Sputnikschock

westliche Reaktionen auf den sowjetischen Satelliten Sputnik
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Sputnikschock nennt man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA und Westeuropa auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 (Ortszeit: 2:50 Uhr, 5. Oktober) durch die Sowjetunion. Sputnik machte im Zeichen des Kalten Krieges schlagartig deutlich, dass die Sowjetunion im Hinblick auf die weitere Entwicklung ihrer Raumfahrt technologisch den USA überlegen oder mindestens ebenbürtig war. Mit der Rakete R-7 – dem Trägersystem des Sputnik – war die Sowjetunion nunmehr in der Lage, das Territorium der USA mit nuklear bestückten Interkontinentalraketen zu erreichen.

Sowjetische Briefmarke zeigt die erste Erdumkreisung durch Sputnik

Auswirkungen

Diese technische Leistung stellte den bis dahin sicher geglaubten Überlegenheitsanspruch des Westens in Frage. Ursachen des westlichen „Nachhinkens“ wurden selbstkritisch vor allem im Bildungssystem gefunden. Die Reproduktion der herrschenden Verhältnisse in der Schule schloss nach Ansicht von Experten zu viele Menschen von einer Beteiligung am gesellschaftlichen Fortschritt aus.

Ein Programm zur Stärkung der Kooperation und zur Vernetzung der Kommunikation war die Advanced Research Projects Agency (ARPA), eine Abteilung des Pentagon, aus der das ARPANET hervorging, ein Vorläufer des heutigen Internet.

Eine unmittelbare Folge des Sputnikschocks waren verstärkte Anstrengungen der USA, beim Wettlauf ins All technologische Überlegenheit zu erlangen. Er beschleunigte die westlichen Raketenprogramme (auch jenes der Briten, siehe Blue Streak) und führte zur Gründung der NASA, um das Raumfahrtprogramm zu straffen.

Die enorme Publizitätswirkung kam für die sowjetischen Machthaber selbst überraschend, wurde dann aber zielstrebig propagandistisch eingesetzt; aber auch weitere Mittel wurden freigegeben, um die Überlegenheit des Kommunismus zu demonstrieren. So wurde mit Juri Gagarin nur vier Jahre später der erste Mensch in den Weltraum geschossen.

Der Chemieingenieur, Ex-Marinefunker und private Weltraumforscher Heinz Kaminski (1921–2002) von der Sternwarte Bochum der Volkshochschule empfing in der Nacht zum 5. Oktober 1957 als erste und einzige westeuropäische Stelle die Funksignale aus dem Weltall und lieferte damit auch den Beleg für die Existenz von Sputnik. Aus der damaligen Bochumer Volkssternwarte entstand später das Institut für Weltraumforschung, heute Institut für Umwelt- und Zukunftsforschung (IUZ) oder auch „Kap Kaminski“ genannt, dessen Leiter dann bis 1999 Prof. Heinz Kaminski wurde.

Sputnik verhalf den Rüstungsindustrien beider Seiten zu neuen Rekordgeschäften. Ähnlich der angeblichen sogenannten Bomberlücke der USA gegenüber ihrem Kontrahenten wurde von der CIA eine Raketenlücke attestiert und damit das Wettrüsten nachhaltig propagandistisch unterfüttert. In Fachkreisen kam der erste Satellit dabei nicht einmal unerwartet, da er im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres angekündigt worden war.

Bildungspolitik der USA

Der Sputnikschock löste eine Krise in der Selbstwahrnehmung der US-Amerikaner aus. Diese waren in ihrem Selbstverständnis Einwohner der technologisch fortschrittlichsten Nation der Erde. In der öffentlichen Wahrnehmung waren dabei die Demokratie und der Kapitalismus natürliche Wettbewerbsvorteile, die eine natürliche technologische Überlegenheit begründeten. Die Tatsache, dass nun die kommunistische, planwirtschaftlich organisierte Sowjetunion den USA im Weltraum einen Schritt voraus war, schockierte die US-Amerikaner zutiefst. Als Folge davon erlangten Forderungen nach einer grundlegenden Reform des Bildungssystems schnell eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Es galt, die Sowjetunion bei dem bald daraufhin ausgerufenen Wettlauf ins All zu schlagen.

Der Sputnikschock führte daher zu einer umfassenden Reformierung des US-amerikanischen Bildungssystems. Besonders im naturwissenschaftlichen Bereich schien Nachholbedarf zu bestehen, da die Sowjetunion – laut Meldungen in US-amerikanischen Zeitschriften – die doppelte bis dreifache Anzahl an Ingenieuren ausbildete.

Daher wurde durch US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der in einer Rede der Bildungspolitik einen höheren Stellenwert als der Raketenproduktion gab, das Federal-aid-to-Education-Programm aufgelegt. Dieses Programm hatte ein Gesamtvolumen von 1,6 Milliarden Dollar. Diese flossen über einen Zeitraum von vier Jahren an zusätzlichen Bundesmitteln in das Bildungssystem.

Diese Mittel wurden verwendet um:

  1. das Jahresbudget der National Science Foundation auf 134 Millionen Dollar zu vervierfachen.
  2. 20.000 Stipendien zu vergeben.
  3. die Lehrerausbildung zu fördern.
  4. den Bau neuer Schulen zu bezahlen.

Mit diesen Maßnahmen wurde ein Hauptaugenmerk auf die Förderung der bislang bildungsfernen Schichten gelegt, die eine noch nicht aktivierte Bildungsreserve darstellten. Die Erschließung dieser Reserve wurde in den folgenden Jahren auch durch Maßnahmen der Frühpädagogik (Gründung von Vorschulen) und dem Einrichten eines Schulbusverkehrs gefördert. Durch ihn konnten auch Kinder aus abgelegenen Gegenden in zentral gelegene Schulen gelangen.

Als weitere Maßnahme wurde der Lehrplan an den Schulen neu gestaltet. Kurse, die sich vor allem mit der Haushaltsführung oder der konkreten Berufsausbildung befassten, wurden zugunsten von Fächern wie Mathematik, Physik und Chemie aus dem Lehrplan gestrichen.

Die Pläne von Eisenhower sahen aber ebenso eine Förderung geisteswissenschaftlicher Fächer wie der Politikwissenschaft, der Geschichtswissenschaften und der Sprachwissenschaften vor. Durch diese Förderung sollten weise Führer hervorgebracht werden, die die technologischen Errungenschaften zum Wohle des US-amerikanischen Volkes einsetzen können.

Unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson wurde zusätzlich:

  1. das Bildungsfernsehen eingeführt.
  2. inspiriert durch den Weinberg-Report Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken vernetzt, um einen besseren Zugang zu Bildung zu gewährleisten.
  3. das New-Math-Programm (s. Neue Mathematik) aufgelegt, welches die Kinder sehr früh mit abstrakter Mathematik in Berührung brachte.

Siehe auch

Literatur

  • Stephen E. Ambrose: Eisenhower Vol. 2 – The President 1952–1969. Allen & Unwin, London 1984, ISBN 0-04-923075-1 (englisch).
  • Paul Dickson: Sputnik – The shock of the century. Walker, New York, NY 2001, ISBN 0-8027-1365-3 (englisch).
  • Robert A. Divine: The Sputnik Challenge. New York 1993, ISBN 0-19-505008-8 (englisch).
  • Thomas Kellein: Sputnik-Schock und Mondlandung: künstlerische Grossprojekte von Yves Klein zu Christo, Hatje, Stuttgart 1989, ISBN 3-7757-0284-9.
  • Georg Picht: Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Walter, Olten / Freiburg im Breisgau 1964, 2. Auflage: dtv TB 349, München 1965 (ohne ISBN).
  • Igor J. Polianski, Matthias Schwartz (Hrsg.): Die Spur des Sputnik. Kulturhistorische Expeditionen ins kosmische Zeitalter. Campus, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-593-39042-0.
  • Deborah D. Stine: U.S. Civilian Space Policy Priorities: Reflections 50 Years After Sputnik. Congressional Research Service, Federation of American Scientists 2008 (englisch, online, PDF, 25 Seiten; 1,2 MB).