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Industrielleneingabe

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Die Industrielleneingabe war ein von bis zu zwanzig Vertretern der Industrie, der Hochfinanz und der Landwirtschaft unterzeichneter Brief, der am 19. November 1932 an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gerichtet wurde mit der Aufforderung, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.

Vorausgegangen waren zwei ähnliche Versuche, die Nazis durch Unterschriftenlisten an die Macht zu bringen, nämlich eine Eingabe der "Wirtschaftspolitischen Vereinigung Frankfurt" vom 27. Juli 1931 und eine Erklärung von 91 Professoren vom Juli 1932.

Die Idee zur Industrielleneingabe war im Keppler-Kreis entstanden. Am 11.November 1932 trafen sich Franz von Papen, Ewald Hecker, Hjalmar Schacht und Heinrich Himmler um über die Eingabe zu beraten. Franz von Papen trat, für die Eingabe, wie verabredet am 17. November 1932 mit seinem Kabinett zurück.

Unterzeichner waren:


Die führenden Montanindustriellen wie Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum ließen über Friedrich Reinhart an Hindenburg mitteilen, das sie "voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen, aber nicht zu unterzeichnen wünschen, da sie politisch nicht hervortreten wollen". Als Hindenburg Adolf Hitler, dann am 30.Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte, wollte er nach den Erinnerungen von Emil Helfferich die Eingabe unbedingt dabei haben. Ursprünglich sollten, noch mehr Unternehmer gewonnen werden, unter anderem Wilhelm Cuno, Karl Haniel, Robert Bosch und Carl Friedrich von Siemens.Auf dem in den Akten des Büros des Reichspräsidenten befindlichen Exemplar des Briefs fehlen die Unterschriften von Thyssen, Beckmann, Keyserlingk-Cammerau und Rohr-Manze, sie wurden nachgereicht.

Vorgeschichte

Nach dem gescheiterten Putsch-Versuch von 1923 beschloss Adolf Hitler die Macht auf legalem Wege zu erobern. In seinem Bestreben wandte er sich an die Großindustrie, denn er war der Meinung, dass er nicht ohne sie die Macht erobern könne. So erklärte er gegenüber dem Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP, Otto Wagener:

"Sie unterschätzen aber die politische Macht dieser Männer, Wagener, und der Wirtschaft überhaupt. Ich habe das Gefühl, dass wir zunächst nicht gegen sie die Willhelmstraße erobern werden."Vorlage:Ref

Dazu begann er 1926 bei den Großindustriellen zu werben. Im Mai 1927 schrieb die NSDAP einen Rundbrief an Großindustrielle, in ihm wurde die Industrie gebeten, Geld für den Kampf gegen den linken Terror zur Verfügung zu stellen Am 26. Februar 1926 sprach Hitler vor dem Hamburger Nationalklub . Am 18. Juni 1926 sprach er bereits vor 40 Ruhrindustriellen . Am 1. Dezember 1926 sprach er vor Industriellen in Königswinter, wenige Wochen später im Friedrich-Krupp-Saal in Essen . Am 27.April 1927 hielt er Vortrag vor 200 Wirtschaftsführern . Im August 1927 schrieb Hitler auf Wunsch Emil Kirdorfs die geheime Broschüre „Der Weg zum Wiederaufstieg“ die Kirdorf an andere Industrielle verteilt Am 26.Oktober 1927 referierte vor 14 Wirtschaftsführern im Hause Emil Kirdorfs Am 5. Dezember 1927 vor 600 Industriellen im Essener Kruppsaal . Und am 5.März 1928 hielt er Vortrag vor 670 Industriellen.

Daraufhin kam es zu großen Spenden von Großindustriellen an die NSDAP.Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen. Emil Kirdorf spendete der NSDAP 100.000 Reichsmark . Im Frühjahr 1932 spendete die Vereinigte Stahlwerke AG 500.000 Reichsmark an die NSDAP . Über den am 1.Januar 1931 gegründeten „Wirtschaftspolitischen Pressedienstes“ der NSDAP, den 60 Industrielle bezogen (u.a. Thyssen, Peter Klöckner, Krupp, Duisberg) flossen nach Aussage von Walther Funk in Nürnberg der NSDAP 2 Millionen Reichsmark aus der Industrie zu. Ebenfalls im Frühjahr 1932 spendete der Bergbau 100.000 Reichsmark an die NSDAP. Ende 1932 spendete die IG Farben 100.000 Reichsmark an die NSDAP. Der am 30.April 1932 gebildete Förderkreises Keppler spendete der NSDAP jährlich 1 Million Reichsmark.

Mitte 1931 trafen sich der Generaldirektor der Allianz Kurt Schmitt, der Bankier und Gutsbesitzer August von Fink, die Industriellen August Diehn, August Rosterg und Günther Quandt sowie vier weitere Industrielle mit Hitler im Hotel Kaiserhof und stellen der NSDAP im Falle eines Linksputsches 25 Millionen Reichsmark zur Verfügung. Hitler äußerte im Anschluß daran:

"Da erkennt man erst , was die Großwirtschaft für eine Macht besitzt. Denn diese Millionen sind Macht. Und wenn sie die Millionen uns zur Verfügung stellen, dann können sie sie nicht gleichzeitig einer anderen Partei oder Organisation zur Verfügung stellen. Also geben sie uns ihre Macht!"Vorlage:Ref

1932 und 1933 versuchten Teile der Industrie dann, Hindenburg zu überreden Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Bereits am 27.Juli 1931 sendete die Wirtschaftspolitische Vereinigung Frankfurt eine Eingabe an Hindenburg mit der Forderung die Regierung an die NSDAP zu übertragen Am 20.September 1932 schrieb der Verbindungsmann der NSDAP zur Industrie Heinrichsbauer an Gregor Strasser:

"dass sehr maßgebliche Herren des Reviers sich bei ausschlaggebenden Berliner Stellen sehr stark dafür eingesetzt haben, dass man Herrn Hitler das Reichskanzleramt übertrage" Vorlage:Ref

Im Herbst 1932 setzte sich Nationale Club in Hamburg und in Berlin sich für eine Hitlerregierung ein. Im November 1932 forderte Albert Vögler bereits öffentlich auf dem Eisenhüttentag ein Hitler-Kabinett. Schließlich erfolgte am 19. November 1932 die eine Eingabe Industrieller an Hindenburg mit der Aufforderung Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.

Einschätzung

In der marxistischen Forschung wird angenommen das die Eingabe ein voller Erfolg war und ein wichtiges Dokument zur Beantwortung der Frage ist, wieso Hitler an die Macht kam. Als Beleg werden auch die Memoiren von Emil Helfferich angeführt, in denen es heißt, dass Hindenburg am 30. Januar 1933 bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler diese Eingabe unbedingt dabei haben wollte. Diese wichtige Information fehtlt aber seltsamerweise in den Memoiren von Otto Meißner und allen anderen näherern Bekannten Hindenburgs.

In der neueren Forschung dagegen wird seit der Studie von Henry A. Turner die Eingabe für einen Misserfolg gehalten: Als Beleg wird u.a. ein Brief Schachts an Hitler angeführt, in dem er sich enttäuscht zeigte, dass nur so wenige und so wenig bedeutende Unternehmer hatten überzeugt werden können: Da die meisten Schwerindustriellen abgewunken hatten, witzelte Schacht, sei würden ihren Namen "deshalb mit Recht von ihrer Schwerfälligkeit" tragen. Tatsächlich war erwartet worden, noch viel mehr Unternehmer gewinnen zu können, unter anderem Wilhelm Cuno, Karl Haniel, Robert Bosch und Carl Friedrich von Siemens, die indes sämtlich abgelehnt hatten. Die oben erwähnte grundsätzliche Sympathie der führenden Mitglieder der Ruhrlade wird von Turner als schlichte Höflichkeit gedeutet, mit der sie ihr Nein kaschierten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die überwältigende Mehrheit der Großindustriellen die Eingabe nicht unterschrieben hat.

Ein Misserfolg war in dieser Interpretation auch die Terminierung der Eingabe: Weil Reichskanzler Franz von Papen am 17. November 1932 seinen Rücktritt erklärt hatte, machte sich Hitler Hoffnungen auf sein Gespräch mit dem Reichspräsidenten am 19. November. Zu seinem Ärger gelang es aber nicht, die Eingabe vor diesem Termin einzureichen. Sie hatte auch keinen unmittelbaren Erfolg, Hindenburg lehnte Hitler als Reichskanzler weiterhin ab und ernannte stattdessen Kurt von Schleicher.

In der gesamten neueren Forschungsliteratur und ausnahmslos in allen anerkannten Handbüchern wird der Untergang der Weimarer Republik mit mehreren Faktoren erklärt, unter anderem mit den sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, mit den zu geringen außenpolitischen Erfolgen der demokratischen Regierungen bei der Revision des Versailler Vertrags, der Elitenkonstanz, die durch die stecken gebliebene Novemberrevolution bedingt war und mit Hindenburgs gescheitertem Plan einer vom Reichstag unabhängigen Präsidialregierung. Der Industrielleneingabe wird in diesem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht in der Literatur heute allenfalls ein untegeordneter, zumeist gar kein Einfluss zugeschrieben. Sie spielt allein noch bei spätmarxistischen Historikern eine Rolle, die die geschichtliche Entwicklung auf das Einwirken von so genannten "Agenten des Monopolkapitals" zurückführen. Die Reduzierung eines komplexen Bedingunsgsgeflecht auf das illegale oder illegitime Wirken einer kleine Gruppe nennt man aber definitionsgemäß eine Verschwörungstheorie.

Literatur

  • Eberhard Czichon, Wer verhalf Hitler zur Macht, Köln 1967
  • Wolfgang Michalka und Gottfried Niedhart (Hg.), Die ungeliebte Republik. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918 - 1933, dtv München, 1980, ISBN 3-423-02918-8 (hier der Text, S. 340ff, der aber nur sechzehn Unterschriften trägt)
  • Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930 - 1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 45) ISBN 3-525-35703-6
  • Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, ISDN 3-88680-143-8
  • Erich Helfferich, 1932-1946 Tatsachen, Ein Beitrag zur Wahrheitsfindung, Jever 1969
  • Karl Vincent Krogmann, Es ging um Deutschlands Zukunft 1932-1939, Landsberg/Lech 1976
  • Henry Turner (Hrsg.), Hitler aus nächster Nähe, Franfurt am Main, Berlin, Wien 1978

Siehe auch


Quellen

  1. Vorlage:Fußnote
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