Sexualität (sinngemäß „Geschlechtlichkeit“, von spätlat.: sexualis; aus lat.: sexus Geschlecht) bezeichnet im weiteren biologischen Sinne die Gesamtheit der Lebensäußerungen, Verhaltensweisen, Empfindungen und Interaktionen von Lebewesen in Bezug auf ihr Geschlecht. Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff die Formen dezidiert geschlechtlichen Verhaltens zwischen Geschlechtspartnern.
Evolution der Sexualität
Die Herausbildung der Sexualität ist ein Faktor und gleichzeitig das Ergebnis der biologischen Evolution. So gilt die Entstehung genetisch unterschiedlicher Geschlechter als Ausgangspunkt für die Entwicklung höherer Lebewesen aus den ursprünglich geschlechtslosen Einzellern.
Man nimmt an, dass sich die Sexualität erst spät in der Evolution - vor ca. 600 Millionen Jahren etabliert hat. Haben sich anfangs die Lebewesen durch einfache Zellteilung zu vermehren vermocht, ist am Ende dieser Evolution der Reproduktionsapparat auf die bekannten zwei Geschlechter verteilt. Eine Reproduktion stellt sich nur noch als Folge dessen, was wir Sexualität nennen, ein. Sexualität ist demzufolge keine Höherentwicklung, sondern der Versuch der Natur die Reproduktionsfähigkeit zu erhalten.
In der Zoologie erschließt sich der Erfolg für das Prinzip "Reproduktion durch Sexualität" erst durch des Verständnis eines zwangsläufig begleitenden Evolutionsschrittes. Es mussten Sinnessysteme (Sinnesorgane mit nachgeordneten verhaltensrelevanten Instanzen) entwickelt werden, die eine Suche und Findung potenzieller Geschlechtspartner der eigenen Art erst möglich machten. Anfangs sicher noch auf biochemischen Sinnesreizen basierend entwickelte sich in der Folge eine Vielzahl von Sinnessystemen, bei denen die des Menschen an Leistungsfähigkeit oftmals überboten werden. Und es ist kein Zufall, dass noch heute einer der angenehmeren Reize in dem Anblick eines potenziellen Sexualpartners besteht.
Dass diese Sinnessysteme dann auch in dem anderen Lebensbereich - dem Selbsterhalt - einen Selektionsvorteil versprachen, ist nachzuvollziehen. Auch der allseits zitierte Vorteil der Möglichkeit einer genetischen Rekombination ist so mehr als Folge denn als Ursache des Erfolges der sexuellen Reproduktion zu sehen.
Wenn auch für männliche Individuen gilt, dass sie mit dem Geschlechtsakt ihren Teil zur erfolgreichen Reproduktion beigetragen haben, deuten die ethologischen Erkenntnisse der letzten Jahre in eine andere Richtung. Für viele Tierarten und Menschen stellt die gemeinsame Sexualität die Basis für vielfältigste weitergehende Sozialstrukturen dar, die im Extremfall die lebenslange exklusive Sexualpartnerschaft zwischen einem Weibchen und einem Männchen bedeutet.
An diesem Beispiel deutet sich ein weiteres wichtiges Merkmal der Sexualität an. Allen uns bisweilen skurril anmutenden Sexualverhaltensmustern, die oft nach einem sehr starren Schema ablaufen, ist eines zwangsläufig gemeinsam: Diese Muster sind auf etwas oder jemanden in der Außenwelt des Individuums gerichtet; in der optimalen und biologisch sinnvollen Form auf einen gegengeschlechtlichen Artgenossen. Nur so kann die Weitergabe der Gene über den reproduktiven Erfolg organisiert worden sein. Dieses Verhalten wie auch seine Orientierung hat die Natur niemals einem mehr oder weniger zufälligen Sozialisationserfolg überlassen. Auch noch bei Säugetieren sind diese Funktionen in bestimmten Gehirnarealen zu lokalisieren und durch Hirnreizungsexperimente auszulösen. So lässt sich z.B. durch Liäsionen die Gerichtetheit des Sexualverhaltens aufheben, sodass die Versuchstiere ein Kopulationsverhalten auch mit artfremden Partnern anstreben.
Einzeller und Bakterien
Einzeller wie das Pantoffeltierchen betreiben Konjugation als sexuellen Akt. Sogar Bakterien zeigen sexuelle Phänomene, sie entwickeln so genannte F-Pili, durch die sie Teile des Erbguts austauschen; dies erfolgt unabhängig von der Vermehrung, die durch Zellteilung erfolgt.
Pflanzen und Tiere
Bei Eukaryonten (d.h. Tieren, Pflanzen, Pilzen und Protisten) bedeutete die Trennung in verschiedene Geschlechter den Übergang zur geschlechtlichen Fortpflanzung und Vermehrung durch den Austausch und die Rekombination von Erbgut bei der Befruchtung und die Bildung einer befruchteten Keimzelle. Die Entwicklung eines durch Hormone gesteuerten Systems war ein weiterer Schritt zur Herausbildung sexueller Verhaltensweisen. Neben der Fortpflanzung mittels Austausch von Erbinformationen hat geschlechtlicher Verkehr bei höheren Organismen teils auch eine soziale Bedeutung, insbesondere bei den Primaten wie dem Menschen und den Zwergschimpansen (Bonobo).
Zur Entstehung der Sexualität bei Pflanzen und ihrer Modifikation im Verlauf der Stammesgeschichte siehe auch: Generationswechsel.
Sexualität des Menschen
Beim Menschen scheint die Sexualität im Gegensatz zu fast allen Tieren kein reines Instinktverhalten zu sein, sondern sie unterliegt auch bewussten Entscheidungsprozessen. Menschen drücken ihre sexuelle Anziehung zum Anderen durch unterschiedliche Formen und Aspekte aus: Zärtlichkeit, verschiedene sexuelle Praktiken, Worte, im negativen Sinne durch besitzergreifendes Verhalten und im Extrem durch Formen sexueller Gewalt.
Ab welchem Alter sich Sexualität beim Menschen zeigt, ist noch heute Gegenstand von Diskussion. Der Triebtheorie von Sigmund Freud zufolge, die heute noch gültige Lehrmeinung ist, entsteht sie nicht erst in der Pubertät, sondern bereits ab der Geburt (siehe kindliche Sexualität). Ein Vorhandensein des Sexualtriebes und sexuell gefärbter Handlungen bereits bei Kindern wird heute von den meisten Fachleuten bestätigt und ist in den Bereichen Psychologie, Pädagogik und Medizin allgemeine Lehrmeinung. Bei Säuglingen findet laut Freud die Entwicklung der Sexualität ihren Anfang mit der oralen Phase, ein explizites Interesse an den Geschlechtsteilen findet erst später, etwa ab 3. bis 5. Lebensjahr statt.
Die Sexualität des Menschen beeinflusst seine Psyche, seine persönliche Entwicklung, die Formen seines Zusammenlebens sowie - auch beeinflusst von der Sexualmoral - die gesamte Sozialstruktur, also die Kultur und Gesellschaft, in der er lebt. Da zwischen der Sexualität des Mannes und der Sexualität der Frau teils erhebliche Unterschiede bestehen, führt diese Diskrepanz bei der Heterosexualität zu mannigfaltigen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Geschlechtern. Nicht nur sexuelle Funktionsstörungen bei Frau und Mann sind damit allerdings oft die Folge mangelnder Anpassung auf beiden Seiten.
Abweichend von der am weitesten verbreiteten Ausrichtung des Sexualverhaltens, der Heterosexualität, sind im Sexualverhalten des Menschen weitere sexuelle Orientierungen vorhanden wie zum Beispiel die Homosexualität, also die gleichgeschlechtliche Ausrichtung des Sexualtriebs, sowie die Bisexualität, die sich auf beide Geschlechter richtet. Früher teilweise tabuisiert und verboten, gewinnen sie heute in aufgeklärten Gesellschaften zunehmend an Akzeptanz und sind in vielen Ländern heute gesetzlich legal. Andere Abweichungen des menschlichen Sexualverhaltens, wie die Ausrichtung des Sexualtriebs auf Kinder (Pädophilie), Tiere (Sodomie), Tote (Nekrophilie) werden in Deutschland strafrechtlich verfolgt.
Sexualität und Gesellschaft
"Aufklärungsfilme"
Schon 1917 hatte Richard Oswald den Aufklärungsfilm über Geschlechtskrankheiten "Es werde Licht!" im Auftrage des Kriegsministeriums gedreht. Der Film brachte eine Filmlawine ins Rollen. Allein dieser Film hatte drei Folgen. 1919 brachte Oswald das Problem Homosexualität und Erpressung in einer kriminalistischen Handlung unter: "Anders als die anderen".
Weil vom Ende des Ersten Weltkriegs bis 1920 keine Filmzensur in Deutschland existierte, folgte 1919 auf die Welle der "Aufklärungsfilme" die der eigentlichen spekulativen Sexfilme, damals noch Sittenfilme genannt.
In den 60er Jahren wiederholte sich das Geschäft auf eine erstaunlich ähnliche Weise.
Spielfilme zum Thema 'Liebe' und 'Sexualität'
- Helga (Premiere 22. September 1967) (mit Entbindungsszene!!)
- Oswalt Kolle: Dein Mann, das unbekannte Wesen (1968)
- Eis am Stiel (Teile 1-8)
- Woody Allen: Was Sie schon immer über Sex wissen wollten (USA 1972)
- Filme von François Truffaut und Eric Rohmer
- Mike Nichols: Die Reifeprüfung (USA 1967; mit Dustin Hoffman)
- Michel Deville: Die Vorleserin (Frankreich 1988)
- Jean-Charles Tacchella: Der kleine Tod der feinen Damen (Frankreich 1990)
- Denys Arcand: Love and Human Remains, Kanada 1993
- Patrice Chéreau: Intimacy (2001)
- Steven Shainberg: Die Sekretärin (2002)
Siehe auch
- AIDS, Safer Sex
- BDSM
- Empfängnisverhütung
- Fortpflanzung
- Geschlechtspartner
- Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität
- Hominisation
- Libido, Triebverzicht
- Monogamie, Polyamorie, Polygamie
- Nacktheit
- Orgasmus
- Pornografie
- Pornografiesucht
- Portal:Zusammenleben, Partnerschaft und Sexualität
- Psychoanalyse
- Sexualität der Frau
- Sexualpraktik
- Sexualkunde, Sexualpädagogik
- sexuelle Dysfunktion
- sexuelle Aufklärung, sexuelle Revolution
Literatur
- Ariés/Béjin/Foucault u.a.: Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit / Zur Geschichte der Sexualität im Abendland (1982), ISBN 3100009029
- Meyers Lexikonredaktion: Schülerduden Sexualität (1997), ISBN 3411054913
- Georges Bataille, Die Erotik, München 1994
- Erwin Haeberle: dtv-Atlas Sexualität (2005)
- Ernest Borneman: Lexikon der Liebe. Materialien zur Sexualwissenschaft. 4 Bde. (1978)
- Erwin Haeberle: Die Sexualität des Menschen (1978) [1]
- Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt am Main 1983
- Masters und Johnson: Liebe und Sexualität (1993)
- Michael Carrera: Sex. Facts, Acts, Feelings (1981; dt. 1982), ISBN 3550077106
- Alex Comfort: The Joy of Sex (1972; dt. Freude am Sex, 1976), ISBN 3550077777
- Lonnie Barbach: Welche Farbe hat die Lust? Frauen erzählen ihre erotischen Phantasien (1987), ISBN 355007820X
- Helen Fisher: Anatomie der Liebe (1993), ISBN 3426266636
- Renate-Berenike Schmidt: Lebensthema Sexualität (2003) ISBN 3-8100-3516-5
- Andreas Hejj: Traumpartner - Evolutionspsychologie der Partnerwahl, 1996, ISBN 3540605487
- Rüdiger Lautmann, Michael Schetsche: Sexualität im Denken der Moderne. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Band 9, Basel: Schwabe & Co, Spalte 730-742.
- Phillipp Balzer, Klaus Peter Rippe (Hrsg.): Philosophie und Sex München: dtv. ISBN 3-423-30728-5
- Christian Schuldt: Der Code des Herzens. Liebe und Sex in den Zeiten maximaler Möglichkeiten (2005), Frankfurt a.M.: Eichborn, ISBN 3821855924
- Wolfgang Müller (1990): Das "Fremde" in deutschen Wörterbüchern: die Sexualität; in: Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses , Tokyo 1990, Band 4, iudicium Verlag, Seite 237 bis 246
- Wolfgang Müller (1994): Sexualität und Sprache; in: Let´s talk about sex - Eine sexualpädagogische Schrift als Streitobjekt; Reihe "Blickpunkt Gesundheit" * 2; (Hg.) Peter Sabo/Reiner Wanielik, Seite 14 bis 20
- Wolfgang Müller (1996): Sexualität in der Sprache. Wort- und zeitgeschichtliche Betrachtungen; in: Jugendliche Sexualsprache - eine gesellschaftliche Provokation. Sexualwissenschaft und Sexualpädagogik; Landauer Universitätsschriften, Knecht Verlag (Hg. Norbert Kluge), S. 137 bis 171
- Wolfgang Müller (1996): Die schönste Sache der Welt. Über Sexualität sprechen und schweigen; in: ide, Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule, Informationen zur Deutschdidaktik, Klagenfurt, 2/96, Seite 31 bis 44
- Wolfgang Müller (1998): Wörterbücher der Zukunft oder: Terrae incognitae; in: Wörterbücher in der Diskussion III; Lexicographica. Series Maior, Band 84, darin: Das Wörterbuch der lexikalisch und der lexikographisch dokumentierten Sexualität, Seite 250 - 259
- Wolfgang Müller (2001): Seid reinlich bei Tage und säuisch bei Nacht (Goethe) oder: Betrachtungen über die schönste Sache der Welt im Spiegel der deutschen Sprache - einst und jetzt; in: Rudolf Hoberg (Hg.): Sprache - Erotik - Sexualität. Berlin (Erich Schmidt Verlag), Seite 11 bis 61
- Wolfgang Müller (2001): Von galant bis vulgär. Wortschatz und Geschichte der Sexualsprache; in: pro familia magazin, 04/2001; Seite 4 - 7
- Wolfgang Müller (2003): Wörter und Bezeichnungen für Sexuelles im Großen Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden (Duden); in: Untersuchungen zur kommerziellen Lexikographie der deutschen Gegenwartssprache I, Lexicographica Series Maior, Band 113, Seite 303-316
- Wolfgang Müller (2004): Sage mir, woran du dabei denkst, und ich weiß etwas über dich. Oder weniger sibyllinisch: Von der Mehrdeutigkeit der Wörter; in: tribüne (Wien) 2/2004, S. 8-13
- Pschyrembel Wörterbuch Sexualität, bearbeitet von Stephan Dressler und Christoph Zink, Berlin 2003
- Jody Skinner (1999): Bezeichnungen für das Homosexuelle im Deutschen. Band I: Eine lexikologische Analyse und eine lexikographische Aufgabe; Band II: Ein Wörterbuch, Essen 1999
- Max Marcuse: Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Neuausgabe mit einer Einleitung von Robert Jütte; Nachdruck von 1926; Berlin 2001
Weblinks
Vorlage:Wiktionary1 Vorlage:Wikiquote1
- Archiv für Sexualwissenschaft http://www2.hu-berlin.de/sexology/
- The International Encyclopedia of Sexuality (ed. R.T.Francoeur)
- Growing Up Sexually, Studie zur sexuellen Entwicklung in primitiven Gesellschaften
- Deutsche Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung
- http://www.sexualberatung4you.de
- http://www.geschichte-der-sexualitaet.de
- www.tempelhuren.org – Interaktiver workshop zum Thema BDSM / SM