Der völkerrechtliche Straftatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit (engl. crimes against humanity; andere, sprachlich und politisch korrektere Übersetzung (sie hat sich nicht durchgesetzt): Verbrechen gegen die Menschheit) taucht zum ersten mal in der Präambel der Zweiten Haager Landkriegsordnung von 1907 auf und wurde juristisch zuerst 1946 zur Ahndung der Kriegsverbrechen bei den Nürnberger- und Tokyoter Prozessen definiert und benutzt (siehe auch Völkermord). Dieses Vorgehen war damals umstritten, da nach rechtsstaatlichen Prinzipien eigentlich nur Verbrechen verfolgt werden können, die nach dem Erlass des entsprechenden Gesetzes begangen werden (damit soll Willkür bei Strafmaß und Definition des Straftatsbestands verhindert werden) (1).
Seit dem 1. Juli 2002 besteht der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag als ständige Institution zur Verfolgung dieser Verbrechen. Der ICC berücksichtigt den oben genannten Rechtsgrundsatz und darf nur Straftaten verfolgen, die nach dem Inkrafttreten des internationalen Strafrechts begangen werden.
Am selben Tag trat in Deutschland mit dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ein nationales Völkerstrafrecht in Kraft, das unter Berufung auf die UN-Charta auch rückwirkend angewandt werden kann. Nach diesem Gesetz ist jedes deutsche Gericht befugt, Völkerrecht zu verhandeln, unabhängig davon, ob das Verbrechen auf deutschem Boden begangen wurde, ob deutsche Staatsbürger daran beteiligt sind oder ob die Beschuldigten sich zum Zeitpunkt der Klageerhebung auf deutschem Boden befinden. Damit ist das deutsche Völkerstrafrecht noch weitgehender, als das bis dahin umfassendste Völkerrechtsgesetz aus Belgien. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind dort in § 7 VStGB geregelt.
Liste der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
(Folgenden Taten werde als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" diskutiert: Ob eine Tat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet wird, hängt zum Teil sehr von der politischen Anschauung ab. Die Aufzählung oder Nicht-Aufzählung soll keine Bewertung darstellen. Siehe hierzu auch die Diskussion)
- 1526-1865: Sklaverei in Nordamerika; ebenso alle anderen Fälle der Sklaverei in anderen Ländern.
- 1788-1920er Jahre: Völkermord an den Ureinwohnern Australiens mit ca. einer Million Opfer.
- 1904: Die deutsche Kolonialmacht schlägt den Aufstand der Herero und Nama im heutigen Namibia gewaltsam nieder und lässt große Teile der Herero und Nama verdursten. Überlebende werden zur Zwangsarbeit interniert. Insgesamt kommen 25.000 bis 100.000 (vermutlich 65.000) Herero, sowie gut 10.000 Nama um.
- 1915-1918: Giftgaseinsatz im Ersten Weltkrieg.
- 1915-1916: Der Völkermord an den Armeniern: Opferzahl umstritten. 600.000 - 1.500.000 (siehe Artikel).
- 1937-1945: Angriffskrieg von Japan gegen die Republik China, der mit schweren Verbrechen an chinesischen Zivilisten einhergeht (Massaker von Nanking).
- 1933-1945: Massenmord an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Sozialdemokraten und Kommunisten sowie religiös und politisch Andersdenkenden (z. B. Zeugen Jehovas, christlichen Gruppen) durch die Nationalsozialisten in Europa (Holocaust): mehr als 6 Millionen tote Juden und ca. 500.000 tote Sinti und Roma.
- 1939-1941: So genannte „Aktion T4“ (Euthanasie-Programm), Massenmord an ca. 80.000 Behinderten und chronisch Kranken. Nachdem die „Aktion T 4“ auf Druck der deutschen Bevölkerung offiziell eingestellt werden musste, wurden die Morde nur noch in reduziertem Umfang und unter strenger Geheimhaltung fortgesetzt.
- 1938-1943: Gezielte Vertreibung und Ermordung von Tschechen, Polen, Russen (im Rahmen des Vernichtungskrieges) und weiteren Ethnien in Europa, Afrika und Asien durch die SS, die deutsche Wehrmacht, Waffen-SS und verbündeten Nationen des Dritten Reichs (siehe auch Zweiter Weltkrieg).
- 1942-1945: Gezielte Bombardierung von Wohngebieten deutscher Städte durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg (siehe auch Luftangriffe auf Dresden).
- 1945: Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und Bombardierung Tokios und vieler anderer Städte mit Brandbomben durch die USA.
- 1945-1949: Vertreibung der Deutschen und ethnischen Deutschen aus den deutschen Ostgebieten (vor allem Ostpreußen, Schlesien, Hinterpommern) und Polens (Bierut-Dekrete), der Tschechoslowakei (siehe auch Beneš-Dekrete), aus Jugoslawien (AVNOJ-Beschlüsse) und anderen osteuropäischen Ländern in Folge der Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg - mehr als 2 Millionen Tote.
- 1917-1953: Zahlreiche Verbrechen durch den sozialistischen Staatsapparat in der Sowjetunion: z. B. die Errichtung des umfangreichen Straflager-Systems „Archipel GULAG“ (siehe auch Stalinismus, Gulag, Der Archipel GULAG, Kurapaty).
- 1954-1962: Algerienkrieg Frankreichs mit ca. einer Millionen Opfern durch Konzentrationslager und Massaker.
- 1962-1975: Einsatz von Napalm und anderen chemischen Kampfmitteln (z. B. [Agent Orange]; mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Krieg gibt es noch immer Opfer, da sich das Dioxin im damals verwendeten Entlaubungsmittel in den Nahrungsketten anreichert) in Vietnam durch die USA.
- 1965: Innerhalb eines halben Jahres Ermordung von 100.000-1.000.000 (mutmaßlichen) Anhängern der Kommunistischen Partei Indonesiens durch die neue Putsch-Regierung.
- 1966-1976: Sogenannte „Kulturrevolution“ in China mit politischen Säuberungen, denen mehrere Millionen Menschen in China und den autonomen Gebieten zum Opfer fielen.
- 1974-1989: Die kommunistische Regierung unter Ceauşescu in Rumänien verfolgt politische Gegner, plant das so genannte „Dörferzerstörungs-Programm“ und richtet „Todesheime“ für behinderte, chronisch kranke und ungewollte Kinder ein. Menschen von über 65 Jahren wird medizinische Hilfe verweigert.
- 1975-1979: Massenmord durch die Roten Khmer unter Pol Pot in Kambodscha.
- 1973-1989: Politische Morde und Folterungen unter der Militärdiktatur von Augusto Pinochet in Chile.
- 1976-1982: Politische Morde und Folterungen unter der Militärdiktatur in Argentinien.
- 1975-1981: Genozid in Osttimor (der Konflikt hält mit verminderter Heftigkeit bis 1998/1999 an).
- 1983-laufend: Mehrere Millionen Tote durch Völkermord an Schwarzafrikanern im Sudan (siehe dazu auch Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker).
- 1988: Am 16. März Giftgaseinsatz gegen die kurdische Stadt Halabdscha im Norden des Iraks seitens der irakischen Regierung: Etwa 5.000 Menschen sterben (fast ausschließlich Zivilisten).
- 1988-1990: sogenannte „Anfal“ Befehl von Sadam Hussein, fallen ca. 100'000-500'000 kurdische Zivilisten zum Opfer. Die Meisten Massengräber die heute in Irak entdeckt werden sind aus dieser Zeit.
- 1994: 500.000 Menschen sterben im Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi im Völkermord in Ruanda.
- 1992-1995: Schwere Kriegsverbrechen im jugoslawischen Bürgerkrieg.
- 1998-1999: Mehrere 1.000 Albaner werden im Kosovo-Krieg ermordet.
- 1996-2001: Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch das radikal-islamische Taliban-Regime in Afghanistan.
- 1949-heute: Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch die Volksrepublik China, beispielsweise in Tibet, Ost-Turkestan und der Süd-Mongolei.
Die Apartheid wurde 1966 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet.
Da bislang eine unabhängige Institution zur Be- und Verurteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit fehlte (einzige Ausnahmen waren die Ad-hoc-Tribunale von Nürnberg und von Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg sowie von Den Haag für Ex-Jugoslawien, von Arusha (Tansania) für Ruanda sowie von New England, Freetown für Sierra Leone), basiert die vorstehende Liste nicht auf juristischen Urteilen. Abgesehen von den jeweiligen Verursachern der aufgelisteten Verbrechen besteht jedoch ein breiter Konsens unter Völkerrechtlern und Menschenrechtsorganisationen, auch wenn eine nachträgliche Strafverfolgung unwahrscheinlich scheint.
Da auch der Internationale Strafgerichtshof bisher nicht von allen Nationen anerkannt wird, bestehen auch Zweifel, ob zumindest zukünftig eine juristische Durchsetzung der allgemein anerkannten Menschenrechte (siehe UN-Charta) gelingen wird.
Siehe auch: Kriegsverbrecherprozess, Krieg, Verbrechen kommunistischer Regierungen (Schwarzbuch des Kommunismus)
Hinweis
- (1) Der Hinweis auf das nationalstaatliche Rückwirkungsverbot im Strafrecht greift hier zu kurz, da das Nürnberger Tribunal sich auf das Völkerrecht bezog und auf internationale Verträge und Verbindlichkeiten hinwies, die durch das NS-Regime im internationalen Maßstab verletzt bzw. ignoriert wurden.