Sexueller Missbrauch von Kindern
Sexueller Missbrauch bedeutet, dass ein Erwachsener oder Jugendlicher seine körperliche Macht und geistige Überlegenheit sowie die Unwissenheit, das Vertrauen oder die Abhängigkeit eines Kindes zur Befriedigung seiner eigenen sexuellen Bedürfnisse benutzt. Dazu gehört z.B., wenn ein Mann (oder seltener eine Frau)
- ein Kind zur eigenen sexuellen Erregung anfasst oder sich von ihm berühren lässt
- ein Kind zwingt oder überredet, ihn/sie nackt zu betrachten oder bei seinen/ihren sexuellen Handlungen zuzusehen
- Kinder für pornographische Zwecke benutzt
- Kindern Pornographie vorführt
- den Intimbereich eines Mädchens (Scheide, Po, Brust) oder Jungen (Po, Penis) berührt oder
- das Kind zu oralem, analem oder vaginalem Geschlechtsverkehr zwingt, also vergewaltigt.
Missbraucht ein Erwachsener ein Kind sexuell, so benutzt er die Liebe, die Abhängigkeit oder das Vertrauen des Kindes für seine egoistischen sexuellen Bedürfnisse. Er setzt sein Bedürfnis nach Unterwerfung, Macht oder Nähe mit Gewalt durch. Dabei gefährdet er die seelische Entwicklung des Kindes. Für viele Mädchen und Jungen gehört der sexuelle Missbrauch leider zum Lebensalltag. Obwohl die Dunkelziffer hoch ist, kommt sexueller Missbrauch offenbar relativ häufig vor. Man muss davon ausgehen, dass in jeder Kindergartengruppe, in jeder Schulklasse, in jeder Nachbarschaft oder Verwandtschaft Kinder zu finden sind, die missbraucht werden. Als Täter kommt meist nicht der vielzitierte, unbekannte "böse Onkel" in Frage, sondern Männer aus dem Umfeld des Kindes. Sogar der eigene Vater ist öfter der Täter. Opfer sexueller Gewalt sind überwiegend junge Mädchen, aber auch Jungen werden sexuell missbraucht.
Juristisch. (West-) Deutschland
Sexueller Missbrauch wurde hier mit dem 4. StrRG vom 23.11.1973 (BGBl. I, 1725) in § 176 StGB n.F. als neuer Tatbestand eingeführt und dort definiert als eine »sexuelle Handlung«, an der eine Person unter 14 Jahren (Kind) aktiv oder passiv beteiligt ist. Eine sexuelle Handlung liegt dann vor, wenn sie »nach ihrem äußeren Erscheinungsbild« einen »Sexualbezug« hat.
Diese Formulierung schließt, anders als das bis dahin geltende Recht (§ 176 (3) a.F. StGB, »Unzucht mit Kindern«) auch banalste Handlungen mit ein. Deshalb wurde das Mindeststrafmaß damals auf sechs Monate oder Geldstrafe gesenkt, was bis heute umstritten ist. Sowohl das Höchstmaß der angedrohten Strafe (z.Zt. in den Fällen des § 176a StGB 15 Jahre), als auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit und andere Regelungen wurden mittlerweile erheblich verschärft, ohne dass dafür sachliche Gründe vorlagen oder ein Ende dieser Entwicklung zu erkennen ist.
Obwohl die Mehrheit der aus Anlass der Strafrechtreform befragten Sachverständigen eine Schädigung des Kindes durch solche Handlungen nicht in jedem Fall für wahrscheinlich hielt, wurde und wird diese Norm damit begründet, dass eine »Gefährdung nicht völlig ausgeschlossen werden könne«. Es kommt daher auch nicht auf den Willen des Kindes an, obwohl dieses andererseits etwa rechtswirksam in eine Operation einwilligen kann, dann auch gegen den Willen der Eltern.
Österreich? Schweiz?
Wissenschaft -- Eine allgemein anerkannte Definition von sexuellem Missbrauch gibt es in den Wissenschaften nicht, vielmehr verwendet jeder seine
eigene Definition, zumeist angelehnt an gesellschaftliche oder
juristische Vorgaben. Sehr weite Definitionen sind üblich gewesen,
die zu hohen Zahlen von »Fällen« und »Betroffenen« führten,
zumindest bis durch die Meta-Analysen von Rind, Tromovitch und
Bausermann gezeigt wurde, dass diese im Durchschnitt nicht wesentlich belastet sind.
In den Schriften der Missbrauchsforschung (Richard Green) wird übrigens erstaunlich viel Raum scholastischen Debatten über die »richtige« Definition gegeben, was eine gewisse Unkenntnis ihrer logischen Funktion (in empirischen Wissenschaften) verrät. Demgegenüber wird der Frage der Validität kaum genügend Bedeutung beigemessen.
Der Begriff »Missbrauch« suggeriert ja, dass damit Handlungen abgegrenzt werden könnten, die den betroffenen Kinder deutlich schaden. Bei sexueller Gewalt ist dies wohl ohne Zweifel der Fall. Man müsste aber dennoch klären, welche Handlungen genau welche Folgen haben. Da dies aber oft schwierig einzuschätzen ist, sind weniger belastete Begriffe vorgeschlagen worden, was auf z.T. heftige Gegenwehr stieß. Verharmlosen sollte man sexuellen Missbrauch auf keinen Fall.
Folgen -- Dem sexuellen Missbrauch werden - nicht ganz unbegründet - negative Wirkungen in großer Zahl und hoher Intensität angelastet. Lässt man einmal anekdotische und anderweitig zweifelhafte Studien ganz beiseite, so findet man einerseits zahlreiche Korrelationen zwischen einem sexuellen Missbrauch in der Vergangenheit der Untersuchungsperson und heutigen Problemen berichtet, andererseits sind diese Korrelationen nicht immer eindeutig genug und fügen sich nicht zu dem Bild eines »Missbrauchs-Syndroms«. Allerdings gibt es auch eindeutige Hinweise darauf, dass Missbrauchsopfer ihr Leben lang psychisch gestört sein können. Tatsache ist etwa, dass viele Frauen, die im Erwachsenenalter am Borderline-Syndrom leiden, in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sind.
Man sollte aber auch anderen Ursachen für beobachtete psychische Störungen nachgehen, denn es korrellieren in der Arbeit von Rind, Tromovitch und Bauserman solche Symptome auch mit Problemen im Familienumfeld der Untersuchungspersonen, so dass der Missbrauch von diesen Forschern nicht als alleinige Ursache für die betreffenden psychischen Störungen angesehen wird.