Die Hermannstraße in Berlin-Neukölln führt vom Hermannplatz Richtung Süden und setzt sich nach der Ecke Juliusstraße beziehungsweise nach der neuen Autobahnauffahrt des Berliner Stadtring als Britzer Damm fort. Mit der Weiterführung im Buckower Damm Richtung Großziethen stellt der Straßenzug eine der historischen und größeren Berliner Nord-Süd-Verbindungen dar. Mehrere Kieze und Kirchhöfe bestimmen das Bild und die Struktur der dicht bebauten Wohn- und Geschäftsstraße. Bei ihrer Anlage um 1900 als sogenannte „bessere Viertel“ konzipiert, gehören zwei der Kieze heute zu den brisantesten sozialen Brennpunkten Berlins. Mit der Beschäftigung von Zwangsarbeitern auf einem der Friedhöfe in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs spielte sich an der Hermannstraße ein besonders unrühmliches Kapitel der jüngeren deutschen Kirchengeschichte ab.
Verlauf auf dem Teltowhang
Im ersten Teil verläuft die rund drei Kilometer lange Hermannstraße, lediglich durch eine kleine Nebenstraße getrennt, parallel zum Volkspark Hasenheide. Auf diesem sanft ansteigenden Teilstück führt die Straße aus dem Berliner Urstromtal hoch auf den Teltowhang, einer flachwelligen Hochebene, die sich im Mittel rund 15 Meter über das Niveau des zentralen Berlin erhebt. Der Teltowhang wechselt seine Richtung in der Hasenheide von Ost nach Süd, so dass die Hermannstraße an der Ecke zur Flughafenstraße das Höhenniveau der Teltowplatte erreicht und sich auf ihrem Hang fortsetzt.
Die parallele Neuköllner Magistrale hingegen, die Karl-Marx-Straße, liegt im tieferen Spreetalniveau mit der Folge, dass sämtliche Querverbindungen zwischen den beiden Hauptstraßen abschüssig verlaufen. Besonders anschaulich ablesbar ist diese geologische Gegebenheit an der Rollbergstraße, die vom heute zubetonierten ehemaligen Rollberg „hinunter ins Tal“ führt. Das Gefälle ist – für Berliner Verhältnisse – sehr ausgeprägt: die Bewohner der „oben“, also zur Hermannstraße hin gelegenen Rollbergsiedlung pflegten früher die eher einfachen Behausungen dieser Arbeitergegend ironisch als „ihre Chalets in den Rixdorfer Alpen“ zu bezeichnen.
Getrennt durch den Kiez an der Schillerpromenade und durch den Sportpark Neukölln verläuft die Hermannstraße ab Flughafenstraße parallel zum Gelände des Flughafen Tempelhof, der sich südlich an den Volkspark Hasenheide anschließt. In dem Bereich ab U-Bahnhof Leinestraße Richtung Süden passiert die Hermannstraße sechs verschiedene Kirchhöfe, die jeweils als schmale Streifen Richtung Westen zum Flughafen oder Richtung Osten zur Karl-Marx-Straße reichen.
Dabei schließt der St. Thomas-Kirchhof den Schillerpromenadenkiez, kurz Schillerkiez, bis zum Flughafen für den Autoverkehr ab, was zu einer ähnlichen Insellage des Kiezes wie bei der Schöneberger Roten Insel führt. Noch isolierter liegt der anschließende Warthekiez, dessen Südgrenze der St. Jacobi-Kirchhof bildet. Das folgende Viertel um die Emser Straße, das die Hermannstraße bis zur S-Bahn-Trasse begleitet, liegt vergleichsweise wieder etwas offener.
Zwei Namenspatrone
Die bis dahin unbenannte Straße erhielt 1859 die Bezeichnung Straße nach Britz. Ab 1875 erfolgte nach und nach von Norden her die Umbenennung in Hermannstraße und seit 1899 trägt sie auf der gesamten Länge ihren heutigen Namen. Für die Namensgebung gibt es eine „offizielle“ und eine „inoffizielle“ Version.
Arminius
„Offiziell“ benannt ist die Straße nach Hermann dem Cherusker, der im von Patriotismus und Nationalismus geprägten Deutschland des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Namensform des Cheruskerfürsten Arminius. Der historische Arminius hatte im Jahre 9 n. Chr. die römischen Legionen unter Varus in der Schlacht im Teutoburger Wald vernichtend geschlagen. Von ihm ist nur die latinisierte Namensform überliefert, die „Übersetzung“ mit dem modernen Namen Hermann ist aber wahrscheinlich ahistorisch. Der mythisch verklärte und überhöhte Arminius wurde als Hermann eine wichtige Identifikationsfigur des jungen deutschen Kaiserreichs, wofür das 1875 fertig gestellte Hermannsdenkmal bei Detmold das berühmteste Zeugnis darstellt.
Hermann Boddin
Fast die gesamte Kaiserzeit hindurch war die beherrschende Figur der Lokalpolitik Rixdorfs (das seit 1912 Neukölln hieß und 1920 zu Berlin kam) der Ortsvorsteher und spätere Bürgermeister Hermann Boddin (1844 – 1907). Eine Seitenstraße der Hermannstraße, die Boddinstraße, ist nach ihm benannt. Darüber hinaus gibt es den Boddinplatz, den U-Bahnhof Boddinstraße, die Hermann-Boddin-Grundschule, ein Ehrengrab auf dem landeseigenen Friedhof Britz sowie eine Gedenktafel. Die patriarchalische Dominanz, mit der Boddin „seine“ Vorstadtgemeinde beherrschte, führte unter den Rixdorfern zu der Mutmaßung, dass die Namensgebung der viel größeren, bedeutenderen Hermannstraße – für deren Ausbau er sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 1874 massiv eingesetzt hatte – in ihrer Doppeldeutigkeit von Boddin zumindest nicht ungern gesehen wurde. Meyer-Kronthaler und Kramer teilen dazu mit: „[...] bis heute ist nicht hundertprozentig geklärt, welcher Hermann seither als Namenspatron fungiert. [...] Glaubt man den Akten des Bezirksamtes, ist Boddin gemeint, obwohl bereits 1924 ein Dementi auf dem Tisch lag, das Boddins Schwager veröffentlichte.“
Auf Boddins Initiative geht die Umbenennung des als Vergnügungsviertel „übel beleumundeten“ (in Rixdorf ist Musike) Rixdorf zu Neukölln zurück, die Kaiser Wilhelm II. allerdings erst nach dem Tod des Bürgermeisters bewilligte. Die Umbenennung sollte die Anziehungskraft beispielsweise des neuen Viertels an der Schillerpromenade für „Besserverdienende“ erhöhen. Die Baugenehmigung hatte Boddin als Bürgermeister durchgesetzt, das Viertel entstand nicht zuletzt auf seine Initiative – und er soll von diesen Bauten finanziell nicht unwesentlich profitiert haben.
Rollkrug, Windmühlen und Zwangsarbeiter
Historische Kreuzung am Rollkrug
Lange bevor die Hermannstraße ihren Namen erhielt, stand an ihrem nördlichen Ausgangspunkt mit dem historischen Rollkrug ihr erstes Gebäude, das sich damals noch weit außerhalb der Berliner Stadtgrenze südlich des Cottbusser Tores befand. Die Pferdewechselstation lag zwischen Bruchländereien und Wiesen an der Wegkreuzung, die heute den Hermannplatz bildet. Zu dieser Zeit passierte hier zum einen die West-Süd/Ost-Verbindung vom Halleschen Tor über Rixdorf nach Wusterhausen, die durch die Hasenheide und über die Schlächterwiesen zur alten Wusterhausener Chaussee führte. Diese Verbindung ist heute ab Hermannplatz weitgehend identisch mit der Bundesstraße 179, die 1849 von der Wusterhausen-Lübbener Chausseebau-Aktiengesellschaft als befestigte Kunststraße (Chaussee) erbaut wurde und, ihrem Namen entsprechend, über Wusterhausen bis nach Lübben im Spreewald verlief. Bis zur Berliner Grenze ist dieser Straßenzug dargestellt durch: Hasenheide, Karl-Marx-Straße, Buschkrugallee, Rudower Chaussee, Neuköllner Straße und Waltersdorfer Chaussee. Zum anderen kreuzte die alte Nord-Süd-Verbindung vom Kottbusser Tor nach Mittenwalde, die als Dresdener Heerstraße (heute Kottbusser Damm) begann und sich im heutigen Straßenzug Hermannstraße, Britzer Damm usw. fortsetzte. Der Rollkrug bestand bis zum Jahr 1907 und wurde nach seinem Abriss durch ein Geschäftshaus ersetzt. In den ersten Jahren beheimatete das Gebäude eines der prominentesten Berliner Kinos.
Vier Windmühlen an der Straße
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen entlang der Hermannstraße verschiedene Windmühlen. Es gab die Mühle von Hänsche, ferner befand sich an der Ecke zur Leykestraße die Rohleder’sche und nur wenige Schritte weiter südlich gegenüber dem St. Thomas Kirchhof die Fuhrmann’sche – allesamt Bockwindmühlen. Die einzige Holländermühle der Straße krönte zwischen 1860 und wahrscheinlich 1872 den Rollberg; die Jungfernmühle kam aus Potsdam und wurde dann weiter nach Buckow in die Goldammerstraße 34 umgesetzt, wo sie als einzige erhaltene der ehemaligen „Hermannstraßenmühlen“ noch heute steht.
Kirchhöfe und Zwangsarbeiter
Neben der fast ununterbrochenen Wohn- und Geschäftshausreihe bestimmen die Kirchhöfe beziehungsweise Friedhöfe das Bild der Hermannstraße, in deren Bereich auf engstem Raum eine einzigartige Ansammlung von acht Friedhöfen zu verzeichnen ist.
Einmalige Konzentration
Die Gemeinden der Friedhöfe liegen nicht in Neukölln, sondern gehen überwiegend auf Gründungen des ehemaligen Stadtteils Luisenstadt zurück und befinden sich daher heute zu einem großen Teil in Kreuzberg. Nach den explodierenden Bebauungen der Gründerzeit (die Einwohnerzahl des alten Berlins, des heutigen Kernbereichs der Stadt, vervierfachte sich von 1861 auf 1910 von 500.000 auf 2 Millionen) fanden die Berliner Gemeinden in der engen Stadt keinen Platz mehr für ihre Grabstätten und verlegten die Friedhöfe nach draußen vor die Tore der Stadt. Auf den Feldern und Wiesen vor dem Cottbusser Tor fanden sich freie und preiswerte Flächen, die zudem über die Landstraße Hermannstraße gut zu erreichen waren. Die Kirchhöfe entstanden zu beiden Seiten der Straßen, wobei die nach Osten, Richtung Karl-Marx-Straße verlaufenden Anlagen das abschüssige Gefälle der ehemaligen Rollberge aufweisen.
Schon vor dem eigentlichen Bauboom der Stadt im Jahr 1852 legte die katholische Gemeinde St. Michael den ersten der Hermannstraßenkirchhöfe in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rollkrug an. Dieser einzige Friedhof im unteren ersten Straßenteil liegt heute im Eck zur Karl-Marx-Straße. Anders als die schmalen, querliegenden Kirchhofstreifen im mittleren Straßenteil verläuft der Kirchhof für rund einhundert Meter parallel zu Straße und sorgt gegenüber der dichten Häuserreihe des Hermannstraßenkiezes für eine ihrer wenigen nicht vollständig bebauten, sondern grünen und offenen Passagen.
Auch am südlichen Ende der Hermannstraße parallel zum neuen Autobahntunnel (siehe unten unter „Radfahrer“) befindet sich mit dem Emmauskirchhof ein Friedhof, der allerdings senkrecht zur Straße liegend als schmales Handtuch die Bebauung kaum auflockern kann. Die große Konzentration liegt mit sechs, gleichfalls schmalen und senkrecht liegenden, Kirchhöfen im mittleren Straßenbereich um den U-Bahnhof Leinestraße.
Kirchhöfe im Einzelnen
Die Bezeichnung der Kirchhöfe ist nicht einheitlich. So finden sich selbst vor Ort für den katholischen Friedhof St. Michael drei unterschiedliche Bezeichnungen. Über dem Eingangsportal prangt der alte Schriftzug Friedhof der St. Michael Gemeinde, eine moderne Tafel am Portal nennt den Kirchof Alter Friedhof der Kath. Gemeinde St. Michael und eine historische Tafel 20 Meter neben dem Portal trägt den Namen Kirchhof der Katholischen St. Michael Gemeinde. Wir orientieren uns im folgenden an der heutigen Namensgebung der jeweiligen Gemeinden.
Hermannstraße 79-83: Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde I
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Hermannstraße 84-90: Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche
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Hermannstraße 99-105: Neuer Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde
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Hermannstraße 129-137: Kirchhof der Emmausgemeinde
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Hermannstraße 179-185: Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde II
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Hermannstraße 186-190: Neuer Kirchhof der Luisenstadtgemeinde
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Hermannstraße 191-195: Kirchhof der St. Michael-Gemeinde
Dieser Kirchhof wurde in den Jahren 1863 bis 1895 in mehreren Etappen auf einer Fläche von 21.537 m2 geometrisch entlang einer zentralen Allee mit Eichen und Linden sowie drei Rondellen angelegt. Im vordersten Rondell steht ein dominantes Kruzifix. Die Kapelle des Kirchhofs an der Straße wurde 1884 von einem unbekannten Architekten im spätromantischen Stil angelegt. Die Fasade besteht aus gelben Verblendziegeln, wobei die Straßenfront optisch in drei Bereiche geteilt ist. Im Giebel befindet sich ein Glockenträger, darunter ein Christuskopf, angebaut sind eine Leichenhalle sowie ein Verwaltungsgebäude. 1912 erfolgte eine Umgestaltung der Fassade sowie ein weiterer Ausbau der Kapelle, im 2. Weltkrieg wurde sie beschädigt und 1954 durch Wilhelm Fahlbusch wieder restauriert.
Hermannstraße 234-253/Karl-Marx-Allee 4-10: Alter Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde
Der alte Kirchhof der St. Jacobigemeinde wurde bereits 1852 angelegt und liegt zum Teil an der Hermannstraße und zum Teil an der Karl-Marx-Allee. Es handelt sich um eine weitestgehend geometrische Anlage mit Allen und Einzelbäumen, vor allem Kastanien und Linden. Schmuckplätze sind auf den 40.908 m2 nicht vorhanden. An der Friedhofsmauer befinden sich Erbbegräbniswände und im Ostteil des Kirchhofes wurde später ein Urnenhain ergänzt. Die Kapelle wurde 1911 bis 1912 vom Stadtbaurat Reinhard Kiehl als ein rechteckiger Putzbau im antik römischen Stil erbaut. Die Wandflächen wurden durch ein Puttenfries und Pilaster strukturiert. Die Vorhalle ist offen in der Mittelachse gestaltet, daran schließt sich ein rechteckiger Hauptraum mit einer halbkreisförmigen Apsis, toskanischen Säulen an den Seiten und kleinere Pilaster und Pfeiler im Chorbereich. Die Fensterung besteht aus rundbogenfenstern, die mit Blenden abwechseln sowie darüber liegende quadratische Fenster, das Fensterglas ist teilweise farbig. Gemeinsam mit dem Verwaltungsgebäude, dem Eingangstor und dem anschließenden Kirchhofsgitter aus metallenen Speeren und toskanischen Säulen sowie einem Kollonadenteil ist die Kapelle zu einer Baugruppe vereint, die zur gleichen Zeit gebaut wurde. Im Krieg wurde das Ensemble teilweise zerstört, kurz danach jedoch wieder hergestellt.
Auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche spielte sich eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Deutschen Kirchengeschichte ab.
Sklaven der Kirche
Erst in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts trat zu Tage, dass die Deutschen Kirchen während des Zweiten Weltkriegs in erheblichem Ausmaß Zwangsarbeiter angefordert und deutschlandweit beschäftigt hatten. Im Sommer 2000 räumte der Berlin-Brandenburgische Bischof Wolfgang Huber ein, dass auch in Berlin auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche an der Hermannstraße 84-90 in den letzten drei Kriegsjahren ein Barackenlager für rund 100 Zwangsarbeiter bestand, die überwiegend zur Grabpflege und zur Bestattung von Bombenopfern zum Einsatz kamen. Mit aktiver Unterstützung der obersten Kirchenleitung bekam das Lager eine sogenannte „Rüstungsnummer“ und war damit als „kriegswichtig“ anerkannt. Die Kirchen sollen zudem die Ermordung von Kindern der Arbeiter schweigend in Kauf genommen haben.
Beteiligt an diesem dunklen Kapitel der deutschen Kirchengeschichte waren 39 evangelische und 3 katholische Gemeinden. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat inzwischen ein Schuldbekenntnis abgelegt, außerdem beteiligten sich die Kirchen an Entschädigungszahlungen.
Unter welchen Greueln und Entbehrungen die überwiegend russischen und ukrainischen Arbeiter, in der nationalsozialistischen Ideologie slawische Untermenschen, litten, beschreibt Wasyl Timofejewitsch Kudrenko, der mit 16 Jahren aus der Ukraine nach Berlin verschleppt wurde und im Jahr 2005 ein Tagebuch über den Alltag und das Überleben im Lager veröffentlichte. Darin heißt es: „Die schweren Bomben fielen auf den Friedhof und schleuderten die zuvor Begrabenen wieder empor ... Leichenteile, Eingeweide – alles auf dem Baum – schrecklich. Es war ein Horror. Wir „Ostarbeiter“ legten sie in die Gräber zurück. Aber nicht jeder konnte das ertragen, psychisch aushalten.“
Unter ständiger Todesangst und ausgezehrt durch eine völlig unzureichende Ernährung gingen die „Sklaven“ der Kirchen den Arbeiten nach, denn das Lager lag unmittelbar neben dem kriegswichtigen Flughafen Tempelhof, der besonderes Ziel der Flüge der Alliierten war. Kudrenko schreibt: „Wir suchten bei den Angiffen dort Schutz, wo der Alarm uns überraschte: zwischen den Särgen, in der Kanalisation, in Rohren“. Mehrfach kam es zu Bombentreffern im Barackenlager, im Jahr 1944 brannte es in kürzester Zeit vollständig aus. Zuflucht zu Schutzräumen war den Zwangsarbeitern verwehrt.
Zwangsarbeiter im Alter zwischen 53 und 64 Jahren kamen namentlich als wegen ihres körperlichen Zustandes nicht mehr vewendbar auf eine Liste und wurden in ein Sammellager abgeschoben. In dem Lager fand mit einiger Sicherheit keinerlei medizinische Versorgung mehr statt, zudem gab es hier so gut wie keine Ernährung – eine hohe Sterblichkeitsrate war die Folge. Das Kriegsende befreite die Überlebenden im Sammellager und auf dem Kirchhof.
Informationstafeln vor Ort listen alle beteiligten Berliner Gemeinden auf. Die Tafeln verzeichnen ferner die Namen der 96 Zwangsarbeiter, die namentlich bekannt sind. Seit dem Jahr 2002 befindet sich an der Stelle des Lagers ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers Rainer Fest, der auf der Oberfläche gleichfalls die beteiligten Gemeinden per Gravur festhält. Eine Schicht des Findlings, aus dem der Stein gearbeitet ist, schnitt Fest heraus und teilte sie in 42 Einzelteile – mit je einem Namen der beteiligten Gemeinden. Jede Gemeinde erhielt zur Erinnerung an ihre Verantwortung „ihren“ Stein, eine Verantwortung, die sich an der Oberfläche des Gedenksteins mit allen Namen zur Gesamtverantwortung zusammenfügt.
Von der Pferdebahn zur U-Bahn
Die Poststraße Berlin-Mittenwalde-Dresden, deren Einweihung im Jahr 1712 statt fand, führte über die heutige Hermannstraße. Schon früh begann die Einbindung der bevölkerungsreichen Viertel an der Straße in das Berliner Verkehrsnetz. Am 6. Juni 1885 eröffnete die Stadt Rixdorf eine Pferdeeisenbahn-Linie vom Hermannplatz zur Hermannstraße/Ecke Knesebeckstraße (heute Silbersteinstraße). Betreiber war die Pferdebahn der Gemeinde Rixdorf, die bereits gut zwei Jahre später in der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn A.-G. aufging. Heute führt die U-Bahnlinie 8, die aus Wittenau kommt, unter der Straße entlang. Über die U-Bahnhöfe Hermannplatz, Boddinstraße und Leinestraße verläuft die Linie bis zum Endbahnhof Hermannstraße, der rund einhundert Meter vor dem Übergang der Hermannstraße in den Britzer Damm liegt. An gleicher Stelle kreuzt die Berliner Ringbahn, die hier den stark frequentierten S-Bahnhof Hermannstraße unterhält.
S-Bahnhof Hermannstraße
Ringbahnbau und Bahnhofsschließung
Am 15. November 1877 nahm die Stadt den ersten Teil der Berliner Ringbahn in Betrieb: die Strecke führte von Moabit, über Weißensee, Rixdorf nach Schöneberg. Am darauffolgenden 1. Januar fuhren die ersten Personenzüge auf der neuen Strecke. Vor allem während des viergleisigen Ausbau zwischen 1887 und 1910 kamen weitere Haltepunkte an der Ringbahn hinzu, darunter auch der Bahnhof an der Rixdorfer Hermannstraße.
Am 1. Februar 1899 war der Vorortbahnhof Hermannstraße fertig gestellt, vorerst sollten hier 29 Jahre lang dampfbetriebene Züge fahren. Ein Zugang war damals nur zum Ostende, das heißt in Richtung Bahnhof Neukölln, vorhanden. Ein kleines, mit roten Ziegeln verblendetes Eingangshäuschen empfing die Fahrgäste. 1910 kam ein Eingang von der parallel zur Ringbahn verlaufenden Siegfriedstraße hinzu. In den darauffolgenden Jahren änderte sich relativ wenig an der Bahnhofsstruktur. Nach der von der Reichsregierung beschlossenen Großen Elektrisierung sollten auch auf der Ringbahn die rot-gelben S-Bahn-Züge fahren. Während die erste S-Bahnstrecke 1924 nach Bernau führte, dauerte die Aufnahme des S-Bahn-Verkehrs auf der Ringbahn bis zum Jahr 6. November 1928.
Der gut zehn Jahre später beginnende Zweite Weltkrieg hatte weitreichende Folgen für das Bahnnetz der Reichshauptstadt. Während der Bahnhof von Bombentreffern verschont blieb, kam es zu schweren Beschädigungen des Eingangsgebäudes, als die Kampfhandlungen bereits in Berlin stattfanden. Die Einstellung des Betriebs an der Station Hermannstraße erfolgte im April 1945. Anschließend waren gelegentlich Dampfzüge auf der Strecke unterwegs und die ersten Regelzüge fuhren wieder am 18. Juni 1945.
Nach der Spaltung Berlins verkehrte die S-Bahn, jetzt unter der Regie der Deutschen Reichsbahn, weiterhin. Allerdings gab es einen auf die Streckenführung zwischen Gesundbrunnen und Sonnenallee beziehungsweise Köllnische Heide verkürzten Betrieb. Diese Einschränkung führte dazu, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund, unterstützt durch weitere Organisationen, zu einem Fahrgastboykott der „DDR-S-Bahn“ aufrief, der Erfolg hatte und zum Niedergang der S-Bahn in West-Berlin führte.
1961, im Jahr der Teilung Berlins, schlossen die Behörden am historischen Bahnhof Hermannstraße den 1910 eröffneten Eingang zur Siegfriedstraße, im Oktober 1976 folgte der Abriss. Zwar ließ die Deutsche Reichsbahn das zerstörte Empfangsgebäude bis 1968/69 sanieren, jedoch bereits im Jahr 1971 erneut abreißen und durch einen schlichten Neubau im Stil der 70er Jahre ersetzen. Im September 1980 streikten die Mitarbeiter der West-Berliner S-Bahn aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen. Die Deutsche Reichsbahn reagierte mit einer Quasi-Kompletteinstellung des S-Bahnnetzes im Westen. Nur noch wenige Strecken waren in Betrieb – die Ringbahn mit dem Bahnhof Hermannstraße gehörte nicht dazu.
Neuer Start 1993
Der Bahnhof und mit ihm die gesamte Ringbahn fielen in einen „Dornröschenschlaf“. Auch die Übergabe der S-Bahn von der Reichsbahn an die BVG änderte daran vorerst nichts. Im Jahr 1989 – die S-Bahn gewann in West-Berlin zunehmend an Popularität – begannen die ersten Arbeiten für die Reaktivierung der Ringbahn. Die Strecke sollte von Westend nach Köllnische Heide fahren, die fehlenden Abschnitte zur Sonnenallee und nach Gesundbrunnen sollten später folgen. Die Ereignisse des November 1989 und die Wiedervereinigung änderten die S-Bahn-Planungen.
Der für 1992 geplante Start der Ringbahn verzögerte sich um ein Jahr. Die BVG verlängerte die Strecke im Südosten von Köllnische Heide bis zum Bahnhof Baumschulenweg, einen Ost-Berliner-S-Bahnhof. Der Bahnhof Hermannstraße wurde komplett umgebaut und unter die Hermannstraßenbrücke gesetzt, sodass heute kaum noch Spuren der historischen Station vorhanden sind. Die beiden Empfangsgebäude, die direkt in die Hermannstraße münden, bekamen einen Anstrich mit zwei Farben – blau und grün. Diese Farbgebung in Anlehnung an die „Farben“ der U- und S-Bahn sollte symbolisieren, dass hier ein wichtiger Knotenpunkt entstand, denn die U-Bahn unter der Hermannstraße sollte eine Verlängerung vom bisherigen Endpunkt U-Bahnhof Leinestraße bis zum S-Bahnhof Hermannstraße bekommen. Nach gut 60 jährigem Baustopp war der U-Bahn-Anschluss an die Ringbahn und damit an das S-Bahn-Netz mit der Eröffnung am 13. Juli 1996 hergestellt.
Die feierliche Einweihung fand am 17. Dezember 1993 mit einer Parallelfahrt von zwei Zügen der Baureihe 485 statt. Seit diesem Zeitpunkt fahren zwei neue S-Bahnlinien, die S45 vom Flughafen Schönefeld und die S46 von Königs Wusterhausen, auf dem neuen Ring. Heute befahren mit (S45, S46, S47) drei S-Bahnlinien, die aus dem Südosten kommen, den Ring. Hinzu kommen die beiden „Ringlinien“ (S41 und S42). Hinter dem Bahnhof Hermannstraße befindet sich eine neue zweigleisige Kehranlage, auf der die Züge vom Flughafen Schönefeld in der Nebenverkehrszeit enden.
U-Bahnhof Hermannstraße
Im Jahr 1927 eröffnete die Stadt Berlin, zu der Neukölln seit sieben Jahren zählte, die erste Teilstrecke der damaligen U-Bahnlinie D, heute U-Bahnlinie 8, zwischen Schönleinstraße und Boddinstraße. Die Ausdehnung auf die Strecke Gesundbrunnen – Leinestraße erfolgte etappenweise in den folgenden drei Jahren. Baupläne für eine U-Bahn zum S-Bahnhof Hermannstraße gab es bereits seit 1910. 1929 begannen die ersten Arbeiten in Richtung Süden, damals war die Fertigstellung für März 1930 geplant, doch die Wirtschaftskrise verhinderte die weitere Ausführung. 1931 stellte die Stadt Berlin als Bauherr die Arbeiten endgültig ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Tunnel zum Bahnhof Leinestraße und mit 23 Metern etwa ein Fünftel des zukünftigen Bahnsteigs fertig gestellt.
Die tiefe Lage aufgrund der Unterquerung der S-Bahn prädestinierte den noch im Rohbau befindlichen Bahnhof zum Ausbau als Luftschutzbunker, zu dem es im Jahr 1940 kam. Noch heute erinnern Relikte an diesen Bunker. Nach 1961 verfolgte der Senat die Verlängerungspläne nicht weiter, da eine Umsteigeverknüpfung mit der von der zur DDR gehörenden Reichsbahn betriebenen S-Bahn nicht erwünscht war. Den bereits errichteten Tunnel benutzte die BVG als Abstellanlage für nicht mehr gebrauchte Züge.
Nach der Wiedervereinigung kam es zur Verwirklichung der alten Pläne mit der Zusammenführung von U- und S-Bahn am Bahnhof Hermannplatz. Die für den 17. Dezember 1993 vorgesehene Wiederöffnung des S-Bahnrings, den die Deutsche Reichsbahn 1980 nach einem S-Bahnerstreik still gelegt hatte, setzte den Senat und die BVG unter Zeitdruck, denn die Bauarbeiten des U-Bahnhofes mussten vor der Wiedereröffnung des S-Bahnrings beginnen. Die Arbeiten umfassten die Sanierung des Altbautunnels und des schon vorhandenen Bahnsteigs, den Neubau des restlichen Bahnsteigs und die Errichtung einer 320 Meter langen Kehranlage. Außerdem waren Übergänge zum darüber liegenden S-Bahnsteig sowie mögliche Treppen zu einem geplanten Regionalbahnhof zu berücksichtigen.
Am 13. Juli 1996 feierte Berlin die Eröffnung des 168. U-Bahnhofs, des U-Bahnhofs Hermannstraße. Wie bei fast allen Bahnhofsneubauten der jüngeren Zeit war Rainer Gerhard Rümmler, übrigens zum letzten Mal, für die Gestaltung des Bahnhofes zuständig. Er orientierte sich in der Gestaltung weitgehend an den Bahnhöfen, die vor der Hermannstraße liegen und die Alfred Grenander konzipiert hatte. Sein Entwurf führte zu einem sehr sachlichen, mit türkisen Fliesen versehenen Bahnhof. An verschiedenen Aussparungen der Fliesenwände erinnern Tafeln mit den erhaltenen historischen Bunkerhinweisen an einen Teil der Baugeschichte.
Individualverkehr in der Hermannstraße
Autoverkehr
Trotz der ausgezeichneten Einbindung in den Öffentlichen Personennahverkehr der Stadt mit U- und S-Bahn ist die Hermannstraße aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage, den Verkehr des bevölkerungsreichen Ballungsgebietes zufriedenstellend aufzunehmen; eine Erweiterung der Straße ist aufgrund der dichten Bebauung kaum möglich.
Die Dichte des Individualverkehrs liegt nicht höher als bei ähnlich stark frequentierten Straßen. Ferner hat die Anbindung an die Bundesautobahn100 (Berliner Stadtring) mit der Anschlussstelle Britzer Damm im Jahr 2000 zu einer spürbaren Entlastung des Durchgangsverkehrs nach Britz und Buckow geführt. Dennoch fließt der Verkehr nach wie vor überaus zähflüssig durch die Straße und ihr Durchfahren bringt für die Verkehrsteilnehmer eine hohe Stressgbelastung mit sich. Gründe dafür sind:
Die vier Spuren und zwei Parkstreifen sind unterbrochen durch mehrere Verkehrsinseln für U-Bahnhöfe und Bushaltestellen, an denen sich die Fahrbahn verengt. Die hohe Zahl der Nebenstraßen nimmt die Links- und Rechtsabbieger nur schleppend auf, da das große Fußgängeraufkommen in den Ampelgrünphasen nur wenige Autos passieren lässt. Die Ampelanlagen folgen in einigen Abschnitten überaus kurz hintereinander. Die dichte Bebauung mit Wohnblocks und Geschäften lässt sowohl Anwohner wie Lieferanten sehr häufig in der zweiten Spur halten oder kurzzeitig parken. Insgesamt führen diese Faktoren dazu, dass die Fahrt durch die Hermannstraße insbesondere in den Hauptverkehrszeiten in der Regel einem Slalomrennen gleicht. Ein Ausweichen ist so gut wie unmöglich, denn der Verkehr fließt in der parallelen Karl-Marx-Straße nicht viel anders. Und die Straßen der östlichen Kiezgebiete führen aufgrund ihrer Insellagen zum Teil wieder zurück auf die Hermannstraße und bieten durch die Abtrennungen durch die Kirchhöfe keine abkürzenden Durchfahrten; zudem unterliegen sämtliche angrenzenden Wohnviertel der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h.
Dieser Stopp- and Go-Verkehr verursacht für Anwohner und Verkehrsteilnehmer eine hohe Lärmbelästigung und Gefährdung durch Schadstoffkonzentrationen.
Radfahrer
Die umweltbelastete Slalomstrecke verfügt lediglich im unteren Teil zwischen Hermannplatz und U-Bahnhof Boddinstraße über einen Fahrradweg. Die übrigen Straßenbereiche sind für Radfahrer nicht zu empfehlen. Dennoch gibt es im Ballungsgebiet Hermannstraße eine außerordentlich angenehme und sogar – mitten in der Stadt – abwechslungsreiche sowie landschaftlich reizvolle Radverbindung in die benachbarten Ortsteile Britz, Schöneberg oder Kreuzberg. Diese auch hinsichtlich des Belages sehr gute Verbindung spart die Hermannstraße aus und verläuft durch die Kieze direkt neben dem Flughafen Tempelhof zum Columbiadamm. Radfahrer und Fußgänger kommen an den Stellen, die dem Autoverkehr versperrt sind, weiter.
Aus Richtung Britz (der Britzer Damm führt einen Radweg) beginnt die Strecke an der neuen Autobahnanschlussstelle Britzer Damm. Die Autobahn wird hier in dem 1,7 Kilometer langen, hochmodernen und bislang permanent störanfälligen Tunnel Ortsteil Britz aus dem Jahr 2000 unter den westlichen Neuköllner Wohngebieten und unter dem Britzer Damm in Richtung Dreieck Neukölln hindurchgeführt; die Anschlussstelle führt hinunter in den Tunnel. Nach Fertigstellung legte das Land Berlin auf der Tunneldecke eine langgezogene Grünanlage mit Spiel- und Sportplätzen an, die parallel zum Gartendenkmal Emmauskirchhof verläuft. Dieser langgestreckte Streifen ist für Radfahrer wunderbar zu durchfahren. Auf Höhe des Mariendorfer Weges gelangt man über die wenig befahrene Eschersheimer Straße über die S-Bahn-Trasse in die Oderstraße und damit in den Kiezbereich. Ein verhältnismäßig neuer Radweg verläuft zweispurig zwischen Oderstraße und dem Sportpark Neukölln, der seit einigen Jahren zu Ehren des 1944 hingerichteten Widerstandskämpfers und erfolgreichen Ringers Werner Seelenbinder dessen Namen trägt. Der Weg führt an der renovierten Eissporthalle, den folgenden Sportgebäuden und -Plätzen sowie an der Gedenkstätte für Werner Seelenbinder vorbei.
Am Ostende des Kirchhofs der Jerusalems- und Neuen Kirche stößt der Weg direkt auf das Feld des Flughafens und führt in einem für den Autoverkehr nicht passierbaren Bogen um das Feld herum in den zweiten Teil der Oderstraße. Hier besteht parallel zum Flughafen ein uralter Radweg, der vielfach aufgeplatzt und unpassierbar ist. Ausgleichend steht dem Radverkehr die gesamte Oderstraße zur Verfügung, die so gut wie keinen KFZ-Verkehr mehr aufweist. Am Nordende der Oderstraße, an dem der KFZ-Verkehr wiederum abbiegen muss, führt ein breiter Rad- und Fußgängerweg zwischen dem Sommerbad Columbiadamm und den Freizeitanlagen an der Jahnsporthalle weiter zum Columbiadamm. Am Damm verlaufen Radwege nach Westen Richtung Tempelhof und Schöneberg oder nach Osten Richtung U-Bahnhof Boddinstraße, an dem der Anschluss zur Hermannstraße hergestellt ist. Über den einzigen Radwegabschnitt der Hermannstraße gelangen die Radler hinunter zum Hermannplatz. Landschaftlich noch reizvoller lässt sich der Hermannplatz erreichen, wenn man den Columbiadamm überquert und in den gegenüberliegenden Volkspark Hasenheide eintaucht. Wahlweise asphaltierte Wege oder feste Sandwege leiten durch den Park Richtung Nordosten zum Hermannplatz und Richtung Nordwesten zum Kreuzberger Südstern.
Strukturentwicklung und Kieze
Die soziale Struktur der Geschäfts- und Wohnstraße bestimmen kleine Gewerbebetriebe, eine Vielzahl an Geschäften, darunter etliche türkische Märkte und Bäckereien, sowie Wohnhäuser und Wohnblocks, die teilweise aus der Gründerzeit stammen. Auf der Ostseite der Hermannstraße 214-216 entstand im Jahr 1996 das moderne Büro-und Geschäftszentrum Kindl-Boulevard, das sich tief in die Fläche der ehemaligen Rollberge erstreckt. Neben Geschäften, Restaurants, den Rollberg-Kinos und Ausstellungsräumen findet hier auch das Frauenwirtschaftszentrum Neukölln Platz, das insbesondere Existenzgründerinnen Raum geben soll. Das Zentrum, in das eine Münchner Baufirma 400 Millionen Euro investiert hatte, steht im Kontrast zu der sonstigen Geschäftsstruktur der Straße, die zu einem erheblichen Teil von Einzelhändlern und Billigläden mit häufigen Besitzerwechseln gekennzeichnet ist.
Die Hermannstraße wird im gesamten westlichen Teil von drei Kiezen begleitet. Im unteren Teil von dem Hermannstraßenkiez, der westlich vom Volkspark Hasenheide, nördlich von der Hasenheide (Straße) und südlich vom Columbiadamm begrenzt wird. Jenseits des Columbiadamm schließen sich an den Volkspark die Gelände des Flughafen Tempelhof beziehungsweise des Sportparks Neukölln an, die die südlich folgenden Kieze, den Schillerkiez, den Warthekiez und das Viertel an der Emser Straße nach Westen abgrenzen.
Hermannstraßenkiez
Der Hermannstraßenkiez um Wissmannstraße und Karlsgartenstraße am Volkspark Hasenheide entstand in der Gründerzeit als Vergnügungsviertel mit Biergärtern, Theatern und Tanzsälen. Heute ist der Kiez ein reines Wohnvietel mit einigen kleineren Gartenlokalen. Für ein weltstädtisch vielfältiges Flair sorgt die Werkstatt der Kulturen in der Wissmannstraße, die mit zahlreichen Ausstellungen Besucher anzieht und sich als Dialog- und Kooperationspartner der Migrantenszene in Berlin versteht und Forum für eine multikulturelle Bürgergesellschaft sein will. Die Werkstatt der Kulturen besteht seit dem 22. Oktober 1993 in dem sehenswerten historischen Gebäude einer ehemaligen Brauerei.
Ein weiteres Stück des alten Vergnügungsviertels findet sich mit dem Kino Neues Off direkt an der Hermannstraße 20, das 1919 als Theater und Varieté gegründet und seit 1926 unter dem Namen Rixi (Rixdorfer Lichtspiele) als Kino genutzt wurde. Trotz Restaurierung versprüht das Haus noch viel Charme vergangener Zeiten – im Foyer fällt beispielsweise ein roter Sarotti-Tresen im Design der 50er Jahre ins Auge. Das Kino ist Teil eines vierstöckigen Wohnhauses und eines der letzten alten Lichtspielhäuser, die in Berlin bis heute überleben konnten.
Auch das Palastkino Stern gehörte zu den kleineren Filmtheatern der Zwischenkriegszeit. Es wurde in den Jahren 1925 bis 1926 von Max Bischoff und Heinrich Möller sowie dem Ingenieur Gustav Heun durch einen Umbau eines ausgebrannten Hinterhaus-Saales in der Hermannstraße 49 aufgebaut. Der breite Eingangsbereich bestand aus dem erneuerten Erdgeschoss und ersten Obergeschosss des Wohnhauses, neben der Tür befanden sich Schaukästen mit dem Kinoprogramm. Die Vorhalle bildete ein Raum mit dunkler Holzverkleidung und blaugoldener Decke. Der rechteckige Zuschauerraum bot im Parkett 638, auf dem Rang 464 und in den in den Saal ragenden Logen 98 Zuschauern Platz. 1935 baute Heinrich Möller die Fassade um, im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Gebäudes zerstört, die 1946 wieder hergestellt werden konnten. 1956 wurde das Kino von P. de Born umgebaut, 1973 endete die Nutzung als Kino und ein erneuter Umbau machte aus dem Gebäude einen SB-Laden.
Das größte Kino Deutschlands
In den Jahren 1926 bis 1927 entstand unter der Leitung des Architekten Fritz Wilms mit dem Mercedes-Palast Neukölln das damals wahrscheinlich größte Filmtheater Deutschlands an der Hermannstraße 214, Ecke Rollbergstraße, inmitten des Arbeiterbezirks Neukölln. Fritz Wilms hatte sich in Berlin bereits durch eine Reihe weiterer Theaterbauten einen Namen gemacht, ganz besonders durch das Piccadilly in Charlottenburg. Seine Bauten waren vor allem wenig strukturierte, klare Blockbauten und beim Mercedes-Palast verzichtete er erstmals auf allzu expressionistische Details wie man sie an anderen Bauwerken von ihm noch finden konnte. Ob dieser Trend an dem Geschmack der Zeit oder an den zur Verfügung stehenden Geldern lag, lässt sich heute allerdings nicht mehr nachvollziehen. Das Gebäude hat eine Baufläche von 3773,20 m2, wobei die Vorderfront an der Hermannstraße etwa 50 m und die Seitenfläche an der Rollbergstraße etwa 72,5 m lang ist. Beiderseits des hervorgezogenen Eingangsbereichs wurden Ladengeschäfte eingebaut und oberhalb der vier Eingänge befinden sich fünf Meter hohe Plakatwände, getrennt durch vierkantige Halbsäulen. Den oberen Abschluss bildete ein Abschlussgesims mit grünen Laternen
Im Innern wurde diese Schlichtheit allerdings nicht fortgeführt. Im großräumigen Foyer dominierten die Farben Gold, Silber, Blau und das Scharlachrot der Wände, der Fußboden bestand aus gelbbraunen Steinplatten aus Solnhofen. Der anschließende Vorführraum hatte eine kuppelförmige, blaugrüne Decke, die zudem noch von Strahlern oberhalb der Logenbekrönung azurblau angestrahlt wurden und so einen Abendhimmel imitieren sollte. Während der Vorführung wandelte sich dieser durch kleine, beleuchtete Öffnungen in einen Nachthimmel mit Sternen. Das Zentrum der Decke bildete eine sternförmiges Rosette aus buntem Kristallglas, die von innen beleuchtet wurde, am Rand war sie mit Blattgold verziert. Die Bühne war nach hinten durch eine halbrunde Projektionsfläche angeschlossen und befand sich hinter einem Orchestergraben.
Die Deutsche Bauzeitung lobte allerdings ein ganz anderes, nicht unwesentliches Detail des Kinos:
- „Jeder Platz kostet bei der ersten Vorstellung 0,60 M und bei den späteren Vorstellungen 1 M. Auf diese Weise ist der Mercedes-Palast im wahrsten Sinne des Wortes ein Volkstheater, da es der minderbemittelten Bevölkerung möglich ist, große Filme, die meiste noch von kleinen Revuen begleitet sind, zu erschwinglichen Preisen zu sehen“ (Deutsche Bauzeitung; Jahrgang 1927, Seite 638)
1932 erfolgten die ersten Umbauten durch den Architekten Gustav Neustein und seinem künstlerischen Mitarbeiter Bruno Meltendorf, im 2. Weltkrieg wurde der Plast im Bombenhagel beschädigt. In den Jahren 1928 bis 1951 erfolgte die Wiederherstellung, diesmal wieder unter der Leitung von Fritz Wilms. In dieser Zeit wurde das Foyer als Vorführraum für bis zu 854 Zuschauer genutzt. Nach dem Umbau, nach dem der Vorführraum durch neue Wände trapezförmig war, hatten hier im Parkett 1426 Menschen Platz, im Hochparkett zusätzlich 634.
1955 zog P. de Born eine Zwischendecke in das Foyer ein, in der oberen Etage entstand das Kino Roxy mit 750 Plätzen. Weitere Umgestaltungen erfolgten 1966 durch Hans Joachim Woyke. 1969 wurde das gesamte Gebäude zu einem Woolworth-Warenhaus umgebaut, wobei vor allem die Fassade massiv verändert wurde.
Schillerkiez, Warthekiez und Rollbergsiedlung
Auch das Viertel um die Schillerpromenade, das auf altem Ackerland entstand, war von der Stadt Rixdorf und ihrem Bürgermeister Hermann Boddin um 1900 als „Wohnquartier für Besserverdienende“ und als Gegenpol zu der Arbeitersiedlung auf den Rollbergen konzipiert, die bereits in den Jahrzehnten zuvor errichtet worden war. Mit seinen alten Bauten und dem nach wie vor großzügigen und begrünten Mittelstreifen der 50 Meter breiten Schillerpromenade steht das Viertel seit 1996 unter Ensembleschutz. Die Promenade führt vom Columbiadamm über den zentralen Herrfurthplatz mit der Genezarethkirche aus dem Jahr 1906 direkt auf das historische Gebäude der ehemaligen Ingenieurschule für Bauwesen zu und endet dort; das denkmalgeschützte Gebäude aus dem Jahr 1914 in der Leinestraße beherbergt heute die Carl-Legien-Oberschule. In den 1920er Jahren ergänzte Bruno Taut, der Architekt der Britzer Hufeisensiedlung, den Kiez um preiswerte Arbeiterwohnungen an der Oderstraße, die im Stil seiner sozialreformerischen, nicht-kommerziellen Konzepte gehalten waren.
Zählt schon der Schillerkiez in seiner Bevölkerungsstruktur heute zu den eher benachteiligten Vierteln mit einem hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern, ist im Warthekiez die strukturelle Arbeitslosigkeit und insbesondere auch die Langzeitarbeitslosigkeit besonders ausgeprägt. Die sozial-räumliche Polarisierung ist in beiden Vierteln dem Verlust der altindustriellen Arbeitsstätten sowie der unmittelbaren Nachbarschaft zum Flughafen Tempelhof geschuldet, dessen Lärmbelästigung das Mietpreisniveau und in der Folge die Qualität der Wohnungen beträchtlich senkte. Erst in den letzten Jahren wird in diesem Bereich eine leichte Erholung spürbar, die in der weitgehenden Verlagerung des Luftverkehrs zum Flughafen Tegel begründet ist.
Durch Maßnahmen wie Quartiersmanagement, intensivierter Jugendarbeit, Modellprojekt zur Gewaltprävention oder Verbesserung der Freizeitangebote versucht der Bezirk Neukölln in Zusammenarbeit mit kirchlichen und freien Trägern, gegenzusteuern. Investionen wie in den Sportpark an der Oderstraße sollen das Viertel aufwerten, beispielsweise konnte im Herbst 2005 das mit erheblichen Mitteln restaurierte und erweiterte Eisstadion Neukölln wiedereröffnet werden. Da sich diesen westlich der Straße gelegenen Kiezen noch die östlich angrenzende Rollbergsiedlung zugesellt, die als ganz besonderer sozialer Brennpunkt gilt, ist resümierend festzustellen, dass die Hermannstraße einen Teil des besonders benachteiligten Berlins durchläuft.
Literatur, Verweise, Weblinks
Sonstige Quellen
- Zum Abschnitt „Zwangsarbeiter...“: Informationssäule im Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche mit acht Bild- und Schrifttafeln. Die Zitate von Kudrenko sind diesen Tafeln entnommen.
Literatur
- Borgelt, Christiane, Jost, Regina: Architekturführer Berlin-Neukölln, Stadtwandel Verlag Berlin 2003, ISBN 3-933743-9-15
- 100 Jahre Bauen für Neukölln – Eine kommunale Baugeschichte, herausgegeben vom Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abt. Bauwesen, Berlin 2005, ISBN 3-00-015848-0
- Willy Grigat, Britz einst und jetzt, 1932. Auszugsweise wiedergegeben und hier benutzt in: Britzer Heimatgeschichte, Veröffentlicht im Gemeindebrief der Dorfkirche Britz. Ausgaben Februar 1979 bis Dezember 2000. online als pdf zum Rollkrug Seite 36, zu den Windmühlen Seite 31
- Erich Schuppan (Hrsg.): Sklave in Euren Händen. Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg, Wichern Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-88981-155-8
- Wasyl Timofejewitsch Kudrenko, Bist Du Bandit? Das Lagertagebuch des Zwangsarbeiters Wasyl Timofejewitsch Kudrenko, Wichern Verlag, Berlin 2005, ISBN 3889811736 Zitate nach den Informationstafeln, siehe „sonstige Quellen“
- Jürgen Meyer-Kronthaler und Wolfgang Kramer: Berlins S-Bahnhöfe – Ein dreiviertel Jahrhundert, be.bra. verlag, Berlin, Oktober 1998, ISBN 3930863251 Zitat zu Hermann Boddin Seite 120
- Jürgen Meyer-Kronthaler: Berlins U-Bahnhöfe – Die ersten hundert Jahre, be.bra Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-930863-16-2
- Udo Dittfurth, Strecke ohne Ende – Die Berliner Ringbahn, 2002, GVE Verlag, Berlin, ISBN 3-89218-074-1
- Robert Riedel (Hrsg):Berlin und seine Bauten. Teil V: Bauwerke für Kunst, Erziehung und Wissenschaft, Band A: Bauten für die Kunst, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1983, ISBN 3-433-00944-9
Weblinks
- Schockwellenreiter, Kiez Schillerpromenade
- Neukölln online, Siedlung Schillerpromenade
- rbb-online, 07.05.2005: Vor 60 Jahren: Befreiung der kirchlichen Zwangsarbeiter in Berlin
- Kindl-Boulevard
- Frauenwirtschaftszentrum Neukölln
- Kurze Beschreibung des S-Bhf. Hermannstraße mit alten Bildern
- Beschreibung des U-Bahnabschnittes H.-Heinrich-Str. - Hermannstraße mit genauen (architektonischen) Bahnhofsbeschreibungen und Bildern