Hendiadyoin

konventionalisiertes mit „und“ verbundenes Wortpaar
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Das Hendiadyoin [ˌhɛnˌdiaˌdy'ɔʏn] (Vorlage:ELSalt hen dia dyoin „eins durch zwei“, selten auch Hendiadys) bezeichnet in der Rhetorik und Linguistik eine Stilfigur, die einen komplexen Begriff in zwei durch die Konjunktion "und" verbundene, aber semantisch ungleichrangige Ausdrücke, die eher attributiv verknüpft werden, beschreibt.[1]. Wenn drei Wörter (Lexeme) statt zwei verwendet werden, spricht man von einem Hendiatris. Folglich verwendet man den Begriff Hendiatetris oder auch Hendiatetrakis, wenn ein Ausdruck aus vier Wörtern besteht.

Das Hendiadyoin ist oft ein feststehender Ausdruck, also eine so genannte Zwillingsformel. Dabei ist in manchen Fällen eins der beiden Wörter allein heute ungebräuchlich (semantisch verdunkelt): (frank [und frei], rank [und schlank], klipp [und klar]). In Abgrenzung zur Tautologie bilden beim Hendiadyoin die beiden Wortbestandteile zusammen erst die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks (beispielsweise „Hab und Gut“ für „Besitz“). Bei der Tautologie besitzen dagegen die beiden Wortbestandteile auch schon für sich allein genommen die gleiche Bedeutung wie der gesamte Ausdruck, der als Ganzes in der Regel nur eine rhetorische Verstärkungsfunktion erfüllt (beispielsweise „Art und Weise“).

Hendiadyoine kommen in unterschiedlichen Formen vor:

  • als phraseologische Verbindung zweier Synonyme (Spezialfall der Synonymik, Abgrenzung zur Tautologie häufig schwierig), wie bei „Grund und Boden“, „nie und nimmer“;
  • als phraseologische Verbindung zweier ähnlicher Begriffe, die beide zusammen einen gemeinsamen (neuen) Begriff bezeichnen (beispielsweise „Feuer und Flamme“)
  • als beiordnende Verbindung zweier Substantive, die beide zusammen einen einzigen Gegenstand bezeichnen (wie „Haus und Hof“)
    • wobei das eine dem anderen logisch untergeordnet sein kann (also „von Tellern und Silber essen“ statt „von Silbertellern essen“).

Auch in der Rechtssprache fassen hendiadyoinische Paarformeln häufig zwei eng verwandte, aber doch zumindest historisch oder formal zu unterscheidende Begriffe zu einem Topos zusammen.

Auffällig sind alliterative Hendiadyoine, bei denen die Paarwörter mit dem gleichen Graphem (Buchstaben) oder Laut (Phonem) beginnen.

Beispiele

  • ab und zu (Gesamtbedeutung „manchmal“)
  • alt und krank (Gesamtbedeutung „altersschwach“ in Bezug auf eine Person)
  • angst und bange (Gesamtbedeutung „angstdurchtrieben“)
  • in Bausch und Bogen (aus dem Papiermacherhandwerk; rechtssprachliche Paarformel)
  • dies und das (Gesamtbedeutung „Verschiedenes“)
  • Fug und Recht (Gesamtbedeutung "etwas stimmt; ist in Ordnung")
  • Furz und Feuerstein (Gesamtbedeutung "alles, jede Kleinigkeit")
  • Feuer und Flamme (Gesamtbedeutung „begeistert“)
  • frank und frei (Gesamtbedeutung „unverblümt“)
  • Grund und Boden (rechtssprachliche Paarformel)
  • Hab und Gut (Gesamtbedeutung „sämtlicher Besitz“)
  • Hans und Franz (Gesamtbedeutung „jedermann“)
  • Haus und Hof (Gesamtbedeutung „Wohneigentum“)
  • hin und wieder (Gesamtbedeutung „gelegentlich“)
  • Hinz und Kunz (Gesamtbedeutung „jedermann“; zur Entstehungszeit der Redewendung waren Heinrich und Konrad als Vornamen besonders verbreitet)
  • in Amt und Würden (Gesamtbedeutung „amtierend“)
  • kreuz und quer (Gesamtbedeutung „durcheinander“)
  • Kind und Kegel (ursprünglich rechtssprachliche Paarformel bezogen auf eheliche und nichteheliche Abkömmlinge; Gesamtbedeutung „sämtliche Nachkommenschaft“)
  • klipp und klar (Gesamtbedeutung „eindeutig“)
  • wie es leibt und lebt (Gesamtbedeutung „lebensecht“, „authentisch“, „vital“)
  • Lust und Laune (Gesamtbedeutung „nach Belieben“)
  • Lug und Trug (Gesamtbedeutung „bösartige Täuschung“)
  • mit Fug und Recht (Gesamtbedeutung „mit voller Berechtigung“)
  • Mord und Totschlag (Gesamtbedeutung „Gewaltexzess“)
  • Rat und Tat (rechtssprachliche Paarformel „auxilium et consilium“, Pflichten des Lehensmannes gegenüber dem Lehnsherrn zu militärischer und ziviler Unterstützung; Gesamtbedeutung „mit jeglicher Form von Hilfe“)
  • recht und billig (rechtssprachliche Paarformel „iuste et aeque“, der Gerechtigkeit und der Billigkeit, also dem Buchstaben des Gesetzes ebenso wie dem Augenmaß bei der Rechtsanwendung im Einzelfall verpflichtet)
  • Recht und Ordnung (Gesamtbedeutung „Gesetzmäßigkeit“)
  • Sack und Pack (Gesamtbedeutung „sämtliches Gepäck“)
  • samt und sonders (rechtssprachlich: „die Gesamtheit und jeder Bestandteil auch für sich genommen“; Gesamtbedeutung „alles zusammen“)
  • Saus und Braus (Gesamtbedeutung „verschwenderischer Überfluss“)
  • mit Schimpf und Schande (Gesamtbedeutung „unehrenhaft“)
  • Schloss und Riegel (Gesamtbedeutung „verschlossen“)
  • schön und gut (Gesamtbedeutung „soweit in Ordnung“)
  • so bunt, so farbig (Gesamtbedeutung „anregend vielfarbig“)
  • Treu und Glauben (rechtssprachliche Paarformel)
  • Tür und Tor (Gesamtbedeutung „Zugänge“)
  • übergeben und überantworten (rechtssprachliche Paarformel)
  • unter Dach und Fach (aus dem Zimmermannshandwerk; Gesamtbedeutung„erledigt“)
  • Wind und Wetter (Gesamtbedeutung „Wetterunbill“)
  • Wissen und Gewissen (rechtssprachliche Paarformel)

Gegenbeispiele:

  • Art und Weise (Tautologie)
  • einzig und allein (Tautologie)
  • Gelaufe und Gerenne (Tautologie)
  • Hilfe und Beistand (Tautologie)
  • klammheimlich (verkappte Tautologie, da lateinisch clam „heimlich“, ein Pleonasmus)
  • nie und nimmer (Tautologie)
  • Ort und Stelle (Tautologie)
  • rank und schlank (weder Tautologie noch Hendiadyoin, da Gesamtbedeutung deckungsgleich mit dem Schlussteil, nämlich "schlank")
  • Tag und Nacht (Ergänzung von Teilbedeutungen zur Gesamtbedeutung „ständig“)
  • voll und ganz (Pleonasmus)

„Hendiatris“

Den Spezialfall einer feststehenden Formel aus drei Sprachelementen bezeichnet die englische Sprachwissenschaft als Hendiatris („eins durch dreimal“). Der Ausdruck ist im Deutschen allerdings eher ungebräuchlich, man spricht hier in der Regel allgemein von einer Drillingsformel (Beispiele für eine hendiatrionische Drillingsformel wären Wein, Weib und Gesang, „heimlich, still und leise“, „Jubel, Trubel, Heiterkeit“, "Pleiten, Pech und Pannen", „Friede, Freude, Eierkuchen“).

„Hendiatetris“, „Hendiatetrakis“

Den Spezialfall einer feststehenden Formel aus vier Sprachelementen wird in der romanischen Sprachwissenschaft als Hendiatetris [ˌhɛnˌdia'tɛˌtris] oder Hendiatetrakis [ˌhɛnˌdiaˌtɛ'traˌkis] (Vorlage:ELSalt hen dia tetrákis „eins durch viermal“) bezeichnet.[2] Der Ausdruck ist im Deutschen allerdings eher ungebräuchlich. Dennoch gibt es ein geläufiges Beispiel eines solchen Hendiatetris: „frisch, fromm, fröhlich, frei“ mit der Gesamtbedeutung „unbefangen“.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. Kröner Verlag, Stuttgart 2002, S. 275. ISBN 3-520-45203-0
  2. Marc Girard verweist in Zusammenhang mit der Gruppierung acclamer, éclater, crier, jouer auf die Bezeichnung Hendiatetris, in: Les Psaumes redécouverts: de la structure au sense, Bd. 1, S. 768, Bellarmin 1997