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Als Coquillards (dt. Coquillarden, oft auch mit "Muschelbrüder" übersetzt) bezeichneten sich im 15. Jahrhundert die Angehörigen einer kriminelle Bande in Nordfrankreich, der 1455 in Dijon der Prozess gemacht wurde.
Zur Wortgeschichte im Alt- und Mittelfranzösischen
Altfranzösisch coquillard ist abgeleitet von coquille (aus lat. conchyila), Muschel(schale), Scheckengehäuse. Im Altfranzösischen bezeichnet coquillard den betrogenen Ehemann oder im Gegenteil den Liebhaber einer verheirateten Frau, in der in der weiblichen Form coquillarde die Frau, die ihren Ehemann betrügt, entsprechend der sexuell übertragenen Bedeutungen von afr. coquille, männliches oder weibliches Geschlechtsteil.
In der altfranzösischen und mittelfranzösischen Bedeutungsentwicklung sind Überkreuzungen möglich mit coquin (Landstreicher, Bettler), coquinaille (Bande von "coquins"), coquinerie (Landstreicherei, Bettelei, Betrügerei), coquelarder (schmarotzen, sich als Schmarotzer durchschlagen), coquellerie (zügellose Lebensweise, Libertinage), coquelier (sich als Schürzenjäger betätigen).
Im 17. Jahrhundert belegt Cotgrave (1611) vendre ses coquilles (seine Muscheln verkaufen) im Sinne von betrügen, für dumm verkaufen, Wertloses verkaufen), und Cheneau (1628) schließlich coquillard als Jakobspilger oder Bettler, der sich als Jakobspilger ausgibt (s.u.).
Die Coquillarden von Dijon
Die erhaltenen Dokumente aus dem Prozess von 1455 wurden von Lazare Sainéan (1912) ediert und bilden im wesentlichen schon die ganze historische Überlieferung zu den Coquillarden von Dijon. Danach pflegten die Mitglieder untereinander eine Geheimsprache ("certain langaige de jargon"), die Außenstehende nicht verstehen konnten ("un langaige exquiz que aultres gens ne scevent entendre"), und geheime Erkennungszeichen. Sie bezeichneten sich in ihrem Jargon als "coquillards" oder "compagnons de la coquille" und ihr Oberhaupt als 'König der Coquille' ("roy de la coquille"), was vermutlich in Entsprechung zu den spätmittelalterlichen ständisch-korporativen Organissationsformen der fahrenden Händler und Bettler ("gueux", Geusarden) zu sehen ist. Ihr Hauptquartier in Dijon, wo sie sich seit etwa zwei Jahren bemerkbar gemacht hatten, soll das das Bordell eines gewissen Jacquot de la Mer gewesen sein, wo ihr Treiben folgendermaßen beschrieben wird:
- Sie tun nichts anderes als trinken, essen und viel Geld ausgeben, spielen Würfel,
- Karten, Brettspiele und andere Spiele; sie halten ständig, und besonders nachts, im
- Bordell Zusammenkünfte, wo sie ein schmutziges, verächtliches und zügelloses Leben
- von Kupplern und Wüstlingen führen und ihr ganzes Geld verlieren und ausgeben; und
- dies treiben sie, bis ihnen kein Pfennig und keine Kupfermünze mehr übrigbbleibt.
- Und dann, nachdem sie ihren armen Freudenmädchen, die sie in dem besagten Bordell
- unterhalten, alles, was sie von ihnen kriegen können, abgenommen haben, brechen
- einige von ihnen auf, und niemand weiß wohin, und bleiben manchmal zwei Wochen
- weg und ein andermal einen Monat oder sechs Wochen. Und die einen kommen zu
- Pferd wieder, andere zu Fuß, gut gekleidet und angezogen, fein geschmückt mit Gold
- und Silber, und dann beginnen sie wieder mit einigen anderen, die auf sie gewartet
- haben, oder mit Neuhinzugekommenen ihre gewohnten Spiele und Ausschweifungen.
In ihren kriminellen Tätigkeite werden sie beschrieben als Einbrecher ("crocheteurs", so genannt nach den zum Aufbrechen von Türen und Kisten benutzten Haken), Betrüger (Falschmünzer, Wechselbetrüger, Betrüger mit falschen Preziosen), Trickbetrüger (die in der Herberge ihre eigenen Sachen und die des Wirts heimlich fortschaffen und sich dann selber als bestohlen ausgeben), Wegelagerer, Räuber und Mörder. 27 Personen, darunter auch mehrere Gaskogner, ein Spanier, ein Italiener, ein Savoyarde und ein Schotte, wurden in dem Prozess namhaft gemacht und mehrere von ihnen zum Tode oder zu anderen schweren Strafen verurteilt. Obwohl die Coquillarden ersichtlich nicht nur in der Gegend von Dijon operierten und mindestens nach Paris (s. u.) Beziehungen unterhielten, sind sie doch erst bei modernen Literaten zur am meisten gefürchteten Räuberbande Frankreichs, mit einem angeblichen Hauptquartier in Paris, avanciert, wofür die erhaltenen historischen Quellen aber nichts hergeben.
François Villon und die Coquillarden
In einer Beziehung zu den Coquillarden stand auch der bedeutendste Dichter des französischen Spätmittelalters, François Villon. Villon werden insgesamt elf Balladen im Jargon zugeschrieben. Die zweite dieser Balladen spricht ihr Publikum ausdrücklich als "coquillars" an und bezieht sich außerdem anspielungsweise auf die Hinrichtung zweier Personen, Regnier de Montigny und Colin de Cayeulx, von denen der Name des ersten in den Quellen zum Prozeß von Dijon genannt wird und der zweite zu den 'crocheteurs' gehörte, mit denen Villon selber als Einbrecher aktenkundig wurde.
Regnier de Montigny wird von Villon auch im schon im sogenannten Kleinen Testament (um 1456) erwähnt und dort als Edelmann oder 'edler Mann' ("noble homme") apostrophiert, dem Villon drei Jagdhunde vermacht. Er wurde um 1429 in Bourges geboren und entstammte einer angesehenen Adelsfamilie mit hochrangigen Vertretern u.a. in der Pariser Justiz. Sein Vater, Jean de Montigny, königlicher Brotmeister und Mitglied des Pariser Stadtparlaments, hatte durch den Einzug der Burgunder in Paris einen großen Teil seines Vermögens verloren und war früh verstorben. Regnier absolvierte ein Studium und empfing die niederen Weihen. Er wird nicht mittellos gewesen sein, sah sich aber durch den Vermögensverlust der Familie und hohe Mitgiftzahlungen an zwei Töchter seines Vaters aus zweiter Ehe benachteiligt und schloß sich, wie es heißt, 'verschiedenen Gesellschaften junger Leute' ("plusieurs compaignies de jeunes gens", "jeunes gens par lesquelx s'est gouverné autrement qu'à point") an, mit denen er eine Reihe von Verbrechen, darunter Kirchenraub, Einbruch, Trickbetrug und Falschspiel, beging. Nach verschiedenen Verhaftungen in Tours, Bordeaux und Paris sowie einer durch Begnadigung wieder aufgehobenen Verurteilung wegen Mordes wird er 1457 erneut wegen Kirchenraubes und anderer Vergehen in Paris verhaftet und zum zweiten mal zum Tode verurteilt, auf ein Gnadengesuch seiner Verwandten hin wird das Urteil jedoch im September 1457 durch einen königlichen Gnadenerlaß in eine einjährige Kerkerstrafe umgewandelt, mit der Auflage, daß er anschließend eine Pilgerreise zum Grab des Hl. Jakob unternehmen und dies durch eine Bescheinigung der dortigen Kirche nachweisen solle. Der Gnadenerlaß wurde vom Klagevertreter der Stadt wegen Unvollständigkeit der zugrundegelegten Tatsachen angefochten, und es ist anzunehmen, daß der Prozeß zuletzt doch noch zu jener Hinrichtung am Galgen führte, auf die sich die zweite Jargonballade anspielungsweise bezieht.
Colin de Cayeux, Sohn eines Schlossers und, wie Regnier und Villon selber, studierter und unverheirateter 'clerc', hatte seit den 50er-Jahren eine Reihe von Verhaftungen in Paris, Bayeux und Rouen hinter sich gebracht und sein technisches Geschick als 'crocheteur' u.a. auch durch einen Ausbruch aus dem Gefängnis des Erzbischofs von Rouen unter Beweis gestellt. Gemeinsam mit Villon, Guy Tabarie und einem Dom Nicolas hatte er am Weihnachtsabend 1456 einen Einbruch in das Collège de Navarre verübt, bei dem 500 Goldfranken erbeutet wurde. Seine Beteiligung und die Villons kam 1458 heraus, als Guy Tabarie verhaftet wurde und ein Geständnis ablegte. Im Sommer 1460 wurde Colin de Cayeux in der Diözese von Beauvais gefaßt und nach Paris überstellt. Der Ausgang des Prozesses, in dem er für verschiedene Vergehen, darunter auch den Einbruch von 1456, zur Rechenschaft gezogen werden sollte, ist nicht dokumentiert, aber Villons Anspielung auf Colin im Großen Testament (um 1461) suggeriert, daß Colin zu dieser Zeit bereits hingerichtet worden war.
Die Coquillarden bei Ollivier Chereau
Ollivier Chereau, Tuchhändler aus Tours, gibt in seiner 1628 anonym erschienenen und seither mehrfach wieder abgedruckten Schrift "Le jargon de l'argot reformé" einen Abriß der Geschichte, Sprache und Organisationsform des Bettelkönigtums der Geusarden und erläutert hierbei als eine der verschiedenen Untergruppen auch die "Coquillards": das seien die Pilger des Heiligen Jakob und in den meisten Fällen ehrliche Leute, aber es gebe auch solche, die sich betrügerisch als Jakobspilger ausgäben, Heimatlose, die weder jemals am Grab des Apostels noch seit langem in ihrer Heimatpfarre gewesen seien und ihren Tribut dem 'Grand Coesre', dem Köng der Geusarden, entrichteten. In der Beziehung auf Pilger oder Jakobspilger, die sich dadurch erklärt, daß solche Pilger als Erkennungszeichen am Hut oder Gewand die Jakobsmuschel trugen und Muscheln als Souvenirs von ihrer Reise mitbrachten und verkauften, scheint der Ausdruck "coquillards" allerdings vor Chereau nicht geläufig gewesen zu sein, so daß fraglich ist, ob man seine Erklärung zur Deutung der Coquillarden des 15. Jahrhunderts und ihres Namens schon heranziehen kann.
Literatur
- Lazare Sainéan (Lazar Saineanu), Les sources de l'argot ancien, Paris: Champion, 1912, Reprint Genf: Slatkine, 1973
Weblinks
- Ollivier Chereau, Le jargon ou langage de l'argot réformé, comme il est à présent en usage parmi les bons pauvres, Troyes: Oudot, 1741
- Frédéric Godefroy, Dictionnaire de l'ancienne langue française et de tous ses dialectes du IXe au XVe siècle, vol. II, Paris: Vieweg, 1883, p.294-295
- Patrick Mathieu, Inédits de Pierre Guiraud : le jargon des Coquillards, Marges Linguistiques, n° 6, nov. 2003. Saint-Chamas : M.L.M.S. Éditeur]
- Auguste Lognon, Étude biographique sur François Villon, Paris: Menu, 1877
- Françoise Nore, Ếtude morpho-sémantique et diachronique des formants du lexique populaire français. Examen d'un recueil argotique du XVIIe siècle: Le Jargon de l'argot reformé d'Ollivier Chereau, Laboratoire MoDiCo, Université Paris X-Nanterre, 2005
- Auguste Vitu (ed.), François Villon, Le jargon et jobelin, comprenant cinq ballades inédites d'après le manuscrit de la bibliothèque royale de Stockholm, avec un Dictionnaire analytique du jargon, Paris: Ollendorf, 1889