Mitteldeutschland
Als Mitteldeutschland bezeichnet man eine Region etwa in der Mitte Deutschlands. Der Begriff hat keine exakte Definition; je nach Kontext können verschiedene Gebiete gemeint sein.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist heute oft eine Region gemeint, die aus den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt besteht. Der Begriff hat seine Wurzeln in der Besiedelungsgeschichte des östlichen Teils Deutschlands und der damit verknüpften Sprachgeschichte. Im engeren Sinne ist damit nur die Region Halle-Merseburg gemeint, in der seit 1990 auch die "Mitteldeutsche Zeitung" erscheint, bis 1990 hieß eine NDPD-Zeitung "Mitteldeutsche Neueste Nachrichten".
Heutiger Sprachgebrauch
Der Begriff Mitteldeutschland erfasst in seiner jetzigen Bedeutung ungefähr das zwischen Harz im Westen und Oder/Neiße im Osten sowie Fläming im Norden und Erzgebirge/Thüringer Wald im Süden gelegene Gebiet, dessen Mittelpunkt etwa in der Leipziger Tieflandsbucht liegt. Es ist geschichtlich zum größten Teil das Gebiet der ersten Phase der deutschen Ostsiedlung.
Der Begriff bezeichnet unter anderem auch einen historischen Wirtschaftsraum, der im Zuge der Industrialisierung Deutschlands besondere Bedeutung gewann, und auch heute noch besitzt. Ein Beispiel wäre etwa das ländergrenzenübergreifende Industriedreieck Halle-Leipzig-Bitterfeld, bekannt durch seine ehemals intensive Braunkohle- und chemische Industrie ("Chemiedreieck") sowie den Flughafen Leipzig/Halle. Seit 2002 kooperieren die Landesregierungen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verstärkt mit einander in der "Initiative Mitteldeutschland". Zu den wichtigen Sektoren zählen hierbei mittlerweile wieder die Automobil- und Zulieferindustrie, die schon zu ihrer Entstehungszeit eine wichtige Rolle in Sachsen und Thüringen spielte (siehe auch Auto Union) sowie der Hochtechnologiebereich mit Zentren in Jena (bspw. Jenoptik), Dresden ("Silicon Saxony") und Leipzig (Biotechnologie). Die Metropolregion Sachsendreieck liegt ebenfalls im Wirtschaftsraum Mitteldeutschland.
Häufig begegnet man dem Begriff im Zusammenhang mit dem des Rundfunks der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Mitteldeutschland findet sich auch als Namensteil vieler Unternehmen des Gebiets, in der öffentlichen Rundunkanstalt der drei Bundesländer (Mitteldeutscher Rundfunk), sowie in den Namen von Vereinen oder etwa christlicher Vereinigungen, wenn die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aus organisatorischen Gründen zusammengefasst werden.
Begriff in der Sprachforschung
In diesem Sinne bezeichnet Mitteldeutschland das Gebiet, in dem mitteldeutsche Dialekte gesprochen werden. Die Bezeichnung "mitteldeutsch" entstand im 19. Jahrhundert, als man die Dialekte im deutschsprachigen Raum untersuchte. Vorher unterschied man nur zwischen oberländischer bzw. oberdeutscher und niederländischer bzw. niederdeutscher Sprache. Bei den Dialektuntersuchungen stellte man allerdings fest, dass die Hochdeutsche Lautverschiebung, die den historisch auffälligsten Unterschied zwischen der oberländischen und der niederländischen Sprache ausmacht, in einem sehr breiten Streifen nur teilweise durchgeführt ist. Aufgrund dieser und einiger anderer Merkmale begann man daher, den "Streifen", der am Rhein sehr viel breiter ist als im Osten, als Übergangsgebiet zwischen dem Oberdeutschen und dem Niederdeutschen zu begreifen. Das mitteldeutsche Sprachgebiet stellt somit das Gebiet der rheinfränkisch-hessischen sowie der ostmitteldeutschen Dialekte dar und reicht im Süden vom Elsass entlang der Mainlinie bis ins Erzgebirge und im Norden von Aachen über Nordhessen bis ins südliche Brandenburg. Dies steht in weitgehender Übereinstimmung mit der Besiedelung und Urbanisierung des mitteldeutschen Raums während des Mittelalters, die vor allem aus den mittelrheinischen und niedersächsischen Gebieten erfolgte. Die ostmitteldeutschen Dialekte (nördlich des Thüringer Waldes, östlich der Werra und südlich der Benrather Linie, also in dem heute als "Mitteldeutschland" bezeichneten Gebiet) sind dem Neuhochdeutschen von allen deutschen Dialekten am nächsten, wie der Sprachforscher Theodor Frings bewiesen hat. Die Sprache im Gebiet zwischen Erfurt, Hof, Dessau und Dresden stimmen in vielen Merkmalen mit dem Neuhochdeutschen überein, z.B. im Wortschatz, da die neuhochdeutsche Schriftsprache sehr stark auf Martin Luthers Bibelübersetzung zurück geht, der die Sprache der Staatsbeamten des Kurfürstentums Meißen-Wettin als Vorbild für die hochdeutsche Schreibung und Aussprache ansah und nutzte ("Ich rede nach der sächsischen Kanzlei"). Diese war allerdings eine überregionale Ausgleichssprache und nicht identisch mit den gesprochenen Dialekten dieser Region.
Topografischer Begriff
Unter Mitteldeutschland wird das durch Erzgebirge, Thüringer Wald, Harz und Elbe umgrenzte Gebiet verstanden. Das Kerngebiet Mitteldeutschlands bildet die Leipziger Tieflandsbucht.
Zusammenhänge mit der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg
In der Konferenz von Jalta wurde beschlossen, den Osten Deutschlands staatlich vom Rest Deutschlands abzutrennen und - je nach Sichtweise - Polen und der Sowjetunion anzugliedern bzw. unter polnische und sowjetische Verwaltung zu stellen, bis die endgültigen Grenzen durch einen Friedensvertrag geregelt sind.
Das restliche Deutschland wurde in vier Besatzungszonen eingeteilt. Als sich in den ersten Nachkriegsjahren langsam zeigte, dass die drei Westzonen immer mehr in den Gegensatz zur sowjetisch besetzten Zone rückten, wurde auch der geografische Begriff "Mitteldeutschland" nicht mehr nur wie bisher als Mitte Deutschlands in Nord-Süd-Richtung gebraucht, sondern auch als Bezeichnung zur Sowjetzone, im Gegensatz zu Westdeutschland für die Westzonen und Ostdeutschland für die abgetrennten Ostgebiete des Deutschen Reichs.
Der Gebrauch des Wortes wurde beginnend mit den Grundlagenverträgen und spätestens mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag unüblich und durch Ostdeutschland bzw. DDR ersetzt. Ostdeutschland bezeichnete jedoch bis in die 1970er Jahre die nach dem Zweiten Weltkrieg zum größten Teil abgetretenen Gebiete Pommerns, Ostpreußens und Schlesiens. Diese begriffliche Unschärfe besteht fort.
Nach einer zunächst ablehnenden Haltung großer Teile der Bevölkerung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist in den letzten Jahren eine verstärkte Benutzung des Begriffs zu verzeichnen, der auch auf das Bemühen der Landesregierungen und Unternehmen oder dem MDR zurückgeht, diesen Begriff vorwiegend zu verwenden. Gründe liegen auch darin, dass der Wunsch besteht, sich innerhalb der neuen Bundesländer voneinander abzugrenzen. Insbesondere die wirtschaftsstärkeren südlichen Länder Sachsen und Thüringen wünschen sich eine solche Abgrenzung gegenüber den wirtschaftsschwächeren nördlichen Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
Es gibt auch Stimmen, die davor warnen, das bisherige Mitteldeutschland einfach als Ostdeutschland zu bezeichnen, da so ein beträchtlicher kultureller und geschichtlicher Teil Deutschlands einfach negiert würde. Andererseits wird der Begriff Mitteldeutschland auch von revanchistischen Kräften benutzt, um die territorialen Realitäten abzuerkennen, wie der nächste Absatz beschreibt:
Verwendung durch Vertriebenverbände et al.
Die Vertriebenenverbände und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland (einschl. großer Teile der Bevölkerung) erkannten die auf der Konferenz von Jalta beschlossene Grenzverschiebung zunächst nicht an. So wurde die Bezeichnung Ostdeutschland für diese Gebiete weiter benutzt. Gleichzeitig war der Rest des ehemaligen Reichsgebietes nach 1949 auf zwei Staatswesen verteilt. Da man die Bezeichnung Ostdeutschland weiterhin für östlich der DDR gelegene Gebiete verwenden wollte und die offizielle Staatsbezeichnung DDR des östlicheren Staates im Westen aus Gründen des Alleinvertretungsanspruchs (Hallstein-Doktrin) und der Ein-Staaten-Theorie vermieden werden sollte, verwendete man die Bezeichnung Mitteldeutschland für das gesamte Gebiet der DDR. In konservativen und revisionistischen Kreisen wird dieser Begriff häufig benutzt, um zu betonen, dass nach deren Meinung auch die östlich davon gelegenen Gebiete des ehemaligen Deutschen Reichs noch zu Deutschland gehören.
Literaturhinweise
- Jürgen John: "Deutschlands Mitte". Konturen eines Forschungsprojektes. Mitten und Grenzen 2003, S. 108-144.
- Jürgen John (Hrsg.): "Mitteldeutschland". Begriff - Geschichte - Konstrukt. Rudolstadt u.a. Hain-Verl., 2001. ISBN 3-89807-023-9. Hierzu Rezension von Peter Hübner in H-Soz-u-Kult, 18.01.2002].
- Jürgen John: "Mitteldeutschland"-Bilder. In: Geschichte Mitteldeutschlands. Das Begleitbuch zur Fernsehserie. Halle an der Saale : Stekovics, 2000, ISBN 3-932863-90-9.
Siehe auch
Weblinks
- Informationsquelle über Mitteldeutschland
- Mitteldeutscher Rundfunk
- Förderation Evang. Kirchen in Mitteldeutschland
- Länderserver für Kunst, Kultur und Bildung
- Initiative Mitteldeutschland der Landesregierungen
- Initiative zur Förderung des Regionenmarketings für Mitteldeutschland
- "Deutschlands Mitte". Konstruktionsprozesse und Sinnstiftungskonzepte intellektueller Regionaleliten im 20. Jahrhundert