Bei Morbus Ménière handelt es sich um eine Erkrankung des Innenohres bzw. des Gleichgewichtsorgans. Die Erkrankung ist von einem quälenden anfallsartigen Drehschwindel in Zusammenhang mit Hörverlust und Ohrensausen (Tinnitus) gekennzeichnet .
Der Name von Morbus Ménière, auch Ménière-Krankheit genannt, geht auf den französischen Arzt Prosper Ménière (Paris, 1799-1862) zurück. Symptome der Ménièreschen Krankheit sind Druckgefühl im Ohr, Drehschwindel über Stunden einschließlich Erbrechen und zunehmender Schwerhörigkeit des betroffenen Ohres. Die Erkrankung tritt häufig zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf, aber auch jüngere Menschen sind betroffen. Die Ursache des Krankheitsbildes ist nicht genau bekannt.
Symptome
Der Drehschwindel mit Übelkeit bis zum Erbrechen kann ohne erkennbaren Anlass jederzeit auftreten. Er dauert mitunter minuten- oder gar stundenlang an und wiederholt sich in unterschiedlichen Abständen. Das Schwindelgefühl kann so starke Ausmaße annehmen, dass der Patient nicht mehr sicher stehen kann. Zwischen den Anfällen werden keine Gleichgewichtsstörungen empfunden. Zusätzlich besteht eine zeitweise auftretende Hörminderung, verbunden mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) und einem Druckgefühl in dem betroffenen Ohr. Die Anfälle treten in unregelmäßigen Abständen auf.
Schwindel
Typisch für Morbus Ménière ist ein schubweise einsetzender extrem starker Drehschwindel in Zusammenhang mit Übelkeit und Erbrechen. Der Schwindel wird bei Bewegung i. a. schlimmer. Seine Dauer beträgt meist zwischen 10 und 20 Minuten, aber derweil auch mehrere Stunden. Viel längere oder viel kürzere Schwindelzeiten deuten auf andere Erkrankungen (Lagerungsschwindel, mangelnde Blutversorgung des Hörorgans, Entzündungen) als auf Morbus Ménière hin.
Hörverlust
Der Hörverlust beim Morbus Ménière ist meist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Hörschwäche im Tieftonbereich. Das bedeutet, dass der Patient tiefe Töne schlecht hören kann, und bei hohen Tönen zumindest anfangs keine Beeinträchtigungen zu beobachten sind.
Tinnitus
Häufig tritt bei Morbus Ménière ein sogenannter Tinnitus auf. Als Tinnitus bezeichnet man ein Ohrgeräusch, das ein anderer Beobachter nicht wahrnehmen kann. Ein Tinnitus an sich kann in allen Tonlagen auftreten, als Rauschen, als einzelne Töne, als mehrere überlagerte Töne. Beim Morbus Ménière ist der Tinnitus häufig niederfrequent. Die Beeinträchtigung durch den Tinnitus ist beim Morbus Ménière häufig nur mittelmäßig stark oder gering ausgeprägt.
Modell der Entstehung
Eine häufig genannte Annahme geht davon aus, dass der Morbus Ménière durch einen sogenannten endolymphatischen Hydrops hervorgerufen werde.
Demnach führe eine Überproduktion an Endolymphe oder ein zu geringer Abfluss zu einem erhöhten mechanischen Druck der Endolymphe, die zu einem Riss oder einer erhöhten Durchlässigkeit des Endolymphschlauches führe.
Dadurch könne sich die kaliumreiche Endolymphe mit der natriumreichen Perilymphe mischen. Die Trennung der Ionen sei jedoch für die elektrischen Prozesse auf Zell-/Nervenebene im Innenohr wichtig, da sie eine elektrische Potentialdifferenz aufrechterhalte.
Durch die Mischung beider Flüssigkeiten komme es daher zu einer falschen Signalübertragung ins Gehirn.
Leider ist eine genaue Untersuchung des Innenohres bzw. des Gleichgewichtsorgans am lebendigen Menschen nur schwer möglich, da es anatomisch an einer unzugänglichen Stelle - nämlich hinter dem Schädelknochen - liegt. Zudem ist das Hörorgan klein, etwa vergleichbar mit der Größe einer Bohne.
Diagnose
Die Diagnose des Morbus Ménière stellt der Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Die Untersuchung dient im wesentlichen dazu, andere Erkrankungen beispielsweise Erkrankungen des Mittelohres (Mittelohrentzündung), des Innenohres (Hörsturz, Tinnitus, gutartiger Lagerungsschwindel), des Hörnervs (Akustikusneurinom), des Gehirns und sogar der Wirbelsäule auszuschließen, um die Diagnose zu sichern.
Anamnese
Der wichtigste Teil der Diagnose ist eine umfassende Anamnese. Typischerweise berichten Patienten beim Morbus Ménière über einen plötzlich einsetzenden starken Drehschwindel, Hörverlust und Ohrengeräusche.
Schauen ins Ohr
Durch die Begutachtung des Ohres kann der Arzt eventuelle Entzündungen oder Beschädigungen des Trommelfells erkennen, aber auch beispielsweise einen eventuell vergessenen Ohrenstöpsel entfernen.
Gleichgewichtsprüfungen
Die Gleichgewichtsprüfungen dienen dazu herauszufinden, ob eine Beeinträchtigung des Gleichgewichtsorgans vorliegt.
Romberg-Versuch
Der Proband steht auf einem oder beiden Beinen bei geschlossenen Augen so, dass die Füße sich innen berühren. Beide Arme werden horizontal vorgestreckt.
Gangabweichung
Beim Gehen mit geschlossenen Augen nach vorne wird die Gangabweichung festgestellt.
Marschieren auf einer Stelle (UNTERBERGER Trettversuch)
Marschieren auf einer Stelle mit geschlossenen Augen, ggf. mit den Armen nach vorne gestreckt.
Kalorische Prüfung des Gleichgewichtsorgans
Durch Spülen des Ohres mit kaltem oder warmen Wasser (30°C, 44°C) kann die Funktion des Gleichgewichtsorgans direkt untersucht werden. Sollte das Trommelfell nicht intakt sein, kann der Versuch ersatzweise bei Raumtemperatur mit Äther durchgeführt werden.
Durch den Kälte- oder Wärmereiz wird die Endolymphe in Bewegung gesetzt. Bei funktionierendem Gleichgewichtsorgan vermittelt das den Eindruck, als würde der Mensch im Raum kreisen. Der kalte Reiz wird häufig als stärker empfunden als der warme Reiz.
Dabei lässt sich ein Nystagmus, d. h. ein Zucken des Auges, beobachten. In der Regel bewegt sich beim warmen Reiz das Auge in Richtung des gereizten Ohres, beim kalten Reiz in die entgegengesetzte Richtung.
Während der Untersuchung liegt der Patient auf einer Liege. Damit über die Augen keine Orientierung im Raum möglich ist, sollten sie geschlossen sein. Häufig beobachtet der Arzt jedoch die Augenbewegungen mit Hilfe der Frenzelbrille, einer Brille mit 15 Dpt, die eine Orientierung im Raum ebenfalls unmöglich macht aber dem Arzt die Möglichkeit gibt, die Augenbewegungen zu beobachten.
Tonschwellen- und Sprachaudiogramm
Mit einem Hörtest wird die Hörfähigkeit des Ohres über Schall- und Knochenleitung geprüft. Die Prüfung über die Knochenleitung ist wichtig, um Hörstörungen des Mittelohres von denen des Innenohres unterscheiden zu können.
Otoakustische Emissionen
Die otoakustischen Emissionen messen den Schall, den das Ohr auf einen von außen auftretenden Reiz aussendet.
BERA
Bei der BERA (Brain Evoked Response Audiometry) wird das Ohr mit Schallimpulsen gereizt. Elektroden am Kopf messen die darauf erzeugten Gehirnströme. Die Untersuchung lässt Rückschlüsse darüber zu, ob der Schall ohne Probleme über den Hörnerv weitergeleitet wird. Bei eindeutigen Meßergebnissen lässt sich so ein Akustikusneurinom weitgehend ausschließen.
Glycerolbelastungsprobe
Bei der Glycerolbelastungsprobe kann ein endolymphatisches Geschehen im Hörbereich nachgewiesen werden. Dazu trinkt der Probant ein Glas mit einem hochsüßen Getränk. Ist die Substanz über die Magenschleimhaut ins Blut gelangt, besteht ein Konzentrationsgefälle der Bestandteile zwischen Blut und Endolymphe. Um das Konzentrationsgefälle auszugleichen könnten nun einerseits die Bestandteile in die Endolymphe diffundieren oder - umgekehrt - Flüssigkeit der Endolymphe diffundiert ins Blut. Das letztere geschieht. Wenn ein anschließendes Tonschwellenaudiogramm in drei benachbarten Frequenzen eine Verbesserung von 10-15 dB aufweist, gilt ein endolymphatisches Geschehen als nachgewiesen.
Bildgebende Verfahren
Zum Ausschluß eines Akustikusneurinoms kann eine Kernspinuntersuchung bzw. eine Computertomografie eingesetzt werden.
Behandlung
Leider ist der Morbus Ménière an sich nicht heilbar, jedoch sind viele Auswirkungen ausgleichbar bzw. günstig beeinflussbar.
Im Akutfall helfen oft Medikamente mit Dimenhydrinat (Vomex). Damit Erkrankte nicht mit Betrunkenen verwechselt werden, ist es sinnvoll, wenn sie eine Karte mit der Erklärung ihrer Erkrankung mit sich führen sowie ein Handy, um im Notfall Hilfe herbeizurufen.
Durchblutungsfördernde Maßnahmen in Form von Medikamenten oder der Druckluftkammer werden zwar häufig bei Innenohrbeschwerden wie Hörsturz oder Tinnitus verabreicht, machen aber bei einer gesicherten Diagnose des Morbus Ménière kaum Sinn. Auch andere stark umworbene Verfahren wie die Low-Level-Laser-Therapie, bei der das Außenohr mit einem Rotlichtlaser bestrahlt wird, sind sehr fragwürdig, da das Laserslicht - dem eine positive Wirkung auf die Sinneszellen im Innenohr zugeschrieben wird - nicht ins Innenohr gelangt.
Für die Behandlung zwischen den Anfällen stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Diese richten sich darauf, den Mensch als Ganzes zu stärken, denn gegen die Erkrankung (Entspannungstechniken, Psychotherapie, Gleichgewichtsprüfungen).
Bei sehr häufigem Schwindel kann ein Eingriff am endolymphatischen Sack Sakkotomie vorgenommen werden. Dieser Eingriff hat zum Ziel, daß die Endolymphe besser abfließen kann und Schwindelattacken in ihrer Häufigkeit abnehmen. Leider ist dieser Eingriff nicht immer und nicht immer auf Dauer erfolgreich.
Die letzte Möglichkeit, den Schwindel auszuschalten besteht in der teilweisen oder ganzen Ausschaltung des Gleichgewichtsorgans mit Gentamicin.
Dieses Mittel ist eine ultima ratio und darf nur bei sehr schweren Beeinträchtigungen angewendet werden und auch nur dann, wenn sicher feststeht, daß das Gleichgewichtsorgan (und nicht etwa Störungen im Gehirn) für den Schwindel verantwortlich sind.
Es gibt mitlerweile ein neues und nebenwirkungsfreies Verfahren, die Krankheit zu behandeln, die sogenannte Labyrinthanesthesie. Dabei wird ein Betäubungsmittel durch einen kleinen Schnitt im Trommelfell ins Mittelohr eingebracht. Von dort diffundiert die Betäubung ins Gleichgewichtsorgan und beruhigt dort das Gleichgewicht und betäubt dieses. Die Schwindelanfälle lassen sich dadurch reduzieren oder sogar für Jahre ausschalten. Die Methode kann jederzeit wiederholt werden, hat jedoch keinen Einfluss auf den Tinnitus oder die Hörleistung.
Trivia
Der wahrscheinlich prominenteste Betroffende war der niederländische Impressionist Vincent van Gogh. Es wird davon ausgegangen, dass diese Ohrgeräusche dafür verantwortlich sind, dass er im Hörwahn einen Teil des betroffenen Ohres abschnitt.
Literatur
- Helmut Schaaf, Morbus Ménière, Berlin: Springer 2004. ISBN 354040709X
- Olaf Michel, "Der Hörsturz", Stuttgart: Thieme 1994. ISBN 3-13-137401-2
- Harald Feldmann, "Tinnitus", Stuttgart: Thieme 1998. ISBN 3-13-770002-7