Claude Adrien Helvétius

französischer Philosoph
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Claude Adrien Helvétius (* 26. Februar 1715 in Paris; † 26. Dezember 1771 in Paris) war ein französischer Philosoph aus der Schule der Enzyklopädisten.

Leben

Herkunft und Jugend

"Sein Großvater hatte eine ärztliche Praxis in Frankreich begründet. Der Vater folgte seinen Fußtapfen mit solchem Erfolg, daß er zum Leibarzt des Königs ernannt wurde. Damit war der Aufstieg der Familie zu den herrschenden Kreisen der feudalabsolutistischen Gesellschaft gesichert.

Als einziger Sohn seiner Eltern wird der 1715 geborene Claude umsorgt und verwöhnt. Die besten Aufklärer - Fontenelle und Voltaire - wetteiferten um die Mentorstelle bei diesem frühreifen, glänzend begabten, verheißungsvollen Jüngling. Eine strahlende Erscheinung, Tänzer ohnegleichen, dem keine Frau zu widerstehn vermochte, durchschwärmte er seine Jugend im Taumel der Sinne, zugleich jedoch bemüht, den Anschluß an das geistige Leben zu gewinnen. In der Zeit, in der Hélvetius noch als Zögling der Jesuiten zu Schule ging, soll er eines Abends unter der Maske eines berühmten Solotänzers in der großen Oper aufgetreten sein. Wie diese kühne Eskapade vor allem verrät, das ist die vollendete Sicherheit und das unerschütterliche Selbstgefühl eines von der Natur wie vom Schicksal gleichermaßen verwöhnten Jünglings.

Die erst 1907 veröffentlichten Tagebücher gewähren uns den tiefsten Einblick in diese Jugendepoche. Aus ihnen spricht der Kult einer glühenden Sinnlichkeit, die sich in mythologischen Vergleichen und Bildern spiegelt."(Werner Krauss.)

Von größtem Einfluß auf Hélvetius weitere Entwicklung blieb Fontenelle. Durch Fontenelle wurde Hélvetius schon früh auf John Lockes Versuch über den menschlichen Verstand und die ästhetischen Schiften des Abbbé Dubos aufmerksam. Äußerste Toleranz in erotischen Dingen kennzeichnet Hélvetius' Hauptwerk De l'Esprit (Vom Geiste).

Generalsteuerpächter

Helvétius war für das Finanzfach bestimmt. Sein Vater kaufte ihm das Amt des Hauptsteuerpächters, das er 1738 im Alter von 23 Jahren antrat. "Das Amt war mit so ungeheuren Einnahmen verknüpft, daß Hélvetius es sich leisten konnte, schon im Alter von sechsundreißig Jahren abzudanken und sich als Schloßherr auf seine Besitzungen von Voré zurück zu ziehen. " (Werner Krauss). Auch nach seiner Amtsniederlegung behielt Hélvetius Kontakt zu den höchsten Kreisen, indem er Kammerherr der Königin wurde. Die meiste Zeit widmete er jedoch seinen Studien. Er stand im engen Kontakt mit den anderen Philosophen wie d'Alembert, Diderot, Paul Heinrich Dietrich von Holbach. Hélvetius war häufiger Gast auf Montesquieus Besitztum La Brède.


Der Skandal um De l'esprit

1758 erschien De l'Esprit mit einem königlichen Druckprivilleg in Paris. Hélvetius überreichte persönlich ein Exemplar der königlichen Familie. Dennoch widerrief der Staatsrat die Druckerlaubnis. Die gesamte Auflage wurde beschlagnahmt. Hélvetius wurde zum Widerruf gedrängt und gab nach anfänglichem Widerstreben nach. Er fühlte sich nicht zum Märtyrer berufen und glaubte, daß intelligente Leser ohnehin die Nichtigkeit dieses Widerrufs erkennen würden. Durch die Angriffe der Jesuiten, der Sorbonne und des Papstes drohte Hélvetius auch persönliche Verfolgung, die er aber aufgrund seiner hervorragenden Beziehungen abwehren konnte.

Späteres Leben

Hélvetius gelang es seine gute Beziehungen zum Hof zu bewahren. Im Jahr 1764 unternahm Helvétius eine Reise nach England und - in offizieller Mission - nach Deutschland, wo er am Hof Friedrichs II. eine ehrenvolle Aufnahme fand. Frankreich und Preussen waren seit dem siebenjährigen Krieg verfeindet, aber die französische Regierung wollte die Möglichkeiten erkunden, die Beziehungen zu verbessern.

Nach seiner Rückkehr lebte er in Paris, wo er am 26. Dezember 1771 starb. Kurz vor Hélvetius' Tod war im Dezember 1770 der mit Héelvetius befreundete leitende Minister Choiseul entlassen worden.

Mit Jerome Lalande fasste Hélvetius den Plan, eine Philosophenloge zu gründen, erlebte die „Neuf Sœurs“ allerdings nicht mehr. Diese Loge feierte ihre ersten beide Johannisfeste 1776 und 1777 im Park des Hauses in Auteuil. Voltaire schrieb in seinem Dictionnaire philosophique über Helvétius: „Ich liebte den Verfasser des Esprit.“ Als Voltaire am 7. April 1778 in dieser Loge angenommen wurde, übergab man ihm als Zeichen besonderer Ehrung Helvétius' maurerische Kleidung. Seine Witwe starb am 12. August 1800. Ihr Salon wurde zum Treffpunkt der Ideologen (Condorcet, Cabanis, Volney, Destutt de Tracy).

Werk

Erkenntnistheorie

Helvétius ist entschiedener Sensualist und Materialist. Alle Vorstellungen führt er zurück auf den Eindruck äußerer Gegenstände auf unsere Sinne. Hélvetius geht von der Empfindlichkeit der Materie aus. Grosse Schwierigkeiten bereitete es, den Übergang von der unbelebten zur belebten Materie zu erklären.

Ethik

Alle Tätigkeit entspringt aus der angeborenen Selbstliebe, dem Streben nach sinnlicher Lust und dem Abscheu vor sinnlicher Unlust. Der Nutzen bestimmt den Wert der Handlungen; da aber Nutzen und Schade relative Begriffe sind, so gibt es keine unbedingt guten oder schlechten Handlungen. Der aufgekläre Egoist erkennt, dass das Glück aller die Voraussetzung seines persönlichen Glücks ist.

Politische Theorie

Hélvetius geht von der fundamentalen Gleichheit aller Menschen aus und erteilt damit allen Prätentionen des Adels eine Absage. Zwar erkennt er das Recht auf Eigentum an, geht aber über die geistige Vorbereitung der bügerlichen Gesellschaft hinaus. Die Ungleichheit suchte er durch ein striktes Erbrecht zu begrenzen.

Kritik und Nachwelt

Rousseaus Randbemerkungen seines Exemplars von De l'esprit sind überliefert. Wegen der Verfolgungen, denen Hélvetius ausgesetzt war, verzichtete Rousseau auf eine öffentliche Kritik. Ohne Hélvetius Namen zu nennen, setzte er sich im Émile mit ihm auseinander. Rousseau bestritt insbesondere dass das Urteil auf die Wahrnehmung zurückführbar sei.

Diderot lehnte die Reduktion aller Unterschiede der Begabung auf Erziehung und Umwelt ab.

Während der Französischen Revolution waren die Revolutionäre in Atheisten und Deisten gespalten. Hélvetius' Büste wurde im Jakobinerclub aufgestellt, aber der von Rousseau geprägte Robespierre griff Hélvetius scharf an.

Der Frühkommunist Babeuf beschäftigte sich 1796 im Gefängnis mit Hélvetius. Die Bedeutung Hélvetius' für den utopischen Sozialismus wurde schon von Carl Grün ( "Die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien." Darmstadt 1845.) erkannt.

Unter den Literaten des 19. Jh. war Stendhal am tiefsten von Hélvetius beeinflußt.

Marx und Engels suchten in der "Deutsche(n) Ideologie" zu begründen, warum die "Nützlichkeits- und Exploitationstheorie" bei Hélvetius und Holbach keinen unmittelbar ökonomischen Charakter, sondern den Status einer philosophischen Theorie annahm. Unter den Marxisten beschäftigte sich insbesondere Plechanow intensiv mit Hélvetius. 1896 erschien seine Studie "Holbach, Hélvetius und Marx". Die Vorliebe der russischen Marxisten für die französischen bürgerlichen, mechanischen Materialisten des 18. Jh. ist, darauf hat Anton Pannekoek in "Lenin als Philosoph" hingewiesen, auf vergleichbare gesellschaftliche Verhältnisse zurück zu führen. Auch in Rußland war die Auseinandersetzung mit dem Feudalismus und der christlichen Religion noch eine vordringliche Aufgabe.

Literatur

Schriften

  • Claude Adrien Helvétius: De l'esprit. Durand, Paris 1758. (neue Ausg. 1843, Nachdr. in: Corpus des oeuvres de philosophie en langue française. Fayard, Paris 1988.). ISBN 2-213-02023-X
  • Claude Adrien Helvétius: De l'homme, de ses facultés intellectuelles et de son education. London 1772. (2 Bde.). (Nachdr. in: Corpus des oeuvres de philosophie en langue française. Fayard, Paris 1989.) ISBN 2-213-02389-1
    • Christian August Wichmann (dt.): Herrn Johann Claudius Hadrian Helvetius hinterlassenes Werk vom Menschen, von dessen Geistes-Kräften, und von der Erziehung desselben.. Meyer, Breslau 1774. (s.GBV)
    • Claude Adrien Helvétius: Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung. Hrsg. v. Günther Mensching. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972. (neuere deutsche Ausgabe).
  • Claude Adrien Helvétius: Œvres. Briand, Paris 1790ff., 14 Bde., und 1818, 3 Bde.
  • Claude Adrien Helvétius: Philosophische Schriften. Hrsg. v. Werner Krauss. Aufbau, Berlin und Weimar 1973 (Werkausgabe (dt.))


Sekundär Literatur

  • Avezac-Lavigne: Diderot et la société du baron Holbach. E. Leroux, Paris 1875.
  • Michèle Duchet: Anthropologie et histoire au siècle des lumières. Buffon, Voltaire, Rousseau, Helvétius, Diderot. Maspéro, Paris 1971 (1978, 1995). ISBN 2-08-210651-9, ISBN 2-226-07872-X
  • Jacques Ducol: Diderot critique d'Helvétius ou le matérialisme en chantier. Tours 1986 (Diss.)
  • Albert Keim: Hélvetius. Sa vie et son œuvre d'après ses ouvrages, des écrits divers et des documents inédits. F. Alcan, Paris 1907. (Diss., erste wiss. Biographie.; Faks. Slatkine, Genève 1970)
  • Werner Krauss: Einleitung. zu: Claude-Adrien Hélvetius: Philosophische Schriften. in: Werner Krauss: Das wissenschaftliche Werk. Bd. 5 Aufklärung I. Aufbau, Berlin und Weimar 1991, S. 388-456. (vorz. Einführung.) ISBN 3351006276
  • Chačik N. Momdshian: Hélvetius. Ein streitbarer Atheist des 18. Jahrhunderts. Deutscher Verl. d. Wissenschaften, Berlin 1959.
  • David Smith: Bibliography of the writings of Helvétius. Ferney-Voltaire - Centre international d'étude du XVIIIe siècle, Paris 2001. ISBN 2-84559-006-7
  • W. P. Wolgin (Vjaceslav P. Volgin): Die Gesellschaftstheorien der französischen Aufklärung. Akad.-Verl., Berlin 1965. (dt.)
  • Georgij Walentinowitsch Plechanow: Holbach - Helvetius - Marx. Berlin 1946. (=Beiträge zur Geschichte des Materialismus. dt.)

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