Definition
Segregation bezeichnet als Zustandsgröße die Ungleichverteilung von Eigenschaftsträgern nach definierten disjunktiven Merkmalen gegenüber der Restmenge dieser Eigenschaftsträger über den Teilgebieten eines Raumes.
Einführung
Häufiges Beispiel bzw. Beobachtungsfeld in soziologischen, geografischen oder wirtschaftlichen Untersuchungen ist die Stadt in ihren administrativen Grenzen, denn die Bevölkerung in Siedlungen ist meist durch verschiedene Merkmale der Ungleichheit gekennzeichnet. Je nach Größe einer Siedlung und der Anzahl ihrer Einwohner lassen sich Gruppen von Personen unterscheiden, die bezüglich eines Merkmals (z.B. Alter, Ethnizität, Religion) einheitlich sind, sich von weiteren Gruppen aber unterscheiden.
Die Erscheinung der Segregation läßt sich in allen menschlichen Kulturen mit einem Mindestmaß an gesellschaftlicher Differenzierung nachweisen. In den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten Europas (vergleiche Stadtentwicklung) waren etwa die Viertel der Kaufleute deutlich von denen der Handwerker unterschieden. Beinahe ebenso lange findet sich auch eine Segregation nach ethnischen und religiösen Merkmalen, wie beim jüdischen Ghetto oder den noch kleinteiliger nach Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit getrennten Vierteln der klassischen orientalischen Stadt.
Diese historische Trennung setzt sich bis zu den heutigen Vierteln mit fast ausschließlich schwarzer oder asiatischer Bevölkerung in nordamerikanischen Städten bzw. Stadtteilen mit hohen Anteilen eingewanderter (ehemaliger) Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum in Deutschland und Frankreich fort. Das Ausmaß der Segregation kann somit auch als Indikator für die gesellschaftliche Integration oder Isolation einer sozialen Gruppe angesehen werden.
Beobachtete Raumeinheiten sind entsprechend der Datenlage Stadtbereiche bzw. Stadtbezirke.
Untersuchungsmethodik
Eigenschaftsträger können Bevölkerungsgruppen, Wohngebäude, Handelseinrichtungen, Einrichtungen der sozialen Infrastruktur und ähnliches sein. Residentielle Segregation bezeichnet die Segregation verschiedener Bevölkerungsgruppen nach ihrem Wohnort. In der Regel wird Segregation nach folgenden Statusmerkmalen unterschieden:
- Segregation nach dem demographischen Status
- Segregation nach dem sozialen Status und/oder
- Segregation nach ethnisch/religiöser Zugehörigkeit
der jeweiligen Bevölkerungsgruppe. Die Ausprägung der Segregation ist stark von den gewählten Teileinheiten des Untersuchungsraumes und den Merkmalen abhängig.
Drei Konzepte für die Messung von Segregation lassen sich unterscheiden:
- Gleichheitsmaße wie Segregations-, Dissimilaritätsindex und Gini-Koeffizient, die auf der Lorenz-Kurve beruhen,
- Maße des Ausgesetztseins (Interaktion/Isolation zwischen Gruppen) und
- Ballungsmaße (Clustering).
Messung der Ungleichverteilung
Bei der Beschreibung der Segregation verschiedener Bevölkerungsgruppen wird zugleich eine Zuweisung des Grades der Ungleichverteilung vorgenommen, d.h. eine Gruppe, die sich stark von anderen unterscheidet, wird auch einem besonders scharf abgegrenzten Raum zugeordnet.
Zur Darstellung räumlicher Ungleichheit gibt es verschiedene Maßzahlen. Verbreitet sind der Dissimilaritäts- und der Segregationsindex. Ersterer dient dem Vergleich der Verteilung von zwei Bevölkerungsgruppen, während der Segregationsindex die Verteilung einer Bevölkerungsgruppe im Bezug auf die Gesamtbevölkerung misst. Beide Indikatoren können Werte zwischen 0 (Gleichverteilung) und 100 (maximale Segregation) annehmen.
Für die Berechnung des Dissimilaritätsindex der Bevölkerungsgruppen A und B wird für jede Raumeinheit die Differenz zwischen dem Anteil der Gruppe A an der Gesamtheit von A und dem Anteil von B an der Gesamtheit von B gebildet. Die Beträge dieser Differenzen ergeben über alle Raumeinheiten aufsummiert und dann halbiert den Dissimilaritätsindex (ID) zwischen A und B.
ID = ½ × ∑ (i=1..n) |ai - bi|
Analog erfolgt die Berechnung des Segregationsindex (IS) über die Summe der Anteilsdifferenzen zwischen der Gruppe A in der iten Raumeinheit und der Gesamtbevölkerung G abzüglich der betrachteten Gruppe A.
IS = ½ × ∑ (i=1..n) |ai - gi|
mit gi = Bevölkerung i - ai
Beide Indikatorwerte lassen sich als der Prozentwert an den betrachteten Gruppen interpretieren, der umziehen müßte, um eine Gleichverteilung zu erzielen.
Anwendungen
Die räumliche Verteilung der nach den einzelnen Statusmerkmalen segregierten Bevölkerungsgruppen überlagern sich. Untersuchungen von Murdie (1969) zeigten, dass sich in den Mustern der Segregation nach den drei Statusmerkmalen Grundtypen städtischer Strukturen erkennen lassen, die den unterschiedlichen Konzepten der Stadtstrukturmodelle der Chicagoer Schule entsprechen.
- Die Segregation nach dem Sozialstatus zeigt eine sektorale Struktur.
- Die Segregation nach dem Familienstatus zeigt eine ringförmige Struktur.
- Die ethnische Segregation weist eine mehrkernige Struktur auf.
Diese sozialräumlichen Grunddimensionen wurden für verschiedene Großstädte untersucht und die Aussagen Murdies bestätigt.
Angesichts der Tatsache, dass mit starker räumlicher Ungleichverteilung einzelner Gruppen häufig erhöhte Kriminalitätsraten und beschleunigter Stadtverfall (durch Desinvestition) einhergehen und mitunter das gesamtstädtische Image leidet, werden verschiedene Desegregationsstrategien entwickelt.
Vereinfacht ausgedrückt, sollen hierbei stärkere soziale Kontrolle und eine ausgeprägtere Gebietsbindung einer vorhandenen Bewohnerstruktur dafür sorgen, dass die negativen Auswirkungen durch Entmischung begrenzt bleiben. Als Maßnahmen sind neben allgemeinen Wohnumfeldverbesserungen, eine die Belange des Wohnungsmieters schützende Gesetzgebung (Verhinderung oder Begrenzung von Gentrification), Mietsubventionen (z.B. Wohngeld), Öffnungsklauseln im Sozialwohnungsbestand, verstärkte schulische Integration von fremdsprachlichen Minoritäten und verschiedene Antidiskriminierungsinitiativen verbunden. Neben dem Vorhandensein der erforderlichen Finanzmittel ist es für den Erfolg derartiger Strategien jedoch unerlässlich, dass ein komplementärer gesamtgesellschaftlicher Konsens zum Umgang mit Minderheiten vorhanden ist.
Literatur
- BRAUN, G. & H. MÜLLER (1980) Analyse innerstädtischer Wanderungen - Theorien und Methoden der Sozial- und Faktorökologie.
- THIEME, G. (1993) Segregation, in: BÖRSCH, D. (Hrsg.) Handbuch des Geographieunterrichts, Band II: Bevölkerung und Raum, S. 167-171, Köln.
- FRIEDRICHS, J. (1977) Stadtanalyse, Hamburg.
- FRIEDRICHS, J. (1995) Stadtsoziologie, Opladen.
- HARRISON, J. & D.H. WEINBERG (1992) Racial and Ethnic Residential Segregation. http://www.census.gov/hhes/www/housing/resseg/pdf/front_toc.pdf
- LICHTENBERGER, E. (1986) Stadtgeographie, Stuttgart