mangelhaft oder falsch durchgeführte Krankengymnastik, fehlende Therapieangebote, wenig Außenkontakte, oftmals wenig Verbindung zu Familie und Angehörigen, wenig Freizeitangebote
  • freiheitsentziehende Maßnahmen, z. B. Einsperren, Fesseln, Fixieren, Psychopharmaka zur Ruhigstellung.

Ein besonderes Problem in der Kinder-, Alten- und Krankenpflege sind körperliche Vernachlässigungen (zum Beispiel Liegenlassen in Kot und Urin) durch hilfloses oder überfordertes Personal. Unter anderem auch daher kann es zu den genannten Erscheinungen wie Wunden oder Geschwüren bei den Betroffenen kommen.

Psychischer Hospitalismus

Psychischer Hospitalismus wird auch als Hospitalismus-Syndrom, Hospitalschaden, Deprivationssyndrom, anaklitische Depression oder Deprivation bezeichnet.

Er äußert sich durch Entwicklungsverzögerungen und Entwicklungsstörungen bei längerem Krankenhaus- oder Heimaufenthalt infolge unpersönlicher Betreuung und mangelhafter individueller Zuwendung. Durch die Einweisung in ein Heim, die lieblose Betreuung zu Hause, die Trennung der Eltern oder gar Kindesmisshandlung kommt es oft zu einer ängstlich-widerstrebenden oder einer ängstlich-vermeidenden Bindung des Kindes an die ErzieherIn. Das Urvertrauen der Kinder wird frühzeitig wieder zerstört. Psychischer Hospitalismus kommt häufig in Krankenhäusern, Kinder- und Jugendheimen und auch in manchen Familien vor, wenn die Kinder "wie am Fließband" und unter Zeitdruck "abgefertigt" werden, dass heißt, nicht ausreichend Zuwendung kriegen. - Walter Züblin sprach in seinem Buch "Das schwierige Kind" 1971 von "verblödeten Autisten" und "unansprechbaren Idioten", was zeigt, dass der Autor vermutlich über wenig Erfahrungen mit Betroffenen verfügt.

Mit dem psychischen Hospitalismus verwandt ist die Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen; sie werden sich selbst überlassen. Früher hat man den Hospitalismus daher auch als Frühverwahrlosung bezeichnet.

Ähnliche Erscheinungen kommen auch bei Erwachsenen in Krankenhäusern, Seniorenheimen und in der Psychiatrie vor, wenn sie lieblos betreut werden und von der übrigen Bevölkerung abgeschnitten sind.

Symptome und Beschwerden:

Ähnliche Störungen kommen auch bei Tieren vor. In einem Tierversuch hat man Küken isoliert in verschiedenen Käfigen gehalten und beobachtet. Nach einiger Zeit saßen sie in einer Ecke des Käfigs und starrten die Wand an. Bei Pferden im Stall kann man beobachten, dass sie sich teilweise hin- und herwiegen, wenn sie sich nicht wohlfühlen. Manche Zootiere, die lange Zeit in Gefangenschaft leben, neigen zu motorischer Unruhe (z. B. an der Wand hin und her rennen). Bei Eisbären,welche in de Natur viel Bewegung brauchen und im Zoo in dieser stark eingeschränkt sind, wurde beobachtet,dass diese den Kopf wie in Trance stark hin und her wiegen.

Folgen und Komplikationen

Die Folgen von infektiösem Hospitalismus sind gravierend. Gerade alte, geschwächte oder chronisch kranke Menschen, auch Leute mit Dauerkatheter oder frisch Operierte, infizieren sich mit Krankheitserregern. Auch die Nachlässigkeit und die mangelnde Desinfektion der Räume und der medizinischen Geräte sowie die persönliche Hygiene sind ein großes Problem in Krankenhäusern und Arztpraxen und können zu gefährlichen Infektionen führen.

Die Folgen von psychischen Hospitalismus (Deprivation, Deprivationssyndrom, anaklitische Depression) sind erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Es kommt zu psycho-affektiven Störungen, also zu Verzögerungen und Veränderungen im Antrieb, in der Wahrnehmung und im Fühlen und Denken. Die Kinder retardieren und/oder entwickeln später zum Beispiel eine Bindungsstörung (ICD-10 F94) oder eine Anpassungsstörung (ICD-10 F43). Langzeitpatienten in Krankenhäusern, Altenheimen und Anstalten können regredieren und beispielsweise von einer Depression (ICD-10 F32) betroffen sein.

Vorbeugung

Genaue Beachtung der Hygienevorschriften in Krankenhäusern und Arztpraxen, Dauerkatheter nicht länger als nötig, häufige Händedesinfektion, Reinhaltung der Kleidung, Desinfektion des medizinischen Gerätes, Medizinbehälter nicht offen stehen lassen, Medikamente nicht länger als nötig anwenden (Resistenzbildung!), peinliche Sauberkeit bei und nach Operationen.

Mittlerweile ermöglicht man Hautkontakt zwischen Mutter und Kind im Krankenhaus (so genanntes Bonding. Waisenkinder werden vorzugsweise in besonders ausgewählten Pflegefamilien untergebracht. Für körperlich, geistig oder seelisch behinderte Menschen gibt es das Betreute Wohnen. Es gibt Besuchsdienste, die sich um alte und kranke Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen kümmern.

Differentialdiagnose

Es gibt auch andere Störungen mit ähnlichen Symptomen, z. B. der frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom, manche Arten der Depression, die schizoide Persönlichkeitsstörung und bestimmte Formen der Schizophrenie. Ähnliches Verhalten kann auch bei ständiger Kindesmisshandlung vorkommen. Auch die geistige Behinderung ist vom Hospitalismus abzugrenzen, kann allerdings in Kombination auftreten.

Ausblick

  • Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen führen dazu, dass die in der medizinischen Versogung anfallende Arbeit von immer weniger Leuten geleistet werden muss. Qualifiziertes Pesonal ist teurer als angelernte Hilfskräfte. Das kann dazu führen, dass die Komplikationen im Bereich der Krankenpflege noch zunehmen werden.
  • Wieweit sich dieses Problem durch verschärfte Kontrollen des medizinischen Dienstes der Krankenkassen in den Griff bekommen läßt, sei dahingestellt. Kommen Mängel in der Qualität der geleisteten Arbeit durch Überlastung und Überforderung zustande, sind vermehrte Kontrollen kaum geeignet, diese Qualität zu verbessern.
  • Im Vertrauen auf die Wirksamkeit der zur Verfügung stehenden Antibiotika werden Maßnahmen zu allgemeinen Hygiene in Arztpraxen, Pflegeheimen und Krankenhäusern oft lasch gehandhabt.
  • Ein Lichtblick in der Betreuung alter und kranker Menschen sind Einrichtungen des Betreuten Wohnens, die Hospizbewegung für pflegebedürftige Leute, die ambulante Pflege und integrative Therapieprogramme wie in Geel.

Siehe auch

Vorlage:Wiktionary1 Pagodenwackeln, Kopfwackeln, Anpassungsstörung, Belastungsstörung, Bindungsstörung, Rooming in, Heimkritik, Ambulante Pflege