Sondergerichte sind ein Teil der NS-Justiz und sind durch die massenhafte Verhängung von Todesstrafen bzw. langjährigen Zuchthausstrafen oder Einweisung in Konzentrationslager wegen meist geringfügiger Delikte hervorgetreten. Sie sind von den für Wehrmachtsangehörige bereits 1934 wieder eingerichteten Militärgerichten (Kriegsgerichten), dem gleichfalls 1934 eingerichteten Volksgerichtshof sowie den in der Agonie des Dritten Reiches im Februar 1945 zur Aburteilung des jeweiligen "Täters" im konkreten Einzelfall angeordneten Standgerichten, die lediglich auf Tod und (theoretisch) auf Freispruch oder Überweisung an ein ordentliches Gericht entscheiden konnten, zu unterscheiden.
Vorläufer
Sondergerichte gab es bereits vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Mit ihnen reagierte die Staatsmacht auf Unruhen, indem sie ganze Komplexe von Straftatbeständen aus der Kompetenz der ordentlichen Gerichtsbarkeit herauslöste und speziell eingerichteten Spruchkörpern zuwies.
Solche Sondergerichte konnte der jeweiligen Militärbefehlshaber aufgrund des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand von 1851 einrichten. Dieses Gesetz kam praktisch jedoch erst im 1. Weltkrieg zur Anwendung.
In der Weimarer Republik wurden mehrfach für bestimmte Gebiete und kürzere Zeiträume auf Grundlage einer vom Reichspräsidenten erlassenen Notverordnung nach Artikel 48 Abs. 2 WRV Sondergerichte mit unterschiedlichen Befugnissen und Verfahrensordnungen eingerichtet.
Die Sondergerichte der NS-Zeit
Bereits am 21. März 1933 wurde reichsweit für jeden Oberlandesgerichtsbezirk ein Sondergericht eingerichtet mit zu Anfang beschränkter Zuständigkeit für spezielle Strafttatbestände, die die NS-Machthaber zur Durchsetzung ihrer Herrschaft eingeführt hattem , nämlich Straftaten nach der sogenannten Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 und nach der sogenannten Heimtückeverordnung vom 21. März 1933. Ihre Zuständigkeit wurde mehrfach erweitert. Seit 1938 waren sie zuständig, sofern die Staatsanwaltschaft der Auffassung war, mit "Rücksicht auf (..) die Verwerflichkeit der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung" sei die sofortige Aburteilung geboten. Damit war auch für diesen Bereich das nationalsozialistische "gesunde Volksempfinden" zum Maßstab der Rechtspflege geworden. Für schwere politische Straftaten blieben dagegen spezielle Senate der Oberlandesgerichte bzw. des Reichtsgerichts und später des Volksgerichtshofs zuständig.
Entrechtung des Beschuldigten
Das Verfahren vor den Sondergerichten stand unter der Maxime äußerster Schnelligkeit. Dem dienten die Abschaffung der in der Strafjustiz aus rechtsstaatlichen Gründen eingeführten Voruntersuchung und des Eröffnungsbeschlusses und die Abkürzung der Ladungsfrist auf drei Tage. Später konnte sogar auf der Stelle gegen den Festgenommenen verhandelt werden.Der Vorsitzende des Gerichts konnte - auch dies in Abweichung lang eingeführter rechtsstaatlicher Prinzipien - selbst gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen. Später wurde sogar die Beschwerdemöglichkeit gegen diese Entscheidung, die ohnehin nur an das Sondergericht selbst gerichtet werden konnte, also den Spruchkörper, dem derjenige angehörte, der den Haftbefehl erlassen hatte, abgeschafft. Das Sondergericht hatte freies Ermessen, ob und welche Beweise es zum Nachweis des Tatvorwurfs erheben wollte. Der Verurteilte hatte gegen das Urteil keine Rechtsmittelmöglichkeit. Nur die Staatsanwaltschaft konnte die sogenannte Nichtigkeitsbeschwerde einlegen, was fast immer nur zu Ungunsten des Verurteilten erfolgte.
Aufgabe und Funktion der Sondergerichte
Mit diesen Regelungen verbanden die nationalsozialistischen Machthaber die Erwartung einer gnadenlosen Spruchpraxis. Der Staatssekretär des Reichsjustizministeriums und nachmalige Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler hat dies 1939 in folgende Worte gekleidet:
- "Sie müssen ebenso schnell sein wie die Panzertruppe, sie sind mit großer Kampfkraft ausgestattet. Kein Sondergericht kann sagen, daß der Gesetzgeber ihm nicht genügend Kampfkraft gegeben habe. Sie müssen denselben Drang und dieselbe Fähigkeit haben, den Feind aufzusuchen, zu finden und zu stellen, und sie müssen die gleiche durchschlagende Treff- und Vernichtungsgenauigkeit gegenüber dem erkannten Feind haben."
Der Reichsjustizminister Fritz Gürtner hat im September 1939 in einem an Hitler gerichteten Memorandum geschrieben, praktisch kämen die Sondergerichte Standgerichten gleich. Sie seien nur nicht als solche bezeichnet.
Verschärfungen des materiellen Strafrechts
Mit der Ausdehnung der sachlichen Zuständigkeit der Sondergerichte verbanden die nationalsozialistischen Machthaber erhebliche Strafverschärfungen. Die Anzahl der Delikte, die mit Todesstrafe geahndet werden konnten, stieg bis 1943/1944 auf 46 an. Eine neue zentrale Strafbestimmung war die sogenannte Volksschädlingsverordnung.
Die Gesamtzahl der Todesurteile (Sondergerichte und ordentliche Gerichte, ohne Militärgerichte) beträgt nach einer fundierten Schätzung rund 16 500. Sichere Angaben lassen sich nicht mehr machen. Die zunehmende Tendenz wird jedoch auch anhand der vom Reichsjustizministerium selbst angegebenen Zahlen deutlich: 1941 1292 Todesurteile, 1942 3660, 1943 5336 (ob dies einschl. der Urteile der Kriegsgerichte ist, ist unbekannt).
Entwicklung der Sondergerichtsbarkeit
War zu Beginn der NS-Zeit lediglich ein Sondergericht je Oberlandesgerichtsbezirk eingerichtet worden, insgesamt also 26, so steigerte sich mit der Ausdehung ihrer sachlichen Zuständigkeit auch die Zahl der eingerichteten Sondergerichte. Seit dem 1. September 1939 gab es in jedem Landgerichtsbezirk ein Sondergericht, später sogar mehrere. Ende 1942 existierten insgesamt 74 Sondergerichte. Die Strafrechtspflege lag damit insgesamt überwiegend in den Händen der mit den dargestellten besonderen Befugnissen ausgestatteten Sondergerichte; in Hamburg erledigten beispielsweise die Sondergerichte 73% aller Strafverfahren.
Einzelfälle
- Am 8. März 1943 verurteilte das Sondergericht Essen einen invaliden litauischen Rentner zum Tode, weil er aus einem von einer Bombe getroffenen Laden 3 Blechnäpfe in einem Wert von etwa 3 RM entwendet hatte. Das Sondergericht führte aus, "dass nach einem besonders schweren Feindangriff(..) jede Aneignung auch geringwertiger Sachen(..) besonders gefährlich" sei und im Interesse der öffentlichen Sicherheit mit dem Tode bestraft werden müsse (Nachweis bei Angermund S. 213).
- Im Jahre 1943 verurteilte ein Sondergericht einen 82-jährigen, weil er während eines Bombenangriffs eine herumliegende Pferdeleine aus Leder an sich genommen und zu Gürtel und Hosenträgern verarbeitet hatte (Nachweis bei Angermund S.245 Fußnote 112).
Bewertung der Sondergerichte in der Nachkriegsjustiz
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Literatur
- Ralph Angermund, Deutsche Richterschaft 1919-1945, 1990, ISBN 3-596-10238-3
- Walter Wagner, Der Volksgerichtshof im nazionalsozialistischen Staat, 1974, ISBN 3486544918
- Gerhard Weckbecker, Die Rechtsprechung der nationalsozialistischen Sondergerichte Frankfurt/Main und Bromberg, 1995