Welle-Teilchen-Dualismus
Welle-Teilchen-Dualismus ist ein Begriff aus der Quantenphysik. Er bezeichnet die Feststellung, dass einem beliebigen physikalischen System gleichermaßen die klassischen Eigenschaften von Wellen wie die von Teilchen zugeschrieben werden müssen:
- Klassische Wellen breiten sich im Raum aus, verstärken bzw. schwächen sich durch Überlagerung gegenseitig und können gleichzeitig an verschiedenen Stellen mit verschiedener Stärke einwirken.
- Klassische Teilchen können nur an einem bestimmten Ort anwesend sein und nur dort mit der gesamten Energie, Ladung, Impuls etc. einwirken.

Das gemeinsame Vorliegen beider Aspekte steht im Gegensatz zur Anschauung, ist aber durch Schlüsselexperimente sowohl an ein einzelnen, punktförmigen Teilchen wie auch an elektromagnetischen Wellen belegt. Die Frage, ob es sich beispielsweise bei einem Elektron oder einem Lichtquant „wirklich“ um ein Teilchen oder eine Welle im Sinne der üblichen Anschauung handelt, ist demnach nicht zu beantworten; es handelt sich beidesmal vielmehr um eine andere, eigene Klasse von Objekten. Die Quantenmechanik löst dies Problem nach der Kopenhagener Deutung (1927) und dem dort formulierten Komplementaritätsprinzip dahingehend, dass je nach durchgeführtem Experiment entweder nur die Wellen- oder nur die Teilcheneigenschaft in Erscheinung tritt, nie beide gleichzeitig. Die moderne Quantenfeldtheorie geht von je einem Wellenfeld für jedes fundamentale Teilchen aus und modelliert die Wechselwirkungen zwischen den Feldern in „gequantelter“ Weise so, dass sie den Teilchencharakter zeigen.
Historische Anfänge
Auf die Frage, ob Licht aus Teilchen oder Wellen besteht, hat man im Laufe der Jahre unterschiedliche Antworten gegeben:
- Huygens (1629-1695) gilt als Begründer der Wellenoptik, konnte seine Annahmen allerdings nicht experimentell beweisen. Sein huygenssches Prinzip wird heute noch unverändert angewendet.
- Newton entwickelte (ebenfalls im 17. Jahrhundert) die geometrische Optik unter der Annahme, das Licht bestehe aus Teilchen (Korpuskeltheorie). Im Streit mit Huygens, ob denn nun dessen Wellentheorie (Wellenoptik) oder die Korpuskeltheorie richtig sei, siegte Newton dank seiner größeren Autorität.
- 1802 zeigte Young experimentell mit dem Doppelspaltexperiment, dass Licht sich durch Interferenz auslöschen lässt. Das wurde als eindeutiges Indiz für dessen Wellencharakter interpretiert. Polarisierbarkeit sowie Vorhersage und Nachweis des Poisson-Flecks sorgten zusammen mit der Formulierung der Maxwellgleichungen Ende des 19. Jahrhunderts dafür, dass die Wellennatur des Lichtes allgemein anerkannt wurde.
- Die Entdeckung und Untersuchung des photoelektrischen Effektes im gleichen Zeitraum zeigte, dass sich dieser Effekt sicher nicht mit Lichtwellen erklären lässt. Die Erklärung durch Einstein im Jahr 1905 beruht auf der Annahme von Lichtteilchen und war nach Plancks Entdeckung seines Wirkungsquantums im Jahre 1900 der zweite Startpunkt der Quantenmechanik.
Einstein und die Photonen (Lichtquanten)
Im Jahre 1905 postulierte Albert Einstein zur Erklärung des Photoeffektes wiederum, dass das Licht aus Lichtquanten (Photonen) bestehe. Dabei bezog er sich auf Arbeiten von Planck zum Hohlraumstrahler aus dem Jahr 1900, in denen dieser erstmals eine Quantisierung von Energiewerten des harmonischen Oszillators annahm. Dies geschah zunächst rein aus mathematischen Erwägungen. Das Photon stellt eine einzelne, also „diskrete“, Energieportion E dar. Licht kann Energie nur in ganzzahligen Vielfachen dieser Menge aufnehmen oder abgeben. Die Energie eines Photons ergab sich aus Plancks Untersuchungen zu
wobei das plancksche Wirkungsquantum, die Frequenz, die Lichtgeschwindigkeit und die Wellenlänge des Photons sind.
Diese Beziehung gilt auch für mechanische Wellen, wie etwa für Gitterschwingungen in einem Festkörper.
De Broglie und der Wellencharakter von Teilchen
Louis de Broglie postulierte im Jahre 1924, dass auch massebehaftete Teilchen einen Wellencharakter besitzen. Er gab für ein Teilchen mit dem Impuls p eine Wellenlänge von
an.
Mit Hilfe von de Broglies Formel kann ein Beugungsverhalten von Teilchen vorhergesagt werden, welches 1927 experimentell durch Beugung eines Elektronenstrahls an einem Nickel-Kristall durch Davisson und Germer und schließlich durch das Elektronen-Doppelspaltexperiment von Claus Jönsson im Jahre 1961 bestätigt wurde. Der Wellencharakter der Materie ist heute auch für weitaus größere Teilchen, beispielsweise komplexe Moleküle wie Fullerene, nachgewiesen.
Auflösung des Welle-Teilchen-Dualismus in der Quantenmechanik
Jedes Teilchen wird in der Quantenmechanik durch eine Wellenfunktion beschrieben. Die Wellenfunktion eines Teilchens ist komplexwertig und somit keine Messgröße. Lediglich ihr Betragsquadrat kann als Aufenthaltswahrscheinlichkeit (genauer: als Volumendichte der Aufenthaltswahrscheinlichkeit) des Teilchens gedeutet und im Experiment bestimmt werden. Die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion des Teilchens und somit die Veränderung seiner Aufenthaltswahrscheinlichkeit wird durch die Schrödingergleichung beschrieben.
Quantenmechanik und statistische Physik
Im mikroskopischen Bereich dient der Welle-Teilchen-Dualismus als heuristische Erklärung für einige physikalische Phänomene. So hängt nach de Broglie die Wellenlänge eines Teilchens von seiner Geschwindigkeit und somit auch von seiner Temperatur ab. Bei niedrigen Temperaturen können die De-Broglie-Wellenlängen von Atomen größer werden als der Atomdurchmesser und sich überlappen, wodurch teilweise die Effekte der Suprafluidität von Helium-3 und Helium-4 erklärt werden können. Für eine vollständige und quantitative Behandlung dieser Themen muss jedoch die Quantenmechanik herangezogen werden.
Makroskopische Betrachtung
Der Wellencharakter der Teilchen zeigt sich nicht bei makroskopischen Gegenständen, was zwei prinzipielle Ursachen hat:
- Selbst bei langsamer Bewegung haben makroskopische Gegenstände aufgrund ihrer großen Masse eine Wellenlänge, die erheblich kleiner ist als die Abmessungen des Gegenstandes. In diesem Fall kann man nicht mehr den gesamten Gegenstand als ein quantenmechanisches Objekt behandeln, sondern muss seine Bestandteile separat beschreiben.
- In makroskopischen Gegenständen laufen permanent thermodynamisch irreversible Prozesse ab und es werden Photonen (Wärmestrahlung) mit der Umgebung ausgetauscht. Beides führt zur Dekohärenz des Systems, was bedeutet, dass ein anfangs möglicherweise interferenzfähiger Zustand sich sehr schnell in einen nicht interferenzfähigen umwandelt, der sich dann wie ein klassisches Teilchen, also nicht wie eine Welle verhält.
Literatur
- Wilhelm Westphal, Wörterbuch der Physik, Berlin – Göttingen – Heidelberg, 1952
- Karl Mütze (Herausgeber), ABC der Optik, Leipzig 1961
Siehe auch: Thermische Wellenlänge